Migros Magazin 27 2011 d LU

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MENSCHEN KUNSTFLIEGER

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on Weitem sieht es aus, als würde der Junge eine Riesenlibelle fixieren. Das rund ein Meter lange Insekt, das sich beim Näherkommen als Elektrohelikopter entpuppt, schwebt direkt vor Gil Rothmayrs Gesicht. Das durchdringende Summen, das es dabei von sich gibt, klingt fast schon ein bisschen bösartig. Ein Windstoss lässt den Helikopter erzittern. Mit kleinen Ausgleichsbewegungen an seiner Fernsteuerung tariert Gil ihn aus. Dann ein leichter Zug am linken Steuerknüppel. Der Outrage Fusion 50 stellt seine Rotorblätter schräg, drückt so die Luft nach unten, und los gehts. Einem Expresslift in einem Wolkenkratzer gleich beschleunigt der dreieinhalb Kilo schwere Heli senkrecht mit rund 100 Kilometern pro Stunde nach oben – 100, 200, 300 Meter hoch, bis er von blossem Auge kaum noch zu sehen ist. Jetzt eine scharfe Kurve nach rechts, zwei, drei Pirouetten, ein Looping, und schon geht es mit einem Affenzahn zurück zum Erdboden, wo die Riesenlibelle vor Gils Gesicht wieder in die Schwebeposition übergeht, diesmal allerdings in der Rückenlage. Eine blitzschnelle Rolle um 180 Grad über die Querachse, dann setzt der Heli sanft auf dem Platz des Modellflugvereins Zumikon-Maur ZH auf.

Extrem hohe Belastung für Mensch und Maschine

Der 15-Jährige hat soeben den Gegenwert von rund 3000 Franken sicher auf die Erde zurückgebracht. Trotz seines Alters gilt der Oberstufenschüler aus Küsnacht ZH in der Schweizer Helimodellszene als einer der geschicktesten Kunstflieger. Elf Jahre war er, als er mit einem 100-Franken-Modell auf dem Parkplatz vor dem Elternhaus ein paar erste wackelige Runden flog. Kurz darauf haben ihm dann Vater Fredi und Mutter Carmen den ersten Bausatz eines 800-fränkigen Hochleistungsheli geschenkt. «Seither gibt es zu Geburtstag und Weihnacht keine Geschenke mehr», erzählt Gil mit einem Grinsen, «sondern nur noch Münz für die Heli-Kasse.» Modellhelifliegen auf dem Niveau, wie Gil es betreibt, ist ein teu-

res Hobby. Zwar unterstützen eine Modellsportfirma, ein Rotorblattund ein Akkuhersteller das junge Schweizer Fliegerass. Dennoch ist jeder Absturz einer zu viel. Daher übt der Teenager neue Figuren gern auch mal am Simulator ein. «Bei einem Crash gehen vor allem die Rotorblätter oder der Rotorkopf kaputt», weiss Gil. Vorsichtig löst er die zwei mit Klettband unter der Haube befestigten Lithium-Polymer-Akkus und versorgt sie in einer feuerfesten Tasche. Gerade mal viereinhalb Minuten lang haben die Akkus gereicht; die sogenannte 3-D-Fliegerei mit ihren waghalsigen Manövern und schnellen Richtungswechseln ist energieintensiv, die Helikopter – meist aus hochfestem Aluminium und Carbon – stehen unter Dauerbelastung. Unter Dauerbelastung steht aber auch der Pilot. Oder, wie es Gil formuliert: «Hast du eine halbe Sekunde nicht aufgepasst, bist du bereits eine halbe Sekunde zu spät.» Neben gutem Konzentrations- und räumlichem Vorstellungsvermögen sind hohe motorische Fähigkeiten zwingend, um die bis zu acht Steuerrichtungen gleichzeitig über die zwei Steuerknüppel der Fernsteuerung «händeln» zu können. Denn anders als ein «echter» Hubschrauberpilot hebt der Modellhelipilot ja nicht selbst ab und kann so auch kein «Gschpüri» für die Bewegungen seiner Maschine entwickeln. Gerade diese Unmittelbarkeit ist das, was Gil an seinem Hobby fasziniert. So richtig «versteuert» hat er sich bisher erst einmal. Sonst seien es immer mechanische Gründe wie beispielsweise der Ausfall des Heckrotors gewesen, dass er einen Heli «zämegleit» hat, wie er sagt. Dann komme jeweils Vater Fredi, der als «Chefschrauber» für die Wartung zuständig ist, zum Zug. Am meisten fürchtet Gil einen sogenannten Chicken Dance: Stürzt ein Heli ab und lässt der Motor sich per Fernsteuerung nicht abstellen, kann es passieren, dass der Hubschrauber mit dem Hauptrotorwildumsich«schlägt». Ähnlich einem frisch geschlachteten Huhn torkelt er dann kopflos über den Boden. «Die drehenden

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Rotorblätter sind wie Säbel. Da heissts dann nur noch: Rette sich, wer kann!» Zurzeit hält Gil drei Helikopter in seinem Bastelzimmer für einen Einsatz bereit: einen elektrisch Betriebenen und zwei Verbrenner, die mit einem Gemisch aus Methanol und Nitro fliegen. «Die Benziner sind lauter, was ihren Einsatz auf Platz einschränkt», erklärt Gil, der ein- bis zweimal pro Woche trainiert, um sich dann am Wochenende irgendwo an einem Anlass mit anderen Piloten zu messen, zu fachsimpeln und Spass zu haben. Stört es ihn nicht, dass er dabei meistens der Jüngste ist? Der Schüler verneint. Das Verbindende sei die Leidenschaft fürs Fliegen. «Und wenn ich wie kürzlich nach einer gelungenen Kür ein Bier angeboten bekomme, lehne ich einfach dankend ab.»

Europas Heli-Elite geht in Dübendorf in die Luft

Wenn sich am kommenden Wochenende auf dem Militärflugplatz Dübendorf ZH die besten Modellhelipiloten Europas zur Heli Challenge Switzerland treffen, will auch Gil Rothmayr «möglichst viel Fun» haben. In den Sommerferien geht es dann in die USA nach Indianapolis zum IRCHA Jamboree, dem mit mehr als 1000 Piloten grössten ModellHeli-Treffen der Welt. Und dann? Dann steht erst einmal die Suche nach einer Lehrstelle ganz oben auf der Prioritätenliste des Sekundarschülers. Aber nicht etwa als Helipilot, wie man annehmen könnte, sondern als Hochbauzeichner. Da sind gutes räumliches Vorstellungs- und Abstraktionsvermögen ebenfalls gefragt.

Text Almut Berger Bilder Jorma Müller

www.gilrothmayr.ch www.custom-heli-events.ch www.flugzone.ch

www.migrosmagazin.ch Filmausschnitte zu Gil Rothmayrs Flugkünsten und wie ein «Chicken Dance» aussieht.


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