Caiman und Drache

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wie soll ich sagen, etwas anders, wenigstens ein bisschen; er musste es sein, denn er war Pfarrer. Pfarrer stellt man sich für gewöhnlich klein, unansehnlich und beleibt vor. In dieser Hinsicht war unser Ogurek eine Traumbesetzung für seinen Beruf. Die Nase war etwas lang geraten oder im Laufe der Jahre lang geworden und buschige dunkle Brauen beschirmten die Höhlen. Sein Rasierwasser (blumig, alkoholschwanger, Marke Barbour shot) wirkte schwer, beinahe bleiern und tat nicht das, was man von einem guten Rasierwasser erwartete, nämlich dem Körper vorauseilen, sondern allzu oft hinkte es Ogureks ohnehin schleppenden Bewegungen hinterher. Sein Vater wollte, dass er in seine Fußstapfen, die eines einfachen Schusters, trete, aber Huber, der Dorflehrer, hatte andere Pläne und gab Ogurek Privatunterricht, was ihn befähigte, die höhere Schule zu besuchen. Wenn Ogurek lachte, trat ein Goldzahn hervor, vorn links, obere Zahnreihe; er saß so locker im Gebiss, dass er beim Reden ausfiel und wieder eingesteckt werden musste. Ogurek war ein gemütlicher Alter, seine Stimme war warm, aber monoton, sodass ihm während der Predigt nicht selten die Aufmerksamkeit abhanden kam. Würden Sie ihm die Hand geben wollen, müssten Sie feststellen, dass sie schlapp wie ein toter Fisch wäre. Wahrscheinlich dächten sie an einen Karpfen, oder nein, eher an eine Qualle. Ogurek war Theologe, aber in seinem tiefsten Innern schlummerte das Talent eines Mathematikers, was er nicht selten unter Beweis stellte. Jedem, den er für gescheit hielt, gab er eines seiner Rätsel auf. Heute waren Alois und Karl an der Reihe, die er am Teich unweit der Kirche traf (vor lauter Entengrütze sah man das Wasser nicht). Sie rasteten hier, um ihrer Ziege zu trinken zu geben.

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