leibniz # 1/2019: Land

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Ende der Woche an nimmt er beträchtlich wieder ab, dann kann man einsteigen in seinen goldenen Kahn. Wagerecht fährt die Mondsichel in Palästina am Rand des Himmels entlang. Ihr horizontales Vorwärtsbewegen habe geographische Ursache, die den Sternographen zu ergründen sicherlich mehr interessiere als eine Dichterin. In Palästina gibt es keine Dämmerung. Also vom Ursprung der Welt her keinen Einbruch bleischwer in den lichten Tag. Ein göttlicher Beweis für die Erzheiligkeit Palästinas schon auf dem Plan der Schöpfung. Die Liebe Gottes war es, die ausschaltete beim Malen des Auserwählten Landes das Grau auf der Wolkenpalette. Mit zauberhafter Schnelligkeit wechselt das Hell des Tages mit dem Dunkel der Nacht. Und die Schwermut der Dichter und ihre Erdangst erzeugen andere Ursachen als das schleichende Erbleichen des Tageslichts. Von unermeßlichem Gestein umgeben, akrobatisch gehalten empor, zu gleicher Zeit hart gefangen und wieder von unübersehbaren Abgründen und Bergestiefen gerufen, ja magisch gelockt, glaubt man zuerst vor Furcht und Weh aufschreien zu müssen. Man sehnt sich nach dem Schoß der Mutter. In den Nächten pflegen viele der neu Angekommenen in Palästina den üblichen Fliegertraum zu träumen. Auch ich fiel so oft im Traum erbarmungslos aus allen Höhen zur Erde herab. Und doch hält Adoneu Seinen starken Arm, unübersteigbare betreuende Mauer, um Israel. Endlich schließe ich mit dem kleinsten, ebenso mit dem gewaltigsten Stein der Klüfte und mit jedem Sandkorn der Wüstenpfade Freundschaft. Wir duzen uns, wenn wir allein sind. (…)

Ich bin nicht Hebräerin der Hebräer willen, aber — Gottes Willen!

Doch dieses Bekenntnis schließt die Liebe und Treue unerschütterlicher Ergebenheit zu Seinem Volke ein. Zu meinem kleinsten Volk unter den Völkern, dem ich mit Herz und Seele angehöre. (…)

Wie ist es in Palästina? Höre ich mich fragen. ›Anders als in einem

Lande dieser Welt. Aber wie es auf dem Bibelstern eben so ist.‹ Ich bin auf dem Bibelstern gewesen, von dem Gott den nackten Stein brach, zu bauen alle anderen Welten. (…)

Unter dem glitzernden Kronleuchter des Sternenhimmels begeg-

ne ich mit Vorliebe den Menschen Jerusalems. Die leuchtende Farbe von 06


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