Warum wir ohne Hunger essen

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weil sie sich erfahrungsgemäß zunächst besser fühlte, wenn sie die Schokolade aß. Nahm sie zu viel der Süßigkeit zu sich, kippte das Wohlempfinden. Aber zu Beginn war es ein gutes Gefühl. Ich lud sie daraufhin ein, die Augen zu schließen, und sich für einen Moment vorzustellen, Schokolade hätte keine Kalorien und wäre gesundheitlich unbedenklich. Sie könne deshalb ohne schlechtes Gewissen so viel davon essen, wie sie wolle. Im Anschluss daran bat ich sie, sich mit weiterhin geschlossenen Augen vorzustellen, sie hätte ihre Lieblingssorten vor sich und würde nun mit dem Essen beginnen – so schnell oder langsam, wie es ihr gefalle. Sie könne die Leckerei in sich hineinstopfen oder gemütlich genießen, genauso, wie sie es brauche, ohne irgendeine Form von Einschränkung oder Verurteilung. Mithilfe ihrer Imagination schwelgte diese Frau daraufhin einige Minuten im Schokoladeessen. An ihrem Gesicht konnte man ablesen, wie es ihr dadurch immer besser ging. Als ich die Übung beendete, fragte ich sie, wie es ihr jetzt ginge. Strahlend sagte sie, sie würde sich nun viel freier fühlen, mehr Weite in sich wahrnehmen und eine Entspannung empfinden, die mit einem sehr schönen Gefühl von Lebendigkeit einherginge. Anschließend fragte ich sie, ob es nicht interessant sei, dass sie all dies erlebt hätte, ohne auch nur real ein Stück Schokolade gegessen zu haben. Es ist nicht die Schokolade an sich, die uns in einen bestimmten Bewusstseinszustand versetzt. Sie hat durch ihre Inhaltsstoffe, wie zum Beispiel den Zucker, zwar eine physiologische Wirkung auf unseren Organismus, aber diese reicht bei weitem nicht aus, um einen Esszwang, geschweige denn eine Essstörung auszulösen. Was uns an sie fesselt, ist das, was wir mit ihrem Verzehr verbinden. 65


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