Migros Magazin 10 2009 d BL

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Migros-Magazin 10, 2. März März 2009 200

MM 9: «So halten wir Distanz zum Leiden», Interview mit Illustrator Jupe Haegler und Texter Reto Meienberg, die beide an Multipler Sklerose leiden.

Über sich lachen wirkt befreiend Der Bericht der beiden MSPatienten hat mich sehr berührt. Der Mann einer Freundin ist seit Jahren MS-krank, wir haben immer versucht, ihn wie einen ganz normalen Mitmenschen zu behandeln, wenn nötig auf seine Behinderung Rücksicht zu nehmen und uns seinem Tempo anzupassen. Da ich einen blinden Grossvater hatte, wurde ich schon jung damit konfrontiert, dass es Menschen gibt, die ein wenig anders sind als die Mehrheit. Dies hat für mich nie «behindert» bedeutet. Mein Grossvater konnte nicht sehen, also war er am Sehen verhindert, und wir versuchten, ihm die Augen zu ersetzen. Die Rollstuhlfahrer sind am Gehen verhindert, also kann man versuchen, ihnen dort zu helfen, wo Beine hilfreich wären. Down-Syndrom-Mitmenschen denken anders als wir, und wenn wir unsere Ohren und Augen aufsperren, erleben wir Erstaunliches. Beim Einkaufen helfe ich Rollstuhlfahrern oder anderen «Verhinderten» spontan – nachdem ich gefragt habe, ob meine Hilfe willkommen sei. Wenn Blinde Strassen überqueren müssen, so frage ich, ob ich helfen kann – natürlich bevor ich sie am Ärmel packe! Die Frage kommt meist aus meinem Mund, bevor ich nachgedacht habe. Wenn mir einmal jemand helfen will, sollte dies nötig werden, kann ich Hilfe auch gerne annehmen. Marianne Oser, 3110 Münsingen

Schwarzer Humor: Die Karikaturen des MS-Patie ient MS-Patienten Jupe Haegler lösten ein grosses g Echo aus.

«Als Betroffener muss ich sagen: Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen!»

Hans Banholzer-Amstad, 6023 Rothenburg

Als selbst betroffener Behinderter war ich zuerst entsetzt über Ihr Interview, nach einigem Überlegen hat mein Ärger einem milden Lächeln Platz gemacht, und heute glaube ich, dass es vielleicht ganz guttut, auf humorvolle Art die Tatsache von Behinderungen darzustellen, damit Mitmenschen lernen, selbstverständlich damit umzugehen. Über sich selbst zu lachen mag manchmal auch

für einen behinderten Menschen befreiend sein, sein Schicksal erleichtern und der Umgebung eine oft verbreitete Unsicherheit nehmen. Möge der Humor von Jupe Haegler/Reto Meienberg viele Menschen erheitern, ohne zu verletzen. Udo Adrian Essers, 8700 Küsnacht

Klar kann man eine Behinderung mit Humor nehmen, auch wenn sie unser Familienleben

sehr geprägt hat und wir auch viele traurige Momente erleben. Unser Sohn wurde ohne Augen geboren und trägt Prothesen, sogenannte Glasaugen. Wir versuchen, ihn so gut wie möglich gleich wie seine Geschwister zu behandeln. Er weiss genau, dass er anders ist. Er sieht mit seinen Händen, darum brauchen wir trotz seiner Blindheit immer das Wort «sehen» oder «schau mal». Die Prothesen wechseln wir spielerisch. Da sie regelmässig nachmodelliert werden müssen, ist er auf seine «neuen» Augen und Augenfarbe immer sehr stolz. Für Aussenstehende ist es manchmal sehr schwer zu verstehen, dass auch Familien mit behinderten Angehörigen humorvoll durchs Leben gehen und über die Behinderung sprechen können. Witze über Blinde gibt es zur Genüge, und wir ärgern uns auch nicht darüber. Wenn Menschen stehen bleiben, meinen Sohn lange angucken und flüstern, denke ich nur schmunzelnd, zum Glück kann er euch nicht sehen. Michela Gregorio, 8732 Neuhaus SG

Lieber Jupe und lieber Reto, herzliche Gratulation zu den ungeschminkten Darstellungen. Als Selbstbetroffener muss ich sagen: Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen! Ihr vermittelt auf überzeugende Art die Problematik, die viele Betroffene tagtäglich zu spüren bekommen. Hoffentlich wird dieser Beitrag auch von vielen Schweizer Hoteliers gelesen: In der Schweiz ist es schwierig, ein Hotel zu finden, das rollstuhlgängig ist und über eine Toilette mit mindestens 80 Zentimeter Türbreite verfügt. Ich freue mich und bin gespannt auf das Erscheinen des nächsten Buchs. Hans Banholzer-Amstad,

6023 Rothenburg

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