82 MM34, 20.8.2018 | LEBEN
Gesundheit
Haare gelassen Wer sich Haare transplantieren lassen will, muss aufpassen, an wen er gerät. Das gilt nicht nur bei Billigangeboten im Ausland, sondern auch in der Schweiz. Text: Martina Frei Bilder: Sophie Stieger
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ährend der Pubertät hatte ich eine richtige Mähne», sagt G. K.* Doch ab dem 19. Lebensjahr passierte ihm dasselbe wie schon seinem Grossvater: Haarausfall. «Man beobachtet sich genau», sagt der 28-Jährige. Auch die Reaktionen von anderen registrierte er. K. liess sich Medikamente gegen männlichen Haarausfall verschreiben, musste sie aber wegen Nebenwirkungen ab setzen. 2015 entschloss er sich zu einer Haartransplantation. Dabei werden Haare am Hinterkopf entnommen und an die lichten Stellen verpflanzt. Eine Kosmetikerin habe den Eingriff vorgenommen, berichtet er. «Sie war in einer Arztpraxis eingemietet, und ich ging davon aus, dass Haartransplantationen in der Schweiz nur von Personen ausgeführt werden, die zerti fiziert sind.» Es liege in der Verantwortung des Arztes, bei einer Haartransplantation gewisse Handlungen zu delegieren. «Eine Kosme tikerin erwirbt dafür bei der Aus bildung aber nicht die nötigen Kompetenzen», stellt Christina Baggenstos von der Zürcher Gesundheitsdirektion klar. «Die Haartransplantation ist eine ärztliche Tätigkeit. Der verantwortliche Arzt muss die ganze Zeit über anwesend sein.» Das war bei K. nicht der Fall. Und er war mit dem Resultat nicht glücklich: «Ausgefranst und kümmerlich» habe es ausgesehen. Er suchte die Schuld bei seiner vermeintlich schlechten «Anwachsrate» – und liess sich 2016 erneut
von der Kosmetikerin Haare verpflanzen. «Danach gab es noch mehr komische Blicke.» Hierzulande führen in diversen Kantonen Nicht-Ärzte Haartransplantationen durch. «Mich irritiert das. Es scheint mir auch irreführend, wenn nichtärztliche Leistungen aus einer Arztpraxis heraus erbracht werden und so ein medizinischer Anschein erweckt wirkt», sagt Barbara Züst, Geschäftsführerin bei der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz. K. rasierte letztlich sein Haar kurz. «Das gab dann aber Fragen beim Coiffeur wegen der Narben am Kopf.» Mehrstündige Operation
Über einen Kollegen erfuhr er schliesslich von Conradin von Albertini, einem Arzt, der sich der Haartransplantation verschrieben hat und auch international einen guten Ruf geniesst.
«Pfusch», urteilt er, als er mit der Hand durch K.s transplantierte Haare fährt. «Falsche Haarlinie und Einsetzwinkel, zu tief gesetzte Haarfollikel, völlig unnötige sichtbare Narben durch veraltete Entnahme technik und viel zu wenig Haare am Scheitel.» Nicht nur Billigangebote im Ausland führten zu schlechten Resultaten, weiss er. «Ein Patient, der zu mir kam, hatte in einem Nachbarland Tausende von Euros gezahlt für eine achtstündige Opera tion, nach der keine hundert transplantierten Haare übrig blieben.» Manchen könne er nicht mehr helfen, wie etwa dem Mann, der in der Schweiz mehrmals von einem Coiffeur operiert wurde. «Eine Haartransplantation ist eben kein Coiffeur besuch», so von Albertini. Damit das Ergebnis natürlich wirke, sei bei Männern eine
Tipps
Hilfe bei erblich bedingtem Haarausfall • Der Wirkstoff Finasterid blockiert die Bildung von Dihydrotestosteron (DHT). Dieses männliche Geschlechtshormon entsteht beim Abbau von Testosteron. Bei Männern mit Glatze sind die Haarwurzeln empfindlich auf DHT. Sie verkümmern i mmer mehr, bis das Haar zuletzt ausfällt. • Der Wirkstoff Minoxidil, auf die Kopfhaut appliziert, sorgt bei erblich bedingtem Haarausfall für eine verlän
gerte Wachstumsphase der Haare und eine Vergrösserung der Haarfollikel. • Toupets, Perücken oder Keratinfasern zum Aufbringen auf die Kopfhaut. • Die Wirkung der Low- Level-Laser-Lichttherapie ist noch nicht sicher erwiesen. Das Gleiche gilt für Platelet Rich Plasma, das aus dem Blut des Patienten gewonnen und danach in die Kopfhaut gespritzt wird.
g eschwungene Haarlinie wichtig, erklärt er. In einer mehrstündigen mikrochirurgischen Operation will er K. 1800 Ein heiten von ein bis drei Haaren transplantieren, die am Hinterkopf entnommen werden. Sie widerstehen dem erblich bedingten Haarausfall. Etwa 90 Prozent wachsen an, prophezeit der Arzt. «Wichtig ist, sie rasch und in genügender Dichte wieder einzusetzen.» Das Ziel: 35 Transplantate pro Quadratzentimeter. Eins kostet etwa sechs Franken. Im Drei-Sekunden-Takt pflanzt von Albertini die Follikel ein. Zwischendurch besprüht er K.s Kopfhaut immer wieder fein mit Wasser, damit die Follikel nicht austrocknen. K. spürt nichts, das lokale Betäubungsmittel wirkt. Drei bis vier Patienten pro Woche operiert von Albertini – «alle von A bis Z selbst», betont er. Es brauche eine Engelsgeduld bei dieser Arbeit, er schätze aber den künstlerischen Aspekt. «Jeder Patient ist anders. Die Haartransplantation muss zu ihm passen.» Gegen 17 Uhr geht K. wieder nach Hause. Zwei Wochen lang muss er nun ein Pflegeprogramm befolgen. K. ist darüber informiert, dass die verpflanzten Haare in den nächsten Wochen ausfallen können. Nach etwa drei Monaten seien die Haare nachgewachsen, nach zwölf Monaten sei das volle Resultat erreicht. Der Arzt ver abschiedet K.: «Wir sehen uns in einem Jahr wieder.» Dann wird sich zeigen, ob die Transplanta tion erfolgreich war. MM * Name ist der Redaktion bekannt.