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NR. 23, 4. JUNI 2012 | MIGROS-MAGAZIN |
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Uno-Jahr der Genossenschaften
«Dutti hatte keine Angst – vor nichts und niemandem»
Monika Weber, frühere Ständerätin der Migros-Partei Landesring der Unabhängigen (LdU), über die Jahrhundertgestalt Gottlieb Duttweiler. Initiative für einen Preisüberwacher anschob, zeigte sich im Nachhinein, dass Dutti schon viel früher eine Motion eingab — mit fast identischem Inhalt!
Monika Weber, erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem Gottlieb Duttweiler starb?
Ja natürlich, ich war 19 und das Begräbnis war auch an unserem Mittagstisch in Zürich-Affoltern das Thema. Meine Mutter war eine überzeugte Genossenschafterin und Kundin der Migros. Allerdings ging man damals nicht ohne Probleme mit dem Migros-Sack auch in den Läbis (LVZ, heute Coop, Anmerkung der Redaktion). Umgekehrt war es aber kein Problem. Die Migros war offen und kundenfreundlich.
Dutti war auch ein Patron alter Schule. Hat Ihnen das nie Mühe bereitet?
Dutti war eine Führungspersönlichkeit, aber doch kein Patriarch! Bei der Abstimmung über das Frauenstimmrecht von 1959 war neben den Kommunisten und Sozialdemokraten nur Duttis LdU auf der Seite der Frauen. Überhaupt war Dutti einer der Ersten, der sich in der Werbung direkt an die «intelligente Hausfrau» richtete. Das war damals revolutionär.
Irgendwann war dann fertig mit Verstecken, und Sie traten dem LdU bei.
Genau ein Jahr später, kurz nach meinem 20. Geburtstag. Der Auslöser war eine Vortragsreihe im Herbst 1962 mit LdUPolitikern wie Ruedi Suter, William Vontobel oder Walter König.
Wie würden Sie Dutti denn einem jungen Menschen beschreiben?
Was hat Sie daran so fasziniert?
Es war Dutti. In den Vorträgen ging es um seine Ideen, sein Werk. Sie haben mich vom ersten Moment an in den Bann gezogen. Damals hörte ich auch Sätze, die mich ein Leben lang begleitet haben. Zum Beispiel?
Das Dutti-Zitat: «Der Stärkere ist für den Schwächeren da.» Das könnte auch ein Kommunist gesagt haben.
Eben nicht! Ein Kommunist hätte grundsätzlich etwas gegen den wirtschaftlich Stärkeren, also den Reichen. Dutti aber hatte nichts gegen Reiche, er war ja selber nicht arm. Aber mit diesem Reichtum verband er auch eine Verantwortung gegenüber denjenigen Menschen, denen es weniger gut geht. Fanden Sie in Dutti eine Art Seelenverwandten?
Seine politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen teile ich bis heute zu 100 Prozent. Als ich in den 70er-Jahren die
«Er wurde ständig angefeindet und hatte keine Lobby.»
Dutti war ein Visionär und ein Macher. Er setzte um, wovon er überzeugt war. Er gründete die Migros, obwohl er mächtige Konkurrenz hatte. Er verschenkte Süssmost. Er gründete eine Raffinerie. Er griff mit dem Hotelplan ganz entscheidend dem Tessin unter die Arme. Vor allem aber hatte er keine Angst, vor nichts und niemandem. Er wurde ja ständig angefeindet und hatte keine Lobby: Den Linken war er als Unternehmer zu rechts und den Rechten zu links. Aber das war ihm egal, denn er hatte sein eigenes Programm. Welches?
Das soziale Kapital. Dieser Leitidee ordnete er alles unter. Was verstand er genau unter dem berühmten Konzept «soziales Kapital»?
Hinter dem sozialen Kapital steht die Überzeugung, dass die Wirtschaft auch einen Beitrag ans Gemeinwohl leisten muss. Sie muss dem ganzen Land — und nicht nur den Aktionären! — dienen. Heute heisst diese Überzeugung Corporate Social Responsibility, und es steht in den Leitbildern aller grösseren Firmen.
Ja, dumm nur, dass das keiner versteht und es deshalb leider viel zu wenige machen. Dutti aber war immer schon der Überzeugung, dass die Freiwilligkeit entscheidend ist. Einer seiner zentralen Sätze lautet denn auch: «Freiwilligkeit ist der Preis für Freiheit.» Man sollte meinen, die Freiheit gebe es gratis zu haben …
Stimmt aber eben nicht! Wenn mir die Demokratie als Staatsform, welche sich die Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat, am Herzen liegt, kann ich nicht nur an mich denken. Es braucht den Einsatz für das Gemeinwohl — über das hinaus, was vorgeschrieben ist. Kapitalismus also als Mittel zum Zweck.
Ja, aber ein Kapitalismus, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt. «Der Kapitalismus muss gereinigt werden von der reinen Profitgier» — noch ein grossartiger und hochaktueller Satz. Sie waren ein Aushängeschild des LdU und wurden Stadträtin von Zürich, obwohl die Partei gar nicht mehr existierte. Hatten sich Duttis politische Ideen überlebt?
Nein, aber dem LdU fehlte irgendwann das Schwungrad. Der Zenit wurde 1967, nach dem Tod Duttweilers, erreicht. Danach ging es bergab, bis sich der LdU 1999 auflöste. Die Gründe für diesen Niedergang waren sehr vielfältig. Fragte man sich da bisweilen im LdU: Was hätte Dutti zu diesem oder jenem Thema gedacht?
Ja, durchaus. Als die Grünen aufkamen, entbrannte eine grosse Debatte, wie sich Dutti zum Thema Umweltschutz gestellt hätte. Da gab es wie in jeder Partei ganz unterschiedliche Auffassungen. Heute sagen viele, die Grünliberalen wären die Erben des LdU.
Dazu kann ich nichts sagen, weil es im Moment noch zu wenig klar ist,