L'OFFICIEL HOMMES No. 8 Frühling/Sommer 2018 DE

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LIVING

raus geworden? «Es gab Reformen und der mexikanische Moment, von dem Sie sprechen, fand wirklich statt. Auch wenn der internationale Kontext heute angespannter erscheint, darf man nicht vergessen, dass Mexiko, von der Epoche der Pyramiden bis zum Modernismus, immer eine humane und lebendige Architektur hatte, die mit dem Reichtum der Natur verbunden ist. Das Mexiko des 21. Jahrhunderts wird gebaut. Diese Bautätigkeit stützt sich auf ein richtig kreatives Umfeld. Ich bin überzeugt, dass die Architektur einen Einfluss auf die Kultur hat, sie ist Teil der sozialen Veränderungen. Ich für meinen Teil achte darauf, dass meine Projekte einen Bezug zur Geschichte, zur Vielfalt der Architektur und zur Macht der Symbole meines Landes, Mexiko, haben. Der neue Flughafen von Mexiko-Stadt ist ein gutes Beispiel: ab 2020 wird er jährlich 68 Millionen Reisende aufnehmen können, ab 2048 120 Millionen. Er wird eine positive Wirkung auf unsere Wirtschaft und unsere Anbindung an die Welt haben.»

renverkehr ein primitives Konzept ist. Es ist eine langfristige Vision, mit der die Notwendigkeit einer Mauer hinfällig wird.» Ebenso einzigartig und revolutionär, aber weniger utopisch, als es den Anschein macht, ist das Projekt Mexloop: ein Transportsystem in Form eines futuristischen Korridors, das des Films «Minority Report» würdig wäre. In der riesigen Röhre würden Kapseln mittels magnetischer Schwebekraft zirkulieren und die wichtigsten kulturellen, industriellen und handwerklichen Zentren des Landes in wenigen Minuten miteinander verbinden. Das Projekt ist eines von zehn Siegerprojekten des Wettbewerbs Hyperloop One Global Challenge, der im Mai 2016 vom Start-up Hyperloop One aus Los Angeles (das aus einigen namhaften Investoren zusammengesetzt ist, darunter Shervin Pshevar, der in Uber und Airbnb investiert, aber auch Rob Lloyd und Nick Earle von Cisco) lanciert wurde. Etwa 2 600 Teilnehmer haben auf die Ausschreibung reagiert. Das preisgekrönte mexikanische Projekt scheint nicht nur interessant, sondern auch umsetzbar. Romero wird lebhaft, diese Herausforderung begeistert ihn sichtlich durch das Experimentelle und die Nützlichkeit. Seine Schwärmerei wird noch grösser: «Mexiko-Stadt ist die verstopfteste Stadt Amerikas und die zweitverstopfteste weltweit», ereifert er sich. «2017 steckten 21 Millionen Menschen täglich im Stau, 2050 werden es 30 Millionen sein. Das sind eineinhalb Stunden täglich. Das Projekt ist also die Antwort auf ein grosses Problem und sie ist revolutionär.»

GRENZEN ABBAUEN In der Tat, Romeros Projekte lassen einen nicht kalt. Manchmal wecken sie Zweifel oder Verständnislosigkeit. Man muss dazu sagen, dass sie oft nie da gewesene Dimensionen aufweisen und scheinen, für unseren kleinen Verstand zumindest, dem Reich der Utopie zu entspringen. Wie zum Beispiel das Erbauen eines Bridging Museum zwischen den Städten Ciudad Juárez (im Staat Chihuahua, in Mexiko) und El Paso (Texas, USA) über den Rio Grande. Das 2001 ausgedachte Museum sollte die gemeinsame Geschichte der beiden Länder ausstellen. Noch verrückter ist das 2014 an der Biennale in London vorgestellte Projekt einer Grenzstadt, einer binationalen Siedlung auf 29 000 Hektaren am Ort, wo Texas und New Mexico auf den mexikanischen Bundesstaat Chihuahua treffen: eine polyzentrische Stadt mit mehreren Wirtschaftszentren, dessen Raumkonzept auf Sechsecken basiert, die mit Korridoren und Grenzübergängen verbunden sind. Die Stadt würde zu einer halb unabhängigen Zone, ein bisschen wie Hongkong oder Andorra, jedoch ohne gleich ein Steuerparadies zu sein. Der Architekt rechnet damit, das Projekt in zehn Jahren realisieren zu können. «Ich bin überzeugt, dass der Grenzbegriff in Zeiten der Globalisierung mit freiem Personen- und Wa-

DIE MAGNETFELDER «Dieses Transportsystem, bei dem sich die Reisenden mit 1 000 km/h fortbewegen, wird Mexiko-Stadt mit den bevölkerungsreichsten Städten Mexikos verbinden: Querétaro mit der florierenden Flugzeugindustrie, León, wo etwa eine Million Menschen in der Autoindustrie arbeiten, und Guadalajara, das Silicon Valley Mexikos. In einigen Minuten wird man von einer Stadt zu anderen fahren können, während man heute dazu einen ganzen Tag benötigt. Für unsere Handwerksindustrie wäre das ein wichtiger Wettbewerbsvorteil, ganz zu schweigen vom Universitätsnetz und den Forschungs- und Entwicklungszentren. Es wird eine neue Millionenstadt entstehen, deren Potenzial unermesslich ist.» Fernando Romero ist vielleicht der letzte Modernist.

«Ich bin überzeugt, dass der Grenzbegriff in Zeiten der Globalisierung mit freiem Personen- und Warenverkehr ein primitives Konzept ist. Durch die langfristige Vision wird die Notwendigkeit einer Mauer hinfällig.» FERNANDO ROMERO

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