hörbar 01 | 2018/19

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DR. RAPHAEL VON HOENSBROECH in Japan geboren, mit drei Jahren erster Geigenunterricht

Studium Musikwissenschaft, Philosophie sowie Schuld- und Urheberrecht Magisterarbeit und anschließend Promotion über Mendelssohns Oratorium »Christus« 2005 – 2013 Unternehmensberater für die Strategieberatung The Boston Consulting Group (BCG) 2013 – 2018 Geschäftsführender Direktor am Konzerthaus Berlin neben dem Studium Ausbildung zum Dirigenten, später Entwicklung eines Orchester-Workshops für Unternehmen, der das Thema Führen aus der Perspektive des Dirigenten beleuchtet wohnt seit August 2018 in Dortmund mit seiner Frau und fünf Kindern ab der Saison 2018 /19 Intendant und Geschäftsführer KONZERTHAUS DORTMUND

Wie kam es dazu, dass Sie in Japan geboren wurden? Mein Vater hat damals für Bayer gearbeitet, wo er so etwas wie Finanzchef für Ostasien war. Später machte er dann eine 180 Grad-Wende und wurde Biolandwirt, baute in den 1980er- Jahren, als sich noch kaum jemand für diese Themen interessierte, einen Demeter-Obstbetrieb auf. Sie haben mit ihm Beethovens Frühlings-Sonate gespielt, er war der Pianist im Haus… Die musikalische Seite kommt vor allem über meinen Vater. Er hatte Klavierunterricht bei Ilana Schapira und wäre wohl gerne Musiker geworden. Aber in der Nachkriegsgeneration ging das offenbar nicht. Er wurde Anwalt und nebenbei staatlich geprüfter Melkergehilfe! Meine Großeltern fanden, er brauche noch etwas Handfestes für den Fall, dass diese Welt wieder zusammenbrechen sollte … Was mich außerdem geprägt hat, ist, dass meine Eltern in Japan eine Art Homebase für Kammermusik-Ensembles wurden: Das Arditti Quartet, Cherubini-Quartett und einige andere, auch Peter Schreier – sie kamen zum Proben, wenn sie in Japan konzertierten, und machten ihre Generalproben als Hauskonzerte bei uns. In Deutschland ging diese Hauskonzerte-Reihe weiter. Ich erinnere mich, dass ich als Kind draußen die Autos eingewiesen und drinnen Sektgläser herumgetragen habe. Zum Konzert durfte ich mich dann unter den Flügel legen. Da habe ich schon als Kind einen sehr spannenden Perspektivwechsel gehabt. Das ist auch ein Thema, das uns sicherlich hier in den nächsten Jahren begleiten wird. 08

Haben Sie auch Jura studiert, um nicht ganz der brotlosen Kunst anheim zu fallen? Ich verfüge ja leider über kein Melker- Diplom! (lacht) Auf der einen Seite war klar, dass ich etwas mit Musik studieren möchte – aber nicht Kapellmeister und auf gar keinen Fall Geige. So bin ich bei der Musikwissenschaft gelandet, weil sie sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen mit Musik auseinandersetzt: Es gibt ja neben der historischen Musikwissenschaft z. B. noch die systematische, Ethnologie, Psychologie und Psychoakustik – alles ziemlich spannende Felder. Darüber hinaus wollte ich Denkschulen kennenlernen. Deshalb bin ich einerseits zu den Philosophen gegangen und andererseits zur Juristerei, die sich ja über den Gutachtenstil in einer unvergleichlich systematischen Weise logisch Problemstellungen nähert. Und welchen biografischen Aspekt hat Ihre Promotion über Mendelssohn gehabt? In Oxford in der Bodleian Library konnte ich eine Skizze zu seinem Oratorium »Christus« entziffern; sie war der Initialpunkt für die Dissertation. Deshalb durfte ich in Mendelssohns Briefen und Manuskripten wühlen – was unglaublich war. Ich war wie elektrisiert, darin mit der bloßen Hand blättern zu dürfen. Heute ist das höchstens noch mit weißen Handschuhen erlaubt. Irgendwie macht das Haptische in der Kunst etwas mit mir, auch als ich vor vielen Jahren im Rodin-Haus in Paris seine Skulpturen anfassen konnte – was man ja heute auch nicht mehr kann. Vielleicht hatte das etwas mit Realitätsvergewisserung zu tun. Auch ein wichtiges


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