8 minute read

Alles ist relativ

Next Article
Buchtipps

Buchtipps

„Alles ist relativ.“ Diese unverrückbare Erkenntnis bestimmt seit Wochen unser Leben. Wir, die Menschen in der EU, sitzen beim Essen – ob Frühstück, Mittag oder Abend –, der Fernseher läuft. Trotz der schrecklichen Bilder-Kaskaden mit Opfern, Flüchtlingen, Zerstörungen tun wir es.

Das wird auch Wladimir Putin tun. Bei Tisch sitzen und sich nicht schuldig fühlen für den Krieg. Sondern zufrieden damit. Zeigt er doch der angeblich militärisch überlegenen NATO und ihren westlichen Partnern genüsslich ihre Schwächen und Ohnmacht auf. Aber auch der militärischen Ukraine, die er sicher als „Jausengegner“ betrachtet. Möge der Westen auch die besseren Drohnen und Raketen besitzen – ihn, Putin, können sie damit nicht stoppen oder gar ausschalten. Niemand kann seine Panzer, seine Hubschrauber und sein MillionenHeer aufhalten.

Advertisement

Den militärischen Vormarsch könnte er noch viel schneller, brutaler, mit weit mehr Opfern und Empörung im schwachen Westen betreiben. Doch je länger dieses „Quälen“ dauert, desto mächtiger nehmen wir in der EU ihn, nehmen ihn aber auch seine Bündnispartner (China) und auch die Russen selbst, wahr. Putin reiht sich damit in die ganz großen Herrscher seines Landes ein.

Die USA und EU mögen noch härtere Sanktionen gegen Russland als klares Signal des Dagegenhaltens beschließen. Doch Putin hat diese mit noch nie dagewesener Vorbereitung in ihren Auswirkungen von

seinen Strategen und Technikern durchspielen lassen. Die erwarteten Verwerfungen weltweit sind in sein „Verhalten“ bereits längst eingepreist und können nicht schockieren. Mit China als Bündnispartner habe er die Sicherheit an seiner Seite. Die chinesische Führung stützt sein Vorgehen, weil es ihr auch nützt. Hat man doch mit Taiwan „seine Ukraine“ vor der Haustür und wartet auf den passenden Moment.

Was ganz schlimm für die Ukraine und uns Westeuroäer ist: Weil Wladimir Putin nicht fürchten muss, dass sein Russland angegriffen werde oder gar einen militärischen Konfl ikt mit der westlichen Welt und dem Bündnis der NATO drohe, schwingt er unverhohlen die alles zerstörende Atomkeule. Die von uns Menschen gern verdrängte, permanente Bedrohung lagert tausendfach in geheimen Raketensilos und Bunkern. Rund 7.000 in Russland – von der Fläche her das größte Land der Welt –, aber natürlich auch in China, im kleinen, aber verteidigungswilligen Israel, in den USA, Frankreich, Großbritannien, möglicherweise aber auch in

Indien, Südafrika oder sonstwo.

„Gleichgewicht des Schreckens“ nennt man dieses drohende Horrorszenario mit einem Begriff aus dem Kalten Krieg. Als es noch den Eisernen Vorhang mit den zwei Machtblöcken – den Osten und den Westen – gab. Dass im Osten die Sonne aufgeht und im Westen unter – an diese Symbolik will ich beim Schreiben gar nicht denken wollen. Die Atomsprengköpfe sind wohl die makaberste „Lebensversicherung“, eines unnatürlichen Todes zu sterben. Nur die Großmächte dürfen die totbringenden Waffen besitzen und offensichtlich auch einsetzen, wie das Beispiel Putin zeigt. Also gibt es nicht einmal ein „Gleichgewicht für das Sterben“. Denn den kleineren Staaten unseres Planeten werden Atomwaffen verwehrt. Damit diese nicht unbedacht in einer Panik-Reaktion zumindest Teile unseres Planeten zerstören. Und Putin? Ein enger Berater aus dessen Umgebung: „Wer sagt, dass man einen Atomkrieg nicht gewinnen kann?“ Da erübrigt sich jede Diskussion über den Klimawandel, weil die Erderwärmung innerhalb von Sekundenbruchteilen ohnehin jedes Leben auslöscht.

Hätte die Ukraine im Jahr 1994 das auf ihrem Gebiet stationierte

„Ukraine musste 1994 Atomwaffen auf Druck der Europäer an Russland übergeben.“

Russische Seele ist leidensfähig

Der Weststeirer Berndt Kolrus (Foto Mitte) studierte zwei Jahre in Moskau, war Lektor an der Universität Graz für Russisch und arbeitete Jahrzehnte als selbstständiger Dolmetscher für österreichische Unternehmen in der Sowjetunion und in den späteren russischen Republiken. Dutzende Male hielt er sich dort über Wochen auf. „Ich habe mir dadurch eine russophile Einstellung aufgebaut und dank der Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft der Russen eigentlich nur positive Eindrücke sammeln können.“ Er steht dennoch nicht im Verdacht, ein „Putin-Versteher“ zu sein. Doch die russische Seele, die meine er gut zu kennen.

Die Ukraine werde auch als die „Wiege Russlands“ bezeichnet. Schon ob der gleichen Sprache. Oft hätten in den letzten Jahren die Amerikaner und die NATO aus Sicht der Russen rote Linien überschritten, mit ihren Angriffskriegen und Militär-Aktionen im Irak, am Balkan, in Libyen, in Afghanistan und anderen Ländern. In ihrer Rolle als „Welt-Polizei“ sind sie damit auf wenig Sympathie in Russland gestoßen. Für den Zerfall der Sowjetunion wurde Michael Gorbatschow verantwortlich gemacht und nicht Boris Jelzin, dessen Ära von Korruption und dem Aufstieg der Oligarchen geprägt war. Als Russland als Staat ausgeraubt wurde. Erst wieder Wladimir Putin brachte Stabilität. Und daher steht er bei den Menschen am Lande hoch im Kurs. „Die eine große, historische Leidensfähigkeit haben“, so Berndt Kolrus, „mit vielen Katastrophen und Erschütterungen. Geprägt von grausamen Ereignissen – vom Mongolensturm, dem Tartarenjoch bis hin zu den barbarischen Ausprägungen im Stalinismus.“ Die Leidensfähigkeit der Russen sei daher sehr tief und das nütze Putin richtig aus.

Chinesen und Russen mögen einander nicht sehr. Umso besser war bisher die Verknüpfung mit der Ukraine. Und daher ist die Verwirrung noch stärker.

Foto: Faceboaok-Seite des Ukrainischen Innenministeriums https://www.facebook.com/mvs.gov.ua/“https://www.facebook.com/mvs.gov.ua

Es gibt keinen für alle „guten Krieg“

Gut ist der Krieg nur für jene, die im Vorhinein als Sieger und Profi teure feststehen oder die das Elend der Individuen und Kriegsopfer ausblenden. Gute Kriege gibt es theoretisch in den Köpfen von Unbeteiligten, von Strategen, Historikern und Politikern. Sobald es konkret wird, das heißt, sobald die davon betroffenen Menschen ins Blickfeld rücken, verliert diese Theorie ihren Sinn.

Einspruch: Wie ist es mit dem Verteidigungskrieg? War der Krieg der Alliierten gegen Hitler falsch? Zweifellos kann ein Verteidigungskrieg notwendig und berechtigt sein. Gut ist er deswegen noch lange nicht. Auch nicht sinnvoll für die betroffenen Menschen. Aus Not wird keine Tugend. Das Flächenbombardement Hamburgs und anderer deutscher Städte mag den Zusammenbruch des Hitlerreichs beschleunigt haben, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki haben zur Kapitulation Japans geführt. Doch für die Menschen, die in diesen Feuerhöllen und Infernos verkohlten, war das schrecklich, für ihre überlebenden Angehörigen sinnlos. Sinn macht für die Lebenden nur die Verhinderung des Krieges, die Friedensarbeit.

Quelle: „Deglobalisierung“ von Peter Mattmann Allamand

Wladimir Putin Blutin Tänzer auf dem Vulkan

Droht mit nuklearem Holocaust. Führt den Westen vor.

Atomwaffenarsenal nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht an Russland übergeben müssen, weil es auch die Europäer forderten, wäre ein Wladimir Putin nie auf die Idee gekommen, die Ukraine als Angriffsziel zu wählen. Denn dann hätte die Gefahr bestanden, dass auch Russland zu einem großen Teil ausgelöscht worden wäre und seine Existenz verspielt hätte.

Was folgt daraus? Bündnispartner hin oder her. Den Preis, keine Atomwaffen zu haben, müssen zumindest auf diesem Planeten noch immer die „Kleinen“ bezahlen. Die sprichwörtliche Weisheit „den Letzten beißen die Hunde“ stimmt bis zum heutigen Tag.

Die viel beschworene Aufforderung zur Abrüstung bleibt ein unerfüllbarer Wunsch. Selbst wenn sich alle (Groß-)Mächte dazu verpfl ichten, sie vor den Augen der Weltgemeinschaft vereinbart wird und auch offi ziell geschieht, basteln in geheimen Labors willfährige und treue Experten bereits an noch grausameren Waffen. Mit der Hoffnung, im Falle eines Krieges oder einer Auseinandersetzung damit zu überleben.

Und wie uns die Erbsünde lehrt – nur die Hoffnung stirbt zuletzt. Ganz aktuell, wie jetzt in der Ukraine. Was nützt es den 50 Millionen Menschen dort, wenn die westliche Welt mit noch nie dagewesenen Sanktionen Wladimir Putin praktisch zu einem Outlaw macht, aber sich eingestehen muss: „Sorry, liebe Menschen in der Ukraine. Wir hoffen uns damit selbst zu retten, aber euch können wir militärisch nicht beistehen. Weil sonst der wahnsinnig Gewordene den Knopf drückt.“

Panzer, Armeen und Artillerien sind in einem kriegerischen Konfl ikt Waffensysteme von gestern. Daher sollte man sie einmotten und sich nicht auf sie verlassen, dozierten Militärstrategen in den letzten Jahren. Raketensysteme und Drohnen hätten eine größere Effi zienz, ohne die eigenen Soldaten zu gefährden. Das mag für die NATO gelten, wenn sie in Ländern operiert und dort Angriffskriege führt, wie seinerzeit im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, Golfkrieg usw.

Was aber dann, wenn die Raketen auf dem Territorium eines Bündnispartners oder befreundeten Staates eingesetzt werden müssten? Das Zuhilfekommen funktioniert nicht. Beim Einsatz von Nuklearwaffen ist es wie beim Mikado-Spiel: Wer sich als erster bewegt, verliert dennoch. Das gilt nicht für konventionelle Panzer, Armeen und Artillerien mit ihren Besatzungen. Sollten Russen und Chinesen gegen den Rest der Welt ein fi xes Bündnis eingehen, reicht das Einmaleins der Pfl ichtschule, um die Folgen zu erahnen.

Und das sollten wir uns als Europäer in Zukunft Tag für Tag vor Augen halten, bei all den wahrscheinlich sogar ehrlich gemeinten Treueschwüren der Amerikaner und der Nato, uns im Konfl iktfall beizustehen. Die Amerikaner tun das auch aus einem schlichten Grund: Sie brauchen Europa unabdingbar als mögliches Aufmarsch-, Nachschub-, Kriegsgebiet und Schlachtfeld (?). Damit sie, welchen Krieg auch immer, diesen von ihrem Kontinent und Land fernhalten. Schon zwei Mal wurde in den letzten 20 Jahren die „atomare Karte“ gezogen. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, attackierte George Bush nach 9/11 die neutrale, echt humanitäre Haltung anderer Länder im voraus. Für Wladimir Putin offensichtlich ein taugliches Beispiel.

Da soll noch einer unserer gescheiten und wissenden Militärstrategen und Experten den Österreichern via Fernsehen weismachen wollen, es gäbe so viele Hürden, Kontrollen, Mechanismen, Sicherheitssysteme, die den „entscheidenden Druck auf den Atomknopf“ und die Auslösung der Bombe praktisch verhindern, nicht wahrscheinlich machen. Die dann einen für uns nicht vorstellbaren nuklearen Krieg auslöst.

PS: Österreich kann mit seiner im Staatsvertrag verankerten Neutralität nur auf die EU-Beistandsklausel in einem bewaffneten Konfl ikt hoffen. Die Schweiz, aber auch Schweden, Finnland, Norwegen versuchen das auf ihre Art. Zumindest in Filmen und Romanen schalteten die bis dahin weniger Bösen bisher immer das absolut Böse aus.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER/APA-POOL Putin beim Hochzeitstanz mit Ex-Außenministerin Kneissl (2018) in der Südsteiermark (Fotomontage)

This article is from: