leibniz # 2/2018: Genuss

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Kakaohandel

DIE NACHFRAGE NACH KAKAO STEIGT STETIG. DOCH WELCHEN PREIS HAT DER GENUSS? Text MARLENE HALSER

Sie serviert ihn in seiner reinsten Form: roh, unverarbeitet,

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»Einerseits wollen wir günstige Schokolade essen«, sagt

nur leicht gesüßt und ohne Milch und deshalb ziemlich bitter.

Evelyn Bahn von der Nichtregierungsorganisation INKOTA.

Vor allem aber stark konzentriert. Als »Cacao Mama« veran-

»Andererseits leben die Menschen in Westafrika, die den Groß-

staltet Serap Kara seit einigen Jahren sogenannte Kakaoze-

teil des Kakaos anbauen, oft unterhalb der Armutsgrenze.«

remonien. »Riecht den Kakao, bevor ihr ihn probiert«, bittet

sie, während sie den sämigen, braunen Trank in kleinen Glä-

(GIGA ) in Hamburg untersucht der Entwicklungsökonom Jann

Am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien

sern an die andächtig im Kreis Sitzenden verteilt. Aus den

Lay, wie man ihre Situation verbessern könnte. Derzeit be-

dampfenden Gefäßen steigt ein vertrautes, aber in dieser

fragt sein Team vom Institut für Afrika-Studien des GIGA 1.200

Intensität ungewohnt würziges Schokoladenaroma auf. Nach

ghanaische Kakaobauern in einer auf fünf Jahre angelegten

kurzer Zeit erfüllt es den Raum.

Studie. »Es geht uns um die Auswirkungen des Vertragsan-

30 bis 42 Gramm Kakao pro Person ist die »rituelle

baus auf die Lebensumstände der Kakaobauern und ihrer

Dosis«, die bei solchen Zeremonien verabreicht wird. Mit

Familien«, sagt Lay. Vertragsanbau heißt: Kleinbauern schlie-

geschlossenen Augen gehen die Teilnehmenden auf eine scha-

ßen einen Vertrag mit Kooperativen oder Firmen. Sie ver-

manistische Traumreise. Die leicht bewusstseinsverändern-

pflichten sich, Kakao einer bestimmten Qualität zu liefern und

den Effekte, die Kakao so hochprozentig auf den menschli-

erhalten im Gegenzug Preisgarantien, Beratung und techni-

chen Organismus hat, sind wohl der Grund, warum es heißt,

sche Unterstützung. Solche Modelle gelten als ein möglicher

dass Schokolade glücklich macht. Dabei gehen just die an-

Ausweg aus der Armutsfalle.

regenden Komponenten bei der industriellen Herstellung der

Süßigkeit weitgehend verloren.

bis ins 19. Jahrhundert zurück. Seinen Ursprung hat er je-

In Westafrika reicht die Tradition des Kakaoanbaus

»Kakao hat viele hochpotente Inhaltsstoffe«, erklärt

doch in Süd- und Mittelamerika. Bereits um 1500 vor Chris-

Serap Kara. Theobromin etwa, ein dem Koffein verwandter

tus kultivierten die Olmeken im heutigen Mexiko Kakao. Den

Stoff, habe einen anregenden und stimmungsaufhellenden

Mayas und Azteken galt er als heiliges Geschenk der Götter.

Effekt. Außerdem enthalte Kakao große Mengen Magnesium,

Die ovalen braunen Bohnen mischten sie mit Wasser, Vanille

das die Muskeln und Nerven entspanne. Am wichtigsten sei

und Cayennepfeffer zu einem bitteren Trank, den sie »xocóatl«

aber, dass er die Ausschüttung körpereigener Botenstoffe

nannten. 1528 brachte der spanische Konquistador Hernán

wie Serotonin, Dopamin und Oxytocin anrege. Und die nenne

Cortés den Kakao nach Europa, wo ihn die Zugabe von Honig

man nicht ohne Grund »Glückshormone«.

und Rohrzucker zu einem beliebten Getränk machte. Weil die-

Immer mehr Biomärkte verkaufen Kakao deshalb auch

se Zutaten teuer waren, blieb Kakao lange ein Statussymbol

als »Superfood«. Ein Trend, der auf die Anfänge des Kakao-

der Aristokraten. Erst im 19. Jahrhundert wurde er in Europa

genusses in den alten Hochkulturen Mittelamerikas verweist.

zum Massenprodukt und Schokolade eine beliebte Süßig-

Aber der allergrößte Teil des Rohstoffs wird laut der Interna-

keit. Maschinen pressten sie in Tafeln, leicht transportabel

tionalen Kakaoorganisation zu Schokolade verarbeitet. Die

und haltbar. Weil die Produzenten in Lateinamerika die rasant

Amerikaner verzehren am meisten, gefolgt von den Deut-

steigende Nachfrage bald nicht mehr befriedigen konnten,

schen. Addiert man den Konsum aller europäischen Staaten,

machte man sich auf die Suche nach neuen Anbaugebieten.

verbrauchen sie fast 50 Prozent der weltweiten Kakaoernte.

Fündig wurde man in den damaligen Kolonien in Westafrika

Doch welchen Preis hat der Genuss?

und Indonesien.


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