Migros Magazin 05 2011 d ZH

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14 | Migros-Magazin 5, 31. Januar 2011

«Für Schwester und Eltern muss es eine unerträgliche Situation gewesen sein.» Markus Fisler

einen Aufschub verschaffen würde, konnte er zu dieser Zeit nicht wissen: Kurz darauf wurde die Verjährungsfrist bei Mord von 20 auf 30 Jahre verlängert. Unterdessen selbst Familienvater, fasste er sich ein Herz und kontaktierte Annika Hutters Mutter, die damals noch im Nachbardorf wohnte. Mit ihrem Einverständnis gründeten er und ein paar Gleichgesinnte schliesslich die Interessengemeinschaft für ungelöste Fälle. Ihr Ziel: die Erinnerung an die rund ein Dutzend Fälle von verschwundenen Kindern und Teenagern in den 80er-Jahren wachhalten und nichts unversucht lassen, sie doch noch aufzuklären.

Letzte Suche nach neuen Spuren und Zeugen

Mit der Erlaubnis von Annikas Familie durfte der private Sucher die Polizeiakten studieren. Fisler – ein Hobbydetektiv, ein Hobbyfahnder? Markus Fisler, der als Buchhalter bei einer Non-Profit-Organisation arbeitet, schüttelt den Kopf. «Das Wort Hobby wäre in diesem Fall äusserst unangebracht.» Er engagiere sich aus Solidarität mit der Familie aus dem Nachbardorf – dem Vater, der unterdessen verstorbenen Mutter, der jüngeren Schwester Annikas: «Gerade für sie muss es eine unerträgliche Situation gewesen sein.» Dazu komme, dass Angehörige verschwundener Personen meist erst dann das Geschehene verarbeiten können, wenn sie wissen, was mit ihren Liebsten passiert ist. «Bis dahin leben sie in der Schwebe», weiss er. Diesen Zustand will er durchbrechen, auch für den eigenen Seelenfrieden, wie er unumwunden zugibt: «Ich will

endlich wissen, was an jenem Sommerabend auf diesem Forstweg geschah.» Und so hofft der Effretiker weiterhin auf neue Spuren zu stossen, auf einen weiteren Zeugen, der damals möglicherweise wegen mangelndem Vertrauen nicht zur Polizei ging. Dabei helfen soll auch seine Website www.spurlos.ch, die er selber betreut. Hier haben Besucher der Seite die Möglichkeit, allfällige Beobachtungen anonym zu melden. Und dann ist da immer auch noch die leise Hoffnung, dass sich der Täter irgendwann selbst anzeigt, sozusagen reinen Tisch macht. Was fantastisch klingen mag, ist gar nicht so abwegig: Immerhin stellte sich der Mörder eines Posthalters in Knonau 2004 selbst – 19 Jahre nach seiner Tat und ein Jahr vor der Verjährung. Diesen Sommer wird der Fall Annika Hutter endgültig verjähren. Markus Fisler hat mit einem weiteren Mitglied der «IG spurlos» Ende Oktober nochmals Vermisstenanzeigen an Bäumen in den Waldgebieten der Region aufgehängt. «Denn», sagt er fast schon ein wenig trotzig, «wer die kleinste Chance nicht nutzt, vergibt sie möglicherweise.» Und tatsächlich: Einige Hinweise sind eingetroffen – wirklich Neues war aber nicht dabei. Eben stellt auf der Hauptstrasse ein Lastwagenfahrer den Blinker. Er steuert den kleinen Kiesplatz an, in den der Forstweg mündet – Pinkelpause. Auf der Suche nach etwas Blickschutz kommt der stämmige Mann an einer Buche vorbei, an der ein laminiertes A4-Blatt hängt: «Annika Hutter, vermisst seit 11. 07. 1981» heisst es dort. Und: «Hinweise an info@spur los.ch.» Text Almut Berger Bilder Ueli Christoffel

www.spurlos.ch

Ein Verlust und

Wenn Menschen spurlos verschwinden, fängt

Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Fotos der Vermissten: Helen Mazzoleni

D

ie Sonne scheint hell, als die pensionierte Wirtin Leni Baptista morgens das Haus verlässt, um auf Brambrüesch Pilze sammeln zu gehen. Die 68-Jährige kennt den Churer

Hausberg gut. Es ist der 20. August 2009, der Tag, an dem sie spurlos verschwindet. «Es war der heisseste Tag des Jahres», erzählt Leni Baptistas Tochter Helen Mazzoleni (45). Sie spricht langsam,


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