Migros-Magazin-14-2020-d-LU

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CORONA | 30.3.2020 | 23

«Wenn man sich den ganzen Tag nur noch Sorgen macht, gerät man in eine gefährliche Spirale», warnt Steffi Weidt.

leicht die Hypothek nicht mehr bezahlen und muss das Haus verkaufen. – Es ist wie ein Kreis­ lauf: Solche Ketten von Sorgen und Ängsten beginnen im Kopf und können uns beherrschen. Ab wann schadet Angst? Gedanken, die sich nicht in der Realität widerspiegeln, weil sie übertrieben sind und es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt, können schaden. Wenn sich im Kopf alles nur noch um diese Angst dreht, man sich den gan­ zen Tag nur noch Sorgen macht und nicht abschalten kann, gerät

man in eine gefährliche Spirale: Als Nächstes können Körper­ symptome auftreten: Man ­bekommt Herzklopfen, man schwitzt oder ist so angespannt, dass man nicht mehr schlafen kann. Wenn man da nicht mehr herausfindet und die Emotionen überschwappen, kann es zu ­einer depressiven Verstimmung kommen. Man beginnt auch, sich irrational zu verhalten. Auch Hamsterkäufe gehen in eine solche Richtung. Sind Hamsterkäufe nicht Aus­ druck übertriebener Panik?

Das ist nicht Panik. Die Menschen haben eine bestimmte irrationale Vorstellung davon, dass man Lebens­ mittel nicht mehr bekommt – obwohl es keine sachlichen Hinweise gibt, dass die Versorgung nicht mehr ge­ währleistet wäre. Mit der Angst, es reiche nicht, steht man im Super­ markt, wo gewisse Regale tatsächlich leer sind – so wird man in dieser Angst bestätigt. Im Kopf fangen die Gedanken wieder an zu kreisen: Oh jetzt habe ich recht gehabt, jetzt habe ich tat­ sächlich keine Dose Mais mehr bekommen. – Die ­Befürchtungen werden ver­ stärkt. Das entwickelt sich zu einem ungünstigen Kreislauf von schlechten Gedanken, schlechten Körpergefühlen und einem Verhalten, das nicht mehr rational erklärbar ist.

Für sie ist die Situation schwie­ rig. Wegen des höheren Stress­ levels, der in der Gesellschaft herrscht, und wegen der Ver­ mischung von rationalen und ­irrationalen Ängsten können sie schneller Symptome bekom­ men. Jemand, der unter einer Zwangsstörung leidet und zum Beispiel grosse Angst hat, sich zu verschmutzen, und sich nun noch öfter die Hände waschen soll, kann Probleme bekommen. In der Psychiatrischen Univer­ sitätsklinik Zürich verzeichnen wir mehr Patienten. Von ambu­ lanten Praxen erhalten wir eben­ falls die Rückmeldung, dass dort viel mehr Anfragen kommen von Menschen, die Unterstützung suchen.

Wieso sind manche Menschen ängstlicher als andere? Das hat oft damit zu tun, ob ich ein Vorbild – Eltern oder enge Bezugspersonen – habe, die eher ängstlich sind. Dann habe ich das einfach abgeschaut beziehungs­ weise gelernt. Bei manchen ­Menschen reagieren die Stress­ hormone sehr intensiv. Und es gibt auch Menschen, die eine ­genetische Veranlagung für inten­ sivere Angstreaktionen haben.

Für ältere Menschen dürfte das besonders schlimm sein. Ja, sie leben eventuell alleine und haben keine Übung mit ­Videoanrufen. Wenn Kinder und Enkel nicht mehr zu Besuch kommen, sie von niemandem mehr in den Arm genommen und getröstet werden und wenn auch Freunde fernbleiben ­müssen, besteht die Gefahr, dass ältere Menschen vereinsamen und sich zurückziehen. Das ist gefährlich.

In der Schweiz gibt es 800 000 Menschen, die an Angstzu­ ständen leiden. Wie verändert die Krise deren Leben?

Verschärft Social Distancing die Situation? Es ist sicher eine Herausforde­ rung, dass man unter Umstän­ den Kollegen, Freunde oder ­Familienangehörige weniger oft sieht. Menschen, mit denen man früher Sorgen und Ängste be­ sprochen hat, sind plötzlich weit weg – zumindest in der Wahr­ nehmung.

Was tun? Rufen Sie Ihre Eltern oder Grosseltern an. Wenn Sie in der


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