PAFF der Film

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PAFF-THE MAGIC der Ort des Geschehens Die Ausstellung PAFF-THE MAGIC lebt vom Spontanen, Kurzfristigen. Zahlreiche Künstler schaffen Arbeiten, die nur ganz kurz an ihrem besonderen Standort verweilen und auf diesen reagieren. Doch was für ein Ort ist das eigentlich?

Quellenhinweise siehe letzte Innenseite

Die Ausstellung findet in einem Bau statt, der als altes Verwaltungsgebäude bezeichnet wird. Wie man bei genauerer Betrachtung erkennen kann, ist es kein Werk aus einem Guss, sondern sukzessive erweitert worden. Man sollte eher von einem Konglomerat aus drei Gebäudeteilen sprechen, an dem verschiedene Bauphasen abzulesen sind. Der älteste Teil ist der niedrigere Baukörper, erkennbar am markanten roten Sandsteinbogen an der Fassade. Direkt nach der ersten Bauphase hat der Verwaltungsbau nur zwei Geschosse. Die ursprüngliche Höhe entspricht der des Bogens. Dieser erste Gebäudeteil ist um 1900 entstanden und gehört zu den ältesten Bauwerken auf dem Areal. Man bedenke: Die später riesige Firma Pfaff mit Niederlassungen in aller Welt hat ihren Ursprung an der Ecke Mozartstraße/Eisenbahnstraße im Wohnhaus des Gründervaters Georg Michael Pfaff. Das Unternehmen wächst schnell, umliegende Grundstücke werden erworben und weitere Fabrikationsgebäude gebaut. Doch irgendwann sind alle räumlichen Kapazitäten in der Nachbarschaft des früheren Wohnhauses ausgeschöpft. Deswegen wird ab 1889 Gelände am Galgenberg, dem späteren Standort des Pfaff-Areals, angekauft. Der neue Baugrund liegt damals noch etwas außerhalb der Stadt und bietet reichlich Platz zur Expansion. 1896 werden die ersten Gebäude auf dem Areal errichtet. Der Umzug erfolgt in mehreren Schritten, einige Zeit wird parallel auf dem alten Gelände und am Galgenberg gearbeitet. In diese Zeitspanne des Umbruchs fällt die Entstehungs- und erste Bauphase des Verwaltungsgebäudes auf dem neuen Werksgelände. Auf einem Werkplan von 1904 ist es schon eingezeichnet. Schon in den 1920er Jahren wird das Verwaltungsgebäude

mit dem monumentalen Bogen um zwei weitere Geschosse aufgestockt. Doch dabei bleibt es nicht. Ab 1934 erfolgt die Erweiterung um einen geradlinigen, schlichten Bau mit klar gegliederter Fassade, der separat neben dem alten Gebäude steht und dieses überragt. Erweiterung und alter Teil werden durch eine Art „Brücke“ miteinander verbunden, die die nüchterne Gestaltung des Neubaus aufnimmt. 1936, im Produktionsjahr der dreimillionsten Nähmaschine, ist das Gebäude vollendet. Die Erweiterung fällt etwas unprätentiöser aus als ursprünglich geplant, Zierelemente werden weggelassen und stattdessen auf klare, zurückhaltende Formen gesetzt. Konstruktiv verbirgt sich hinter der schnörkellosen Fassade ein Stahlskelettbau. Das Innere ist zweckmäßig, aber qualitätvoll gestaltet: Die Räume sind am praktischen Nutzen orientiert, gleichzeitig aber auch großzügig und lichtdurchflutet. Da Pfaff seit etwa 1939 Rüstungsbetrieb ist, rückt das Areal im Zweiten Weltkrieg in den Fokus der Alliierten. Bei den Bombenangriffen 1944 wird das Werksgelände am Galgenberg zu ca. 60 Prozent zerstört. Das alte Verwaltungsgebäude trägt jedoch nur kleinere Schäden davon und bleibt im Wesentlichen unversehrt in seiner ursprünglichen Form erhalten. Nach dem Konkurs und dem Verlassen des Geländes steht auch das alte Verwaltungsgebäude leer. Die Zeit scheint eingefroren, alles bleibt erst einmal wie am letzten Tag der Nutzung zurück. Dann setzt ein langsamer Verfall ein. Dieser Dämmerzustand hat bald ein Ende, das Gebäude soll saniert und umgenutzt werden. Unter anderem sind Wohnungen geplant. Und genau diese Lücke zwischen alter und neuer Nutzung, zwischen Zerfallen und Neuentstehen, nutzt die Künstlerwerkgemeinschaft für ihre Arbeiten. Sie reagiert auf einen labilen Zustand, eine Fuge zwischen Vergangenheit und Zukunft, mit Kunstaktionen, die genauso flüchtig und gerade dadurch eindrücklich sind. Sara Brück


1TES STOCK WERK



1 Fabian Knöbl – Skulptür Die Eingangstür wird von vielen unterschiedlichen Türstoppern offen gehalten. Diese habe ich von verschiedenen Ateliers von Künstlerinnen und Künstlern erhalten. So wird der Innenraum/Ausstellungsraum unmittelbar mit dem Außenraum verbunden. Der Ausstellungsraum öffnet sich den Besuchern.


2 Michael Fetzer – Paul Breitner „Am besten schicken wir die Punkte gleich mit der Post“ Paul Breitner (FC Bayern München) 1982 nach einer der schon obligatorischen Niederlagen auf dem Betzenberg.

Hört auf Günther Netzer, werdet Hausbesetzer! In der Kunst ist es anders als beim Fußballspiel. In Abseitsstellung erzielt man die meisten Treffer Edgar Degas

Mit seinem Porträt von Paul Breitner war Michael Fetzer im Dezember 1996 „Künstler der Woche“ in der SportBild.


3 Volker Tinti – Palmyra ist überall Latex/Acryl auf MDF/Holz, 75 x 105 cm, 2017


4 Thomas Brenner – Introscope Drei Werke aus der Serie „introscope“, 95 x 126,5 cm, 2013/15 Inkjet auf Hahnemühle photo rag, Holzschattenfugenrahmen, Auflage: 3 Exemplare


5 Norbert Roth – Reflexion ZickZack, Digitalprints auf Metall, 2200 x 76 x 30 cm, 2016



2TES STOCK WERK




6 Klaus Harth – Vom blutenden Druck und den Unannehmlichkeiten der Schwerkraft Eine kleine Intervention für die alte Stechkarten-Box. Die Stechkarten-Box, inzwischen von Sprayern rot besprüht, wird mit einer Reihe von stechkartenähnlichen Karteikarten bestückt, die, minütiös datiert, Datum, Uhrzeit, Gewicht, Blutdruck und Pulsschlag des Autors verzeichnen. Liebevoll mit einer alten TriumphSchreibmaschine aufgebracht. Der allgegenwärtige digitale Selbstoptimierungswahn findet hier seinen Nachhall, ebenso gibt sich hier ein Individuum mit sensiblen persönlichen Daten der interessierten Öffentlichkeit preis – die Stechkarten in früheren Zeiten waren ja auch kaum etwas anderes als eine Dokumentation von (Arbeits-) Leben und Zeit. Außerdem werden die von fremder Hand gesprühten roten Linien durch die Unterbrechungen der Kärtchen noch schöner.




7 Veronika Olma – PAFF-THE MAGIC Von Haus aus „Malerin“ änderte sich meine Berufsangabe im Laufe der letzten Jahre zu „Bildender Künstlerin“, weil dieser Begriff auch Installationen, Objektkunst, Aktionen, Fotografie, Konzeptkunst usw. enthält, was mich zunehmend interessierte. In der Arbeit bei „PAFF-THE MAGIC“ habe ich mein Malerei-Archiv aus unserem Haus in Enkenbach auf einen mehrwöchigen Urlaub ins Alte PFAFF-Verwaltungsgebäude geschickt. Der Betrachter erhält den Blick auf das ausgelagerte Bildermaterial ausschließlich durch ein ausgebrochenes Fenster im alten PFAFF-Archiv in dahinterliegende Räume. Er hat keinen Zutritt, er kann nur das sehen, was der Rahmen zuläßt. Hinter diesem Raum befinden sich noch weitere Räume und Fenster, durch die man einen Blick über die Stadtlandschaft von Kaiserslautern erhalten kann. Feinsäuberlich in transparente Folie gehüllt, zum Teil ausgepackt, stehen und liegen sie nun in verschiedenen Größen gestapelt in kleinen oder größeren Haufen zusammen. Sisalschnüre sind teilweise noch um die Schutzhülle geschlungen. Die feine Folie und die Schnur signalisieren: Das ist nicht nur ein Kunsttransport von a nach b. Die Bilder erzählen eine Geschichte und stellen Fragen, auch wenn sie verhüllt sind und man nur ahnen kann, was auf der Leinwand eigentlich zu sehen ist, und was auf der Rückseite geschrieben steht. Z.B. Warum sind es so viele? Warum stehen sie schon so lange im Archiv in Enkenbach (siehe Jahreszahlen auf der Rückseite)? Sind manche Bilder geheimnisvoller und damit besser, wenn sie transparent verhüllt sind? Wohin geht die Reise demnächst? Bleibt jemand hier in den neuen Wohnungen? Neben dem ganz persönlichen Nachdenken über den Wert der eigenen Malerei kommt die Frage hinzu, welchen Stellenwert die Malerei an sich in der zeitgenössischen Kunst hat ... Der Betrachter vor dem Fenster nimmt die bekannte Position einer Rückenansicht von Caspar David Friedrich ein, während sein Blick über die Bilderlandschaft - und die Stadtlandschaft - streift. Damit ist diese Arbeit auch eine Hommage an den großen Romantiker. Ganz der Idee des Übergangs von „PAFF-THE MAGIC“ gefolgt, nämlich von dem „nicht mehr“ nach „noch nicht“ symbolisieren die verpackten Malereien auf Keilrahmen den Zustand von verschiedenen Sehnsüchten und Hoffnungen. Veronika Olma – Mai 2018

8 Silvia Rudolf – What´s left of the archive? Oilstick auf Papier/Plastikhüllen/Hängeregister, 2018 Ein Archiv mit (fast) allem, was bei PFAFF gefertigt wurde: Schraube, Hebel, Fadenführung, Steuerscheibe, Zugfeder ... Was bleibt davon? Erinnerungen an die vergangene Zeit einer großen Firma oder die Reduktion dreidimensionaler Objekte auf die Zweidimensionalität oder ...? www.silvia-rudolf.de





9 Jörg Heieck – Pfaffwerk 1-5 Piezo - Pigmentdruck, 40 x 60 cm, Auflage 5 Exemplare


Jörg Heiecks Arbeiten sind in den beiden Jahren direkt nach der Werksschliessung entstanden und wurden 2012 im Theodor-ZinkMuseum ausgestellt. Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit knapp 30 Photographien, Ina Bartenschlager hat Wortbilder zum Projekt beigetragen. Ende der 1980er Jahre war Jörg Heieck als Werkstudent mehrmals im Pfaffwerk tätig und kennt das Gelände sehr gut; manche Bereiche hatten sich seither kaum verändert. Die Arbeiten zeigen Räume, die anscheinend in großer Eile verlassen wurden. Seither hat er den langsamen Verfall der Gebäude photographisch festgehalten und es sind mehrere große Bildserien in verschiedenen analogen, digitalen und experimentellen Techniken entstanden. Workshops und Hochschulveranstaltungen auf dem Werksgelände und sein Engagement als Gründungsmitglied der Initiative PESG zeigen seine tiefe Verbundenheit mit dem Pfaffwerk als ganz wichtigen Teil der Stadtidentität Kaiserslauterns.


10 Michael Geib – Jumping Jack Flash


11 Gertrud Riethmüller und Eva Paula Pick – Tschitschi – Gas Diese Installation bespielt die eigenwillige Raumsituation eines kleinen „Wärterhäusschens“ innerhalb des Verwaltungsgebäudes von Pfaff. Aus dem Innenraum des 1 qm großen Häusschens dringt ein gehetztes Gespräch. Es ist der Dialog eines Fabrikbesitzers mit seinem Ingenieur. Verzweifelt versuchen beide, Minuten vor der unvermeidbaren Katastrophe einer Gasexplosion, den (existentiellen!) Fehler, der die Explosion verhindern könnte, ausfindig zu machen. Auf dem Boden vor dem Häusschen bewegt sich eine Textur aus Kreppband wuchernd auf das Gesprochene zu. Gas vielleicht. Visualisiert als ästhetisch- harmlose Form. Sichthülle vielleicht. Die Gedanken um industrielle Kontaminationen überdeckt. Georg Kaiser (Gas-Drama I) und Stefan Baumann haben den von Eva gesprochenen Text mit Worten und akustischer Bearbeitung unterstützt. Die Kreppbandtrechnik ist von Gertrud entwickelt. www.gertrud-riethmueller.de www.literaturport.de >autorenlexikon>eva paula pick 12 Judith Leinen – SCULPTURE SPACE, UTICA, NEW YORK Abgehangene Decke, Zip-Lock Tüten, manuelle Poly-Umreifung, Faden, Gorilla-glue, Tinte, Joss Gebetspapier, 61 x 61 x 61 cm Die zusammenklappbare Skulptur ist hergestellt aus ortstypischen Materialien: Die billigsten Akustik-Deckenplatten und Zip-Lock Tüten der Walmart Eigenmarke „Great Value“ sind ihre Hauptbestandteile. Sie reist durch die Stadt und die vielen Zwei-mal-Zwei-Fuss großen horizontalen Galerien und rastet dort ein, wo das immer gleich geformte wiederkehrende Raster der abgehangenen Decken den Raum abschliesst. Einer aufgedruckten Aufbauanleitung folgend dehnt sie sich in jedes vorgefundene Raumvolumen aus und verbindet Boden, Wände und Decke. Sie öffnet ein Tor in das geheime Unbekannte darüber.


3TES STOCK WERK



13 Klaus Harth – „Ich kann mich leider überhaupt nicht mehr konzentrieren“ Ein separater Raum mit Zeichnungen, zwei Stühlen und einem zusammengekehrten Haufen Dreck, assoziative Hängung „Nicht die Dinge verwirren den Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge“ Epiktet „Ich fahre falsch herum durch den Kreisel und ziele rückwärts auf die Autobahn, blicke in den Rückspiegel und erkenne Zukunft oder Vergangenheit“ Klaus Harth Da ich meine Arbeit als ein diskontinuierliches Kontinuum verstehe, bestehend aus einem fortdauernden Malen und Zeichnen, Texten und Beobachten, einem ständigen Aufnehmen, Verstoffwechseln und Neu-Ordnen von Wahrgenommenem, Begriffen und Begriffenem, als ein ständiger Versuch, das eigene Denken flüssig zu halten, scheint mir diese Präsentationsform, die sich einer gewissen Linearität deswegen auch konsequent verweigert und dieser Arbeitsweise vielleicht ein wenig entgegenkommt, eine für mich geeignete. Eine kaleidoskopartige, wild assoziative Hängung vesteht sich u.a. als bewusstes Gegenmodell zur beliebten künstlerischmarktkompatiblen Praxis, wiedererkennbare und vergleichbare Markenartikel zu präsentieren, ebenso aber auch als Gegenmodell zur eher haltlosen Vernetzung des Internets.


14 Roland Albert – Jalousie/Großer Hut/Tedride




15 Gela Steinmacher – Ohne Titel Blütenblätter auf Glas/vergänglich, Mai 2018 Mein ursprüngliches Arbeitsmaterial ist gefärbtes Seidenpapier. Dieses Papier ist für mich so faszinierend, da es einer sofortigen Assoziation einer Hülle oder Haut gleichkommt. Ein Thema, das mit der Berührung, der Begegnung, dem Austausch und dem Kontakt zwischen Menschen zu tun hat. Diese Beobachtungen und Eindrücke, die täglich stattfinden und die aneinandergereiht für mich einen Prozess darstellen, beinhalten immer wieder Spannungsmomente, die es gilt für mich festzuhalten. Durch eine künstliche Beleuchtung von hinten habe ich bei manchen Arbeiten entdeckt, dass durch die unterschiedlich starken Schichtungen des verwendeten Papieres sehr viele Farbnuancen der Ausgangsfarbe sichtbar wurden. Ein für mich beindruckendes Phänomen! Auf dieser Spur hatte ich den Gedanken, die in diesem Frühling so üppige Natur mit ihren zahlreichen Blüten zu nutzen und etwas Vergängliches zu gestalten, ähnlich dem kurzen „Nutzungs-Übergangmoment“ dieses Gebäudes. So kommt dieser Arbeit an der Front des Raumes hoffentlich etwas Kathedrales zu.


16 Marcel Friedrich Weber – Narr Gips, Flusen, Kunststoff 62 x 64 x 86 cm, 2017 Meine Arbeit entwickelt sich stets zu einer Thematisierung von Oberflächen und Oberflächlichkeiten. Zu Beginn steht immer ein Material mit eigener Haptik, Oberfläche, Geschichte. Dieses dient als Hülle. Ich lenke Gussmaterial in dieses Material; die Schwerkraft zieht nach unten, dehnt das Material; chemische Prozesse lassen das Gussmaterial erhärten. Nach dem Befüllen des Negativs bin ich auf diese natürlichen Kräfte angewiesen, überlasse ihnen das letztliche Formen und Transformieren. Meine Arbeiten schwingen dann immer wieder zwischen dem Originalmaterial des Negativs und dem Gussmaterial. Dabei bilden meine Plastiken Anknüpfungspunkte für Assoziationen und Bilder.


17 Shakti Paqué – Dialog#301 Fotografie 60 x 90 cm, Auflage: 5 Der Titel DIALOG erläutert die Vorgehensweise. Zwei Kleinbild-Dias von zwei Fotografen/Fotografinnen aus zwei unterschiedlichen Zeiten treffen in einem Dia-Rahmen aufeinander. So entsteht eine Fotomontage, die allerdings ohne jede Form der Bearbeitung auskommen muss. Die zwei Dias verschmelzen zu einem neuen Bild oder eben nicht. Da die Bilder nicht beschnitten, sondern passgenau in dem Rahmen übereinander gefügt werden, gibt es keinen Spielraum für Manipulationen. Die Arbeit lebt von den Dia-Spenden der Besucher. Sie können an der Serie mitwirken, indem Sie ihre Dias abgeben. Kontakt: 0176 21634313 oder info@shakti-paque.de


18 Volker Tinti – 08/05/1949 – 60 Jahre Schwarz-Rot-Gelb Teil 1 und 2, Acryl auf Karton – je12 Arbeiten je 60 x 50 cm, 2009


19 Klaus Martin Hartmann – Reliquienschrein Pfaff Bronze, 2018 Ein Kinderspielzeugkühlschrank wird transformiert in pure Bronze. Material der kirchlichen Reliquienschreine, die unserer Hoffnung, Glaube und Träume als geistigem Kommunikationspunkt dienen. Öffnet man diesen Schrein, erscheint meist ein Fragment des/der/die/das Anzubetenden. Meist ist das Objekt aus der Vergangenheit; wie auch die abstrakte Bronzenähmaschine. Lust zum Anbeten!?!



20 Reiner Mährlein – Pressé – Stahl und Granit Durchdringungen und Verbindungen von Materialien und Formen mit unterschiedlichen Strukturen bestimmen sowohl die Plastiken als auch die Papierarbeiten. Schwere und Leichtigkeit entwickeln eine spannungsvolle Wechselbeziehung. So sind die plastischen Arbeiten aus dem künstlich geformten Material Stahl und der Urmaterie Stein (vor allem magmatisches Tiefengstein) aufgebaut. Durch diese und zwischen diesen Materialien wird ein Spannungsfeld erzeugt, sozusagen ein Kräftemessen von Wirkung, Gegenwirkung und Ergänzung. Die Papierarbeiten, meist Kombinationen aus Rost - Monotypie bzw. Tiefdruck und Prägedruck, stehen, obwohl sie eigenständig sind, immer in enger Beziehung zu den Plastiken. Die auf das Papier gedruckten Stahlplatten mit ihren Oberflächenstrukturen wie Rost, Brennspuren und Schweißnähten bilden mit in das Papier geprägten Granit - Bruchflächen ein räumliches Gefüge.




21 Bea Roth – Das Wesentliche (die letzten Paffianer) Installation, 2018 Was ist - ist mal gewesen Einst viele Wesen - sind hier gewesen Nur Wesen - ohne Leben Lassen lesen - waren mal gewesen Diese Wesen - nur für den Besen Jetzt gewesen. Die letzten Pfaffianer Ich betrete einen Raum. Jeder Schritt gedämpft durch einen Teppich aus Staub, Das Licht durch die Fenster seidig gefiltert. Was hier einmal geschah? Viele Geschichten gestalten meine Gedanken, Mit Begeisterung für Dinge, die zu sehen sind. Meine Blicke schweifen durch den Raum, Keine Menschenseele. War einst gefüllt mit heiterem Leben, Jeder hatte seinen Platz und konnte alles geben. Doch heute ist von all dem nichts zu sehen. Es entsteht ein Bild, nur ganz vage. Was bleibt ist Staub und die Erinnerung an gewesene Tage. Viele der Insekten wurden im Pfaffgebäude gefunden und gesammelt, keine Insekten kamen dabei zu Schaden. bearoth@gmx.net


22 Marta Maria Mróz – Kleid/Schwarz-Fotografie/Taschentuch Fototransfer und Laserdruck, 2017 Marta Maria Mróz besitzt eine umfangreiche Sammlung von Frauenportraits, die sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Fotostudios ablichten ließen. Diese Portraits sind ihr Ausgangsmaterial für ihr mehrteiliges Werk DUNKLE MATERIE. DUNKLE MATERIE ist eine Auseinandersetzung mit den Themen Weiblichkeit, Körperlichkeit, Scham und Lust. Anlass für das Werk DUNKLE MATERIE ist die Verarbeitung von sexualisierter Gewalt an einer Frau im Umfeld der Künstlerin. Die Künstlerin möchte den Opfern eine Stimme geben und sie sichtbar machen. Ein altes weißes Leinenkleid, über und über mit kleinen Schwarz-Weiß-Portraits unbekannter Frauen bedeckt. Die Brustbilder stammen aus der historischen Sammlung. Durch ein Transferverfahren druckt Marta Maria Mróz die kleinen Bildnisse direkt auf den Stoff. Durch die manuelle Technik verschwimmen oder verlaufen viele Frauen. Eine Dynamik entsteht. Aus Flecken werden Gesichter. Manche sind scharf, andere verblassen. Man möchte eintauchen in das Leben all dieser Frauen. Das Leinenkleid steht als Platzhalter für die Leben der Portraitierten. Betrachtet man die neun Fotopaare, so stellt sich gleich die Frage: Was sehe ich eigentlich? Zuerst scheint der Betrachter neun schwarze Flächen-paare zu sehen. Jedes Bild wird von einem schwarzen Passepartout umrahmt. Verändert der Betrachter seinen Standpunkt, entdeckt er, dass jedes Paar aus einem Portrait und einer Aktfotografie besteht. Die Portraits stammen aus der historischen Sammlung der Künstlerin. Das Modell der Akte ist immer gleich. In verschiedenen Posen steht sie als Stellvertreterin für das Leben der Frau. Es lohnt sich, mehrmals an den Bildern vorbeizugehen, durchaus auch zu verschiedenen Tageszeiten. Das Licht und der Standpunkt verändert die Arbeit, holt die Porträtierten ans Tageslicht oder aber hilft ihnen, sich erneut im Dunkel zu verbergen. Es braucht nicht das Zurückgehen in ein anderes Jahrhundert, um sich mit dem Thema Gewalt konfrontiert zu sehen. Alltägliche sexualisierte Gewalt in Familien oder dem sozialen Umfeld ist „unsichtbar“. Menschen, die sexualisierte Gewalt in ihrem sozialen Umfeld erfahren haben, werden sowohl innerhalb ihrer Familien als auch in der Gesellschaft mit ihren Erlebnissen häufig in Frage gestellt und das Geschehen in seiner Bedeutung heruntergespielt oder sogar negiert. Marta Maria Mróz gibt den Opfern eine Stimme. Neun Frauen erzählen von sich als Stellvertreterinnen. Diese Stimmen sind eindrücklich und lassen viel Raum für den Betrachter. Sie erzählen wahre Geschichten und machen Hoffnung auf Heilung.



23 Stefano Cattaneo – Das rote Gerüst – 2013/2018 Ursprung einer philosophischen Haltung Im Titel der Arbeit wird die Ambition deutlich, mit der Cattaneo sein Werk programmatisch verknüpft. Hier wird die Haltung eines Künstlers zum Ausdruck gebracht und mit dem Ziel in den Raum gestellt, sich an dieser Stelle zu behaupten. (...) Als Maler schafft Cattaneo seit Jahrzehnten neben Gemälden, Collagen, Zeichnungen und Plastiken auch Installationen, die den Raum, in dem sie sich befinden, neu konnotieren – nicht nur durch ihre Größe und Farbigkeit, sondern auch durch ihre Platzierung und Erscheinung in Relation zu ihrer Umgebung. So behaupten sich Cattaneos Installationen in vielen Fällen auf der Grundlage ihres subtilen, in feinsten Nuancen artikulierten Kolorits, auch deshalb, weil sie anders sind als die Welt um sie herum erscheint, als anders wahrgenommen


werden wollen und, wie im Fall des „roten Gerüsts“, Ausgangspunkt für eine neue Betrachtungsweise der Realität und Ursprung einer anderen Denkweise sein sollen. (...) Stefano Cattaneo hat eine Kunstruktion in einer an ein Baugerüst erinnernden Form konzipiert, die die Farbe Rot in vielfachen Überlagerungen transparenter und semitransparenter Farbträger zur Entfaltung bringt. Die scheinbar provisorische Bauweise lässt den Eindruck einer noch unfertigen räumlichen Situation entstehen, die an eine Baustelle erinnert. Im Unterschied zu früheren Installationen, z.B. seiner Arbeit „Serenissimo“ (1990), die den jeweiligen Ausstellungsraum mit einer zeltartigen Konstruktion aus blauen Stoffen füllt, in die man wie in ein Iglu eintreten kann, um ganz in die Farbe einzutauchen, steht „das rote Gerüst“ als farbiges Objekt im Raum dem Betrachter gegenüber (...) So scheinbar improvisiert es auch aufgestellt erscheinen mag: Die Brisanz und Unausweichlichkeit der Begegnung des Betrachters mit dem neuen Objekt konkretisiert sich in seiner, intensiven, vielschichtigen, zugleich kräftigen und zarten Rotfarbigkeit. Andrea Edel


24 Marie Gouil Jupes volantées – Installation Baumwolle, Knöpfe, Leim, Lehmfarbe, Zement, Batteriemotoren. Ton: Stephan J. Baumann Manteau – Objekt Baumwolle, Knöpfe, Leim, Lehmfarbe, Zement Adossé – Installation Baumwolle oder Leinen, Leim, Lehmfarbe, Lack. Marie Gouil ist eine deutsch-französische Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in der Pfalz. Ausgangspunkt für ihre Arbeit sind oft alte, wiederentdeckte Stoffe und Kleider, die sie in diversen Materialprozessen rekontextualisiert. Vergänglichkeit und Wiederkehr sind zentrale Momente in ihrer zeitlosen Poesie. Die ausgestellte Werkgruppe ist im April und Mai 2018 auf dem Pfaffgelände eigens für PAFF-THE MAGIC entstanden. www.mariegouil.com



25 Michael Fetzer – Lange Latte und Readymades Am Anfang stand die Idee, in das große Gebäude keinesfalls nur kleine Bildchen zu hängen, sondern auch außen und im Maßstab passend etwas hinzuzufügen. An das Gebäude gelehnt wirkte die lange Latte jedoch mickrig, obwohl sie 7,50 m misst. Deshalb nahm ich mein Auto hinzu, das sich zwischen die beiden silbernen Abfallcontainer gut einfügt und die Besucher, vom langen Fußweg kommend, sanft und als sichtbares Zeichen zum Eingang leitet. Die lange Latte ist eine ordentliche Linie, wie mit dem Lineal gezogen. Ordentlich gearbeitet wurde sicher auch in unseren Ausstellungsräumen, ordnungsgemäß verwaltet, geplant, getippt, gestempelt und abgeheftet – ungefähr hundert Jahre lang. Bald jedoch wird hier renoviert, dann werden die ersten Mieter und Eigentümer einziehen und hier wohnen. Ich suchte nach Gegenständen, Objekten, Readymades, die diese beiden Narrative verkörpern. Einerseits die Vergangenheit, die Verwaltung: graue Ablagefächer, Schreibmaschine, Telefon, aber auch Perserteppiche und Paul Breitner. Andererseits das zukünftige Wohnen; dafür führte mein Weg mich in eines der vielen Möbelhäuser Kaiserslauterns, die Poco Domäne, dort kaufte ich billige Wohnaccessoires. Auf diese Weise ausgestattet war ich bereit, zufällige Begegnungen stattfinden lassen, wie Lautréamont es empfohlen hat, PAFF-THE MAGIC. Im „kleinen Treppenhaus“ habe ich einige Readymades installiert; im gesamten Gebäude finden sich rotweißgestreifte Objekte, die nicht von mir stammen. Was könnte Kunst sein, was eher nicht? Jeder Besucher, jeder Mensch hat das Recht, eigenmächtig Objekte zu Kunstwerken zu erklären; denn manchem gefällt vielleicht eine schlecht gestrichene, jahrelang verdeckte gerahmte Fläche viel besser als eines der absichtlich von mir an die Wand montierten Objekte. Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es niemandem verraten. Pablo Picasso Im Jahr 1968 entwickelten Piero Gatti, Cesare Paolini und Franco Teodoro den Sacco. Dieses Jahr feiert der Sitzsack seinen fünfzigsten Geburtstag - und ist immer noch ein wirkungsvolles Symbol. Mit jedem Sitzen bildet sich eine neue Form, eine neue Skulptur, eine neue Idee. Vielleicht können Kaffeesatzleser in einem Sitzsack erkennen, wie die Zukunft sein wird, und wie das Pfaffgelände in 10 oder in 20 Jahren aussehen wird. Wird es von konfektionierter Investorenarchitektur geprägt sein, sauber und ordentlich, aber leblos? Oder wird es Kultur geben, sogar ein freies Kulturzentrum? Grünflächen und Radwege? Einen Biergarten? All das wünschen sich viele Bürger der Stadt Kaiserslauteren. Mehr Jazz, mehr magic ...



26 Eva Paula Pick und Gertrud Riethmüller 831 Kalenderblätter Die Installation: zwei Fensterreihen, zwei kahle, weiße Wände und ein Stuhl, umgeben von losen Blättern. Ein Raumbild,das aus einer Performance entstand. Auf dem Stuhl saß jemand (Gertrud) und riß Blätter von einem Kalender. Durch den Raum bewegte sich jemand (Eva) und las einen Text. Der Text ‚gleich anders‘ von Eva Paula Pick spricht über Gleichförmigkeiten und Zäsuren im Dasein von Menschen, Dingen und Landschaft. Die nüchterne Komposition des hinterlassenen Raums spiegelt diesen Strom der Zeit, das Vergehen und Entstehen von Bewegung, ein Warten. Von außerhalb, durch die zerbrochenen Fenster des vor dem Raum liegenden Ganges geblickt, nehmen wir vor allem Leere wahr, aus der sich möglicherweise etwas formen kann. „Ganz und gar ordentlich ähnlich ändert sich alles.“ Vor 4 Jahren sind wir, Gertrud und Eva, einander in der Mark Brandenburg zum ersten Mal künstlerisch begegnet. Die eine performend und installationskünstlerisch tätig, die andere schreibend und (laut)performend. www.gertrud-riethmueller.de www.literaturport.de >autorenlexikon>eva paula pick




Herzlichen Dank an Lukas Sorek, dem Eigentümer des Gebäudes, der uns diese atmosphärischen Räume zur Verfügung gestellt und auch sonst immer unterstützt hat. Außerdem Dank an Hermann Jagsch, Konrad Schmitt, Christoph Dammann, das Amt für Bauordnung Kaiserslautern, Sara Brück, Andreas Hobelsberger-Rhodes, Hubert Steinmacher, unsere Fördermitglieder, Freunde und Wegbegleiter. Dank an alle Gastkünstler und Musiker! Quellenhinweis: Gärtner, Ingrid: Industrialisierung Kaiserslauterns seit dem 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Pfaffwerke. Schriftliche Hausarbeit zur 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen. Kaiserslautern 1960|Müller, Rolf: Nähmaschinenfabriken in Kaiserslautern. G. M. Pfaff, A. Laubenheimer, Gbr. Kayser, Deutsche Singer-Nähmaschinen-Fabrik König & Cie., Kaiserslauterer Nähmaschinenfabrik, vorm. König &Co., J. Lampel, Greist-Werke Nähmaschinenzubehör. Kaiserslautern 2011|Oexner, Mara (Bearb.): Stadt Kaiserslautern. Worms 1996 (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Bd. 14. Hrsg. v. Landesamt für Denkmalpflege)|Der Pfaffianer (Diverse Ausgaben)|Pfaff-Mitteilungen (Diverse Ausgaben) Abbildungen: Michael Fetzer, Jörg Heieck, Marta Maria Mróz, Veronika Olma, Bea Roth

www.paff-the-magic.de

www.kuenstlerwerkgemeinschaft.de

www.pfaff-erhalten.de

www.paff-the-magic.de/projekt/paff-der-film/

Herausgeber: Künstlerwerkgemeinschaft Kaiserslautern e.V. Redaktion: Michael Fetzer Art Direction: ARTvonROTH

www.kulturwerkpfaff.de



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