7 minute read

König Fußball als Straßenfeger

Am 9. Juni beginnt die Fußball-WM in Deutschland. Das Gastgeberland hat sich viel vorgenommen. Es war vor 40 Jahren, am 30. Juli 1966, als die Deutschen im WembleyStadion in London vor 93.000 Zusehern durch ein umstrittenes Tor gegen England im Finale verloren. Damals führte Franz Beckenbauer erstmals als Spieler und Organisator des deutschen Spiels im Mittelfeld Regie, diesmal als Präsident des Organisationskomitees.

Foto: Möller-Horcher Eröffnungsspiel in München: Gastgeber Deutschland gegen Costa Rica

Advertisement

Was ist ein Wembley-Tor?

Als Wembley-Tor wird im Fußball ein Lattentreffer bezeichnet, bei dem der Ball von der Unterkante der Torlatte nach unten springt und dabei die Torlinie entweder nicht oder nur sehr knapp überschreitet und anschließend wieder ins Spielfeld springt. Nach derartigen Spielszenen ist es oft umstritten, ob der Ball im Tor war oder nicht. Entstanden ist der Begriff durch den Treffer von Geoff Hurst zum 3:2 im WM-Endspiel von 1966 zwischen England und Deutschland im Londoner Wembley-Stadion am 30. Juli 1966, als Hurst den deutschen Torhüter Hans Tilkowski überwand und der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst nach Rücksprache mit dem sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow auf Tor entschied. Lange Zeit war unklar, ob der Ball hinter der Torlinie war oder nicht. Aufgrund von Fotos und Filmaufnahmen ist jedoch inzwischen bewiesen, dass der Ball vor der Torlinie aufsprang und das Tor irregulär war, was später auch von der FIFA bestätigt wurde. Der Linienrichter räumte später ein, gar nicht genau gesehen zu haben, ob der Ball im Tor war; er habe aber aus der Reaktion der Beteiligten (Jubel der Engländer, Zurückhaltung der Deutschen) den Schluss gezogen, dass ein Tor gefallen sein muss.

England fast am Ziel

Das Finale begann mit einem Paukenschlag. Schon in der 12. Minute verstummten die englischen Fans. Helmut Haller schoss aus 10 Metern flach ins lange Eck und brachte die Deutschen mit 1:0 in Führung. Nur 5 Minuten später schafften die Engländer den Ausgleich. Mittelstürmer Geoff Hurst köpfelte nach einem Freistoß zum 1:1 ein. Bis zur 77. Minute konnte keines der beiden Teams seine Chancen nutzen. Erst eine Viertelstunde vor Schluss wurde das Spiel wieder lebhafter. Beide Abwehrreihen wurden müder, die Stürmer bekamen mehr Platz, und England konnte zuerst Kapital daraus schlagen. Hunt schickte Alan Ball steil, dessen Schuss konnte Tilkowski ans Außennetz lenken, doch die resultierende Ecke brachte die Führung: Hursts Weitschuss wurde von Horst Höttges abgefälscht und fiel Peters vor die Füße, der aus kurzer Distanz in der 78. Minute zum 2:1 verwandelte.

In letzter Minute Ausgleich

Die Engländer versuchten nun, den angeschlagenen Gegnern den Gnadenstoß zu versetzen, und die beinahe 100.000 Zuschauer feierten schon den Titelgewinn. Bobby Charlton schoss nach einem Steilpass von Moore knapp daneben, ebenso Hurst und Peters aus der Distanz. Die Spielzeit verrann, und die englischen Fans begannen „Rule Britannia“ zu singen, als Deutschland für einen Rempler von Ray Wilson gegen Held einen Freistoß bekam, etwa 35 Meter vom englischen Tor entfernt. Emmerich schoss die Mauer an, doch der abgefälschte Ball kam irgendwie in den Strafraum und wurde in den Fünfmeterraum geflankt. Alle Beine strecken sich, der Ball springt auf, Banks ver-

Die Deutschen im WM-Finale von London ohne Glück: Ein Tor, das keines war.

32 Nationalteams kämpfen um die begehrte Trophäe, so viele wie niemals zuvor. Millionen werden Tag für Tag vor den Fernsehern ihrem Team die Daumen drücken.

passt und am langen Pfosten macht sich Mittelfeldspieler Wolfgang Weber vom 1. FC Köln lang und jagt den Ball unter die Latte! 2:2 in der 89. Minute! Die Engländer konnten gerade noch anstoßen, dann pfiff der Schiedsrichter ab und zum ersten Mal in der Geschichte ging ein Endspiel um den FIFA-Weltpokal in die Verlängerung …

Die Verlängerung – War er drin?

Die englischen Spieler ließen zunächst die Köpfe hängen, weil ihnen der Sieg noch aus der Hand gerissen worden war, und ihre deutschen Gegner waren von der Aufholjagd einfach zu erschöpft. Die Verlängerung begann also eher zögerlich. Und dann kam einer der meistdiskutierten Augenblicke der Fußballgeschichte. England kam aus der eigenen Hälfte, Ball führte das Leder am linken Flügel. Er flankte zu Hurst, der wieder ungedeckt war, und dieser drehte sich und zog ab. Der Ball prallte an die Unterkante der Latte und von dort hinunter auf die Linie …(?), hinter die Linie …(?) und aus dem Tor. Verteidiger Weber köpfelte den Ball ins Toraus. Schiedsrichter Gottfried Dienst entschied zunächst auf Eckball, nach Rücksprache mit seinem sowjetischen Linienrichter Bachramow gab der Schweizer dann aber plötzlich das Tor. Dieses 2:3 in der 101. Minute war letztlich entscheidend und bescherte England den Weltmeistertitel. Das 4:2 in der 120. Minute war nur noch die Draufgabe. ❖

So erlebten Fußballfans Alois Paul und Mandi Steiner legendäres London-Finale Fernseher waren selten

Mandi Steiner, E x - S t u r m - S p i e ler: „Ich war zu dem Zeitpunkt 16 Jahre und hab’ in der Kampfmannschaft von Murau gespielt. Karl Stotz von der Austria war damals mein Idol. An das Finale erinnere ich mich, weil es zu Hause keinen Fernseher gegeben hat, nur einen im Kurhaus auf der Stolzalpe. Da sind wir von Murau dann immer eine dreiviertel Stunde durch den Wald hinauf und jede Übertragung war ein echtes Erlebnis.“ Alois Paul, ExS t u r m - P r ä s i dent: „Ich hab’ zu dieser Zeit auch Fußball gespielt, und zwar beim Grazer Sportklub, dem StraßenbahnerVerein. Fernseher zu Hause gab’s natürlich keinen, wir haben dafür beim Nachbarn schauen dürfen. Natürlich erinnere ich mich jetzt an das Tor von London, aber damals waren die Fernsehübertragungen wichtiger für mich als die Tore.“ ❖ Kaiser Franz Beckenbauer, 61, hat das Spielfeld Fußball nie verlassen. Als Präsident des Organisationskomitees regiert er die WM im Heimatland Idol und Lichtgestalt

Seit 1994 ist Franz Beckenbauer Präsident des FC Bayern München. Zusätzlich ist er Präsident des Organisationskomitees zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und hat die WM-Bewerbung geleitet. Außerdem ist er seit einigen Jahren einer der Vizepräsidenten des DFB. Beckenbauer war deutscher Nationalspieler, Teamchef der deutschen Fußballnationalmannschaft sowie Vereinstrainer des FC Bayern München und ist Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. Er ist neben Pelé, Diego Maradona und Johan Cruijff einer der besten Fußballer aller Zeiten und gilt, laut DFB, als „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“.

Foto: AP

Ohrfeige brachte ihn zu den Bayern

Im Jahr 1958 war der TSV München der größte Club in München und der 13-jährige Franz wäre auch dorthin gewechselt, wenn er nicht während eines Spieles für den MSC mit einem der LöwenSpieler aneinander geraten wäre. Nachdem diese Streiterei sogar mit einer Ohrfeige gegen die spätere Fußball-Ikone geendet hatte, änderte Beckenbauer seine Pläne und wechselte schließlich für die folgende Saison zum FC Bayern München, der damaligen Nummer 2 in der Stadt. Als er noch keine 20 Jahre alt war, debütierte Beckenbauer für die Bayern in der Regionalliga (damals zweithöchste Spielklasse), wo er als Linksaußen auflief und ein Tor erzielte.

Foto: www.plcane.clara.net

Stern ging bei Fußballweltmeisterschaft 1966 in England auf

Im Endspiel gegen England wurde Franz Beckenbauer gegen Bobby Charlton, den damaligen Superstar der Engländer, als Sonderbewacher im defensiven Mittelfeld aufgestellt. Später sagte man, durch diese Manndeckeraufgabe des damals 20-jährigen Beckenbauer habe sich Deutschland der Siegeschance im Endspiel beraubt. Auch bei der Weltmeisterschaft vier Jahre später in Mexiko durfte Beckenbauer nicht auf der geliebten Liberoposition spielen, da dort noch Willi Schulz agierte. Im Halbfinale, dem Jahrhundertspiel gegen Italien, zog er sich eine schwere Schulterverletzung zu und musste, da das Auswechselkontingent erschöpft war, mit verbundener Schulter weiterspielen. Mit dem FC Bayern München schaffte er 1965 den Aufstieg von der Regionalliga in die Bundesliga. Ihm gelangen vier deutsche Meistertitel in München, vier Europapokalsiege sowie vier DFB-Pokalerfolge. Der Defensivmann, der jedoch stets auch das Angriffsspiel seines Teams ankurbelte, bestritt in den zwölf Jahren als Nationalspieler 103 Länderspiele und schoss 14 Tore. 1972 führte der Münchner als Kapitän Deutschland zum Europameistertitel durch einen 3:0-Endspielsieg gegen die UdSSR. Im Jahre 1974 folgte dann der größte Erfolg im Weltmeisterschaftsfinale gegen die niederländische F u ß b a l l n a t i o n a l m a n n schaft: Deutschland wurde durch ein 2:1 zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister. Er nahm an drei Weltmeisterschaften (1966, 1970 und 1974) teil. Im Jahre 1977 wechselte Beckenbauer zu Cosmos New York in das damalige Fußball-Entwicklungsland USA und wurde dort dreifacher US-amerikanischer Meister (1977, 1978, 1980). Nach seiner Rückkehr in die Fußball-Bundesliga im Jahre 1980 spielte Beckenbauer beim Hamburger SV. Bevor er seine aktive Laufbahn 1982 beendete, errang Franz Beckenbauer mit dem HSV seinen fünften deutschen Meistertitel. ❖

This article is from: