Achim Lipp: Alles Klopstock

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Lektion

Alles Klopstock!1

Persiflage auf den behördlich angesetzten Versuch, sich mit einem Volksfest zu Ehren eines vergessenen Poeten anzubiedern, auf die Spitze getrieben.

Die Kulturbehörde war über das Ansehen von Friedrich Gottlieb Klopstock in den Augen der Hamburger besorgt. Was wusste man denn schon von diesem Jahrhundertpoeten, der über 30 Jahre das literarische Geschehen der Stadt maßgeblich beeinflusst, der die deutsche Dich

die Ende Juni 1974 unter freiem Himmel in Ham burg Ottensen in unmittelbarer Nähe zu „seinem“ Friedhof umgesetzt sein sollte.

„Marktstand und Performance zu Klopstock“ war unsere Devise, unter der wir den vergesse nen Dichter mit künstlerischen Mitteln ans Licht

tersprache erneuert und erweitert hatte? Man muss die Feste feiern, wie sie fallen: Und das war in diesem Fall der 250. Geburtstag des Dichters.

Um diesen zu begehen, bat die Stadt allerlei Kul turschaffende um Unterstützung bei der Schärfung des Profils. Jazzmusik, Sackhüpfen und Eierlau fen, Angel- und Wurfspiele² hatte man schon im Programm, auch die Staatsbibliothek. Schriftsteller und Schreiber allerdings bat man vergebens. So erreichte auch die ZELTSCHULE eine Ein ladung von der Hamburger Kulturbehörde zu dieser schönen Aufgabe, ganz unerwartet – und

1 Nach den künstlerischen Darbietungen wird der Wiener Opernball eröffnet und die Tanzfläche traditionell mit dem von Johann Strauss geprägten Kommando „Alles Walzer“ für alle freigegeben. https:// de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Opernball, abgerufen am 09.02.18

holen wollten. Dabei dachten wir an unseren Auftritt „Souvenirs Souvenirs“ in der Hoch schule im März 1974, den wir vor erst wenigen Wochen auf die Beine gestellt hatten. Mit Scherz und freundlicher Ironie wollten wir die Sache nun auch angehen. Wir fragten uns, wie sich wohl alsbald jedermann fragen musste, der die aktu ellste 40er Briefmarke der Bundespost erstanden hatte: Wer kennt diesen Mann?

2 aus dem Programmangebot der Fabrik für Klopstocks Geburtstags feier Mai/Juni 1974, ( «Kultur für alle» war das Motto, das sich die Fabrik-Gründer Anfang der 1970er-Jahre auf die Fahnen geschrieben haben.

Diese Vorgabe haben sie bis heute einhalten können, heisst es vollmundig. http://www.hamburg-tourism.de/erleben/nachtleben/ alle-bars-clubs-co./fabrik/Weltmusik. Und tagsüber bieten die „Fabrikarbeiter“ Hausaufgabenhilfen und Kreativkurse für Kinder und Jugendliche an, abgerufen am 10.02.18.

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Ein ansprechendes Poster versprach in verzopfter Schrift die einmalige Gelegenheit, diesen Mann näher kennen zu lernen:

„Mit Klopstock auf Du und Du“. So lautete die verführerische Formel.

Das Angebot, sich mit allen drei Positionen im Paket einzudecken, weil es dann vor allem auch billiger würde, brachte dieses in die Nähe eines Sonderangebots und holte den Wortschöpfer vollends vom Sockel, auf dem ihn ja sowieso keiner hat wahrnehmen können – war er doch spätestens seit Lessing außer Sichtweite, nicht nur bei den Anrainern aus Ottensen.

„Schlagen Sie 3 Fliegen mit einer Klappe!“ so luden wir ein.

Für jedermann im aktuellen Angebot der Geburts tagsfeier:

Im Dreierpack für glatte 1,50 DM.

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Nach dem Ende der zweitägigen Jubelfeier entschlossen wir uns, auch unsere Hochschule daran teilhaben zu lassen. Wir bauten alles noch einmal auf.

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Klopstock lässt grüßen

Wir fragten uns: Wie würdigt eine Stadt nun einen der großen Söhne? Wie macht sie im Stadtbild auf ihn aufmerksam?

Wir griffen auf die bewährte mehransichtige Bildpostkarte zurück. Sie bot die Möglichkeit, mit einem einzigen Bildträger die Lieben daheim oder aber Experten, wie den Deutschlehrer, auf

eindruck vermitteln konnte. Hier allerdings nicht vom Poeten, sondern von der Art und Weise seiner veröffentlichten Wertschätzung, von der schon Lessing 1753 fand: „Wer wird nicht einen

mehrfache Weise eindrucksvoll auf die öffent liche Gegenwart eines berühmten Poeten, wie Klopstock es einer war, aufmerksam zu machen sowie auf die Anerkennung, die man ihm entgegenbrachte.

Die Ergebnisse der Recherche waren übersicht lich. Mit der Auswahl und Kombination verschie dener Motive ließ sich eine atmosphärische Dichte erzeugen, die so etwas wie einen Gesamt

Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? –Nein! Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.“ Zentrales Motiv der Karte ist ein Blechschild am Eingang des Friedhofs der Christianskirche, auf dem die Verortung des Grabes von F.G. Klopstock angezeigt wird sowie der Hinweis, dass hier weitere Persönlichkeiten begraben sind und dass der Friedhof mit Denkmalseigenschaften Eigentum der Christians-

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kirchengemeinde ist. Dieses signifikante Text dokument verklammert die vier unregelmäßig quadrierten Fotos, die mit Klopstocks Namen auf ihre jeweilige Bestimmung verweisen. Da ist zuallererst das Hotel Klopstock in Ham burg Eppendorf zu nennen, das dem Reisenden unter diesem Namen Herberge sicherte –weitere Jahre noch als Restaurant Klopstock firmierte, heute aber ohne Bezug auf den Dichter einfach Schuback heißt. Die Ansichtskarte habe ich im Januar 2017 entsprechend mit den zwei Phasen aktualisiert.

das Bildensemble. Wir ließen den Dichter zu Worte kommen und Grüße an die Empfänger der Karte aussenden.

Die Schreibfeder wohlgemerkt findet sich auf unserer 40er-Wohlfahrtsmarke wieder, die aus eben diesem Anlass in zerbrochener Gestalt erfunden wurde, um auf das Elend der Schriftstellerei oder auch ihrer Würdigung zu verweisen.

So bewahrt Hamburg das Andenken an einen großen Künstler.

Auf den weiteren Belegen finden sich emaillierte Straßenschilder, die sich mit seinem Namen schmücken: Der Klopstockplatz, die Klopstockterrasse und die Klopstockstraße. Sie säumen den Friedhof oder führen auf ihn hin und markieren ein eher karges Umfeld. Als Supraporte setzen sich Textfahne und Schreibfeder im Tintenfass schwungvoll über

Lyrische Lebkuchenherzwerke

DU O SCHÖNE NATUR UND UM UNS WARD´S ELYSIUM WEINE NICHT, CIDLI IHR VERSTUMMET, DEUTSCHE FEYERT DIE HELDEN WEH DEM EROBERER WEH IHNEN WEH

DU O SCHÖNE NATUR

KLOPSTOCK und KIRMES – Ein Herz für die Kunst als Jahrmarktsnascherei Verszeilen aus dem Zusammenhang hoher, wenn auch vergessener Literatur gerissen, verfallen dem Kitsch.

Alle zusätzlichen Ingredienzien führen die Poesie an den Abgrund des Trivialen:

Die farbigen Zuckergusszeilen, konditormäßig auf Lebkuchenherzen geschrieben, in Klarsichtfolie am bunten Trageband.

Der Liebsten ein Mitbringsel von einem Vergnügen.

Das Innige wird süßlich, das Heroische banal.

Ein Volksfest für Klopstock kann es nicht geben!

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Das Rosenband (1753)

Im Frühlingsschatten fand ich Sie; Da band ich Sie mit Rosenbändern: Sie fühlt‘ es nicht, und schlummerte. ...

Sie sah mich an; Ihr Leben hing Mit diesem Blick‘ an meinem Leben, Und um uns ward‘s Elysium.

Sommernacht (1766)

Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab In die Wälder sich ergiesst, und Gerüche Mit den Düften von der Linde In den Kühlungen wehn; ...

Ich genoss einst, o ihr Toten, es mit euch! Wie umwehten uns der Duft und die Kühlung, Wie verschönt warst von dem Monde, Du o schöne Natur!

Kennet euch selbst (1789) ¹

Frankreich schuf sich frey. Des Jahrhunderts edelste That hub

Da sich zu dem Olympus empor!

Bist du so eng begränzt, dass du sie verkennest, umschwebet

Diese Dämmerung dir noch den Blick, Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen, und finde Etwas darin, das ihr ferne nur gleicht, Wenn du kanst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie Unsere Brüder die Franken; und wir?

Ach ich frag‘ umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget Euer Schweigen? bejahrter Geduld

Müden Kummer? oder verkündet es nahe Verwandlung?

Wie die schwüle Stille den Sturm, Der vor sich her sie wirbelt, die Donnerwolken, bis Glut sie Werden, und werden Zerschmetterndes Eis!

Alles ist reg‘, und ist Leben, und freut sich! die Nachtigall flötet

Hochzeit! liebender singet die Braut! Knaben umtanzen den Mann, den kein Despot mehr verachtet! Mädchen das ruhige, säugende Weib.

Furcht der Geliebten (1752)

Cidli, du weinest, und ich schlumre sicher, Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht; Auch wenn stille Nacht ihn umschattend decket, Schlumr‘ ich ihn sicher.

Wo er sich endet, wo ein Strom das Meer wird, Gleit‘ ich über den Strom, der sanfter aufschwillt; Denn, der mich begleitet, der Gott gebots ihm! Weine nicht, Cidli. ²

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1 Revolutionsode. Unmut über die deutsche Lethargie. 2 Klopstocks früh verstorbene Frau Meta Moller.

Klopstock Brubble Gum

Über die Wandlungsfähigkeit von Worten und Blasen.

Für diese Süßigkeit wurde handelsübliche Ware besorgt und um-verpackt. Sie wurde professi onell in das speziell beschichtete KLOPSTOCK BRUBBLE GUM Papier geschlagen, die Gestal tung konnte problemlos an überkommenes Display und grafische Erscheinung angelehnt werden.

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Nun zur sprachlichen Umverwandlung:

Aus „Bubble“ wurde „Brubble“ ! Aus Blase wurde Brabbeln.

Das offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Er spielt beziehungsreich auf den Zusammenhang zwischen Kauen und Sprechen an.

Kaukinetik, mit der das Süßliche allmählich her ausgewalkt wird, bis es fad wird: Der Sinn scheint sich aus den ermüdend uferlosen Zeilen verabschiedet zu haben.

„MIT KÜNSTLICHEM BLAH BLAH“

Der Spagat zwischen dem Englischen und dem Deutschen gelingt erst mit dem lauten Lesen: Das Gebrabbel meint kleinkindliches Getöse wie auch meist abwertend einen überflüssigen Redebeitrag – und Bubble das zerplatzende Nichts, das sich, wenn es glückt, sich im Gesicht des Blubbernden als zuckerige Schleimspur wie derfindet. Bezogen auf Klopstock war das eine Anspielung auf seinen verblassenden Stern, der mit der Goetheschen Strahlkraft nicht mithalten konnte.

Seine endlosen Verse verlangen beim Vortrag eine nicht endende Sprechbewegung und korrespondieren zur andauernden

Solange die Kaumasse noch elastisch ist, lässt sie sich mit der Atemluft und einigem Geschick zur ballonförmigen Skulptur aus dem Mund herauspressen, zur Bubble. Diese kurzlebige Attraktion zerpufft sogleich und bleibt als klebriger Spuk im Gesicht hängen.

Die allgegenwärtigen und ekligen Reste der ausgespuckten Gummimassen verkleistern aufs Widerliche die Plätze und Straßen der Städte.

Eine übersteigerte Analogie ist der Verweis auf das Schicksal der Sprachgestaltungen Klopstocks, die nur in Schnipseln überdauerten –zum süßlichen Kitsch verkommen, die lyrischen Lebkuchenherzwerke singen ein Lied davon.

Sie erforderten einen langen Atem, der jedoch schon seinen zeitgenössischen Lesern

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ausging. Alternativ lässt sich der amorphe Ballen anstatt als luftige Laune des Moments als Vorlage en miniature für dauerhafte Kunstobjekte zurecht kauen. So liegen ins riesenhafte übertragene Kauskulpturen in Marmor gehauen sinnigerweise auf den Grünflächen vor der Zahnklinik der Freiburger Universität, eben nicht „Mit dem Munde“¹ gemalt, sondern „Mit den Zähnen modelliert“.

Hammer des Oberkiefers und dem Amboss des Unterkiefers in Position, um dann im rechten Augenblick die geformte Vorlage aus der Mund höhle zu entlassen.

Sie verdanken sich der Gestaltungskraft der Kaumuskeln, die ohne visuelle Begleitung die Vorlagen hervorbrachte. Die Zunge allein lavierte blind den Gummiklumpen zwischen dem

1 Mit dem Mund oder dem Fuß malende Künstler sind weltweit or ganisiert; in Deutschland im MFK Mund- und Fußmalende Künstler Verlag, in Stuttgart ansässig.

2 https://www.uniklinik-freiburg.de/uniklinikum/zahlen-und-fakten/ kunst-kultur/kunstwerk/gum-kaugummi.html, abgerufen am 20.11.18.

Stefan Sous, Heinke Haberland, GUM Kaugummiskulptur, Carrara Marmor, ca. 2,30 x 1,40 x 0,95 m
Von Kindern aufgeblasen –und von Künstlern zurecht gekaut als Vorlagen für Skulpturen²
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Das Wiedersehen

Zugeschnappt und zugepappt, zugeklappt und aufgeklappt:

Der Weltraum trennt mich weit von dir...

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Bemooste Häupter Nr. 1

Ein Bild des Grabsteins von Klopstock, beschattet von grünem Originalmoos, in einer Klarsichttüte verwahrt, unmittelbar vom Grabstein abgesammelt. Dieser unübersehbare Bewuchs war zunächst ein Hinweis auf die Pflege des Grabmals, das nämlich weitgehend sich selbst überlassen war. Zum anderen markierte es die anschaulich gewordene Zeit, die der Stein auf dem Friedhof überdauert.

Mit dem Herauslesen aus dem Gedenkstein zeigte sich das Moos wie eine zweite Haut, es war nicht primäre Substanz. Wir lösten es aus dem ursprünglichen Zusammenhang, um ihn erneut herzustellen, allerdings mit dem Abbild seiner ursprünglichen Herkunft. Wir boten es in seiner Echtheit der Betrachtung so an, dass es als Vehikel zu einer Andacht dienen könnte: Das Moos als Brücke zum Gedenkstein, zum bemoosten Haupt Klopstocks und seiner Meta.

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Der wandelnde Grabstein

Zweiseitiges Sandwich mit Großfotos vom Original-Grabstein Klopstocks aus dem Jahre 1803 auf dem Friedhof der Christianskirche gegenüber.

Ein Grabstein, der Beine hat. Und ist kein Mühl stein um den Hals, wie man angesichts des Sandsteins, aus dem der Grabstein gefertigt ist, befürchten müsste, und wie es die Trägerin freundlich bestätigt, indem sie uns den Gedenk

stein furchtlos präsentiert. Die rechte Hand der Trägerin NM zeigt auffordernd mit dem Finger auf die Inschrift, eine barocke Würdigung des Dichters durch seine zweite Gattin, und über der Grabschrift eine trauernde Frau im antiken Gewand, mit der rechten auf eine Urne gestützt, weist mit ausgestrecktem Arm nach oben in den Himmel, dem ihr Blick folgt.

Überwölbt wird der Stein von zwei gegeneinander gekreuzten Ährenbündeln, Zeichen eines reichen und gereiften Lebens. Sie bilden auf sanfte Art die Schulter unserer Trägerin nach.

Bey seiner Meta und bey seinem Kinde ruhet FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK

Er ward geboren d: 2. July 1724. Er starb d: 14. März 1803. Deutsche, nahet mit Ehrfurcht und mit Liebe Der Hülle Eures grösten Dichters Nahet, Ihr Christen, mit Wehmuth und mit Wonne Der Ruhestätte des heiligen Sängers, Dessen Gesang, Leben und Tod Jesum Christum prieß Er sang den Menschen menschlich den Ewigen, Den Mittler Gottes. Unten am Throne liegt Sein großer Lohn ihm, eine goldne Heilige Schale voll Christenthränen. Seine zweite liebende und geliebte Gattin Johanna Elisabeth, setzte diesen Stein, Anbetend den, der für uns lebte, starb, Begraben ward und auferstand.

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Für jedermann im aktuellen Angebot der Geburtstagsfeier: der Grabstein auf Pappe, einem jedem umzuhängen, mit Probelauf und Polaroid-Beweis für 1 DM, im Dreierpack für glatte 1,50 DM.

Das schielt zwielichternd auf die Wiederbele bung einer vergessenen Form des Schaulaufens und persönlichen Einsatzes in der Öffentlichkeit: Ganz aufs Diesseitige gerichtet die wandelnden

Politik-Plakate, mit der eigenen Person wortwörtlich hinter einem Programm stehend, bereit geohrfeigt und bespuckt zu werden, die Schaustellung am Pranger riskierend – heute aus dem öffentlichen Leben gänzlich verschwunden: damals tagesaktuell vorgeführt, bei jedem Wet ter, schlagwortartig, Stakkato in Wort und Bild: Einladung ins Wahllokal, um das Kreuz an richti ger Stelle zu machen¹ – und nicht auf den Fried hof unter diesem, dem Zeichen des Kreuzes.

1 Bundesarchiv Bild 102-13355, Berlin, Reichspräsidentenwahl April 1932.
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Ein Klopstockstock

Dieses Objekt verdankte sich zunächst einem plumpen Wortspiel: der Klopstock als Klopfstock, mit dem man klopfen kann, haha. Und wenn man dann noch der Dichter ist, der den Hexa meter aus der Versenkung herausgeholt hat, dieses rhythmische Ungeheuer – Homer vor ihm und Goethe nach ihm haben ihre Epen darein

weg als Wanderung verstanden werden.1 Miniaturen von Dokumenten seines Lebenswe ges, angeführt von einem Porträtstich, Anrede formeln für Fürst und König, Vertrag mit ihm, Testament für die Nachwelt, Unterschrift, jedes mit wetterfester Abdeckung. Der Klopstockstock steht in guter Nachbarschaft zum vorbildlich

gespannt wie andere auch – dann ist so ein Takt gebender Holzstab schon das passende Gerät. Die assoziativ bildhafte Verknüpfung des Dich ternamens mit dem Klopfstock als Wanderstock war relativ einleuchtend, jetzt musste nur die Idee des Wanderns in der Landschaft in die Fort bewegung in der Zeit überführt und der Lebens

ausstaffierten Wanderstock, der mit ehemals farbig gefassten Stocknägeln aus geprägtem

1 Ausdruck des Fortschreitens bei Brock, B., 24 Stunden Happening, 1965. „.. Gespielt: die Schwingungsweite des Krückstocks meines Großvaters. Drei Leute messen aus und wandern mit meinem Großvater über die Felder. Ich mache den jungen Herren. Leibeigene verprügelt...“, https://bazonbrock.de/werke/detail/?id=2982, abgeru fen am 15.3.2016, dazu auch Brock, B.: (ÄV) Köln, 1977, S.753.

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Messing ausgezeichnet wurde: Von der Okertal sperre, von Clausthal-Zellerfeld, Hahnenklee und Torfhaus, gekrönt vom Hirschkopf mit Geweih und der Brockenhexe. Dieser stolze Stock steht in einem ganz besonderen Verhältnis zu Klopstock: er wurde mir, AL, 1989 vom Pastor der Christianskirche vermacht, eben auch KlopstockKirche² genannt, den er dort spazieren geführt hat, wohl auch um sein Grab. Und so ist er ein würdiges Referenzmodell.

unterbrochen, die Bewegung kommt zum Still-stand. Am Ziel ? Eine Rast gefällig? Auf jemanden warten? Den Stock heben und in die Ferne weisen, um uns aufmerksam zu machen auf eine Besonderheit? Was sich später als Bild oder Name auf seinem Stock in Messing geprägt wiederfindet? Nein, er hält einfach inne, der Stock kommt zur Ruhe wie der Wanderer. Er zeigt nichts. Er wird Stütze und gelassenes Zeichen des Stillstands. Er benennt den Übergang vom

Während unserer Veranstaltung zu Ehren Klop stocks avancierte dieser Stock zum kabarettis tischen Requisit in der beherzt improvisierten Klopstock-Revue, vom Schau- und Verkaufstresen mit Vergnügen beobachtet, während der auf und ab spazierende Klopstock denselben selbstbewusst zu schwingen verstand.

Der Stock über dem Nebelmeer

Der Wanderer³ bremst seinen Schritt und bleibt stehen. Das rhythmische Fortschreiten4 wird

Fortschreiten zum Betrachten, von der Aktion zur Wahrnehmung. Das Innewerden verschließt sich jedem Dritten, die Rückenansicht versperrt uns nicht allein den Blick auf das, was sich dem Wanderer bietet, sondern auch in sein Inneres. Der Betrachter wird zum Moduswechsel aufgefordert und dazu, mit zu ziehen, inne zu werden. Das Gegenüber ist er selber.5 Und irgendwann wird es weitergehen.

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Siehe Brock, B.: Dreh dich endlich um, Kerl!, in: ÄV, 1977, S. 387
2 siehe „Bemooste Häupter“. Hier befindet sich Klopstock´s Grab. 3 C. D. Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818, Ham burger Kunsthalle. 4 im Takt des Hexameters, Abb.: https://simple.wikipedia.org/wiki/ Hexameter, abgerufen am 13.3.2018.
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Der Klopstockokoffer

Alle Klopstock-Requisiten wurden in einem maß geschneiderten hölzernen Koffer untergebracht, reisefertig und zur augenblicklichen Präsentation bereit – wie jeder fliegende/geflügelte – Händler seinen Musterkoffer braucht.

Der zerlegte Klopstockstock als Galionsfigur, Zeichen der Mobilität und Kühlerkrönung, ver körpert zugleich das vorauseilende Markenzei chen des Götterboten Hermes.

Die rustikale Anverwandlung des Hermesstabes wird bekräftigt durch die seitlichen Stützen des Koffers. Sie eifern den Flügeln an den Fersen des Hermes nach.

Der geflügelte „Diplomatenkoffer“ als Ausweis

erhaben ist und nicht für den schnellen Gebrauch bestimmt.

Um dann, in der Tradition der Wandelaltäre aufgebaut, auf eigenen Füssen sicher stehend sich als Schrein zu offenbaren, der die im trivia len Kleid daherkommenden Nachschöpfungen entsprechend überhöht.

Hermes, Übermittler der Entscheidungen der Götter und in Klopstocks Universum daheim, Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten, andererseits auch der Gott der Diebe, der Kunsthändler, der Redekunst und fortan als Vermittler und Friedensstifter

der Reisebereitschaft, wohin es auch immer gehen möge. Die Bot schaft, die er zu über bringen hat, kündet vom großen Poeten.

Der „Diplomatenkof fer“ enthält die „amt liche Korrespondenz“, die über alle Zweifel

unterwegs, hier auf schwarzgrundigem Ölgefäß „Lekythos“¹ nur als Grabbeigabe überliefert und nicht im Haushalt, verleiht dem Koffer eine weitere Dimension.

1 Abb. links: Hermes mit Flügelschuhen und Stab, attischer Leky thos, 5. Jahrhundert v. Chr., https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Lekythos_of_Hermes.jpg, abgerufen am 13.3.2018.

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