MENSCHEN | MM07, 15.2.2016 | 11
Vanessa S. mit ihrem englischen Mann Dominic im heimatlichen Jaun.
wird voraussichtlich in seiner Mai session zum dritten Mal über Vanessas Einbürgerung befinden. Kantonsgericht gegen Grossen Rat
Aus Sicht des Freiburger Grossrats Emanuel Waeber (SVP) gibt es trotz der klaren Worte des Kantonsgerichts keinen Grund, von den Entscheiden abzuweichen. «Mit ziemlicher Sicher heit werden wir diese Einbürgerung bei unveränderter Gesetzeslage auch ein drittes Mal ablehnen», sagt er am Telefon. Mathias Boschung will sich das nicht vorstellen. «Wir sind keine Bananenrepublik, sondern ein Rechtsstaat. Normale Bürger werden bestraft, wenn sie ein Gerichtsurteil missachten. Dass Volksvertreter sich unter dem Schutz der parlamen tarischen Immunität das erlauben können, beleidigt jedes gesunde Rechtsempfinden», so der Rechts anwalt. Und falls doch? «Dann», sagt er, «kann das Kantonsgericht Vanessa bei einer dritten Beschwerde direkt einbürgern. Diese Möglichkeit ist vom Bundesgericht für Fälle vorgese hen, bei denen die erneute Rückwei sung – wie hier – Trotzreaktionen provozieren würde. In seinem Urteil hatte das Kantonsgericht noch auf eine direkte Einbürgerung verzichtet. Damit gab es dem Grossen Rat eine letzte Chance, seine Aufgabe pflicht
gemäss wahrzunehmen.» Mit pro blematischen oder rechtswidrigen Einbürgerungsentscheiden sind in den letzten Jahren vorwiegend Gemeinden aufgefallen, in denen die versammelten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger noch «Schweizer macher» sein dürfen. Entscheid von höchster Stelle
Aber Einbürgerungen an der Urne sind noch immer möglich, obwohl das Bundesgericht diese 2003 als verfas sungswidrig eingestuft hat. Die höchs ten Richter im Land stellten damals klar: Einbürgerungen sind keine politischen Entscheide, sondern Verwaltungsakte. Es gilt das Dis kriminierungs und Willkürverbot. Ablehnende Entscheide müssen be gründet werden. Seither entscheidet
in etlichen Gemeinden die Verwal tung über Einbürgerungsgesuche. Aber nicht überall – ein Nebeneffekt der SVPInitiative «Für demokrati sche Einbürgerungen» von 2008, die eine Reaktion auf den Bundesrats entscheid von 2003 war. Die Initiative wurde zwar deutlich verworfen, aber mit ihrer Ablehnung trat der von National und Ständerat beschlossene indirekte Gegenvorschlag in Kraft, doch an der Urne über Einbürgerun gen entscheiden zu können. Ablehnen kann die Gemeindeversammlung ein Gesuch nur, wenn im Vorfeld ein schriftlicher Antrag mit gültiger Begründung eingereicht wurde. MM Interview mit Rolf Lyssy auf Seite 13, Berichte von Betroffenen auf Seite 15
Vanessa S. ist seit ihrem 9. Lebensjahr im Kanton Freiburg zu Hause.