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DER TATÖWIERER IM ANZUG
from Klenkes neo 3/2020
by Klenkes neo
»WIE ZUM TEUFEL WIRD MAN TÄTOWIERER?«
Nils Trinks ist Spezialist für japanische Otaku-Tattoos. Den ungewöhnlichen Weg zu seinem Traumberuf hat er Klenkes neo-Autorin Silke Schneider geschildert.
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VON SILKE SCHNEIDER
Als er 14 war geriet die Welt von Nils Trinks durch einen Schicksalsschlag in der Familie aus den Fugen, ebenso wie seine Schullaufbahn. Dass später aus dem Bankkaufmann mal ein Tätowierer werden würde, hätte er selbst nicht zu träumen gewagt.
Nils Trinks ist übernächtigt. Der 31-jährige Vegetarier ist vor wenigen Monaten Vater geworden. »Heute Nacht waren es drei Stunden Schlaf,« entschuldigt er sich. Als Jugendlicher erlebten er und seine Familie eine sehr schwere Zeit, der geborene Aachener wechselte von seinem Gymnasium auf ein anderes, dann auf eine Gesamtschule und ein Berufskolleg, machte aber nirgendwo einen Abschluss und hatte auch keine Ahnung, wohin seine berufliche Reise gehen sollte. Stand mal im Anzug hinter einem Bankschalter: Tätowierer Nils Trinks
Irgendwann entschloss er sich dann aber, sein Fachabitur zu machen und schloss es im Bereich Gestaltung mit einer 1,6 ab. Es folgten zwei Semester Informatik-Studium, aber auch das war’s nicht. »Auf der Suche nach irgendwas« verschlug es ihn dann auf die Berufs- und Studienmesse ZAB, wo ihm ein DIN A4 Plakat der Sparkasse ins Auge fiel: »Suchen Auszubildende«. Ohne sich ganz klar darüber zu sein, um welchen Beruf es genau ging, stellte er sich vor, bewarb sich – und wurde als einer von 1.000 Bewerbern angenommen. »Und plötzlich stand ich da mit Anzug in so einer Filiale,« erzählt er und man hört immer noch ein leichtes Staunen in seiner Stimme. Er schloss die Ausbildung zum Bankkaufmann erfolgreich ab. »Teils hat es viel Spaß gemacht, teils war es die Hölle auf Erden,« beschreibt er die zweieinhalb Jahre rückblickend, »aber ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann.« Und er konnte es tatsächlich. Er lernte wie Unternehmen und Wirtschaft funktionieren und Kundengespräche zu führen. »Das hilft mir heute total.« Aber nach der Ausbildung waren sich alle einig: Seine Berufung war dieser Beruf nicht. »Die Kollegen haben immer gesagt, dass ich was Künstlerisches machen soll, wahrscheinlich weil ich die Infotafeln immer so schön gestaltet habe, mit Perspektive und Schattierungen,« lacht Nils. Ein paar Jahre hielt er sich – durchaus erfolgreich – mit verschiedenen Jobs als Verkäufer über Wasser, teilweise wurde er auf Provisionsbasis bezahlt. »Aber ich bin gut klar gekommen mit der Konkurrenz,« sagt er. Beruflich angekommen war er aber noch nicht.
WENDEPUNKT IN YOKOHAMA
Der Wendepunkt kam mit Ende 20, als er mit seiner jetzigen Frau Urlaub in Japan machte,
FOTOS: NILS TRINKS

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Nils hat sich auf Manga- und Animemotive spezialisiert.
ein Traum, für den er lange gespart hatte. Schon immer interessierte er sich für die japanische Kultur und lernte sogar Japanisch. »Der Auslöser für meine Liebe zu Mangas war das Video zu ›King of my Castle‹, das aus Szenen des Anime-Films ›Ghost in the Shell‹ zusammengeschnitten war.« In Yokohama ließ er sich die Mangafigur Rei Ayanami auf den Unterarm tätowieren und dachte plötzlich: »Das kann ich auch! Aber wie zum Teufel wird man Tätowierer?«
Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, man kann nicht einfach irgendwo in die Lehre gehen. Nils fing an sich zu informieren, übte Zeichnen, stellte eine Mappe mit Motiven zusammen und kaufte sich das entsprechende Equipment. Er holte sich Rat bei Tätowierern und flog noch einmal nach Japan, um mehr über die dortige Tattookultur zu erfahren. »Geübt habe ich an mir selbst, mein erstes Tattoo hab ich mir auf die Wade gemacht,« erzählt er. Irgendwann fühlte er sich sicher genug ein Studio zu suchen, bei dem er einsteigen konnte. Das Risiko allein eins zu eröffnen, war ihm noch zu groß. Aber die Konkurrenz unter den Tattoostudios ist hart, niemand wollte ihn. Auch Dietmar Lürken, Inhaber des bekannten »Bloody Tears«, schickte ihn dreimal wieder weg. »Wohl weil er sehen wollte, ob ich hartnäckig genug bin,« grinst Nils, »jetzt klappt das super hier mit uns.«
DEN CORONA-LOCKDOWN ÜBERSTANDEN
Corona hätte ihm allerdings fast einen Strich durch die Zukunftsplanung gemacht: Kaum hatte er sich im März selbstständig gemacht, musste das »Bloody Tears« schließen. »Ich hab 52 Euro Unterstützung pro Monat bekommen und musste von meinem Ersparten leben.« Vor einer Infektion hat er keine Angst. »Ich achte extrem auf Hygiene, schon vor Corona habe ich nur mit Schutzmaske tätowiert.«
Die beiden Tätowierer teilen sich die Arbeit: Während Dietmar eher für Mandalas und grafische Motive zuständig ist, hat Nils sich weiter auf Otaku-Tattoos spezialisiert. Der Begriff Otaku ist in Japan eine eigentlich eher abwertend gemeinte Bezeichnung für Mangaleser. Meist sticht Nils Motive und Seriencharaktere aus Mangas und Animefilmen wie Sailor Moon oder Dragonball, aber auch selbst am Computer entwickelte Figuren. Jetzt ist er angekommen. \
