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Tee-Ritual – kulturelle Zuschreibung oder Familienkulturen sichtbar machen? Christine Pernter, Irmgard Oberrauch

Foto seiner Haustür mit und dieses wurde um den Stadtplan herum angebracht. Mit einem roten Faden wurde die Straße auf dem Plan mit dem Foto verbunden.

Amy: „Unsere Tür ist weiß und in Meran, in der Franziskustraße. Do wohnen gonz viele Leute und de sprechen olle deutsch, außer mein Papi net. Da ist ein Garten und es gibt a a kluane Hutsch. In der Wohnung gibt‘s mein Papi und meine Mami und mich und Ari.“

Das Plakat war lange Gesprächsanlass für die Kinder und die Erwachsenen in unserem Kindergarten. Es entstanden vielfältige Spielanlässe zum Thema Wohnen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Tür“ weckte neue Interessen und Impulse. So begaben wir uns in der Stadt Meran auf Spurensuche nach verschiedenen Haustüren und entdeckten dabei: Große Türen aus Holz wie zum Beispiel an der Landesfürstlichen Burg, elektrische Türen aus Glas zum Beispiel bei Geschäften, Türen aus Metall usw. Gemeinsam haben wir besprochen, welchen Zweck Türen erfüllen: Türen sind sowohl Ein- als auch Ausgang, bieten Schutz, Trennung aber auch Verbindung von Räumen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Tür“ hat noch viel Gespräche, Portfolioeinträge und persönliche Erkenntnisse bei Kindern und uns Erwachsenen nach sich gezogen.

Tee-Ritual – kulturelle Zuschreibung oder Familienkulturen sichtbarmachen?

Christine Pernter, Irmgard Oberrauch

Durch die Umstrukturierung der Räume haben wir in diesem Kindergartenjahr eine Kinderküche eingerichtet. Hier wird täglich die Jause zubereitet und alle Kinder des Kindergartens können Platz nehmen und mit Freunden die Jause genießen. An manchen Vormittagen wird auch gemeinsam mit den Kindern gekocht. In der Einrichtungsphase hatten wir Bilder von verschiedenen Gewürzen, Dosen mit Gewürzen und vieles mehr vorbereitet. So kamen wir ins Gespräch mit einigen Eltern, so auch mit Bouchra, der Mama von Elias. Sie erzählte uns von Gewürzen, die sie in ihrem Herkunftsland Marokko auch zum Teekochen benutzt hat. Im Austausch entstand die Idee, dass sie an einem Vormittag in die Kinderküche kommen sollte, um für alle Kinder Tee zuzubereiten. Eine weitere Mutter, Fatima, welche die Teezubereitung als Ritual und Teil ihrer Familienkultur sowohl in ihrer Herkunftsfamilie wie auch mit ihrer aktuellen Familie lebt, schloss sich begeistert an. Bereits am Morgen des angekündigten Besuches hatten Lina und Elias, die Kinder der beiden Mütter, all ihre Freunde in die Kinderküche gerufen. Als die beiden endlich kamen, wurden gemeinsam mit interessierten Kindern Grüntee und Pfefferminzblätter in einer silbernen Teekanne, genannt „Barad“ aufgegossen. Bouchra und Fatima hatten bunte Teegläser mitgebracht, die sie auch zu Hause beim Teetrinken verwenden. Bouchra goss den

Tee auf und stellte ihn zum Verkosten bereit. Wer wollte, konnte probieren. Der Tee schmeckte süß und intensiv nach Kräutern. Die Neugierde und das Interesse der Kinder waren groß, vor allem auch deshalb, da die zwei Mütter neben dem Tee viele leckere Köstlichkeiten mitgebracht hatten. „Des sein die leckersten!“, erklärte Lina ihren Freunden und ermunterte sie zum Verkosten von Mandelkeksen. Die Eltern erklärten, dass das Zubereiten von Tee in ihrem Herkunftsland Marokko und Tunesien in vielen Familien als Zeremonie begangen wird. Für beide Mütter ist dieses Ritual bis heute ein wichtiger Bestandteil im Familienleben geblieben. Elias und Lina waren sichtlich angetan, dass so viele andere Kinder Interesse zeigten, als ihre Mütter sich aktiv in der Kinderküche eingebracht hatten.

Für uns Fachkräfte stand und steht dabei etwas sehr stark im Fokus: Alle Kinder fühlen sich mit ihrer Familienkultur im Kindergarten willkommen, alle Eltern können sich einbringen. Vor allem aber ist es uns ein Anliegen, den Fokus auf die Familienkultur zu legen und kulturelle Zuschreibungen zu vermeiden. Unter Familienkultur wird „das jeweils einzigartige Mosaik aus Gewohnheiten, Deutungsmustern, Werten und Normen, Traditionen und Perspektiven einer Familie (...)“ (vgl. Kinderwelten) verstanden. Es ist also ein Tee-Ritual, das in den Familien von Lina und Elias begangen wird und nicht in allen „arabischen Familien“. Eine „Tradition“ der Familie, die ihren Ursprung in gewissem Maße auch im Herkunftsland der Mutter hat, aber die Reduzierung darauf würde außen vor lassen, dass die Familie ja noch von vielen anderen Einflüssen geprägt wurde.

In Gesprächen mit Kindern ist es uns deshalb auch ein Anliegen, Gemeinsamkeiten zu finden, so zum Beispiel wurde während der Zubereitung des Tees deutlich, dass in vielen Familien Tee getrunken wird und in fast jeder Familie andere Dinge dabei von Bedeutung sind. So war es zum Beispiel in der einen Familie wichtig, Orangen zu pressen und den Saft zum Tee zu geben, in anderen Familien war Honig wichtig und Zucker im Tee tabu. So wird deutlich, dass die Vielfalt des Teezubereitens nicht an „Nationalitäten“ festgemacht werden kann, sondern es innerhalb einer Kindergruppe unzählige Varianten geben kann. Das ist die Vielfalt an Familienkulturen.

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