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KINDERBIBEL UND BIBLISCHE GESCHICHTEN

Ein altes Buch für junge Menschen!? Überlegungen zum Thema „Kinderbibeln“ und Kriterien einer „guten Kinderbibel“

Doris Thurnher Knoll

„Gott hat zwei Bücher geschrieben, das erste Buch ist das Buch des Lebens, das zweite ist die Bibel. Dieses ist nicht für sich selbst da, sondern hilft dazu, das Leben ... neu zu verstehen“ (Carlos Mesters).

Die Auseinandersetzung mit biblischen Texten im Kindergarten ist begleitet vom Anspruch, den Kindern die Person Jesu und andere zentrale Texte unseres Glaubens näherzubringen und ihre Fragen zu beantworten. Weiter gedacht bedeutet dies, dass jede Bibelstelle, die ich als pädagogische Fachkraft Kindern erzähle, immer auch mich als Person – mein Textverständnis, mein Gottesbild, meinen Glauben – anfragt und mich auffordert, Rede und Antwort zu stehen. Die Bibel als solche ist zunächst einmal kein Kinderbuch. Sie gibt Zeugnis von unterschiedlichsten, durchaus auch widersprüchlichen Glaubens- und Lebenserfahrungen, die Erwachsene mit dem lebendigen Gott gemacht haben. Kinder sind aber genau wie wir Erwachsene „Suchende nach“ und „Findende von“ Gottes Spuren im Leben. Leben und Glauben sind Wege, auf denen wir immer gemeinsam unterwegs sind. Die biblischen Texte erzählen gerade davon, suchen Antworten und halten die große „Sehnsucht nach“ und „Hoffnung auf Gott“ aufrecht. Diese Hoffnungstexte sind wesentlicher Bestandteil unseres kulturellen Erbes, das auch den Kindern gehört. Die biblischen Ursprungstexte bedürfen allerdings, um für Kinder zugänglich gemacht zu werden, einer Bearbeitung, die wir in Form sogenannter „Kinderbibeln“ vorfinden. Die Art und Weise der Bearbeitung der Ursprungstexte (Textauswahl, Verkürzungen, Zusammenfassungen, Vereinfachungen, Erläuterungen, Interpretationen ...) für eine Kinderbibel ist entscheidend für die Frage nach der Qualität derselben. Jede Kinderbibel stellt in gewissem Sinne einen „neu geschriebenen“ Text dar, indem der Autor beziehungsweise die Autorin Ursprungstexte überträgt und interpretiert – ein Vorgang übrigens, der grundsätzlich bei jeder Lektüre des Textes geschieht. Die Qualität der Bearbeitung des Ursprungstextes für eine Kinderbibel zeigt sich darin, dass der „neu geschriebene“ Text gleichzeitig kind- und bibelgerecht bleibt, also sowohl dem originalen Bibeltext wie auch den Bedürfnissen der Kinder als Lesende gerecht wird.

Bibel als Ausgangspunkt theologisch verantwortet Kinderbibel Kind Leser*in pädagogisch angemessen

Das Pendeln zwischen diesen beiden Polen gibt einer Kinderbibel ihren individuellen Charakter. Bei der Auswahl des entsprechenden Buches für die Arbeit mit biblischen Texten im Kindergarten gelten Kriterien, die nach Maike Lauther-Pohl (vgl. LautherPohl 2003, S. 10-25.) eben jenen beiden oben genannten Polen zugeordnet werden können.

Bibelgerecht Der biblische Stoff sollte in einer theologisch verantwortungsvollen Weise – auf Grundlage bibelwissenschaftlicher Erkenntnisse – bearbeitet werden und sowohl den biblischen Aussagen über Gott, Jesus, Welt und Mensch entsprechen wie auch von aktueller, d.h. für die Kinder von erfahrungsbezogener Bedeutung sein. Dieser Anspruch konkretisiert sich unter folgenden Gesichtspunkten:

» Symbolgehalt Biblische Texte bringen Grundsätzliches/Erfahrungen zur Sprache, die Menschen zu jeder Zeit, an jedem Ort (be)treffen können. Das Erzählte ist vielleicht nicht unbedingt wirklich (so) passiert, aber es ist wahr, weil es eine Bedeutung für Menschen über Jahrhunderte bis heute hat(te). Dieser symbolhafte Charakter biblischer Texte ist ein wesentliches Element, dem eine Kinderbibel/ein ausgewählter Text gerecht werden muss.

» Gottesbild Das Gottesbild der Bibel ist zahlreich und vielfältig. Das Erzählen von Gott mithilfe einer Kinderbibel hat die Aufgabe zu vermitteln, dass Menschen für ihre Erfahrungen mit Gott viele unterschiedlichste Bilder gefunden haben: Vater, Schöpfer, Freund, Begleiterin ... Wichtig ist aber auch, dass Raum bleibt, damit Gott nicht nur „der liebe Gott“ bleibt, sondern vielfältiger, unerschöpflicher und immer anders sein kann, als wir alle es uns vorstellen können.

» Jesus Die dogmatische Aussage, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch sei, ist wesentlicher Teil der Darstellung der Person Jesu – in Wort und Bild. Dies kann geschehen, indem Jesus den Kindern im Text als Mensch – wie sie selbst – und nicht überhöht als Wesen von einer anderen Welt oder gar als „Supermann“ begegnet. Seine Besonderheit und Gesandtheit von Gott soll aber sichtbar werden in seinem Verhalten (er wendet sich den Menschen zu, er sieht sie, er ermutigt sie, er ist da ...) und in seiner Botschaft vom Reich Gottes.

» Mensch- und Weltbild Eine Kinderbibel sollte vermitteln, dass jeder Mensch von Gott geschaffen, gewollt und angenommen und deshalb von unschätzbarem Wert ist. Dazu gehört in der Auswahl der Texte und Illustrationen wie der gewählten Sprache auch das Thema der Geschlechtergerechtigkeit.

Kindgerecht Der biblische Stoff sollte so bearbeitet sein, dass er für Kinder – je nach Alter, Lesegewohnheiten, Vorkenntnissen und Vertrautheiten mit religiösen Themen – ansprechend und verständlich gestaltet ist. Dieser Anspruch konkretisiert sich unter folgenden Gesichtspunkten:

» Illustrationen Bilder haben eine äußerst prägende Wirkung auf Kinder, es kommt ihnen deshalb eine zentrale Rolle zu. Jedes Bild ist immer schon eine Interpretation des Textes. Bleiben die Zeichnungen „offen“ und lassen Raum für eigene Fantasie und Gedanken, erleichtern sie es Kindern, sich in die Menschen und Situationen und damit in den Text selbst einzufühlen und ihn für sich zu erleben.

» Erzählsprache Auch bezüglich der verwendeten Sprache gilt es den richtigen Weg zwischen zu nüchtern und zu ausgeschmückt zu finden und damit Raum zu lassen für die inneren Bilder und eigenen Erfahrungen der Kinder.

» Textauswahl Die Auswahl der Texte einer Kinderbibel muss der Bibel als Ganzes (Altes und Neues Testament) und vor allem auch der Vielschichtigkeit ihrer Texte (Ur-

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