MENSCHEN 32 |
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INTERVIEw
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Nr. 22, 29. Mai 2012 | MIGROS-MAGAZIN |
«Es gibt sehr viel Humor in dieser Krankheit» Sophies neue Welt heisst Demenz. Nach der Alzheimererkrankung ihrer Grossmutter gründete das deutsche Model Sophie Rosentreter eine Firma für Demenzkranke. Nun hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie an ihre geliebte Omi Ilse erinnert und viel Wissen vermittelt.
Sophie Rosentreter, wie war das, als Sie erfuhren, dass Ihre Omi Alzheimer hat?
So komisch es klingt, als wir vor zwölf Jahren die Diagnose erhielten, war das eine sehr grosse Erleichterung. Wir hatten ja gewusst, dass etwas mit ihr nicht stimmt, und wir vermuteten auch, dass es Alzheimer sein könnte. Mit der Diagnose hatte die Krankheit einen Namen, und wir bekamen vom Arzt Medikamente. Wir dachten, jetzt wird alles gut. Standen Sie Ihrer Omi nahe?
Sehr, und wir kamen uns durch die Krankheit noch näher. Vor allem, als es irgendwann keine Worte mehr gab. Wir waren schon immer eine sehr körperliche Familie. Deshalb war es für mich leicht, den Zugang zur Omi über Berührungen zu finden. Wenn ich sie besuchte, erkannte sie mich nicht immer, aber sie nahm wahr, dass jemand Vertrauter da war.
Trauer, Wortfindungsschwierigkeiten. Und ich verbrachte ihre letzten Stunden mit ihr. Als sie auf dem Sterbebett lag, wurde mir bewusst: Es ist nicht wichtig, was man im Leben erreicht hat, sondern wen. Meine Omi hatte mich mein ganzes Leben mit ihrer Liebe begleitet. Mit meiner Anwesenheit konnte ich etwas zurückgeben. Was war während der neun Jahre Demenz das Schwierigste für Sie und Ihre Familie?
Wenn man nicht weiss, wie diese Krankheit funktioniert, ist es grundsätzlich wahnsinnig schwierig, damit klarzukommen. Wir hatten das unheimliche Glück, dass wir als Familie ein Stück weit zusammenrückten. Viele Familien brechen in so einem Fall auseinander – das weiss ich heute durch meine Arbeit mit Demenzbetroffenen. Sehr schlimm war, als die Omi
stürzte und blutend auf dem Boden lag, als meine Mutter sie fand. Das passierte ausgerechnet, als niemand bei ihr war. Dabei hatten wir uns mit dem ambulanten Service so aufgeteilt, dass sie nie länger als eine Stunde allein war. Der Unfall machte uns klar, dass wir diese Situation nicht länger verantworten konnten. Die letzten beiden Jahre war die Omi deshalb im Pflegeheim. Sie waren Model, MTV-Moderatorin und Redaktorin bei Fernsehen und Zeitungen. Haben Sie Ihr Leben auf den Kopf gestellt, als Ihre Grossmutter erkrankte?
Nach aussen hin sieht das so aus. Aber der Schritt vom Modeln zur Arbeit hinter der Kamera war da schon passiert. Als meine Grossmutter krank wurde, versuchte ich herauszufinden, womit wir sie beschäftigen konnten. Es gab da noch nichts für Ange-
Sie haben Ilse in den Tod begleitet.
Als sie krank wurde, zog ich nach Hamburg und lebte vorübergehend wieder bei meinen Eltern. So sah ich die Omi fast täglich und bekam ihre Krankheitsschübe mit: Wut,
«Es ist nicht wichtig, was man im Leben erreicht hat, sondern wen.»
Mit Gegenständen zum Greifen und Tasten will Sophie Rosentreter die haptischen Fähigkeiten von Demenzkranken trainieren.