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Ein Kicker als Hausmann

Auf dem Panoramaweg oberhalb von St.Gallen: Tranquillo Barnetta geht mit den Kleinen gern spazieren.

Sie haben Ihren dreijährigen Sohn und Ihre einjährige Tochter nicht zum Interview mitgenommen. Warum? Wenn ich in einem Café bin, halte ich ständig Ausschau nach Gefahren. Die Tischkanten hier etwa hätten eine blöde Höhe. Ich wäre während des Gesprächs immer wie auf Nadeln.

Sie wirken ausgeruht. Können Sie die Nächte durchschlafen? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal durchgeschlafen habe. Auch wenn die Kinder weg sind, wache ich nachts auf. Es sind die schlimmsten Momente, wenn ich denke, jetzt könnte ich endlich durchschlafen, es aber nicht klappt. Brauchen Sie weniger Schlaf als früher? Offenbar. Davor hatte ich am meisten Respekt. Als Fussballprofi musste ich nie früh aufstehen und erst so um halb neun, neun Uhr auf dem Trainingsplatz sein. Seit gut drei Jahren geht es nun um halb sechs, sechs Uhr los. Immer wenn ich das Gefühl habe, jetzt bin ich am Anschlag, kommt meistens noch etwas obendrauf, Fieber oder so. Und dann geht es trotzdem immer irgendwie, das ist spannend. Sie setzen sich dafür ein, dass ein Vollzeithausmann als etwas Normales angeschaut wird. Genau. Ich will, dass ich gar kein Interview zu dem Thema mehr geben muss. Dass es nichts Spezielles ist, wenn ich sage: «Ich bin Hausmann.» Aber solange es nicht so ist, stehe ich gerne hin. Eigentlich sollte es keinen Aufschrei geben. Es gibt ja auch keine Interviews mit Hausfrauen. Überrascht Sie das Interesse der Medien für Sie als Hausmann? Nein, es ist in der Schweiz noch immer so, dass mehrheitlich die Mamis zu Hause sind. Manchmal aus finanziellen Gründen. In vielen Familien wäre es wohl auch möglich, dass der Mann zu Hause bleibt, trotzdem haben viele noch das Bild verinnerlicht, dass eher die Mutter Hausfrau ist. Auch in meinem Umfeld bin ich der einzige hundertprozentige Hausmann. Und wann merken Sie im Alltag, dass es eben noch nicht selbstverständlich ist? Wenn ich gefragt werde, was ich jetzt mache, nach dem Fussball. Dann antworte ich: Ich bin Hausmann. Darauf fragt man mich: «Und wann machst du wieder etwas Richtiges?» Was erwidern Sie? Mich erfüllt es im Moment, mit den Kindern zusammen zu sein. Dass ich das erleben darf, ist für mich ein Luxus. Vielleicht müsste ich auch anders reagieren und sagen: «Das ist doch etwas Richtiges.» Ich will die Leute aber nicht belehren, sondern schmunzle, und denke, wenn die mal zwei Wochen mit den Kindern zu Hause wären …

Sind es vor allem Männer, die das fragen? Lustigerweise eher Mütter, die auch bei den Kindern bleiben. Da denke ich: «Du kennst das doch selbst.» Manchmal fragen mich aber auch Männer. Ich glaube nicht, dass das despektierlich gemeint ist. Niemand glaubt wirklich, ich mache nichts. Hausmann ist einfach kein so anerkannter Job wie eine Anstellung, für die man monatlich einen Lohn bekommt. Es findet aber ein Wandel statt.

Und doch sind Hausmänner noch die Ausnahme. Viele Väter machen einen Papitag. Das ist schon viel wert, das ist etwas anderes, als wenn man die Kinder nur am Wochenende hat. Wenn man etwa das Haus verlässt, ist man verantwortlich dafür, dass alles dabei ist. So schätzt man mehr, was die Partnerin in der restlichen Zeit macht.

Als Sie 2018 zum ersten Mal Vater wurden, waren Sie noch Spieler beim FC St. Gallen. Hatten Sie da auch schon Papitage? Nein, meine Frau blieb das erste Jahr zu Hause. Wir lebten eher MamiPapiTage – ausser wenn ich Auswärtsspiele hatte, dann war

ich jeweils zwei Tage fort. Ich wusste schon von Anfang an, dass ich eine wichtige Rolle bei der Erziehung der Kinder spielen wollte. Dadurch gab es eigentlich nie Situationen mit dem Grossen, in denen nur das Mami ihn trösten konnte. Wir waren diesbezüglich von Anfang an gleichgestellt. Das war mir wichtig. Wann haben Sie festgestellt, für die Vaterrolle bereit zu sein? Das war ein Prozess, den meine Partnerin und ich gemeinsam durchgemacht haben. Mir half, dass ich schon eine gewisse Reife hatte. Trotzdem komme ich manchmal an meine Grenzen – obwohl ich schon einiges erlebt habe. Wann etwa? Jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Oftmals weiss ich, wie ich mit Situationen umgehen kann. Aber wenn ich zum Beispiel einen Termin habe und mein Sohn sich nicht anziehen will, muss ich herausfinden, wie ich ihn überreden kann – immer wieder aufs Neue Haben Sie einen Trick? Ich versuche ihn abzuholen, indem ich sage: «Moll, jetzt machen wir das, dann können wir später XY machen.» Ich möchte nicht einfach sagen: «Doch, jetzt müssen wir das tun.» Gerade bei wichtigen Terminen kann mich das ziemlich stressen. Und es bleibt dann nicht bei dem einen Problem. Sobald er draussen ist, will er auch nicht mehr heim. Ich glaube nicht, dass ein Tranquillo mit 25 Jahren solche Situationen hätte ‹handeln› können. Sind Sie heute also geduldiger? Geduldig war ich eigentlich schon immer. Gab es schon einmal eine Situation, in der Sie dachten: Was mache ich da? Tranquilla Barnetta

Beim FC St. Gallen hatte 2002 die Profikarriere des Fussballers Tranquillo Barnetta (36) begonnen, 2019 endete sie beim gleichen Verein. Dazwischen lief er 75 Mal für die Schweizer Nationalmannschaft auf und nahm an drei Welt- und drei Europameisterschaften teil. Er spielte in der Bundesliga bei Leverkusen, Hannover, Schalke und Frankfurt sowie in Philadelphia (USA). Barnetta ist verheiratet und hat zwei Kinder, um die er sich als Vollzeitpapa kümmert.

Nein, ich freue mich immer auf Neues. Einmal pro Woche gehe ich mit den Kindern und der Spielgruppe in den Wald. Dort denke ich: Wow, so cool! Oder das erste Mal mit den Kindern in den Schnee gehen! Aber vielleicht kommen die Was-machich-da-Momente noch. Ich bin zum Beispiel nicht sehr musikalisch. Mit den Kindern mal ein Instrument zu lernen, obwohl ich es nicht kann, stelle ich mir lustig vor. Hatten Sie Vorbilder, von denen Sie sagten, so will ich als Vater auch sein? Ich habe eine Situation im Kopf, die ich mal beobachtet habe: Ein Kind hatte etwas falsch gemacht, und der Papi nahm es zuerst zur Seite. So bekamen die anderen nicht mit, wie er sein Kind zurechtwies. Das schien mir eine elegante Lösung. Ich hoffe, dass meine Kinder mit mir Spass haben können, aber sich trotzdem an meine Regeln halten. Ich will ihnen lieber erklären, warum sie etwas machen sollten, als einfach Befehle zu erteilen. Nervt es Sie, wenn sie die ganze Zeit Nein sagen? Nein. Erstens müssen sie das lernen und zweitens gehört das Nein genauso dazu wie das Ja. Sie wurden während des Lockdowns zum zweiten Mal Vater, wie war das? Das Traurige ist: Die Kinder kennen die Welt gar nicht anders. Für sie ist es ganz normal, dass man überall Maske trägt. Mein Sohn war eineinhalb, als die Pandemie losging. Mit zwei hat er mir dann schon gesagt: «Papi, Maske vergessen.» Sehr nützlich. Die Familie hat mir geholfen, durch diese Zeit zu kommen. Als Single im Homeoffice, ohne Kontakte, stelle ich mir die Situation noch etwas härter vor. Wir hatten eine spannende Zeit mit der zweiten Schwangerschaft und der Geburt. Also etwas Positives in einem schwierigen Jahr? Ja, aber man merkt zum Beispiel bei den Kindern, dass sie nicht denselben Kontakt zu Gleichaltrigen haben wie in normalen Zeiten. Wenn es zum Beispiel während des Lockdowns auf einem Spielplatz zu viele Leute hatte, sind wir woanders hingegangen. Mein Sohn ist auch

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