MENSCHEN TAUSCHEN
Migros-Magazin 36, 31. August 2009
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SERIE LEBEN MIT DER WIRTSCHAFTSKRISE TEIL 5
Töfffahrt gegen Geschenke einpacken Flavia Steinlin (29), Papeteristin aus St. Gallen, und Martin Gerber (56), Informatiker aus Herisau.
E
twas unbeholfen steigt Flavia uzuki EnduSteinlin auf die Suzuki ro. Die 29-jährige Papeteristin aus St. Gallen ist in ihrem Leben noch nie auf einem Motorrad gesessen. «Ein tolles Teil», muss sie beim Anblick ehrlicherweise zugeben, obwohl hl ihr bei dem Gedanken,, da gleich mitzufahren, n, doch etwas mulmigg zumute ist. «Ich fahre re halt lieber Velo», », gibt sie zu. Trotzdem m träumt sie schon lange ge von einer Töfffahrt. «Musst keine Angst st haben. Ich fahre vororsichtig», verspricht ihr hr Martin Gerber (56), 6), Computerfachmann aus Herisau. Was hier ier gerade abläuft, ist ein Rendez-vous der ganz besonderen Art: das Einlösen eines sogenannten Tauschgeschäfts. Der Mann in der Motorradkluft und die eher zurückhaltende Frau wären sich wahrscheinlich nie im Leben begegnet, und doch werden sie nun einen ganzen Nachmittag auf einer Spritztour durchs hügelige und kurvenreiche Appenzellerland verbringen. «Die Zeitbörse St. Gallen hat uns zusammengeführt», erzählt Martin Gerber. Martin Gerber ist aktiver Tauschpartner in der Börse Ω 63 Arbeitsstunden hat er in diesem Jahr schon zu verbuchen. Der
Spritztour durchs Appenzellerland: Martin Gerber nimmt Flavia Steinlin für eine Fahrt auf seinem Töff mit, dafür packt sie ihm Geschenke ein.
Computerspezialist ist ein Mann für alle Fälle: Nebst Motorradausfahrten, hilft er bei Umzügen, bietet Lektionen mit der Digitalkamera an, Inline skaten, Malen mit Licht und hat auch schon Hecken geschnitten. «Als Gegenleistungen habe ich mir einen Zopf backen, einen Schal stricken lassen, Yogastunden genommen, meine Töffjacke flicken lassen.»
In der Freizeit nur noch schöne Dinge tun
Flavia hat ihr Talent bereits an Weihnachten unter Beweis stellen können und Martin von einer
schweren Last befreit. Denn etwas, was er gar nicht mag, ist, «go lädele zga». «Ich habe ihm all seine Weihnachtsgeschenke besorgt und sie liebevoll eingepackt», erzählt die gelernte Papeteristin, die als Kauffrau in einem Bürogeschäft arbeitet. Denn eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Tauschbörse ist, dass man die Tätigkeit, die man anbietet, nicht hauptberuflich ausübt, weil sie sonst unter Schwarzarbeit fallen würde. «Das ist ja der Sinn dieser Tauschbörse. Man macht Dinge, die man gern tut, und erhält Dienstleistungen
für Arbeiten, die man nicht gut kann.» Während Martin sich von der Tauschbörse eine bessere Integration in seinem Wohnort Herisau erhofft, wo er schon viele Jahre lebt, aber durch berufsbedingte Abwesenheiten kaum jemanden kennt, ist Flavias eindeutiges Ziel: «Ich will in meiner Freizeit nur noch schöne Dinge tun und das, was mir keinen Spass macht, anderen überlassen.» Lesen Sie weiter auf Seite 39