Migros Magazin 14 2011 d AA

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MENSCHEN BRIEFTRÄGER

Migros-Magazin 14, 4. April 2011

«Hier kennt man den Pöstler noch.»

vater. Dafür entschädigt ihn der Frühling: Auf dem Althörnli sah er schon mal Rehe über die Kuppe springen, einmal waren es gar elf Gämse, und bei Föhn breitet sich das Panorama der Berner Alpen vor ihm aus.

nannt wird, nach links und nach rechts. Hier kennt man seinen Pöstler noch. Und Pöstler Ueli vereint auch all die Eigenschaften, die man von seinem Berufsstand erwartet: Gewissenhaftigkeit, Bescheidenheit und Freundlichkeit. «In ländlichen Gegenden ist der Briefträger noch etwas wert», sagt er, während er in Steg ZH im Laufschritt die ersten Briefe austrägt.

Ein- und Auszahlungen, Bausätze für Kaninchenstall

Ein Kafi Schnaps? Diese Zeiten sind endgültig passé

Hie und da kommt es zu einem Schwatz mit einem Tösstaler, sei es vor der Schreinerei Diggelmann oder in der gleichnamigen Metzgerei. Die Zeiten aber, als der Pöstler sich noch zu einem Kafi Schnaps niederliess, sind endgültig vorbei. Trotz technischer Hilfsmittel wie etwa einem Scanner fehlt schlicht die Zeit. «Auch für Seelentröstereien», sagt Linder. «Warnung vor dem Hund», steht in fetten Buchstaben auf dem Schild vor einem einsam gelegenen Haus. Oberhalb davon weiden Lamas. Immerhin 105 Pöstler wurden letztes Jahr von einem Hund gebissen. Anfang der 1990erJahre waren es jährlich noch 180. Tierliebhaber Linder, der auf seinem Hof 120 Hühner, 15 Katzen und 10 Kühe hält, hat aber kein Problem mit Hunden. «Ich arbeite seit 1975 bei der Post und wurde noch nie gebissen. Auf meiner 68 Kilometer langen Tour durchs Tösstal gibt es nur zwei bissige Hunde. Und die leben im Zwinger.» Für brave Hunde führt Linder im Dienstfahrzeug immer eine Packung Hundebiskuits mit. Aber nicht die bissigen Hunde gehen dem Pöstler an die Substanz, sondern das Wetter und die Topografie der Posttour durch die Wildnis des Zürcher Oberlandes. Diese zeigt sich etwa auf der engen, kurvigen Strasse zum Oberfuchsloch hoch, oberhalb der Hulftegg. Hier liegt der Schnee oft bis in den April. Auf der schmalen und steilen Strasse mit ihren Har-

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Pöstler Hans-Ulrich Linder hat ein unverkrampftes Verhältnis zu den Hunden, denen er auf seiner Tour begegnet. Er führt im Dienstauto sogar Hundebiskuits mit. Dank der elektronischen Unterschrift entfällt viel Papierkram.

nadelkurven sind Rallyfahrerqualitäten gefragt – vor allem wenn sie wie so häufig vereist ist. «An dieser Stelle schwitze ich oft Blut», sagt Hans-Ulrich Linder. Am Althörnli, einer ähnlich gefährlichen Stelle, passierte es im Februar vor einem Jahr prompt: «Ueli der Pöstler» blieb mit seinem allradbetriebenen Fahrzeug trotz Spikes und Ketten im Schnee stecken, stieg aus und glitt auf der

vereisten Strasse aus. Dabei riss er sich das Schulterblatt. Laut der «Post», der Zeitung für das Postpersonal, gibt es Stürze denn auch 30-mal häufiger als Hundebisse. Temperaturen von zehn Grad minus und mehr sind auf Linders Tour, die bis zum 1133 Meter hohen Hörnli führt, keine Seltenheit. «Die Winter sind schon sehr hart. Mich plagen dann Rückenschmerzen», sagt der zweifache Familien-

Doch auch die Zeit, die Naturschönheiten zu bewundern, fehlt. «Ich bin ein fahrendes Postbüro», begründet Hans-Ulrich Linder seine Eile. Tatsächlich wickelt der Pöstler mit den Tösstalern auch Ein- und Auszahlungen ab. Manchmal zahlt er die AHV aus, oder dann liefert er die Bausätze für den Kaninchenstall – älteren Menschen bis an die Haustür. Der Service geht sogar so weit, dass die Tösstaler ihr Päckli mit einer Zehnernote obendrauf in den Milchkasten legen und am nächsten Tag dort ihre Quittung und ihr Retourgeld vorfinden. Um 13 Uhr hat Hans-Ulrich Linder die entlegenen Höfe und einsamen Weiden hinter sich und trifft wieder in Wald ein. Dort gönnt er sich eine halbe Stunde Pause, dann heisst es, auf der Poststelle die B-Post für den nächsten Tag zu sortieren. 15 Uhr: Feierabend bei der Post. Aber für Hans-Ulrich Linder geht jetzt die Arbeit auf dem Bauernhof weiter, den er mit seiner Frau und seinem Onkel betreibt. So bleibt dem Pöstler kaum Zeit für seine eigentliche Leidenschaft: Töfftouren mit seiner Frau. Diese führen ihn hie und da auch über die Hulftegg. Text Reto E. Wild Bilder Tanja Demarmels

www.migrosmagazin.ch Längere Posttouren wegen Poststellenabbau? Infos und Umfrage zur Grundversorgung.


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