Migros Magazin 12 2011 d NE

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Bilder Asahi Shimbun/Reuters, Keystone/AP/NTV, Nik Hunger

MENSCHEN KATASTROPHE

Crew bei der Arbeit.

2003: Bohrplattform auf dem Vierwaldstättersee.

ans Tageslicht befördert wird. Sie steckt in einem Kunststoffrohr, das sorgfältig verschlossen und beschriftet wird. Nach dem Transport nach Dübendorf zur Eawag kommen die Proben in einen Kühlraum mit konstant vier Grad. Dort lagern weitere Bohrkerne aus Dutzenden von Seen, eine Sammlung aus zwei Jahrzehnten. Ein Meter Bohrkern umfasst jeweils zwischen hundert und zweitausend Jahren, je nach See und Zeitperiode. Der nächste Schritt ist der aufregendste: Der Bohrkern wird der Länge nach aufgeschnitten. Was lässt sich daraus ablesen? Im Bohr-

kern, der jetzt auf der Werkbank liegt, sind etwa 5000 Jahre alte Sedimente. Ein bisschen kribbelig sei der Moment schon, gesteht Anselmetti. «Was wir gleich anschauen werden, hat noch kein Mensch auf Erden gesehen.» Kaum ist der Kern aufgeschnitten, beugen sich die Experten mit Kennerblick darüber, beginnen zu fachsimpeln. Ziemlich lehmig. Dunkle Schichten wechseln sich mit helleren ab, sandigere mit lehmigeren. Vorsichtig schabt der Forscher eine Messerspitze davon ab – und steckt sich das bisschen Seegrund in den Mund. «Wenn es knirscht, ist es Silt.» So heisst das

Material zwischen Ton und Sand. Die ausgeklügelten Analysemethoden folgen später. Datieren lassen sich die einzelnen Schichten mit der Radiokarbonmethode, die mit Resten von organischem Material, zum Beispiel klitzekleinen Holzoder Pflanzenstücklein, arbeitet. Bei diesen Forschungen in Bergseen richtet sich das Interesse nicht auf Tsunamis oder andere Folgen von Erdbeben, sondern auf die Gefahr von Überschwemmungen. Wird die globale Klimaerwärmung in den Alpen zu mehr gewaltigen Hochwassern, Murgängen, Schlammlawinen führen? Ein Blick auf die im Seegrund ge-

Stadtteil Shinjuku. Wir sahen die umliegenden Hochhäuser schaukeln. Nur ganz wenige Menschen sind in Panik ausgebrochen. Danach bin ich die 14 Kilometer zu Fuss nach Hause gegangen, Züge fuhren

ja keine mehr. Die japanischen Medien berichten viel zurückhaltender und beruhigender über die Katastrophe als die ausländischen — das beunruhigt mich eigentlich fast am meisten. Die Bevölkerung scheint der

Regierung zwar nicht zu trauen, trotzdem bleiben die Menschen in der Stadt und möchten damit wohl auch ihre Unterstützung für ihr Land zeigen; oder dazu beitragen, dass die Wirtschaft weitergeht. Es ist schwierig zu beschreiben. Mein

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speicherten Flutereignisse aus Perioden mit vergleichbar erhöhten Temperaturen soll Antworten darauf geben. Ein erstes Projekt wird 2013 abgeschlossen sein. Mit zwei Befunden haben die Paleoseismologen aus Zürich neulich für Aufsehen gesorgt. Der eine basiert auf einer Analyse der Sedimente im Zürichsee. Er wies nach, dass auch im Zürichsee die Hänge auf dem Seegrund durch Erdbeben ins Rutschen gekommen waren. Auslöser waren drei Beben innerhalb der vergangenen 15 000 Jahre, die mit einer Magnitude von 6,5 bis 7 die Innerschweiz erschütterten; stark genug, um auch auf dem Zürichsee für einen Tsunami zu sorgen.

Wie konnte das Delta der Muota einbrechen?

Es braucht nicht immer ein Erdbeben, um auf einem Binnensee einen Tsunami auszulösen. 1687 brach bei Brunnen am Vierwaldstättersee plötzlich das Delta des Flusses Muota ein. Resulat war ein Tsunami, der gemäss historischen Beschreibungen beim gegenüberliegenden Gasthaus Treib etwa vier Meter Höhe erreicht hat. Als am 11. März in Japan die Erde bebte, bereitete TsunamiForscher Anselmetti gerade den nächsten Feldversuch vor. Ende März will er mit seinem Team von einer Bohrplattform aus Proben vom Seegrund vor Brunnen nehmen. «Wir wollen verstehen, was es braucht, damit ein solches Delta einbricht.» Text Thomas Müller Bilder Philipp Dubs

www.migrosmagazin.ch Beben bedrohen nebst AKWs auch Wohnbauten: Was macht diese erdbebensicher?

japanischer Arbeitgeber hat diese Woche geschlossen, und ich habe Tokio nun für einige Tage verlassen. Ich bleibe vorerst in Kuala Lumpur. Meine Freundin allerdings ist in Tokio geblieben.»

Aufgezeichnet von Esther Banz


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