Holzbulletin 125/2017

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Theaterturm auf dem Julier, Bivio Auf dem Julierpass hat das Kulturfestival Origen einen leuchtendroten Theaterturm temporär in die karge Berglandschaft gesetzt. Er versteht sich als Synthese des griechischen Landschaftstheaters mit dem römischen Amphitheater, dem ‹Globe Theatre› der Shake­ spearezeit und dem barocken Logentheater. Das Juliertheater auf 2284 m ü. M. soll die historische und kulturelle Bedeutung des Passes neu in Szene setzen. Der Übergang zwischen Oberhalbstein und Engadin ist ein Ort, an dem sich Geschichte verdichtet. Die Römer haben ein Passheiligtum errichtet. Säulenstümpfe belegen eine Kultstätte, einen kleinen Tempel mit Kultfigur. Im Mittelalter stand eine Sebastianskapelle auf der Passhöhe. Tempel, Kapelle, später das Hospiz und Festungsbauten haben die Passhöhe markiert und mit Bedeutung aufgeladen. Hinter der Idee des Theaterturms steht Origen, eine Kulturinstitution, die ihren Sitz im Bauerndorf Riom hat. ‹Origen› ist rätoromanisch und bedeutet ‹Ursprung›. Origen arbeitet mit archaischen Theaterformen und interpretiert sie neu, abseits der gängigen Formen städtischen Kulturlebens. Gründer von Origen ist der Theologe und Theatermann Giovanni Netzer. Netzer wollte auf dem historischen Pass einen ‹babylonischen Theaterturm› erstellen. Babylon war, so erklärt er, eine Wiege der Zivilisation. Lange bevor die Griechen und Römer die Alte Welt prägten, entstand in Mesopotamien eine Hochkultur, die uns mit dem Mythos um den gescheiterten Turmbau zu Babel bis heute prägt. Der Turm soll im Anklang daran ein Haus für neues Welttheater sein, in dem Kultur und umgebende Natur zu einem einzigen Schauspiel verschmelzen. Die festlich-sakrale Aura des hohen Bauwerks soll auf die Ursprünge des Theaters im kultischen Spiel aufmerksam machen. Aufführungen sollen sommers wie winters möglich sein und jeweils den Charakter der Jahreszeit aufnehmen. Zehn fünfeckige Türme aus 120 mm starkem Brettsperrholz und einer Kantenlänge von 2,5 m bilden den sternförmigen Grundriss aus. Über die Fensterbrüstungen, ebenfalls in Brettsperrholz ausgeführt, sind die einzelnen Türme miteinander gekoppelt, was zu einem globalen

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Tragverhalten und somit geringeren Verankerungskräften führt. An den Verbindungsstellen sind alle Holzplatten miteinander gleichmässig über die Länge verteilt kreuzweise verschraubt. Die Türme wurden in ihrem Querschnitt vollständig und in ihrer Länge vierteilig vorgefertigt. Nach dem Transport per Lastwagen auf die wenige Kilometer entfernte Baustelle konnte das erste Turmelement auf dem Fundament verankert werden. Das zweite Turmelement wurde als Bolzenverbindung mit Bauschrauben darauf angeschlossen. Auf Höhe Erdgeschoss beherbergt ein Turm die Heiztechnik. In drei weiteren Türmen sollen in einem nächsten Bauabschnitt Sanitärräume eingebaut werden. Die weiteren Türme dienen primär der Erschliessung: Zwei Treppenläufe führen vom Erdgeschoss bis zum zweiten Obergeschoss. Zwei Treppenläufe sowie ein Lift, der in einer späteren Ausbauetappe ergänzt wird, führen über die gesamte Höhe. Die beiden Treppenläufe über die Gesamt­ höhe dienen zudem als Fluchtweg und sind entsprechend nichtbrennbar bekleidet. Die Wärme- und Stromerzeugung erfolgten ausserhalb des Turmes in einem Technikcontainer. Am Raumfachwerk in Brettschichtholz auf Höhe des Daches ist die Bühne über Kettenzüge aufgehängt. Sie wurde mit Fachwerk­ trägern aus Aluminium und einem Belag aus Dreischichtplatten konstruiert. Über den Hubmechanismus lässt sich die Bühne auf der gesamten Höhe des Turmes bespielen. Entsprechend der Bespielbarkeit sind die Geschosse für die Besucheraufnahme ausgelegt. Das Erdgeschoss lässt sich um die Bühne herum bestuhlen. Das erste Obergeschoss verfügt über Zuschauerplätze in Logen, welche zwischen den Türmen angeordnet sind. Auch im zweiten Obergeschoss können die Zuschauer das Geschehen von Logen zwischen den Türmen aus betrachten. Geplant ist hier zudem der Einbau einer vom Shakespearschen ‹Globe Theatre› inspirierten Zuschauertribüne mit etwa 200 Sitzplätzen. Jeweils in den Logen ist eines der vierzig Fenster angeordnet. So blickt man von den Zuschauerrängen auf die zentrale Spielfläche, aber gleichzeitig auch immer hinaus in die grandiose Berglandschaft, die den Turm umgibt.


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