MENSCHEN | MM2, 8.1.2018 11
I
n der Turnhalle der Kantonsschule Baden AG herrscht Hochbetrieb. Kinder in bunten T-Shirts wuseln herum, Lehrer und Eltern bahnen sich dazwischen ihre Wege, rufen Namen, suchen Kinder. Mittendrin Nadja Böller (38) und Marko Nedeljković (38). Sie haben gerade ihren Sohn Darjan (9) gesichtet und winken ihn zu sich heran. Eine Umarmung von Papi, ein Lächeln von der Mutter, ein paar Worte, und Darjan verschwindet wieder in der Menge. Er hat im Rahmen von Sporthort gleich eine Aufführung, unten in der Turnhalle. Mami und Papi werden gemeinsam von der Tribüne aus zuschauen. Nadja Böller und Marko Nedeljković sind schon lange kein Paar mehr, aber sie kümmern sich gemeinsam um ihren Sohn. Was die beiden seit Darjans Geburt selbstverständlich leben, nennt sich heute «alter nierende Obhut». Dieses Modell sieht vor, dass das Kind abwechslungsweise mal beim Vater, mal bei der Mutter lebt, wenn die Eltern geschieden oder getrennt sind. Seit dem 1. Januar 2017 muss – wenn der Vater oder die Mutter das wünscht – ein Gericht bei einer Scheidung oder Trennung prüfen, ob die alternierende Obhut angebracht ist. Alternierende O bhut, auch Wechselmodell genannt, bedeutet, dass die Kinder getrennter oder geschiedener Eltern abwechselnd bei jedem Elternteil wohnen. Die Kinder sind bei jedem Elternteil zu Hause, Vater und Mutter teilen sich die Verantwortung im Alltag. In der Praxis kann alles ganz einfach sein
Voraussetzung ist das gemeinsame Sorgerecht. Noch gibt es keine Angaben, wie oft Gerichte die alternierende Obhut bereits verordnet haben. «Auch nach einem Jahr sind viele Fragen ungeklärt», sagt Jonas Schweighauser (52), Rechtsanwalt und Professor für Familienrecht, «insbesondere die Berechnung des Unterhalts, aber auch die Frage, wann eine Mutter wieder eigenes Geld verdienen muss» (Interview S eite 15). Am meisten diskutiert werde die Betreuungsfrage, denn nicht alle Mütter seien bereit, die Kinder ohne Weiteres vermehrt beim Vater zu lassen. Und: Unverheiratete Trennungseltern machten vermehrt von ihrem Recht auf Unterhalt Gebrauch. Böller und Nedeljković brauchten kein Gerichtsurteil für ihre Entscheidung. Sie waren bereits getrennt, als sie erfuhren, dass
arjan unterwegs war. Heiraten war keine D Option, Abtreiben auch nicht. «Und ich wusste, dass ich auf keinen Fall ein Wochenend-Daddy sein wollte», sagt Nedeljković. Blieb also noch das Wechselmodell. «Wir hatten keinen Namen für unser Arrangement», sagt Böller, «es war einfach unsere Lösung, eine sehr pragmatische.» Zunächst lebten die Eltern mit dem Baby noch ein paar Monate in der gemeinsamen Wohnung. Der Kindsvater unterzeichnete die Vaterschaftsanerkennung, das gemeinsame Sorgerecht wurde schriftlich festgehalten – mehr war dank des gemeinsamen Wohn sitzes nicht nötig. Als Nedeljković sich eine eigene Wohnung nahm, war bereits alles geregelt: Vater und Mutter teilten sich Darjans Betreuung sowie alle Kosten, die für das Kind anfielen – Miete, Betreuung, Anschaffungen. Böller bezog die Kinder zulagen und zahlte dafür die Krankenkasse. «Das läuft seit neun Jahren gut so», sagt die Mutter. Heute leben Vater und Mutter in Wettingen AG sechs Fussminuten voneinander entfernt, in der Mitte liegt die Schule. Darjan wohnt jeweils Mittwoch bis Samstag bei seinem Vater, die anderen Tage bei seiner Mutter. Sie arbeitet Teilzeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg AG, der Vater ist selbständiger Tai-Chi-Lehrer. Er kann es so einrichten, dass er ganze Nachmittage seinem Sohn widmen kann. Freitags gehen die beiden gemeinsam ins Karate. Manchmal essen alle drei zusammen oder besuchen gemeinsam Schulanlässe. Nadja Böller ist sicher: «Darjan verbringt mehr Zeit mit seinem Vater als viele andere Kinder.» Sie könne sich derweil sorglos auf ihre Arbeit konzentrieren oder ihre Freizeit geniessen. «Ich weiss ja, dass Darjan bestens aufgehoben ist.» Vom gegenseitigen Vertrauen sei das Arrangement getragen, sagt Marko Nedeljković. Und Nadja Böller fügt an: «Es gibt keinen Groll zwischen uns. Wir gönnen einander Freiräume.» Beide streiten nicht gern, das wäre ihnen schlicht zu anstrengend. Was auch hilft: die berufliche Selbständigkeit des Kindsvaters und der flexible Arbeitgeber der Mutter, der Home-Office-Tage erlaubt. Manchmal ist die Flexibilität der Eltern gefragt: Wenn ausserordentliche Arbeitstage anfallen oder Wochenendpläne sich ändern. Schulferien teilen sie hälftig auf, und wenn Darjan krank ist, betreut ihn der Elternteil, bei dem er nach Plan ist. «Da wir beide Teilzeit arbeiten und flexible Jobs
Sind stets in Kontakt und im Gespräch: Marko Nedeljković und Nadja Böller tauschen sich häufig über ihren Sohn aus. Oft ist er auch dabei.