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Dort, wo noch von Hand geläutet wird
Auf dem Hügel oberhalb des Schlössli Haggen thront im Schatten einer alten Linde die St.Wolfgang-Kapelle. Sie ist nicht nur wegen ihrer prominenten Lage bekannt, sondern vor allem wegen ihres Glockengeläuts.
Jeden Abend läuten in der Kapelle St.Wolfgang, oberhalb des Schlössli Haggen, die Glocken. Es sind zwei, eine grössere Glocke und eine kleinere. Letztere stammt aus dem Jahr 1779, die grössere aus 1792. Ihr Geläut ist im ganzen Quartier bekannt. Das Besondere: In der Kapelle wird noch von Hand geläutet. Zuständig dafür ist Mesmerin Esther Mathis, die gleich im Häuschen nebenan wohnt. Seit gut acht Jahren zieht sie jeden Abend, 365 Tage im Jahr, pünktlich um 19 Uhr zuerst an der grossen Glocke, dann an der kleinen. Sechs bis sieben Minuten dauert das Ritual, das zuvor schon ihre Mutter während mehr als 50 Jahren ausgeführt hat. Meistens ist Esther Mathis allein, wenn sie die Glocken läutet. Manchmal kommen aber auch spontan Spaziergänger oder Eltern mit Kindern vorbei, da die Kapelle in der Nähe eines beliebten Naherholungsgebiets liegt. Und es kam auch schon vor, dass das eine oder andere Kind an den Glocken ziehen durfte.
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Über 540 Jahre alt
Seit wann in der St.Wolfgang-Kapelle, die zur Pfarrei Bruggen gehört, jeden Abend zur gleichen Zeit geläutet wird, ist nicht bekannt. Was man aber weiss, ist, dass die Kapelle in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gebaut wurde. Erstmals urkundlich erwähnt wurde sie nämlich 1479. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um eine private Stiftung der «im Haggen begüterten Familien Hux oder von Gaisberg», wie es im «Straubenzeller Buch» heisst. Johannes Hux war fürstäbtischer Kanzler und Franz von Gaisberg Fürstabt von St.Gallen (1504 bis 1529). Zu dieser Zeit verbreitete sich der Kult des Heiligen Wolfgang auch in der Schweiz und es entstanden verschiedene Wallfahrtsstätten zu Ehren des Heiligen. Eine davon im Land des Fürstabtes von St.Gallen, der wie der «hochverehrte Heilige» dem gleichen Orden angehörte.
Wolfgang lebte im 10. Jahrhundert, er war Mönch und Lehrer in Einsiedeln. Angetrieben von seinem Wunsch, die Heiden zu bekehren, zog er nach Ungarn, um zu missionieren. Dort wurde er vom Kaiser zum Erzbischof von Regensburg ernannt. In dieser Funktion trat er als Reformer der Klöster und seines Bistums sowie als Erzieher des späteren Kaisers Heinrich II. auf. 994 starb Wolfgang in Oberösterreich. 500 Jahre später durfte «mit Erlaubnis der bischöflichen Kurie in Konstanz» in der Kapelle im Haggen die heilige Messe gefeiert werden. Da diese Erlaubnis jeweils nur für ein Jahr gegeben wurde, musste sie immer erneuert werden. Wie oft dies geschah, ist nicht bekannt. Im «Straubenzeller Buch» heisst es dazu: «Nachdem sich die Straubenzeller der Reformation zugewandt hatten - und das schon recht früh -, wurde jedenfalls kaum mehr ein solches Gesuch eingereicht.
1572 ging der Haggenhof von Ulrich Frank an den Straubenzeller Hans Heim und dann an Ulrich Boppart. Die Kapelle, die zu diesem Besitz gehörte, sei zu jenem Zeitpunkt in einem «bedenklichen Zustand» gewesen. Ulrich Boppart liess sie mit «alten Ziegeln und Balken von den alten Häusern des Siechenhausgutes» wieder in Stand stellen. Zudem spendete er einen Kelch und eine Jahreszeit. Sein Sohn Johann Boppart-Bossart tat noch mehr. Von 1644 bis 1647 liess er die Kapelle erhöhen, einen neuen Dachstuhl einbauen und ein Türmchen daraufsetzen. Abt Pius Reher spendete einen neuen Altar, der am 23.Mai 1647 zu Ehren der Muttergottes, des Heiligen Wolfgang und Ulrich eingeweiht wurde. Durch diesen Umbau erhielt die Kapelle im Wesentlichen das heutige, frühbarocke Aussehen. Der Umbau dürfte Teil einer Gesamtsanierung des Anwesens gewesen sein, da Johannes Boppart zur gleichen Zeit das Schlössli – nur ein paar Meter entfernt von der Kapelle – bauen liess. Um 1800 herum mussten die westliche Langseite neu fundamentiert und eine Glocke umgegossen werden. 1946 schlug ein Blitz in die Kapelle ein. Daraufhin wurde sie sowohl aussen als auch innen renoviert. Vor ein paar Jahren bekam die Sonnenuhr, die gemäss dem Verwalter der Katholischen Kirchgemeinde St.Gallen Magnus Hächler «ziemlich genau funktioniert», einen neuen Anstrich.

Innenraum der St.Wolfgang-Kapelle
Ein Monat ohne Glockengeläut
Im Sommer 2019 erwischte es dann die beiden über 200-jährigen Glocken: Sie mussten in Restauration. Allerdings wurde an den Glocken selbst nichts gemacht. «Die Holzkonstruktionen, an denen die Glocken mit Eisenbändern festgemacht sind, waren in schlechtem Zustand», sagt Hächler, «und sie mussten erneuert werden». Gleichzeitig wurden die Klöppel ausgewechselt. In dieser Zeit blieb die Kapelle während mehr als eines Monats stumm, was ungewohnt für die Bewohnerinnen und Bewohner im Haggen war, aber vor allem auch für Esther Mathis. Die Mesmerin freut sich denn auch, mittlerweile wieder jeden Abend an den Glocken zu ziehen und im Quartier den erholsamen Feierabend einzuläuten. (lom)