Migros magazin 17 2017 d bl

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LEBEN | MM17, 24.4.2017 | 93

Christian Czech

«Pferde zeigen oft keine Symptome» Wie merkt man, dass ein Pferd Zahnweh hat? Pferde zeigen oft keine Symp­ tome. Oder sie sind unleid­ lich oder aggressiv. Manchmal haben sie auch NasenausïŹ‚uss, denn die Wurzeln einiger Back­ enzĂ€hne reichen bis in die Nasennebenhöhlen. Sind diese faul, kann es auch dort eitern. Im Pferdezahnzentrum in Niederlenz ist man auch fĂŒr komplizierte Operationen eingerichtet. Hier werden schwierige FĂ€lle behandelt.

lenz ins Pferdezahnzentrum. Sein Dienst beginnt morgens um sieben und dauert oft bis abends um neun. In der Klinik behandelt Beatus BÀchi, gemeinsam mit seinem Chef und einem erfahrenen deutschen Kollegen, jeden Mittwochnachmittag die schwierigeren FÀlle, rund 200 pro Jahr. «Wenn es zu Komplikatio­ nen kommt, hat man hier mehr Möglichkeiten.» Rino lebte drei Jahre lang mit einem faulen Zahn

Was die Pferdehalter immer wieder ĂŒberrasche: dass selbst Tiere mit heftigen Zahnproblemen nur wenige Symptome zeigen. Der 6­jĂ€hrige, gut genĂ€hrte Rino ist das beste Beispiel. «Ich habe nichts bemerkt, auch beim Reiten nicht», berichtet seine Besitzerin Andrea Höhn. «Rino kann lĂ€ngst nur noch auf einer Seite kauen», sagt BĂ€chi und versucht, Rinos Unterkiefer nach links und rechts zu schieben, doch ein vorstehender Backenzahn im Unter­ kiefer blockiert die Bewegung. Der Zahn sei seit mindestens drei Jahren faul, stellt BĂ€chis Kollege Frank Schellenberger fest. Nachdem Rino Schmerz­ und Beruhigungs­ mittel bekommen hat, drĂŒckt Frank Schellen­ berger die NachbarzĂ€hne mit einem Spreizer etwas weg – der erste Schritt, um den Zahn zu lösen. Nun ist Geduld vonnöten: Etwa 30 Minuten lang bearbeitet der VeterinĂ€r den Zahn, bis dieser sich allmĂ€hlich löst. Rino schwitzt. Dann geht alles ganz schnell, und der Zahn ist draussen. Seine etwa acht Zentimeter lange Wurzel stinkt bestialisch: Sie ist mit verfaultem Futter gefĂŒllt. Rino wird noch ein paar Tage lang Schmerz­ mittel und ein Antibiotikum bekommen; etwas Gummimasse verschliesst vorĂŒbergehend d as entstandene Loch. Jetzt, wo er den Zahn los sei, werde er sich verĂ€ndern, warnt der Zahn­ arzt die Besitzerin: «Wappnen Sie sich, damit Sie beim Reiten nicht bald im Dreck landen. Rino wird jetzt mehr Lebensfreude haben.»

Was können Pferdehalter vorbeugend tun? Man sollte Pferden möglichst viel faser­ und mineralien­ reiches Raufutter wie Heu und Stroh geben. Wenn ein Pferd Raufutter frisst, braucht es seine ZĂ€hne mehr als beim Futtern von Getreide. Die KauausschlĂ€ge sind dann viel grösser, und die ZĂ€hne nĂŒtzen sich gleichmĂ€ssiger ab. Schadet es nicht, wenn der Pferdezahnarzt die ZĂ€hne jedes Jahr schleift? Nach 20 bis 30 Jahren sind PferdezĂ€hne so weit abgerie­ ben, dass nicht mehr viel von ihnen da ist. Wenn man bei jeder Zahnbehandlung zu viel wegschleift, erreicht das Pferd dieses Stadium schon frĂŒher. Man sollte die ZĂ€hne deshalb immer nur dort abschleifen, wo es sein muss. Wieso narkotisieren Sie die Pferde nicht voll und operieren dann am ruhig liegenden Tier? Jede Narkose birgt ein gewisses Risiko. Vor allem beim Ab­ legen und beim Aufstehen kann es zu Verletzungen kommen. Wir bevorzugen daher wenn möglich das Operieren am stehend schlafenden Pferd mit der «SchlĂŒssellochtechnik», also minimalinvasiven Metho­ den. Das hat auch den Vorteil, dass die Pferde nicht komplett narkotisiert sind und uns an­ zeigen, sobald es ihnen wehtut. Welcher Fall war besonders eindrĂŒcklich?

Christian Czech (38) ist Tierarzt am Pferdezahnzentrum im aargauischen Niederlenz.

KĂŒrzlich hatten wir ein Pferd, das lange lahm ging. Trotz grĂŒndlichster Untersuchung haben wir am Bein nichts ïŹnden können. Aber wir entdeckten ein Zahnproblem. Seit es be­ hoben ist, lĂ€uft dieses Pferd wieder normal. Sie schicken manche Pferde zum Röntgen des Gebisses sogar in den Computertomografen, arbeiten mit dem Endoskop – braucht es so viel Hightech? Auch in der Pferdezahn­ medizin gibt es einen rasanten Wissens­ und Technologie­ zuwachs. Die verfeinerten Untersuchungs­ und Behand­ lungsmethoden kommen den Pferden zugute. Die meis­ ten Eingriffe können heute am stehenden Patienten, mit örtli­ cher BetĂ€ubung minimalinvasiv durchgefĂŒhrt werden. Bei Standarduntersuchungen und ­behandlungen kommt keine kostenintensive GerĂ€temedizin zum Einsatz. Die Verwendung einer Maulhöhlenkamera wie in der Zahnarztpraxis bringt allerdings grosse Vorteile in der tĂ€glichen Praxis. MM


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