10 Jahre Mauerfall

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Lausitzer Rundschau

Der Tag, an dem die Mauer fiel

Elbe-Elster-Rundschau

MONTAG, 9. NOVEMBER 2009

Das Cottbuser Jazzpodium plante im Glad-House das Minifestival „Die 90er-Musik und Anderes der Zeit“ kurz vor der Wende noch mit illegal spielenden Bands aus Westberlin, wie MINT (Foto), Österreich und der Schweiz. Es fand allerdings erst 14 Tage (17. bis 19. November) nach dem Mauerfall statt.

Nach dem Mauerfall lag, musikalisch gesehen, auf einmal auch in der Lausitz alles im Rahmen des Möglichen. Bands, von denen man hinter dem Eisernen Vorhang träumte, spielten nun auch in den Clubs der Region. Im Backstageraum des Lugauer Landei‘s verewigten sich die meisten von ihnen an der Wand.

„Wir waren keine Terroristen, sondern Künstler“ Die früheren DDR-Bürgerrechtler Stephan Krawczyk und Freya Klier halten die Erinnerung an einen sie bedrohenden Staat wach Am 2. Februar 1988 endete ein Martyrium für die DDR-Bürger Freya Klier und Stephan Krawczyk. Das damalige Ehepaar, im Januar 1988 von der Stasi inhaftiert und zuvor jahrelang drangsaliert, wurde in die Bundesrepublik abgeschoben. Der Staat hatte sich zweier unliebsamer Bürgerrechtler entledigt. 21 Jahre später touren sie gemeinsam durch das Land und erzählen von einem Regime, das sie an den Rand der Verzweiflung gebracht hat. „Das Beste an der DDR war ihr Ende“, sagt Freya Klier. Von Sascha Klein

„Nach wenigen Minuten schiebt sich plötzlich 100 Meter vor mir die Schnauze eines Polizeifahrzeugs hinter einem Häuserblock hervor. Verschwindet, nachdem mich der Fahrer erspäht hat, wieder nach hinten. Fast gleichzeitig taucht im meinem Rückspiegel der helle Lada auf, stoppt einen Moment und fädelt sich dann irgendwo in eine Parklücke weit hinter mir ein. Ein Schmerz wie eine Wehe durchzieht mein Becken. Die Scheiben beginnen zu beschla-

Januar 1988: Fürbittgottesdienst in einer Lichtenberger Kirche für Stephan Foto: epd Krawczyk.

gen, meine Haut stößt Angst aus. Ibrahim fällt mir ein . . . und Stephan, der mir eingeschärft hat, ihnen meine Angst nie zu zeigen.“ Was zunächst wie ein Krimi klingt, ist pure Realität. Die Enge im Brustkorb des Zuhörers nimmt schmerzhafte Formen an, die Kehle schnürt sich zu. Es ist ihr passiert: Freya Klier, der Frau, die aus ihrem eigenen Tagebuch vorliest. Und jenem Stephan Krawczyk, der nur wenige Meter neben ihr sitzt, die Hände gefaltet hat und in eine schier weltallgroße Leere zu starren scheint. Sie ist wieder da, die Erinnerung an die schlimmsten Jahre ihres Lebens. „Ich wollte gar kein Dissident werden“, sagt Stephan Krawczyk. Die Grenze zwischen Zynismus und Ironie ist bei ihm fließend. „Ich wollte nur wieder meine Zulassung haben, um in der DDR auftreten zu können“, betont er. Doch der Thüringer äußerte sich in seinen Texten Mitte der 1980erJahre immer kritischer über die Zustände im Arbeiter- und Bauernstaat. 1985 wurde er mit Auftrittsverbot belegt, sie aus dem DDR-Theaterverband ausgeschlossen – was einem Berufsverbot gleich kam. Beide konnten mit ihren Programmen fortan lediglich im Schutz der Kirche auftreten. „Wir waren keine Terroristen, sondern Künstler“, sagt Liedermacher und Buchautor Krawczyk, auf den bis zu 80 Stasi-Mitarbeiter angesetzt waren. Für Freya Klier sind die Jahre zwischen 1986 und 1988 Psychoterror. Wo sie auch hingingen oder hinfuhren: Die Staatssicherheit war ihr ständiger Begleiter. Wie halten zwei Menschen diesen Druck aus? „Man hofft einfach, dass es nicht passiert“,

Vom DDR-Regime zur Ausreise gezwungen: Freya Klier und Stephan Krawczyk.

sagt Freya Klier. „Man drängt sich schließlich nicht ins Gefängnis.“ Hausdurchsuchungen hat es sowohl in Kliers als auch in Krawczyks Wohnung gegeben. Die Manuskripte der ausgebildeten Regisseurin, sowohl für ihren „Abreiß-Kalender“ (1988) als auch für ihr 1990 erschienenes Buch „Lüg Vaterland – Erziehung in der DDR“ musste sie verstecken. Ein Teil davon ist gefunden und beschlagnahmt worden. Im Herbst 1987 verschärfte sich die Situation erneut. Für jedes Konzert in einer Kirche wurden Krawczyk Geldstrafen aufgebrummt – eine weitere

Schikane der Staatsführung und ein Versuch, den unbequemen Thüringer mundtot zu machen. Die Schlinge um die beiden Friedensaktivisten zog sich zu. Im November 1987 hatten sie noch in einem offenen Brief an den damaligen SED-Chefideologen Kurt Hager Reformen gefordert und den gesellschaftlichen Zustand der DDR kritisiert. Auch heute, 22 Jahre später, betrachtet Freya Klier die Stimmung in der DDR-Bevölkerung Ende der 1980erJahre kritisch: „Überall musste man Schlange stehen, morgens seine Kinder pünktlich abliefern.“ Diese Maschinerie habe

Foto: Sascha Klein

viele Menschen abstumpfen lassen. Am 17. Januar 1988 schlug das System schließlich zurück: Die Staatssicherheit verhaftete rund 160 Oppositionelle, darunter auch Krawczyk. Er wurde im Stasi-Gefängnis BerlinHohenschönhausen genötigt, einer „freiwilligen Ausreise“ zuzustimmen. Nur wenige Tage später wurde auch Freya Klier inhaftiert. Unter der Androhung langjähriger Haftstrafen willigten sie zwangsläufig in eine Ausreise ein. Am 2. Februar 1988 wurden Klier und Krawczyk nach West-Berlin abgeschoben. „Anschließend lief

gleich eine Rufmord-Kampagne gegen uns“, so Freya Klier. Die DDR-Führung präsentierte die erzwungene Ausreise als „landesverräterische Flucht“. Im Westteil Berlins mussten sich Freya Klier und Stephan Krawczyk ein neues Leben aufbauen. Immer mit einem Blick über die Berliner Mauer gen Osten: „Ich selbst war rausgeflogen und durfte das Land nicht mehr betreten. Doch schaute ich nun fasziniert zu, wie der Koloss wankte“, schreibt Freya Klier in einem im August 2009 erschienenen Essay. Und doch sei ein fader Beigeschmack bei ihr geblieben, schreibt sie weiter: „Und während sich Runde Tische bildeten, verschwand wie von Geisterhand gesteuert Volksvermögen ins Ausland, wurden Immobilien auf zuverlässige Parteigänger übertragen . . .“ Viel Positives kann sie dem Land DDR auch 21 Jahre nach ihrer Ausweisung nicht abgewinnen: „Natürlich gibt es privat viel Positives. Aber staatlich kann ich mich an nichts Positives erinnern.“ Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich die heute 59-Jährige beim „Bürgerbüro“, einem Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur. Seit Ende 2007 treten Freya Klier und Stephan Krawczyk mit dem Programm „Kamen wir ans andre Ufer“ regelmäßig gemeinsam auf. Zudem engagiert sich die Autorin bei Projekttagen zum Thema deutsche Geschichte in Schulen. Dort schildert sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem zweiten deutschen Staat. Den Spruch, dass damals doch nicht alles schlecht gewesen sei, hat sie dabei noch nicht gehört: „Ich glaub, es traut sich keiner, mir das ins Gesicht zu sagen.“

Jethro Tull, ACDC und Rammstein Die Rocklandschaft Lausitz war schon immer besser als ihr Ruf – nach ’89 gings dann richtig los Vor der Wende machten „die anderen Bands“ in den Jugendklubs und Konzerthäusern Mitte bis Ende der 80er-Jahre ordentlich Dampf. Nach der Wende war so ziemlich jede angesagte Gruppe in der Lausitz. Von Heiko Portale

Der Mauerfall brachte auch dem Konzertpublikum in der Lausitz Möglichkeiten, von denen vor der Wende kaum einer zu träumen wagte. Auf einmal waren Bands in der Region zu sehen, deren Platten man einst als Bückware im dreistelligen Mark-Bereich handelte. Während bis 1989 vor allem die als „die anderen Bands“ bekannt gewordene Underground-Bewegung viele junge Leute in die Jugendklubs und Konzertsäle strömen ließ – unter anderem auch wegen der, für DDR-Verhältnisse, revolutionären Gedanken, die dieser Musik innewohnten –, versiegte direkt mit dem Mauerfall das Interesse für diese Bands. Die Veranstalter reagierten auf den veränderten Musikgeschmack ihres Publikums und engagierten Bands aus Westdeutschland und dem Ausland. Makarios, Sänger und Kopf der Leipziger Band Die Art, sagte vor ein paar

Jahren schon stellvertretend für viele andere Musiker: „Die Leute wollten uns damals einfach nicht mehr sehen. Das war schwer für uns.“ Viele Menschen zogen inzwischen weg, vielfach war zu hören, dass hier nichts los sei. Wenn man sich aber mal vor Augen führt, wer in der Region in den vergangenen 20 Jahren alles gespielt hat, gibt das ein

„Lugau war bevölkert von Amis, die sich natürlich für die Lebensweise in der ostdeutschen Provinz interessierten.“ Frank Liebscher, Landei Lugau

anderes Bild. Das Angebot reicht unter anderem von Bob Dylan und Jethro Tull, über ACDC, Rosenstolz, Herbert Grönemeyer, Die Ärzte, Seeed, Mando Diao, Massive Attack, Motörhead, The Weakerthans, Black Eyed Peas, Laibach, Cassandra Complex bis zum Abschlusskonzert der Böhsen Onkelz auf dem Lausitzring mit rund 100 000 Besuchern. Diese

Liste ließe sich ohne Problem lange fortsetzen. Zwei Lausitzer, ein Klubbesitzer und ein ehemaliger Band-Techniker, erzählen an dieser Stelle jeweils eine Episode aus 20 Jahren Nachwende-Musikgeschehen: Frank Liebscher, Chef des Klubs „Landei“ in Lugau:

20 Jahre Mauerfall bedeuten auch 20 Jahre Landei Lugau – als eifrige Besucher von PunkKonzerten in Berlin vor und nach der Wende hatten wir in Lugau die Vision, auch in der beschaulichen Provinz etwas Ähnliches zu machen. Diese Möglichkeit bot sich mir im Landei Lugau, wo schon lange vor der Wende Konzerte mit Bands wie Die Vision, Die Art, Inflagranti, Sandow, WK13 und Die Anderen stattfanden. Durch Kontakte zu einschlägigen Konzertagenturen in Berlin gelang es Anfang/Mitte der 90er-Jahre, selbst große Bands aus der deutschen und vor allem amerikanischen Punk/ Hardcore-Szene in das 500 Seelen Dorf Lugau zu holen. Mit riesigen Nightlinern kamen Bands wie Ignite, Snapcase, Refused, Agnostic Front, Rykers, Sheer Terror, Slapshot oder Madball. Lugau war bevölkert von Amis, die sich natürlich für die Lebensweise in der ostdeut-

schen Provinz interessierten. Am Landei-Tresen saß die ältere Bevölkerung von Lugau sich unterhaltend (so gut es ging) mit Dennis Lyxzen von Refused oder Jack, dem Sänger von Slapshot. Noch heute sieht man Leute auf der Straße mit (abgewetzten) T-Shirts von Hardcore-Größen, die zum Teil im Lugauer Landei bei einem Konzert erworben wurden. Robert Otte, Ex-BandTechniker bei Sandow:

Als Anfang der 90er-Jahre Rammstein noch Vorband von Sandow war und man mitten in der gemeinsamen Tour durch „Ostdeutschland“ steckte, ergab sich eine kleine Anekdote aus der Ära Rockstar. Nach einer Show in einem Rostocker Klub kamen beide Bands inklusive der Technikcrew etwas abgespannt, aber dennoch guter Dinge, in einem Hotel in Rostock an. Es hatte starke Ähnlichkeit mit dem in Cottbus bekannten „Hotel Lausitz“. Mit den Worten „Ah, unsere letzten Gäste“ wurden wir empfangen. Auf die Frage, was das bedeute, hieß es: „Das Hotel wird demnächst abgerissen.“ Eine derartige Partyeinladung bekommt man ja echt selten. Die „stillen Teile“ der einzelnen Combos zogen sich zurück, aber der Rest

Die weltweit erfolgreiche Band Rammstein spielte drei Mal in Cottbus – zwei Mal als Vorband (bei Sandow und Project Pitchfork).

hatte plötzlich ein Jucken in den Fingern. Einige Wortwechsel und Biere später wurde beschlossen, mit dem Abriss schon mal zu beginnen. Knickt man die Stehlampe mit der Hand ab? Wie viel Leute trägt ein Tisch? Passt die Schrankwand in den Fahrstuhl? Alles wurde probiert. Mit wachsender Begeisterung lebten sich die jungen Musiker so richtig aus, machten all die Späße, die sonst nur in den einschlägigen Zeitschriften stehen. Aufgewacht sind wir dann in einem Trümmerhaufen auf den übriggeblieben Schlafmöglichkeiten. Am nächsten Morgen

beim Frühstück kam der Tourmanager ziemlich aufgelöst zum Buffet und verkündete, dass er wegen des entstandenen Schadens zum Hotelchef zitiert wurde. Eine Rechnung in astronomischer Höhe wurde uns präsentiert. Unsere Argumente, dass wir ja nur zum bevorstehenden Abriss beigetragen hatten, ließ man nicht gelten. So beschlossen wir erst einmal zu verschwinden. Wie das mit der Rechnung ausgegangen ist, kann ich auch aus heutiger Sicht nicht mehr beurteilen. Muss dann ja wohl doch mit unserer Idee, beim Abriss behilflich zu sein, geklappt haben.


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