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Menschen

Migros-Magazin | NR. 14, 2. APRIL 2012 |

Fantasien kommen, weiss ich natürlich, woher das kommt, ich bin ja nicht doof. Was haltet ihr von Schwulen und Lesben?

Deianira: Ich finde das weder schlimm noch abnormal. Stefanie: Im Gegenteil, ich finds schlimm, wenn man über sie lästert. Jennifer: Ich finds wichtig, dass Homosexuelle respektiert werden. Sagt ihr «das ist doch schwul» ab und zu?

Stefanie: Ehrlich gesagt ja. Das ist einfach im Wortschatz drin. Ich bin aber nicht stolz darauf. Jennifer: Ich sage nie «das ist doch schwul», sondern eher zu einem Mann «du bist doch schwul». Deianira: Ja, um seine Männlichkeit herabzusetzen. Wollt ihr mal heiraten, mit allen Schikanen?

Deianira: Ich habe keine klare Meinung, finds aber schon schön, sich fürs Leben zu entscheiden. Stefanie: Ich finde den Brauch mit dem weissen Kleid einfach schön. Und das Fest, an dem die ganze Familie teilhaben kann, das ist doch romantisch. Deianira: Wenn heiraten, dann sicher nicht kirchlich. Stefanie: Ich schon. Jennifer: Ich will auf jeden Fall heiraten,

kirchlich und im weissen Kleid, das gehört zum Leben. Aber ich verzweifle bei dem Gedanken, ob das überhaupt geht, ein ganzes Leben mit ein und demselben Mann zu verbringen. Das scheint mir heute schwierig zu sein. Könnt ihr euch vorstellen, dass eure Männer für Haushalt und Kinder zuständig sind und ihr arbeiten geht?

Deianira: Teils, teils. Einerseits möchte ich als Frau nicht für die ganze Arbeit zu Hause zuständig sein. Anderseits finde ich schon, dass der Mann eher der Beschützer und Ernährer ist. 50:50 schiene mir ideal. Jennifer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mann zu Hause bleibt und die Frau arbeiten geht. Wenn schon, dann sollen beide arbeiten. Stefanie: Die Mutter bringt das Kind zur Welt, also scheint es mir logisch, dass sie sie sich um das Kind kümmert. Ich könnte aber nicht nur Hausfrau sein. Jugendgewalt ist das grosse Sorgenthema der Erwachsenen. Habt ihr selber schon Gewalt erlebt?

Deianira: Ich finds übertrieben, wenn es immer heisst «die Jugend von heute». Aber gut, das hiess es immer, und das wirds immer heissen. In meinem Kollegenkreis behaupten alle, sie würden niemanden anficken, aber wenn sie blöd angemacht werden, dann geben sie zurück. Auch mit den Fäusten. Das passiert oft. Es kommt also schnell zu Gewalt?

Deianira: Die Frauen sind weniger schnell aggressiv. Aber bei den Männern geht es schnell, wenn sich einer in seiner Ehre oder seinem Stolz verletzt sieht. Stefanie: Auch bei uns in Altdorf ist es leider so, dass es im Ausgang praktisch jedesmal zu einer Schlägerei kommt. Oft passierts unter Alkoholeinfluss, da braucht nur einer einen Witz zu machen, und schon knallts. Jennifer: Ich selber habe schon Drohungen erlebt, aber noch nie Gewalt. Was würdet ihr in der Schweiz ändern, wenn ihr die politische Macht hättet?

«Man muss gute Noten haben, sonst hat man keine Chance.» Jennifer Santana

Stefanie: Mich stört, dass die Schweiz so ausländerfeindlich geworden ist. Die Probleme werden dramatisiert. Wir Jugendlichen haben mit Ausländern viel Kontakt, das gehört zu unserem Alltag. Man sollte nicht so auf ihnen rumreiten. Deianira: Es ist eh ein Witz. Was will die Schweiz ohne Ausländer? Nehmen wir das Gesundheitssystem, da arbeiten 30 Prozent Ausländer. Jennifer: Das sehe ich auch so. Und ich

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«Ich brauche meine Freiheiten. Das muss ein Mann akzeptieren können.» Stefanie Riedweg

würde die Löhne der Leute gerechter verteilen. Eine ausländische Putzfrau beispielsweise kann von ihrem Verdienst nicht leben. Was ist für euch Heimat?

Deianira: Da, wo man sich geborgen fühlt. Ist das ein Ort oder sind es Personen?

Deianira: Ich habe vier Heimaten: mein Zimmer, die Wohnung, meine Grosseltern und Argentinien. Bei gewissen Kollegen fühle ich mich auch zu Hause. Zugehörigkeit ist für mich Heimat. Stefanie: Für mich sind es die Berge. Und dann natürlich da, wo meine Verwandten und Kollegen sind, in Altdorf. Und da, wo ich verstanden werde und akzeptiert, wie ich bin. Jennifer: Ja, da, wo man sich geborgen fühlt. Bei Kollegen. Heimat ist für mich auch Brasilien, aber ich war schon lange nicht mehr dort. Und zum Schluss: Was möchtet ihr den Erwachsenen da draussen noch sagen?

Stefanie: Sie sollen uns zuhören und uns ernst nehmen. Jennifer: Sie sollen uns wahrnehmen und anerkennen, dass auch wir schon wertvolle Erfahrungen gemacht haben und etwas wissen. Deianira: Sie sollen sich daran erinnern, wie sie selber waren in ihrer Jugend. Bei ihnen hiess es ja auch schon «die Jugend von heute». Jede Generation soll ihre eigenen Erfahrungen machen — schön wäre, wenn das ohne Vorurteile ginge.

Text: Esther Banz, Ralf Kaminski Bilder: Victoria Loesch


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