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Menschen

Migros-Magazin | Nr. 4, 23. JaNuar 2012 |

An einen Match würde er seine Kinder nie mitnehmen: Nevio Palma mit Myra, Tyra und Dwain (von links) vor dem St.-Jakob-Park.

Paolo seine Autoprüfung bestanden hatte, sass Nevio vor Gericht wegen Autodiebstahls. Das Verhältnis zwischen den beiden blieb trotz allem ungetrübt. «Während ich mich mit den Hooligans traf, war mein Bruder bei den Italos und bastelte an seinem Alfa Romeo.» Nevio Palma schaute hie und da vorbei, jasste eine Runde mit. Gekleidet in eine Bomberjacke, das orange Innenfutter nach aussen, an den Füssen schwarze Stiefel mit Stahlkappen, den Kopf rasiert. Tagsüber war er der brave Arbeiter, nachts und am Wochenende der knallharte Schläger. Austeilen oder einstecken, er mochte beides. Und natürlich das Adrenalin — vor der «Schlacht», wie sie es nannten, und danach. Im richtigen Moment zuschlagen, im richtigen Moment aufhören, das war seine Devise. Wenn seine Kumpels zu fünft auf einen losgingen, trat er einen Schritt zurück. Er passte auf, dass sie nicht von Aussenstehenden angegriffen wurden. Ob er darüber nachdenke, wie viele er verletzt habe? Nein. Ob er bereue? Lan-

ges Schweigen. «Ich stehe zu dem, was ich getan habe.»

als nevio palma Vater wurde, veränderte er sich komplett Er war 29 Jahre alt, als seine damalige Freundin schwanger wurde. Da wusste er, dass sich etwas ändern musste. Ganz der Italiener, habe er sich immer eine Familie gewünscht. Er wollte für seine Familie sorgen. Und er wusste, das würde schwierig werden, sässe er im Gefängnis oder müsste er Bussen bezahlen. Also brach er den Kontakt zu den Ultras ab, blieb den Kämpfen fern. Es sei ihm nicht schwergefallen. Er änderte sein Leben von einem Tag auf den anderen: Disziplin, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit. Heute ist er Vater von vier Kindern: Sohn Dwain (16) und die Zwillingstöchter Myra und Tyra (11) aus erster Ehe. Eine weitere Tochter lebt zusammen mit ihrer Mutter in Spanien. Nevio Palma lebt in einer neuen Beziehung und will seinen Kindern ein guter Vater sein. Ein cooler, wie er sagt. Mit seinem Sohn geht

er regelmässig kickboxen. «Dort lernt er den sportlichen Kampfgeist und den Respekt vor dem Gegner.» Und wenn sein Sohn Mist baue, dann helfe nur eines: reden, reden, reden. Nevio Palmas Mutter starb 1996 an Krebs. Er trägt eine grosse Tätowierung über dem Herzen. Domenica, der Name seiner Mutter, und darunter das Bild eines Boxhandschuhs. Dabei hatte sie ihm verboten, sich tätowieren zu lassen. Manchmal besucht er noch einen FCB-Match. Dann blickt er hie und da zu den Fankurven. «Aber ganz ehrlich», sagt er, «auch auf der Tribüne wird geflucht, ich würde meine Kinder nie dorthin mitnehmen.» Text: Nathalie Bursac´ Bilder: Samuel Trümpy

«DOK»: Narben der Gewalt, Basler Ultras und ihre Schlägerkarrieren 1990 bis 2011, Filmautor Alain Godet hat die Ultras Nevio, Frosch, Gök und Jimmy 20 Jahre lang begleitet und ihr Leben aufgezeichnet. Solothurner Filmtage, 23. Januar; SF1, 26. Januar, 20.05 Uhr.

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