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«Mich beschäftigt das Menschsein»

Der St.Galler Künstler Hans Thomann hat in den letzten Jahrzehnten ein vielfältiges Werk geschaffen. Es enthält auch zahlreiche Arbeiten zu religiösen und spirituellen Themen wie zum Beispiel jüngst die künstlerische Gestaltung einer Glaswand in der Kirche St.Fiden und eine Wandarbeit im renovierten Begegnungszentrum St.Maria Neudorf. Die Monographie «Human Body Figure» liefert nun einen Überblick.

«Idee und Impuls, eine Monographie über mein Werk zu veröffentlichen, stammen von einem Ausstellungsmacher», erklärt Hans Thomann. Dass die Veröffentlichung dieses Buchs nun mit seinem 65. Geburtstag zusammenfiel, sei Zufall. «Wir haben fünf Jahre an diesem Buch gearbeitet.» Der St.Galler Künstler wurde dabei von einem Kuratorenteam unterstützt. «Als Künstler fehlt einem die nötige Distanz zu seinem Werk», hält er fest. Trotzdem sei diese Arbeit für ihn eine Begegnung mit dem eigenen Werk gewesen.

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Hans Thomann

Bild: Regina Jäger

Assoziativer Zugang

Wer durch die Monographie blättert, sieht sofort die grosse Vielfalt von Hans Thomanns Werk. «Heute wird Künstlern empfohlen, ein stringentes Werk zu schaffen», so Hans Thomann, «das sorgt für eine Wiedererkennung. Ich suche keine formale, ich suche inhaltliche Stringenz. Ich wollte mich nicht auf eine Technik oder einen Stil reduzieren.» Bei der Bilderauswahl für seine Monographie sei ihm wieder neu bewusst geworden: «Bis heute misstrauen sich die nichtreligiöse und religiöse Kunst.» Konkret: Die Kunsthistoriker, die sich mit der Auswahl der Bilder beschäftigten, erachteten seine religiösen Werke als weniger relevant. «Da musste ich mein Veto einlegen.» Hans Thomanns Werk umfasst Installationen, Skulpturen, Bilder, Kunst am Bau und Kunst in der Kirche. Der Aufbau der Monographie, die die Schaffenszeit von 1984 bis 2022 umfasst, widerspiegle seine Arbeitsweise: «Ich gehe immer assoziativ vor. Bei der Arbeit in meinem Atelier höre ich laut Musik – Samples aus verschiedenen Musikstilen.»

Grössere Offenheit

In der Monographie wird auch sichtbar, dass sich Hans Thomann fast von Anfang an mit religiösen Themen beschäftigt hat. Eines der ersten religiösen Werke: 1992 betonierte er in einer Kunstaktion vor der Kathedrale Bibeln ein – welche Bedeutung haben Heilige Schriften heute? Wie gehen wir mit ihnen um? Diese Arbeit hat im Laufe der Jahrzehnte immer wieder eine Aktualisierung erfahren und soll nächstens fortgesetzt werden: «Ich habe kürzlich eine russische und eine ukrainische Bibel bestellt», so Hans Thomann. Es soll um die Frage gehen, welchen Einfluss die russisch-orthodoxe Kirche und die ukrainisch-orthodoxe Kirche auf den Ukraine-Krieg haben. Auch wenn manches Werk religiöse Betrachterinnen und Betrachter herausfordern mag, Hans Thomann provoziert nicht der Provokation willen: «Mich beschäftigt das Menschsein und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Religionen. Die Religionen versuchen Antworten auf die grossen Fragen zu geben.» Ihm gehe es darum, diese Fragen und Antworten auszutesten. Er selbst ist christlich geprägt. «Ich musste mich selbst immer wieder neu bei meinen Arbeiten der Frage stellen, was erlaubt sei und was tabu sei.» Er nimmt wahr, dass die Offenheit gegenüber provokativen Auseinandersetzungen mit religiösen Themen grösser geworden ist – sowohl bei christlichen als auch muslimischen und jüdischen Gläubigen. «Die umgekehrte Entwicklung habe ich bei Amtsträgern beobachtet: Die Angst, jemanden zu verletzen, ist im Gegensatz zu früher heute gross. Man will ja nichts falsch machen.»

Eine der bekannten sakralen Arbeiten von Hans Thomann: «In dir» – ein Jesus, in dem sich die Gläubigen spiegeln – im kath. Pfarreizentrum in Wil.

Sehnsucht nach Bildern

Hans Thomann besuchte von 1978 bis 1980 die Kunstgewerbeschule in St.Gallen. 1983 absolvierte er die Meisterklasse bei Mario Merz in Salzburg. Seine religiösen Kunstwerke sind heute nicht nur in Kirchen in der Schweiz, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum zu sehen. Sowohl in katholischen als auch in reformierten Kirchen: «Bei den Reformierten hat die Sehnsucht nach Bildern zugenommen. Es kommt mir so vor wie ein Aufwachen aus dem Dornröschenschlaf.»

Wandarbeit in Neudorf

Eine seiner jüngsten Arbeiten hat er für die katholische Kirchgemeinde St.Gallen entwickelt: im renovierten Pfarreisaal von St.Maria-Neudorf hat er eine Wandarbeit gestaltet. Sie trägt den Titel «Gemeinschaft». Die dreiteilige Wandarbeit besteht aus grossen, goldenen Tafeln, aus denen symmetrische, unterschiedlich grosse Kreuze herausgeschnitten und wie ein Sternenhimmel auf die Wand montiert wurden. Wie so oft in seinen Arbeiten spielt Hans Thomann auch hier mit dem Auge der Betrachter: Das Kreuz-Symbol, das man so oft schon gesehen hat, wird plötzlich ganz anders sichtbar. (ssi)

Neben den Bildern sind in der Monographie auch 43 Kurztexte zu finden. Auch hier wird die Vielfalt nochmals sichtbar: Neben Kunsthistorikern kommen auch Autoren, Politiker und Theologen zu Wort.

Hans Thomann: «Human Body Figure», Kerber-Verlag

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