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Der institutionelle Rassismus

Den Begriff des institutionellen Rassismus gibt es seit 1967. Zum ersten Mal wurde dieser von Stokely Carmichaelund Charles V. Hamilton in dem grundlegenden Werk „Black Power“ der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA verwendet. In Europa kam dieser zum ersten Mal 1999 im Bericht des britischen Parla ments zur Ermordung des 18-jährigen Stephen Lawrence in Einsatz, der 1993 an einer Haltestelle in London erstochen wurde. Die Ermordung wurde im Abschlussbericht für rassistisch motiviert erklärt. Stephen Lawrence war schwarz. In dem genannten Bericht wird der Institutionelle Rassismus wie folgt erklärt:

„[Es ist] … das kollektive Versagen einer Organisation, für Menschen bezüglich ihrer Hautfarbe, Kultur, Religion und ethnischen Herkunft [oder Zuschreibung] geeignete und professionelle Leistungen und Angebote zu erbringen. Er lässt sich in Prozessen, Einstellungen und Verhaltensweisen festmachen, welche auf eine Diskriminierung hinauslaufen und durch unbewusste Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotypen, die oben genannten Personen individuell oder kollektiv benachteiligen.“

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Der institutionelle Rassismus ist eine besondere Form des Rassismus,weil er, laut der Psychologin Ute Osterkamp, ohne den Begriff des Rassismusauskommt:

„[…] rassistische Denk- und Handlungsweisen sind nicht Sache der persönlichen Einstellungen von Individuen, sondern in der Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders verortet, welche die Angehörigen der eigenen Gruppe systematisch gegenüber den Nicht-Dazugehörigen privilegieren.“

Wir haben demnach mit einem in der Gesellschaft auftretenden und omnipräsenten Phänomen zu tun, das zunächst nicht greifbar ist und zwar deshalb nicht, weil diese Art des Rassismus von Einzelpersonen nicht unbedingt bewusst eingesetzt wird. Das bedeutet, dass es zu einer institutionell verursachten Diskriminierung kommen kann, ohne dass der Täter, der diese Diskriminierung umsetzt, per se ein Rassist sein muss. Im Umgang mit Menschen zieht der Täter „lediglich“ diejenigen Merkmale an ihnen vor, die er im Kontext der eigenen Kultur kennt und erkennt. Dieser Umstand eröffnet eine völlig neue Perspektive auf den Rassismus in Ämtern, Schulen, an den Universitäten oder bei der Polizei. Diese versteckte Form des Rassismus ist allgegenwärtig und schier ungreifbar. Die Täter sind Teile eines insgesamt im Ganzen agierenden Systems. Sie können zwar kurzfristige positive Auswirkungen innerhalb ihrer Entscheidungskompetenz hinsichtlich einzelner Personen erwirken, aber gegen ein ganzes System ist der Einzelne machtlos. Auch demokratisch verabschiedete Gesetze können institutionellen Rassismus begünstigen bzw. verursachen, zum Beispiel bei Rechtsnormen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, wie es beispielsweise beim Asylgesetzt der Fall ist.

Der institutionelle Rassismus ist schwieriger zu erkennen als individuelle Formen von Diskriminierung und benötigt andere Analysemethoden. Im öffentlichen Diskurs ist der institutionelle Rassismus ein absolutes Tabu. Dieser wird eher in Richtung Rechtsextremismus geführt. Hier geht es aber um eine völlig andere Form des Rassismus, der wie ein Schatten an der Gesellschaft haftet. Offiziell gibt es in Deutschland keinen institutionellen Rassismus, die Sozialforschung geht vom Gegenteil aus. Im Dossier zur Diskriminierung & Rassismus in Deutschland schreibt Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld:

„Es gibt einen Rassismus, der keiner individuellen Befürwortung bedarf: der institutionelle Rassismus, der sich in Gesetzen, Regelungen, Normen und Strukturen einer Gesellschaft einschreibt. Stetige ungleiche Behandlung von Menschen nach Hautfarbe, Geschlecht oder dem Aussehen müssen zumindest als Anzeichen von Rassismus ernst genommen werden. […]

Der Rassismus darf sich nicht in den Strukturen von Gesellschaft verankern. Er bildet sich individuell aus und wird zur Ideologie von

Gruppen, aber das kann ein Rassismus besonders gut, wenn er auf eine Umwelt trifft, die über keine hinreichenden Gegenkräfte verfügt. Der Rassismus verweist in diesem Sinne darauf, dass etwas in der Gesellschaft nicht stimmt. Zu leugnen, dass es Rassismus in der Gesellschaft gibt, gehört dazu.“

Wollen wir in der Gesellschaft und als Gesellschaft den institutionellen Rassismus bekämpfen, müssen wir ihn als Gesprächsthema auf die Tagesordnung setzen und bei uns selbst anfangen. Jeder Einzelne von uns ist aufgefordert sich täglich die Frage zu beantworten:

„War ich heute ein Rassist und wenn ja, warum?“

Erst die Bejahung dieser Frage und der Versuch einer Antwort auf das Warum wird eine Struktur veränderung und eine Selbst erziehung der Gesellschaft Schritt für Schritt in Gang setzen, angefangen bei sich selbst.

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