Lässt sich nicht stoppen.
„A
lles ist relativ.“ Diese unverrückbare Erkenntnis bestimmt seit Wochen unser Leben. Wir, die Menschen in der EU, sitzen beim Essen – ob Frühstück, Mittag oder Abend –, der Fernseher läuft. Trotz der schrecklichen Bilder-Kaskaden mit Opfern, Flüchtlingen, Zerstörungen tun wir es. Das wird auch Wladimir Putin tun. Bei Tisch sitzen und sich nicht schuldig fühlen für den Krieg. Sondern zufrieden damit. Zeigt er doch der angeblich militärisch überlegenen NATO und ihren westlichen Partnern genüsslich ihre Schwächen und Ohnmacht auf. Aber auch der militärischen Ukraine, die er sicher als „Jausengegner“ betrachtet. Möge der Westen auch die besseren Drohnen und Raketen besitzen – ihn, Putin, können sie damit nicht stoppen oder gar ausschalten. Niemand kann seine Panzer, seine Hubschrauber und sein MillionenHeer aufhalten. Den militärischen Vormarsch könnte er noch viel schneller, brutaler, mit weit mehr Opfern und Empörung
im schwachen Westen betreiben. Doch je länger dieses „Quälen“ dauert, desto mächtiger nehmen wir in der EU ihn, nehmen ihn aber auch seine Bündnispartner (China) und auch die Russen selbst, wahr. Putin reiht sich damit in die ganz großen Herrscher seines Landes ein. Die USA und EU mögen noch härtere Sanktionen gegen Russland als klares Signal des Dagegenhaltens beschließen. Doch Putin hat diese mit noch nie dagewesener Vorbereitung in ihren Auswirkungen von
werde oder gar einen militärischen Konflikt mit der westlichen Welt und dem Bündnis der NATO drohe, schwingt er unverhohlen die alles zerstörende Atomkeule. Die von uns Menschen gern verdrängte, permanente Bedrohung lagert tausendfach in geheimen Raketensilos und Bunkern. Rund 7.000 in Russland – von der Fläche her das größte Land der Welt –, aber natürlich auch in China, im kleinen, aber verteidigungswilligen Israel, in den USA, Frankreich, Großbritannien, möglicherweise aber auch in
„Ukraine musste 1994 Atomwaffen auf Druck der Europäer an Russland übergeben.“
seinen Strategen und Technikern durchspielen lassen. Die erwarteten Verwerfungen weltweit sind in sein „Verhalten“ bereits längst eingepreist und können nicht schockieren. Mit China als Bündnispartner habe er die Sicherheit an seiner Seite. Die chinesische Führung stützt sein Vorgehen, weil es ihr auch nützt. Hat man doch mit Taiwan „seine Ukraine“ vor der Haustür und wartet auf den passenden Moment.
Indien, Südafrika oder sonstwo. „Gleichgewicht des Schreckens“ nennt man dieses drohende Horrorszenario mit einem Begriff aus dem Kalten Krieg. Als es noch den Eisernen Vorhang mit den zwei Machtblöcken – den Osten und
den Westen – gab. Dass im Osten die Sonne aufgeht und im Westen unter – an diese Symbolik will ich beim Schreiben gar nicht denken wollen. Die Atomsprengköpfe sind wohl die makaberste „Lebensversicherung“, eines unnatürlichen Todes zu sterben. Nur die Großmächte dürfen die totbringenden Waffen besitzen und offensichtlich auch einsetzen, wie das Beispiel Putin zeigt. Also gibt es nicht einmal ein „Gleichgewicht für das Sterben“. Denn den kleineren Staaten unseres Planeten werden Atomwaffen verwehrt. Damit diese nicht unbedacht in einer Panik-Reaktion zumindest Teile unseres Planeten zerstören. Und Putin? Ein enger Berater aus dessen Umgebung: „Wer sagt, dass man einen Atomkrieg nicht gewinnen kann?“ Da erübrigt sich jede Diskussion über den Klimawandel, weil die Erderwärmung innerhalb von Sekundenbruchteilen ohnehin jedes Leben auslöscht. Hätte die Ukraine im Jahr 1994 das auf ihrem Gebiet stationierte
Was ganz schlimm für die Ukraine und uns Westeuroäer ist: Weil Wladimir Putin nicht fürchten muss, dass sein Russland angegriffen
Russische Seele ist leidensfähig
D
er Weststeirer Berndt Kolrus (Foto Mitte) studierte zwei Jahre in Moskau, war Lektor an der Universität Graz für Russisch und arbeitete Jahrzehnte als selbstständiger Dolmetscher für österreichische Unternehmen in der Sowjetunion und in den späteren russischen Republiken. Dutzende Male hielt er sich dort über Wochen auf. „Ich habe mir dadurch eine russophile Einstellung aufgebaut und dank der Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft der Russen eigentlich nur positive Eindrücke sammeln können.“ Er steht dennoch nicht im Verdacht, ein „Putin-Versteher“ zu sein. Doch die russische Seele, die meine er gut zu kennen. Die Ukraine werde auch als die „Wiege Russlands“ bezeichnet. Schon ob der gleichen Sprache. Oft hätten in den
12 März 2022
letzten Jahren die Amerikaner und die NATO aus Sicht der Russen rote Linien überschritten, mit ihren Angriffskriegen und Militär-Aktionen im Irak, am Balkan, in Libyen, in Afghanistan und anderen Ländern. In ihrer Rolle als „Welt-Polizei“ sind sie damit auf wenig Sympathie in Russland gestoßen. Für den Zerfall der Sowjetunion wurde Michael Gorbatschow verantwortlich gemacht und nicht Boris Jelzin, dessen Ära von Korruption und dem Aufstieg der Oligarchen geprägt war. Als Russland als Staat ausgeraubt wurde. Erst wieder Wladimir Putin brachte Stabilität. Und daher steht er bei den Menschen am Lande hoch im Kurs. „Die eine große, historische Leidensfähigkeit haben“, so Berndt Kolrus, „mit vielen Katastrophen und Erschütterungen. Geprägt von grausamen Ereignissen – vom Mongolensturm, dem Tartarenjoch bis hin zu den barbarischen Ausprägungen im Stalinismus.“ Die Leidensfähigkeit der Russen sei daher sehr tief und das nütze Putin richtig aus. Chinesen und Russen mögen einander nicht sehr. Umso besser war bisher die Verknüpfung mit der Ukraine. Und daher ist die Verwirrung noch stärker.
Foto: Faceboaok-Seite des Ukrainischen Innenministeriums https://www.facebook.com/mvs.gov.ua/“https://www.facebook.com/mvs.gov.ua
Es gibt keinen für alle „guten Krieg“
Gut ist der Krieg nur für jene, die im Vorhinein als Sieger und Profiteure feststehen oder die das Elend der Individuen und Kriegsopfer ausblenden. Gute Kriege gibt es theoretisch in den Köpfen von Unbeteiligten, von Strategen, Historikern und Politikern. Sobald es konkret wird, das heißt, sobald die davon betroffenen Menschen ins Blickfeld rücken, verliert diese Theorie ihren Sinn.
Einspruch: Wie ist es mit dem Verteidigungskrieg? War der Krieg der Alliierten gegen Hitler falsch? Zweifellos kann ein Verteidigungskrieg notwendig und berechtigt sein. Gut ist er deswegen noch
lange nicht. Auch nicht sinnvoll für die betroffenen Menschen. Aus Not wird keine Tugend. Das Flächenbombardement Hamburgs und anderer deutscher Städte mag den Zusammenbruch des Hitlerreichs beschleunigt haben, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki haben zur Kapitulation Japans geführt. Doch für die Menschen, die in diesen Feuerhöllen und Infernos verkohlten, war das schrecklich, für ihre überlebenden Angehörigen sinnlos. Sinn macht für die Lebenden nur die Verhinderung des Krieges, die Friedensarbeit. Quelle: „Deglobalisierung“ von Peter Mattmann Allamand