Migros-Magazin-20-2019-d-ZH

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GLEICHBERECHTIGUNG | 13.5.2019 | 13

Werner Neth und Carlos Schönhärl werden an der «Zurich Pride» im Juni mitmarschieren. Die beiden trennen 50 Jahre – und genauso lange liegt der historische Aufstand von Lesben und Schwulen in New York zurück. Was sich seither getan hat, zeigen die zwei Coming-out-Geschichten. Text: Ralf Kaminski  Bilder: Dan Cermak

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Bild: Diana Davies, copyright owned by New York Public Library

uf den ersten Blick haben sie nichts ­gemeinsam: Werner Neth, der pensio­ nierte Bankangestellte aus ­Zürich, und Carlos Schönhärl, der Konstrukteurslehrling aus Freienbach SZ. Doch es gibt ­etwas Verbindendes: Beide ­ sind schwul und beide waren etwa 13 Jahre alt, als sie das ­ zu ahnen begannen. In den ­ 50 Jahren, die die Männer ­altersmässig trennen, ­hat sich vieles getan, was dem Jüngeren den Umgang damit enorm erleichtert hat. Im Jahr 1969 nämlich begann vor einer unscheinbaren Bar in New York der Kampf von Les­ ben, Schwulen und Transmen­ schen um A ­ kzeptanz und Gleichberechtigung: Als in der Nacht auf den 2 ­ 8. Juni wieder einmal eine Polizeirazzia im ­«Stonewall Inn» an der Chris­ topher Street stattfinden sollte, wehrten sich die Gäste erstmals physisch und lieferten sich ­stundenlange Strassenschlach­ ten mit den Cops. Dieses Jahr feiern Lesben, Schwule, Bi­sexuelle, Trans- und Inter­ menschen, kurz: LGBTI, welt­ weit das Jubi­läum der Geburts­ stunde ­dieses Kampfs – auch in der Schweiz (siehe Seite 14). Positive Reaktionen im Umfeld Werner Neth (68) und Carlos Schönhärl (18) werden dabei

sein. Beide engagieren sich ­ beim Zurich Pride Festival, dem ­jährlichen Event zur Feier des «Stonewall»-Aufstands; sie ­helfen mit, die Jubiläumsver­ anstaltungen im Juni auf die Beine zu stellen. Was sich für Lesben und Schwule seit jener Nacht in New York alles verän­ dert hat, lässt sich a­ nhand ihrer Lebensgeschichten gut nach­ zeichnen.

Zwar hat auch Carlos Schönhärl ­zunächst etwas gerungen mit seiner sexuellen Orientierung. «Ich wollte es erst nicht wahr­ haben und versuchte, mich für Mädchen zu interessieren», er­ zählt er. «Aber es funktio­nierte einfach nicht.» Als er mit 16 die Online-Schwulenkontaktbörse Grindr entdeckte, gestand er sich jedoch ein, dass er wohl wirklich auf Männer steht. Warum das so lange dauerte, kann er nicht wirklich erklären. «Meine Familie stammt ur­ sprünglich aus einer katholi­ schen Ecke in Bayern, aber mein Vater ist früh weggezogen, und meine Mutter ist eh liberal auf­ gewachsen.» Dennoch hatte er etwas Angst, es seinen Eltern zu erzählen. Das tat 2017 schliess­ lich der Vater eines Freundes, dem er sich anvertraut hatte. Denn der ging davon aus, dass Carlos’ Eltern es sehr entspannt aufnehmen würden. Zu Recht: Sie werden am 15. Juni sogar am Zürcher «Pride»-Umzug teil­ nehmen. Anders als Schönhärl offen­ barte sich Werner Neth den ­Eltern erst mit 27 Jahren. Weil er selbst gerade erst, und nach ei­ ner zweijährigen Psychoanalyse, ­akzeptiert hatte, dass er auf Männer steht – obwohl es ihm eigentlich längst klar war und ­

«Homosexualität ­ war damals einfach kein Thema, und so habe ich es so lange wie möglich verdrängt.» Werner Neth Schwulenaktivist

es im Teenageralter in Ski- und Pfadfinderlagern auch schon ­ zu ersten sexuellen Spielereien mit Jungs gekommen war. «Aber Homosexualität war da­ mals einfach kein Thema, u ­ nd so habe ich es so lange wie möglich verdrängt.» Auch Neths Eltern nahmen das Coming-out ihres Sohns 1977 locker auf, womit nicht unbe­ dingt zu rechnen war. «Ich dachte mir damals: Wenn sie mich raus­ schmeissen und mich nie wieder­ sehen wollen, ist es halt so. Aber meine Mutter sagte nur, dass sie es bereits geahnt hätte.» Ein vorbildlicher Arbeitgeber Nach dem Studium zog er 1977

von St. Gallen nach Zürich, trat dort seine erste Arbeitsstelle an und begann, die aufblühende Schwulen-Subkultur der Stadt zu geniessen. Es folgte ein gut einjähriger Einsatz als Oberleut­ nant an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea, dann fing er 1981 bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS) im Rechnungswesen an. Nach und nach erfuhr sein ganzes Umfeld, dass er schwul ist. «Es gab nie Probleme, auch bei der Arbeit nicht.» Neth gehört zu den Gründungsmitgliedern der ­Arbeitsgruppe «Pride@UBS», mit der die Bank sich früher als viele andere Unternehmen auch öffentlich exponierte. Auch Carlos Schönhärls ge­ samtes Umfeld erfuhr es nach und nach. «Ein Kollege aus der Sekundarschule brach den Kon­ takt ab, ansonsten lief alles recht locker, sogar bei Oma und Opa.» Nicht nur sein Coming-out fand deutlich früher statt als bei Wer­ ner Neth, sondern auch der erste Kontakt mit anderen Schwulen, die erste Beziehung, der erste Besuch eines Schwulenlokals, die erste «Pride». Seite 15


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