Augenblicke

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AUGEN BLICKE Foto Rupert Leser

Text Gerhard Liebel Klaus Nachbaur Rolf Schneider Michael Schnieber Rolf Waldvogel und Frank Plasberg



AUGENBLICKE Foto Rupert Leser


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Süddeutsche Verlagsgesellschaft Ulm im Jan Thorbecke Verlag

AUGEN BLICKE Foto Rupert Leser

Text Gerhard Liebel Klaus Nachbaur Rolf Schneider Michael Schnieber Rolf Waldvogel und Frank Plasberg


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Inhalt

Michael Schnieber

Vorwort

06

Rolf Waldvogel

Liebe zur Heimat

10

Gerhard Liebel

Lust aufs Land

22

Rolf Waldvogel

Chronist der Tradition

50

Rolf Waldvogel

Kultur im Fokus

68

Michael Schnieber

Wenn etwas passiert ...

80

Michael Schnieber

Menschenwürde im Objektiv

86

Michael Schnieber

Bilder, die bewegen

92

Rolf Schneider

Magie des Augenblicks

96

Klaus Nachbaur

Politisches

112

Klaus Nachbaur

Hilfe in Not

128

und Frank Plasberg

Lebenshilfe Leser

136

Biografie

140

Dank

143

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Wer mit Rupert Leser im Auto zu Terminen fuhr, war vor Überraschungen nie gefeit – abrupte Bremsmanöver inbe­ griffen. Denn achtlos durch die Landschaft zu hetzen, das gab es bei ihm nie. Eine Parade von ein paar jungen, kahlen Birken im Schnee neben der Straße war allemal einen spontanen Stopp wert. Mit untrüglichem Instinkt sah er solche Beispiele für die Ornamentik, die uns die Natur gratis liefert, und schon hatte er wieder eines seiner aparten Fotos im Kasten.

Liebe zur Heimat

Weil Leser vom Zeitungsgeschäft her kam, war natürlich die Schwarz-Weiß-Fotografie über Jahrzehnte hinweg seine angestammte Domäne. Deswegen schätzte er diese Ausflüge in die Welt der grafischen Schwarz-Weiß-Effekte außerhalb seiner Redaktionsroutine, fing für seine vielen Bildbände im Vorbeifahren die Schraffuren ein, die die Schneeschmelze in die Fluren ätzt, das Gewirr der Dächer von einem Kirchturm herunter, die Blütenexplosion in den Obstplantagen am Bodensee aus dem Hubschrauber heraus – und man staunte. Selbst das Auge ganz weit offen halten, damit auch anderen die Augen aufgehen, das hat Leser immer beherzigt. Der Oberschwabe aus Passion zeigte gerne dieses Oberschwaben, und dass er dabei auch souverän die Farbpalette zu nutzen wusste, versteht sich von selbst. In berückend schönen Bildern hielt er mit seiner Kamera das Unverwechselbare dieses Landstrichs fest, seine Berge, seine Hügel, seine Wiesen, seine Seen, seine Moore, seine Dörfer, seine Kirchen…

Rolf Waldvogel

Und der Motor für dieses Heimatlob war eine von ganz weit drinnen kommende Heimatliebe. Aber so stimmungsvoll die Ansichten von blühenden Löwenzahnteppichen im Frühjahr und von zarten Nebelschleiern über eiskalten Fluren auch sein mochten, er hatte immer auch einen Blick für Flecken auf dieser Hochglanzfassade. In ungeschönten Bildern dokumentierte er die Veränderungen durch die Moderne, die auch vor dieser Region nicht Halt machte. Wer sich gerade wohlig in der Idylle sanfter Auen einrichtete, wurde spätestens beim Anblick der in die Gegend gekippten Plastik-Silageballen auf dem nächsten Bild wieder wach gerüttelt. Bei aller Liebe zu diesem Oberschwaben – ein allzu seliges Schwelgen im Wohlgefühl gestattete der objektive Chronist Rupert Leser sich selbst nicht und auch nicht dem Betrachter. Von seiner Fotokunst war viel die Rede, als er 2009 den Oberschwäbischen Kunstpreis verliehen bekam. Er beherrschte sie intuitiv. Grandios war einst der Trick des alten Niederländers Vermeer, bei der berühmten Ansicht seiner Heimat Delft hoch oben im Vordergrund dunkel dräuende Wolken aufzutürmen, um die Stadt dahinter umso plastischer im letzten hellen Sonnenlicht vor dem Gewitter aufscheinen zu lassen. Grandios sind auch unzählige Leser-Fotos von den schier schmerzhaft gleißenden Gipfelzacken unter schwarzem Gewölk vor dem Zusammenbrechen des Föhns. Sie spiegeln genau jenes bedrohliche Schauspiel und öffnen sich damit in eine Dimension, die weit über das fototechnische Festhalten des Moments hinausreicht: Naturschönheit und Naturgewalt – die Zusammenschau nimmt gefangen.

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Alle Jahre wieder liefern uns die im Frühling gelb explodierenden Löwenzahnwiesen quer durch Oberschwaben ein Spektakel der besonderen Art. Und alle Jahre wieder inspirierten sie Rupert Leser zu seinen impressionistisch anmutenden Bildern (oben). Weil er fast täglich daran vorbeifuhr, tauchte in Lesers Fotos regelmäßig die noch aus dem frühen Mittelalter stammende, später barockisierte Kapelle von Volkertshaus bei Bad Waldsee mit ihrer Zwiebelhaube auf – ein Motiv für alle Jahreszeiten, hier im Herbst vor den bereits mit Schnee bedeckten Gipfeln der Allgäuer Alpen.

Föhnstimmung im Voralpenland – für jeden Fotografen der Moment, um zum Teleobjektiv zu greifen. Leser hat hier das Ulmer Münster als Fixpunkt in den Vordergrund gerückt, und hinter dem filigranen Maßwerk des höchsten Kirchturms der Welt wirkt das Naturschauspiel des Wetterumschwungs vor der fernen Alpenkette noch fulminanter (vorherige Seiten).

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Wie aus der Zeit gefallen: Über die Strecke zwischen Ravensburg und Friedrichshafen wurden früher immer wieder einmal alte Loks im Nostal­ gie-Look geschickt – sehr zum Erstaunen des kleinen Jungen in der Nähe von Meckenbeuren. (rechts). Aus den Bergen fließen die Obere und die Untere Argen durch stille Wälder und Auen, Dörfer und Städte, bis sie sich bei Neuravensburg vereinen und dann gemeinsam bei Langenargen im Bodensee münden. An diesen Flussläufen paradiesische Fleckchen Erde zu finden, fällt nicht schwer.

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Vor rund 15 000 bis 20 000 Jahren vom Rheintalgletscher geformt, als er sich während der Würm-Eiszeit ein letztes Mal aus den Alpen vor­­schob, ist die Allgäuer Landschaft über weite Strecken ein einziges welliges Auf-und-Ab: Hügel und Täler, Wälder und Felder, dazwischen ab und zu ein Gehöft. Und wenn dann in den Winter­ morgenstunden der Nebel wallt, bieten sich Bilder von einer stillen Melancholie (links oben). Immer wieder bestechend: Lesers Blick für die grafischen Wirkungen, die die Natur dem aufmerksamen Betrachter bietet – wenn er sie denn bemerkt. Hier ist es das feine Fächergespinst von emporragenden kahlen Ästen, das wie hingezaubert wirkt (links unten). Für ein gutes Bild opferte Leser alles – selbst seine Nachtruhe. Wie oft kam er in die Redaktion und schwärmte, weil er schon Stunden zuvor – im ersten Büchsenlicht, wie die Jäger gerne sagen – endlich irgendwo genau jenes Foto der erwachenden Natur geschossen hatte, das er schon lange suchte für einen bestimmten Bildband. Auch das Foto eines Fischerboots auf dem Bodensee unter einem Vollmondhimmel verdanken wir einem solchem Energieschub zu nachtschlafender Zeit. Weil er wusste, dass die Fischer schon um 4 Uhr zum Felchenfang aufbrachen, gab es für ihn nur eines: pünktlich zur Stelle sein, mit der Kamera im Anschlag (rechts oben). Ein schönes Foto mit einem weniger schönen Hintergrund: Als der Jahrhundertsturm Lothar 1999 auch über Oberschwaben hinweggefegt war und riesige Schäden durch Windbruch angerichtet hatte, folgte bald der Katastrophe zweiter Teil. Das Bruchholz wurde ein wohlfeiles Fressen für den Borkenkäfer. Da kam man auf die Idee, die Stämme zu Hunderten in die Seen und Weiher zu verfrachten, um sie dort im Wasser vor dem Schädling zu schützen. Das brachte Rupert Leser auf den Plan, und vom Hubschrauber aus gelangen ihm – wie hier am Häcklerweiher zwischen Weingarten und Altshausen – phantastische Bilder eines gigantischen Mikado-Spiels (rechts unten).

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Konzentration, Kraft, Entschlossenheit – das Gesicht der Österreicherin Christl Haas vor dem Abfahrtslauf 1964 in Innsbruck spricht Bände und wurde von der Sportpresse in diesem Jahr preisgekrönt. Leser wusste, wen er zu fotgrafieren hatte: Christl Haas wurde Olympiasiegerin (links). Das Bild der zwei Langläufer vier Jahre später (rechts) dokumentiert Freud und Leid: Der Finne Aero Maenytyraanta überholt 200 Meter vor dem Ziel des 4x10-km-Rennens in Grenoble 1968 den Russen Viateschlav Vedenine und holt so seiner Staffel Olympische Bronze. Vedenine ist untröstlich. Man wird nicht umsonst 40 mal Deutscher Langlaufmeister. Walter Demel aus Zwiesel war über ein Vierteljahrhundert im deutschen Langlauf das Maß aller Dinge und ein Vorbild an Disziplin und Kampfgeist – vor allem auch im Kampf gegen sich selbst (großes Foto rechts). Foto vorherige Seite: Wenn Bewegung Stillstand und Stillstand zur Bewegung wird: Diese Impression einer Springerin vom Zehnmeter-Brett gelingt dem Fotografen nur, weil er mit derselben Geschwindigkeit, mit der die Athletin ins Tiefe springt, mit der Kamera mitfährt und so die Zuschauermenge zur bloßen Kulisse macht. Es klingt ganz einfach und es ist ganz große Kunst.

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Ob Sport etwas mit Kunst zu tun hat, darüber streiten sich die Experten trefflich. Lesers Sportbilder, in denen er nicht nur Herzschlagdramen, sondern auch die stilleren Sportmomente vor Augen und ins Herz führt, sind Kunst. Das Bild der bergan stapfenden Skifahrer wirkt wie schierer Scherenschnitt, die Synchronschwimmerinnen in Ravensburg wirken wie ein fremdartig schönes Ornament (links). Der begeisterte Jahn-Jünger Leser hat – anfangs als Aktiver, später als fotografischer Beobachter – viele Jahrzehnte kein Deutsches Turnfest ausgelassen auch die Schönheiten der einzelnen Sport-Choreographien aus der Vergänglichkeit des Augenblicks geholt (unten).

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Impressum

1. Auflage 2014 Herausgeber Schwäbisch.Media und Süddeutsche Verlagsgesellschaft im Jan Thorbecke Verlag Gesamtherstellung Süddeutsche Verlagsgesellschaft Ulm Copyright Fotos Haus der Geschichte Baden-Württemberg Sammlung Rupert Leser Grafische Gestaltung Lioba Geggerle, logo.lio., Neu-Ulm Verlag Süddeutsche Verlagsgesellschaft im Jan Thorbecke Verlag ISBN 978-3-7995-0588-8

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