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Eigenaktiv durch Advent und Weihnachten Rita Tratter
dass es sich nicht um ein Spiel handelt, das Martinsspiel, diesmal ist es das echte Leben, das uns überwältigt. Der Mann lächelt und bedankt sich. Auf unserem weiteren Weg gehen wir über einen langen, roten Teppich. Es findet gerade eine Veranstaltung auf der nahe gelegenen Promenade und im Kurhaus statt. Es sind viele verschiedene Sprachen hörbar – ein Spiegel der mehrsprachigen Gesellschaft und wohl auch der sprachlichen Realität unserer Gruppe von Kindern. Dekadent dünkt es mich, hier entlang zu spazieren und gleichzeitig Brot an Arme zu verteilen. Die Menschen in den Anzügen, in ihren Händen halten sie Weingläser. Es sind Zelte und Glashäuser für die verschiedenen Veranstaltungen aufgebaut. Es wird getrunken, gegessen und gelacht. Wir verlassen den roten Teppich und treffen einen weiteren Bettler und eine Bettlerin abseits des Trubels. Wir teilen das Brot. Dann ist unser Korb leer und wir gehen zurück in den Kindergarten. Gemeinsam mit den Kindern sprechen wir über das Erlebte. Zwei Kinder drücken aus, was sie erlebt haben und erzählen vom Teilen mit den Menschen. „Wir haben das Brot allen gegeben, weil sie haben nichts und immer ein Kind durfte der Martin sein. Alle wollten einmal der Martin sein“, erzählt ein Mädchen und ein weiteres Kind fügt hinzu: „Im Kindergarten spielen wir auch Martin, mit Pferd und Bettler und wir haben die Laternen genommen und gesungen.“ Ein Mädchen greift heute zum ersten Mal meine Hand und drückt sie fest an sich. Gerade so, als wären wir heute ein Stück zusammengerückt. Die Kinder waren alle dabei und haben erlebt, wie wir das Brot mit den bettelnden Menschen geteilt haben. Sie haben alle direkt miterlebt, was es heißt Solidarität zu zeigen. Sie waren alle Martin.
Eigenaktiv durch Advent und Weihnachten
Rita Tratter
Die Advents- und Weihnachtszeit bietet den Kindern vielfältige Anlässe und Gelegenheiten ihre sozialen Lebens- und Nahräume selbst mitzugestalten. Welche Bedeutung Advent und Weihnachten für die Kinder haben und wie sie diese Zeit leben, erleben und gestalten möchten, haben wir durch Beobachtung und Gespräche mit den Kindern erfahren. Mädchen und Jungen verbinden Advent und Weihnachten ganz eng mit ihren individuellen Erfahrungswerten. Solche Aussagen machen das deutlich: Advent ist für mich dann, » wenn der Nikolaus kommt. » wenn Weihnachten wird. » wenn man einen viereckigen Karton macht, wo
Spielsachen, Schokolade und Playmobile hineinkommen. In der Stadt kauft man ihn. Oben sind
Nummern drauf, dass man weiß welche man aufmachen muss. Das heißt Adventskalender.
Der Adventskalender hat viele Nummern, die erste Nummer ist eine 1. Bei 1000 sind die Nummern fertig. » wenn bei uns im Haus eine Adventkugel aufgestellt ist. Die schaut aus wie eine Erdkugel. » Die Erdkugel dreht sich. Wenn bei uns Nacht ist, dann ist in Amerika Morgen und wenn bei uns
Morgen ist, dann ist in Amerika Nacht. » wenn vier Kerzen auf dem Adventskranz sind, dass viel Licht brennen kann. Vier Kerzen sind auf dem Adventskranz, denn bei fünf Kerzen ist
Weihnachten schon vorbei.
Eine besondere Nikolausfeier Für das Fest des heiligen Nikolaus hatten wir uns in diesem Jahr eine neue Form des Feierns überlegt. Es war uns wichtig diesem traditionellen Fest wieder etwas vom wahren Sinn zurückzugeben. Der
verkleidete Nikolaus sollte nicht im Mittelpunkt stehen, sondern die Botschaft des Schenkens und Teilens. Diese Überlegung führte zu einem Nikolausfest ohne Nikolaus. Ein Gespräch mit den Elternvertreterinnen erschien mir angebracht; die Idee wurde positiv aufgenommen. Am Nikolaustag stand draußen im Garten ein Sack; auch die Legende erzählt von den geheimnisvollen Geschenken des Nikolaus. Die Kinder entdeckten diese Überraschung im Laufe des Vormittags vom Fenster aus. Lukas kletterte aus dem Fenster, holte den schweren Sack und schob ihn durch das Fenster ins Haus; viele erwartungsvolle Hände nahmen ihn in Empfang. „Manuel hilf mir den Sack aufzumachen, der Knoten ist zu fest!“, meinte Lukas. Die Kinder waren neugierig geworden und überlegten, was im Sack wohl drinnen sein könnte: „Ein Puppenwagen, ein Rennauto ein Traktor, eine Barbiepuppe.“ Die Kinder verstanden sofort, dass der Nikolaussack für alle Kindergartenkinder gedacht war und dass alle etwas von seinem Inhalt erhalten sollten. Jedes Kind nahm sich etwas aus den Sack heraus und achtete darauf, dass jede*r etwas bekam.
Der Sinn des Teilens und des Aufeinander-Achtens war bei den Kindern Wirklichkeit geworden. Ich betrachtete die Bereitschaft der Kinder zum Teilen als mein persönliches Nikolausgeschenk. Im An-




schluss versammelten wir uns zur gemeinsamen Nikolausjause und zur Erzählung aus dem Leben des heiligen Nikolaus.
Lichterkette und Christbaum In der Bewegungsbaustelle beobachte ich, wie einige Jungen an der Sprossenwand aus einem Seil und Wäscheklammern eine Kette anbringen. Sie erklären mir, dass sie heute im Kindergarten die Weihnachtsbeleuchtung montieren und dass das die Lichterkette sei. Am nächsten Tag stelle ich dem „Montageteam“ eine echte Lichterkette zur Verfügung. Sofort steigen sie darauf ein und unter genauesten Anweisungen von Lukas wird nun die Lichterkette an der Sprossenwand montiert. „Jetzt brauchen wir noch einen Christbaum!“ Die Kinder entdecken im Garten unter den Tannenzweigen, welche die Gemeindearbeiter gebracht haben, einen Baumwipfel einer Tanne. Eine Kleingruppe überlegt sich, wie sie den Baum aufstellen könnten und schon bald ist eine Lösungsmöglichkeit gefunden. Selbstorganisiert gehen die Kinder in den Garten, holen sich beim Kistenlager einen geeigneten Kübel, füllen ihn mit Sand und ziehen ihn mit gemeinsamen Kräften in den Raum herein. „Die Äste muss ich abschneiden, dass wir den Baum in den Sand hineinstecken können!“ stellt Lukas fest und geht mit der Handsäge ans Werk. Dann schmücken die Kinder ihren Christbaum. Jetzt ist gerade mal Mitte November.



