Kulinarisches Arabien - Auszüge

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Leckerbissen auf vier Beinen Lastenträger, Rohstoffspender, Kapitalanlage – das Kamel ist ein fast idealer Begleiter des Menschen. Sogar essen kann er es. Die eindrücklichste Begegnung mit einem Kamel haben Orientreisende an einem Ort, an dem sie es nicht erwarten: in einem arabischen Wohnzimmer. Auch die ungewohnte Erscheinungsform des Höckertiers auf einem Häufchen Couscous oder Reis mag überraschen. Ein hungriger Libyer oder Ägypter hingegen, der sich nach einem langen Tag auf einen Leckerbissen freut, stutzt über das Kamel auf dem Teller höchstens dann, wenn es sich um ein altes Tier handelt und das Fleisch dementsprechend zäh zwischen den Zähnen klemmt. Nicht nur wegen des islamischen Verbots von Schweine­fleischverzehr ist der Genuss von Kamelfleisch vor allem in den Ländern Nordafrikas eine gängige kulinarische Alternative zu Schaf und Rind. Schon dieses alltägliche Beispiel veranschaulicht die jahrhundertealte Rollenverteilung zwischen Mensch und Kamel in der arabischen Welt: Der Vierbeiner gibt, der Zweibeiner nimmt. Das beginnt schon ganz am Anfang. Als Gott nämlich aus einem Klumpen Lehm den Menschen schuf, so überliefert es der islamische Volksglaube, da entglitten ihm zwei Bröckchen und fielen unbeachtet zu Boden – und daraus wuchsen die Dattelpalme und das Kamel, genauer: das Dromedar, das im Gegensatz zu seinem asiatischen Verwandten, dem baktrischen Trampeltier, nur einen statt zwei Höcker hat.

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Ergo sind Mensch und Kamel zwar aus dem gleichen Urstoff geformt, aber eben doch nicht gleich – hier das edle Geschöpf nach dem Willen des Herrn, dort das mehr oder minder zufällige Nebenprodukt. Natürlich wird diese Darstellung der Frühgeschichte von Menschen und nicht von Kamelen überliefert. Aber wer weiß: Könnten die spätestens zwischen dem 14. und 12. Jahrhundert v. Chr. auf der Arabischen Halbinsel domestizierten Kamele außer Schnauben und Brüllen auch artikulierte Laute von sich geben, vielleicht würden sie dann ihre eigenen Mythen erzählen. Und würden möglicherweise ihrem manchmal respektierten, manchmal verabscheuten Gegenüber ebenfalls eine Vielzahl von Namen gegeben. So wie es die Menschen getan haben: Mehrere hundert Synonyme kennt allein die arabische Sprache für das scheinbar zufällige „Nebenprodukt“, das schnell zum wichtigsten Tier der Wüstenbewohner avancierte – von „Vater der Einsamkeit“ bis „Funkelndes Schwert“. Die gängigste arabische Bezeichnung, Dschamal, hat sich in ihren Abwand­ lungen über den ganzen Globus verbreitet und ist in den deutsch­sprachigen Ländern als „Kamel“ angekommen. Wer weiß schon, dass dieser Begriff mit dem arabischen Wort für Schönheit verwandt ist? Die Araber wissen es, und sie wissen auch die Anmut und die Opferbereitschaft dieses einzigartigen Gefährten zu schätzen. So existenziell lebenswichtig war das Kamel für sie über Jahr­hunderte hinweg, dass es Eingang in Hunderte von Redens­arten gefunden hat. Eine Ehefrau im Jemen darf sich geschmeichelt fühlen, wenn ihr Gatte sie liebevoll „mein treues Kamel“ nennt. In seinem Alltagsratgeber für rechtgläubige Muslime listet der saudiarabische Religionsgelehrte Said al-Qahtani zwischen allerlei frommen Sprüchen jene Formel auf, die ein Mann vor der Eheschließung mit seiner Auserwählten aussprechen soll: „O Gott, ich erbitte von dir ihre guten Eigenschaften und ich suche Zuflucht bei dir vor ihren schlechten Eigenschaften.“ Denselben Spruch empfiehlt der weise Mann auch vor dem Kauf eines Kamels. Beides will wohl bedacht sein, gilt es doch, Kosten und Nutzen abzuwägen. Zumindest beim Kamel sind diese relativ klar abschätzbar. Ein gesundes Tier muss schöne lange Wimpern gegen das grelle Sonnenlicht haben und 120 Kilometer am Tag geradeaus stapfen können. Mit 200 Kilogramm Gepäck sollten immer noch 50 Kilometer drin sein. Dafür muss der Besitzer höchstens ein paar Ästchen oder einige Büschel Gras


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