leibniz # 3/2018: Erbe

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Renaissance

Sie sehen mitunter wunderlich aus und schmecken intensiver, als es manchen lieb ist. Viele traditionelle Früchte wurden deshalb vom Feld genommen. Jetzt erleben sie einen zweiten Frühling. Text CHRISTOPH HERBORT-VON LOEPER  Fotos FABIAN ZAPATKA

Sie heißen »Berner Rosen«, »Brandywine Pink« und »Lizzy

Sellerie, Kohl, Erbsen, Möhren. Und 3.700 Tomatenmuster.

Hellfrucht«. Oder auch etwas weniger poetisch »Ochsenherz«,

Die Genbank in Gatersleben ist damit die größte in der Euro-

»Harzfeuer« und »Zahnradtomate«. Selbst eine »Moneyma-

päischen Union, weltweit liegt sie auf Platz sieben.

ker« ist unter ihnen.

Feld verschwindet, lagern wir ein Muster ein«, sagt Andreas

Im Zeitalter industrieller Landwirtschaft und weil der

»Immer dann, wenn eine Sorte in Deutschland vom

Verbraucher sich lange nach perfekt geformten und makel-

Börner. Am IPK leitet er die Arbeitsgruppe »Ressourcenge-

losen Früchten sehnte, wären die alten Tomatensorten trotz

netik und Reproduktion«, die für die Erhaltung der Genbank­

ihrer Namen fast in Vergessenheit geraten. Erst jetzt erleben

sortimente verantwortlich ist. In den vergangenen 10.000

sie, aber auch allerlei anderes altes Obst und Gemüse, einen

Jahren habe der Mensch die meisten Kulturpflanzen von sich

zweiten Frühling. Dahinter stecken eine neue Lust am Beson-

abhängig gemacht. »Wenn wir sie nicht pflegen, sind sie gar

deren, die Rückbesinnung auf traditionelle, regionale und

nicht überlebensfähig.« Ohne Genbanken wären deshalb viele

ökologische Landwirtschaft — und die in Teilen der Gesell-

Sorten unwiederbringlich verloren gegangen. Als Kulturgut,

schaft wachsende Bereitschaft, auch mal etwas mehr für Ge-

aber auch als Genpool.

schmack zu bezahlen.

Dass Moneymaker, Ochsenherz & Co. heute wieder auf

hinter dem Aus einer Sorte. »›Besser‹ heißt in der Landwirt-

Häufig stecken vermeintlich bessere Neuzüchtungen

Beeten und in Gewächshäusern wachsen, ist keine Selbstver-

schaft aber nicht unbedingt, dass eine neue Sorte besser

ständlichkeit. Sie verdanken es nicht zuletzt Einrichtungen

schmeckt«, stellt Andreas Börner klar. »Oft geht es um Vor-

wie der Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik

teile für die Produzenten: längere Haltbarkeit, größere Ein-

und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Hier, im

heitlichkeit, einfachere Verarbeitung.« Noch vor einigen Jah-

Harzvorland im Osten Sachsen-Anhalts, bewahren Andreas

ren wurde in der Landwirtschaft zudem fleißig Gebrauch von

Börner und seine Kollegen das Erbe der Kulturpflanzen. Bei

Pflanzenschutzmitteln gemacht — da war es relativ egal,

minus 18 Grad Celsius lagern mehr als 150.000 Saatgutpro-

wenn eine neue Apfelsorte nicht widerstandsfähig gegen

ben von knapp 3.000 verschiedenen Pflanzenarten in den

Schädlinge war. Seit ökologischer Anbau an Bedeutung ge-

Kühlhäusern des Instituts. Getreide, aber auch Gemüse wie

wonnen hat, ist es aber ein Problem. In Andreas Börners

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