Journal der Künste 03

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vermutlich auch als eine Entwicklung durch Widerstände und in ihnen vorstellen. Serge Daney hat dieses Bild noch etwas weitergeführt, anläss­ lich des Films Von der Wolke zum Widerstand (1978). „[M]ir scheint, dass Jean-Marie Straub und Danièle Huillet insgeheim von etwas sprechen, das weitgehend verborgen bleibt (da die Solidität der sozialen Verbundenheit von dieser Ignoranz lebt): dass es da eine tiefgründige Gleichgültigkeit der Frauen gebe, gegenüber dem Glauben an ein Ideal. […] Denjenigen widerstehen, die Widerstand leisten, den Männern: Frauen, Steine.“3  Denn der Stein werde nicht von den Worten berührt, zitiert Daney aus Pavese. „Sagen Sie’s den Steinen“, antwortete Danièle Huillet einem Schauspieler bei den Proben zur Antigone (1991) an der Berliner Schaubühne, als der nicht recht wusste, an wen er seine Worte richten sollte. Die Worte an „die Dinge der Welt“ zu richten, an die Steine, die nicht davon berührt werden, die uns keine Antwort schuldig sind und uns alle überleben. „Kunst ist Widerstand gegen Kommunika­ tion“, schreibt Gilles Deleuze. In diesem Sinne liegt das Werk von Huillet-Straub offener da denn je, bereit, mit ihm die Gegenwart zu erforschen. 1 Eine Zeitlang sah die Kritik in diesen späteren Filmen ein ökologisches Kino. Jean-Marie Straub verbindet die Sorge um die Erde aber vielmehr mit etwas, das er die „kommunistische Utopie Hölderlins“ nennt. „Luft, die den Neugeborenen um­ fängt …“ 2 Irgendwann haben Straub und Huillet für sich entdeckt, dass sie bei gleichbleibender Szenenfolge mehrere Fassungen eines Films entstehen lassen können, indem sie andere Mo­ mente wählen, andere Aufnahmen derselben Einstellung. Ir­ gendwann haben Straub und Huillet für sich entdeckt, dass sie bei gleichbleibender Szenenfolge mehrere Fassungen eines Films entstehen lassen können, indem sie andere Momente wählen, andere Aufnahmen derselben Einstellung. 3 Serge Daney, „A Morals of Perception“, www.diagonalt­ houghts.com/?p=1529, von der englischen Übersetzung von Stoffel Debuysere ins Deutsche übertragen. Ursprünglich er­ schienen als „Une Morale de la Perception (De la nuée à la ré­ sistance de Straub-Huillet)“ in La Rampe. Cahier critique 1970– 1982, Gallimard, Paris 1983.

ANNETT BUSCH arbeitet als freie Autorin, Kuratorin und Übersetzerin und lebt in Trondheim und Berlin. TOBIAS HERING arbeitet als freier Kurator und Publizist und lebt in Berlin.

Annett Busch und Tobias Hering kuratieren die Ausstellung und den Veranstaltungszyklus Sagen Sie’s den Steinen – Zur Gegenwart des Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, 14. September bis 19. November 2017. Ab dem 15. Oktober ist eine vollständige Retrospektive der Filme zu sehen, verteilt auf vier Leinwände: in der Akademie der Künste, Berlin, sowie in den Berliner Kinos Brotfabrik, Zeughauskino und fsk. Filmstills aus Fortini/Cani, 1976

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