Kundalini Yoga Journal #46 Mai 2023

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MangelFülle und

46 / Mai 2023
Ausgabe

Redaktionsschluss:

2.

Falls du dazu Ideen, hast, schreibe mir bitte vorab. Beiträge und Vorschläge hierzu werden ab sofort gern entgegen genommen! Texte (bitte vorher mit mir absprechen) im Format Times New Roman 12 pt, eineinhalbzeiliger Abstand, linksbündig, nur per E-Mail mit Anhang (rtf oder doc) an: redaktion@3ho.de

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Druckunterlagen- /Anzeigenschluss: 19. Mai 2023 Anzeigen bitte im Format jpg oder pdf mit eingebetteten Schriften; Fotos als jpg, s/w-Fotos mindestens in einer Auflösung von 180 dpi. Anzeigen per E-Mail an: anzeige@3ho.de

Impressum

Herausgeber: Vereinszeitschrift der 3H Organisation Deutschland e.V., vertreten durch Karta Purkh Pomarius, Heinrich-Barth-Str. 1, 20146 Hamburg, Tel. 040/479099, www.3ho.de

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Redaktionsmitglieder: Barbara Santjeet Kaur Becker-Rojczyk, Christiane Gruhn, Helge Teg Sandeva Singh Haude, Claudia Riecken-Konstantin, Karta Purkh Singh Pomarius, Bettina Sat Hari Kaur Stülpnagel-Pomarius

Autoren dieser Ausgabe: Sabine Jagat Prakash Kaur Altmann, Vili Bayreva, Barbara Santjeet Kaur Becker-Rojczyk, ZenKai Markus Böhme, Tiaga Seva Kaur Renate Heiss, Christine Bhajan Kaur Glander-Riecker, Atma Jot Kaur Güdel, Helge Teg Sandeva Singh Haude, Ines Tej Krishan Kaur Henkel, Dzenet Hari Kartar Kaur Hodza, Guru Sandesh Kaur, Guru Sevak Kaur, Bachitar Kaur Karle-de Hommel, Clarissa Mandev Kaur Köpfer, Carola Karta Purkh Kaur Raap-Mehl, Arne Dharma Singh Raap-Mehl, Alice Radha Hemmer, Leyla Liebrecht, Harmanjot Kaur Muschter, Sabine Nerling, Claudia Dayajot Kaur O‘Hara Jung, Claudia Riecken-Konstantin, Michael Seva Manjot Singh Ritter, Anna Schoeppner, Anand Kaur Seitz, Paramjeet Singh, Yasemin Tuna-Nörling, Brigitta Guru Amrit Kaur von Vacano-Magdanz

Anzeigenakquise: Barbara Kuhls, anzeige@3ho.de

Layout: Jan M. Kürzinger, grafik@3ho.de

Covergestaltung: Anja Escherich, www.anja-escherich.de

Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht immer die Meinung von Redaktion oder Herausgeber dar. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Beiträge zu kürzen, zu redigieren, zu schieben oder abzulehnen.

INHALT
„Den
Editorial ..................................................................... 3 Umfrage ..................................................................... 4 Ein yogischer Kompass........................................... 5 Vom Wenigen zu viel, zu wenig vom Vielen .... 7 Das Konzept der Askese ......................................... 8 Die unsichtbare Mauer erkennen......................... 9 Sei tapfer, schau hin ................................................ 10 Mehr Zeit zum Leben ............................................. 11 Gib und du wirst beschenkt werden ................... 13 Aus vollem Herzen geben ...................................... 14 Mangel und Angst zu versagen ............................ 15 Die Fülle des Kundalini Yoga ............................... 16 Kreativität in Mangel und Fülle ........................... 17 Hilfe zur Selbsthilfe in Kambodscha ................. 18 Klänge, Kirtan, Mantras ......................................... 20 Fülle durch Verzicht ................................................ 21 Veränderte Werte ..................................................... 22 In Purnatva verweilen ............................................ 23 Mangel und Fülle im sonnigen Süden ................ 25 Die Einfachheit des Lebens ................................... 26 Dankbarkeit für das kleine Glück trainieren ... 27 Aus der Fülle geben ............ 28 Die vollkommene Freiheit ..................................... 29 Fülle aus dem Urweiblichen .................................. 30 Atemarbeit und Fülle .............................................. 31 CD-Tipp ...................................................................... 32 Meine Erfahrungen von Fülle .............................. 33 Wege aus dem Mangel ............................................ 34 Buchtipp 1 ................................................................... 35 Serviceseite ................................................................ 36 Nachrufe ..................................................................... 37 Buchtipp 2 .................................................................. 38 Yogische Kurznachrichten .................................... 38 Kundalini Yoga Festival Sachsen ......................... 39
Mai 2023 Thema der Sommerausgabe ist
Fokus halten“.
Thema „Mangel und Fülle“

I

ch war ein schüchternes, zurückhaltendes Kind. Mir mangelte es an Selbstbewusstsein, ich fand mich zu groß, zu unbeholfen, zu schwerfällig. So tat ich mich schwer damit, Freunde zu finden, war zu ernsthaft und verletzlich, zugleich genügte ich meinen eigenen hohen Ansprüchen an Leistung, Schönheit und Auftreten nicht. Bis zum Abitur bekam ich kaum den Mund auf, während ich zuhause Gedichte und Romane schrieb – niedliche, aber „brotlose Kunst“. Meine Eltern wiesen mich darauf hin, dass nicht innere Erfülltheit, sondern materielle Sicherheit wichtig wäre. Folglich studierte ich „etwas Vernünftiges“ und heiratete einen netten Mann, der mir materielle Sicherheit gab. Doch mir mangelte es in dieser Ehe an Leidenschaft, Leichtigkeit und Hingabe – und mit 35 Jahren änderte ich alles. Verließ meinen Mann, machte meine Hobbys zum Beruf, verliebte mich neu, begann Tango zu tanzen. Und heute führe ich ein reichhaltiges Leben, das ich mir selbst geschaffen habe –lebe vom Schreiben, vom Yoga, lese und reise viel. Ich liebe, was ich tue und kämpfe dafür. Denn dieses Leben ist keine Generalprobe. Ich fühle mich wahrhaftig erfüllt.

Was macht ein erfülltes Leben aus? Sicher nicht materielle Fülle – aber das Fehlen garantiert auch nicht unbedingt innere Fülle. Der Mythos vom armen, aber glücklichen Eingeborenen hält sich hartnäckig in so manchem westlichen Kopf, aber wenn der äußere Mangel überwiegt, wenn man ums nackte Überleben kämpfen oder weit unter der Armutsgrenze darben muss, beschert das keine innere Fülle, sondern den Wunsch nach mehr Wohlstand.

Was zu einem erfüllten Leben gehört, einem gelungenen Leben, ist für jede*n anders. Erfüllung zu finden hat nichts mit Maßlosigkeit zu tun. Selbst das leckerste Essen, das tollste Treffen mit Freunden, das größte Yogafestival kann zu viel werden, dann sagen wir, dass wir satt sind, übersättigt, dass uns alles zu viel wird. Aus dem Füllhorn der Möglichkeiten zu schöpfen kann erschöpfen, dann braucht es Rückzug, Besinnung, Verzicht, der kein Mangel ist, sondern die Harmonie wiederherstellt.

Fülle bedeutet: Ich habe alles, was ich brauche, nicht mehr und nicht weniger, es geht mir gut, so wie es ist, am richtigen Platz, im richtigen Leben. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, wusste schon der deutsche Philosoph Adorno.

Mit Kundalini Yoga haben wir auf jeden Fall einen gemeinsamen Weg in die Fülle gefunden. Nun ist leider der Verein in eine Mangellage geraten: Es fehlt an Mitgliedern. Wegen der Enthüllungen um Yogi Bhajan sind viele ausgetreten, die Energiekrise hat zu weiteren Austritten geführt, weil die Menschen sparen müssen. Das ist nur verständlich – aber bitte spart nicht „am falschen Ende“, denn wir wollen 3HO doch erhalten. Als Reaktion auf die Lage mussten vom Verein Sparmaßnahmen beschlossen werden. Daher erscheint dieses Journal erstmals nur als Online Ausgabe. Ich weiß, dass ihr ebenso wie ich das gedruckte Heft liebt, das beweisen die vielen Zuschriften, die ich erhalte.

Ich appelliere daher an euch, lasst uns gemeinsam dazu beitragen, dass der Verein wieder prosperiert! Lasst uns das Licht des neuen Kundalini Yoga in die Welt tragen und weitere Mitglieder gewinnen. Und: Lasst uns das Kundalini Yoga Journal erhalten, in all seiner haptischen Fülle und Farbigkeit.

Kundalini Yoga Journal / 3
Editorial
eure Kerstin Ravi Kirn Kaur.
Sat Nam, liebe Yogalehrerinnen und Yogalehrer und Freunde des Kundalini Yoga,

Wo erlebst du Fülle, wo empfindest du Mangel?

agmar Puchalla sagt: „Mein Leben ist schon ganz schön lang, und ich bin sehr dankbar dafür. Und zu diesem Thema, Mangel und Fülle, habe ich mir schon sehr, sehr oft Gedanken gemacht. Und ich habe immer gesucht. Gesucht danach, wie ich das lösen, auflösen, befrieden kann. Ich hoffe, ich bin auf einem guten Weg, das Thema zu knacken … Seitdem ich (fast) täglich trainiere, nichts mehr für selbstverständlich zu nehmen, wirklich nichts, bin ich immer wieder überwältigt von der Fülle des Lebens. Seitdem ich (fast) täglich trainiere, dankbar zu sein und zu erforschen, was der Sinn, das Gute auch in „negativen“ Erfahrungen sein könnte, bin ich traurig über all die Zeiten, die ich im Gefühl von Mangel gelebt habe. Es kommt mir rückblickend vor wie Verschwendung, wie Blindheit, ein Tappen im Dunkeln. Heute sehe ich Lichtfunken, Lichttunnel, Licht. Wahe Guru.

Mangel basiert in unserer Welt meistens nicht auf realer Not wie in vielen anderen Ländern der Welt, sondern auf Vergleich. Jemand hat mehr, ist weiter, sieht schöner aus, erscheint klüger … Davon lebt die Werbung, sie suggeriert uns, dass es uns besser geht, wenn wir nur ein beliebiges Produkt kaufen. Wir erfahren nichts darüber, dass dieses Gefühl von Mangel in Wahrheit in uns ist und nie im Außen gestillt werden wird. So sind wir wunderbare Konsumenten, manipulierbar, und letztlich mit dafür verantwortlich, dass unsere Erde und andere Menschen ausgebeutet werden. Ja, genau so hart ist es doch, wenn wir ehrlich sind, oder?

Hinter dem Gedanken von Mangel steckt der Gedanke, dass ich niemals genug bin, nicht gut genug bin und nicht genug habe. Also Angst. Ich denke, dass die meisten von uns damit aufgewachsen sind. Aber zu erkennen, dass es nur ein Gedankenkonstrukt anderer ist, weitergegeben an uns, und dass es nichts mit der wunderbaren Wahrheit zu tun hat, das ist der wichtigste Schritt für mich, den ich immer wieder neu machen muss. Herrlich, diese vielen kleinen Schrittchen, die mich immer wieder daran erinnern: Mein Äußeres, meine Leistung, mein Hab und Gut – all das ist nicht, wer ich im Kern bin. Sat Nam.“

Sonnia Sumpuran Kaur Höffken sagt: „Ich empfinde eigentlich IMMER Fülle, denn ich kann in jedem Moment, den

ich kenne Enttäuschung, Trauer, Leere und Existenzangst. Ja, das alles gestaltet mein Kopf, mein Mind, so mit und bewertet dies auf seine Weise, nämlich als „Mangel“.

Fake News im eigenen Geist!

Dann gehe ich meditieren. Und dann kann sich so vieles wenden! Die Bewertungen verblassen, die Leere wandelt sich zu Raum, in dem Neues entstehen kann. Trauer wandelt sich in totale Liebe zum gegangenen Menschen, oder der vergangenen Situation. Oder manchmal auch in Dankbarkeit, mit einer Person, die mir wahrhaftig nicht gut tut, nicht mehr im Kontakt zu sein. Enttäuschung ent-täuscht! Also bin ich dankbar, jetzt in der Klarheit zu sein (statt in der Täuschung), auch wenn es weh tut. Dann gehe ich in mein Herz und zu meinem Inneren Kind und streichle es.

Finanzielle Engpässe bringen mich in die Kreativität, neue Wege des Einkommens zu finden und zum tiefen Vertrauen, dass das Universum sich um mich kümmert, wenn ich dafür auch einen gewissen Einsatz zeige.

ich wähle, einatmen und ausatmen und spüren, dass (fast) ALLES in meinem Körper gut und richtig funktioniert. Ich bin lebendig. Das ist eine SO große Fülle und die ist nicht selbstverständlich. Wenn ich mich dann in meiner Welt umschaue, sehe ich meine Familie, meine Nachbarn, die Bäume, die Wiesen, die Berge, die Seen, die in meiner Nähe sind. Und so vieles mehr. Aus meinem Wasserhahn fließt frisches Wasser und ich habe einen Wasserkocher und kann mir Tee machen. Ich habe ein Zuhause und kann duschen. Etc. Etc WAS für ein Geschenk!

Ja, ich kenne Verlust. Verlust von Menschen, Verlust von Arbeit und von geliebten Dingen, finanziellen Verlust. Ja,

Und plötzlich kommt ein neuer Auftrag oder eine andere Chance. Plötzlich treffe ich Menschen, die mich inspirieren, oder be-reich-ern, ohne mir materiell etwas zu geben, oder mit denen zusammen eine neue Idee wachsen kann.

Wenn ich dann wieder still sitze und meditiere ... dann spüre ich solche Fülle und daraus heraus solche Dankbarkeit - für ALLES !“

Natalie Preet Karam Kaur Witten sagt: „Im Frühjahr 2022 bin ich für zwei Monate nach Heidelberg gereist, um von dort zu arbeiten. Ich wollte ausprobieren, was es mit mir macht, in einer fremden Stadt zu sein und dort Alltag zu erleben. Zudem wollte ich sehen, wie es ist, nur mit dem auszukommen, was in eine große Reisetasche passt. Die kleine Wohnung war mit dem Notwendigsten ausgestattet. Ich war

4 / Kundalini Yoga Journal Umfrage unter einigen Yogi*nis
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gespannt, ob und was mir womöglich fehlen würde.

Sehr schnell merkte ich, dass es nicht die Dinge waren, die mir fehlten, es war die Gemeinschaft mit mir lieben Menschen, die mir fehlte. Ich singe sehr gern Mantras und bin Teil einer kleinen Gruppe, die sich regelmäßig trifft, zumeist über Zoom, um gemeinsam zu chanten und uns über die erlebte Wirkung der Mantras auszutauschen. Während meiner Zeit in Heidelberg trafen wir uns weiter via Zoom und diese Treffen bereicherten mich sehr, trotz des ‚nur digitalen Sehens‘. Ich fühlte die Verbundenheit und Geborgenheit der Gruppe. Beim täglichen Mantrasingen gelang es mir oft, diese Verbundenheit weiter zu spüren. Das empfand ich als großes Geschenk.“

Sabine Gabelsberger sagt: „Ich selbst kenne das Gefühl von Mangel nur zu gut. Von einem auf den anderen Tag spürte ich in mir eine unglaubliche Sehnsucht. Doch woher kam dieses Sehnsuchtsgefühl, welches immer stärker wurde, ich hatte doch alles, was man sich nur wünschen konnte!? Ich war Mama zweier wundervoller Mädchen, Ehefrau eines sehr verständnisvollen Mannes, wir lebten in einem neugebauten Haus mit großem Garten und Tieren. Um den Ruf meiner Seele zu folgen, bin ich aus meinem Beruf als Krankenschwester ausgestiegen. Wonach sich meine Seele auf einmal sehnte - war ich selbst. Mir wurde bewusst, es ist die Sehnsucht nach meiner Liebe, meiner Wertschätzung und Fürsorge. Um in die Fülle zu gelangen, ist es meiner Meinung nach wichtig, erst einmal das Gefühl des Mangels kennenzulernen, es zu spüren und zu fühlen. Ich selbst suche nicht mehr im Außen nach dem was ich brauche, ich versuche meinen Mangel zu beheben, indem ich mir selbst gebe, was ich brauche. Fülle erlebe ich bei der

täglichen Meditation, beim Herumtollen mit meinen Kindern, in der Natur, durch nährende Gespräche, bei meiner Arbeit als ganzheitliche mediale Energieberaterin und wenn ich nach einer Yogastunde in die zufriedenen Augen meiner Schüler blicke.“

Mangel oder Fülle?

Ein yogischer Kompass

in Gespenst geht um im Land: ein Mangeldenken, häufig begleitet von seinem großen Bruder, dem Opferbewusstsein. Dabei wird bewusster Verzicht und Transformation mit Wegnahme und Entzug gleichgesetzt und verkannt, dass die Veränderungen Teil eines großen Paradigmenwechsels und dem damit einhergehenden Auflösungsprozess alter und obsoleter Strukturen sind. Echte Gefühle von Sehnsucht und Verlangen unterscheiden sich vom Mangeldenken und sind wichtige Indikatoren für tiefe, wahre und echte Bedürfnisse, die in der modernen Welt keinen Raum hatten.

Neutraler Geist als Retter in der Not

Die grassierenden Mangelgefühle sind ein Indikator des Widerstands gegen den Fluss der Veränderung. Sie entspringen dem negativen Geist, der eigentlich die ehrenvolle Aufgabe hat, uns vor Gefahren zu schützen und unser Überleben zu sichern; dazu muss er schnell und dominant agieren. Er muss potentielle Gefahren antizipieren können und bewegt sich damit in der ständigen Imagination von Negativentwicklungen jenseits des gegenwärtigen Moments. Das weckt Verlustängste und hält die Aufmerksamkeit da, wo

wir etwas vermeiden wollen - so nähren und erschaffen wir gerade das, was wir verhindern möchten, und verlieren uns im Drama der mentalen Geschichten.

Alltagsgeschehen statt Säbelzahntiger

Von unserem spirituellen Auftrag entfernen wir uns dabei immer mehr: Den endlosen Kampf der Polaritäten, von Negativ und Positiv, hinter uns zu lassen und auf der höheren Ebene des neutralen Geistes Zugang zum höheren Sinn aller Erfahrungen und Herausforderungen zu finden. Da sich der Kampf ums Überleben heute auf immer subtilere Ebenen verlagert, leben wir in einer omnipräsenten Übererregtheit des Sympathikus und damit des negativen Geistes. In der subjektiven Wahrnehmung von Bedrohung sind es ja nicht mehr die Schlachtfelder, sondern das Alltagsgeschehen in Büro und Haushalt oder die alltäglichen Nachrichten, die den Blutdruck in die Höhe jagen. Ehrgeiz und ewiges Streben nehmen nicht mehr den Säbelzahntiger aufs Korn, sondern äußern sich darin, immer größer, schneller, besser, reicher oder mächtiger sein zu wollen als unser Gegenüber.

Kundalini Yoga Journal / 5
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Die Wurzeln tief in Mutter Erde

Das Element Erde, in unserem energetischen System im Wurzelchakra beheimatet, steht für Urvertrauen und ein tief verinnerlichtes Gefühl, in Sicherheit zu sein. In der Logik von Konkurrenz und „Nur einer kann gewinnen!“ ist Mangel vorprogrammiert, denn die Teilhabe an der Fülle der Natur wird zum Kampf um begrenzte Ressourcen, um die immer wieder neu gerungen werden muss. Im Gegeneinander statt im Miteinander, von Füreinander gar nicht zu reden. In einem rein materialistisch definierten Konzept von Erfülltheit und Versorgtsein sind Ressourcen nie nachhaltig sicher. Eine unterversorgte, unerlöste Wurzelchakra-Energie äußert sich in der immerwährenden Suche, im nie befriedigten Raffen und der Gier nach dem immer Mehr. Hinter dem Mangel- und Konkurrenzdenken verbirgt sich aus spiritueller Sicht die Sehnsucht der Seele nach ihrer wahren Heimat, die tief in uns verborgene Erinnerung, einst Teil der großen Seele, der großen Einheit, gewesen zu sein, in dem wir aufgehoben und sicher waren.

Sehnsucht nach Liebe

Diese Verlusterfahrung prägt uns tief und speist unsere Sehnsucht nach Überwindung der Trennung, unser tief innewohnendes Verlangen nach Liebe und Anerkennung, so wie wir sind, ohne etwas tun, verändern oder gar erkämpfen zu müssen. Doch das äußert sich meist in einer ewigen, unerfüllten Suche, die – wenn ihre spirituelle Wurzel verkannt wird – die Ursache von innerer Leere und Mangel im Außen verortet und nur dort als veränderbar ansieht.

Die Quelle des Füllebewusstseins

Der Zugang zu einem inneren Raum des Erfülltseins kann nur aus der Bewusstheit entstehen, dass wir unsterbliche Seelen auf dem Weg durch eine weltliche Erfahrung sind. Auch wenn wir unseren wahren Seelenauftrag vergessen haben, sind wir Teil eines Größeren Ganzen, aufgehoben in einem sinnerfüllten Universum. Wenn wir uns darauf wieder besinnen, können wir uns mit einer tief in uns verborgenen Quelle der Liebe und Fülle verbinden, die nicht im Außen erreicht und befriedigt werden muss. Es braucht vielleicht etwas Übung und spirituelle Praxis, um den Zugang zur Quelle des Füllebewusstseins in uns selbst zu öffnen und zu hüten und unsere Wurzeln im inneren wahren Zuhause zu verankern, das uns jederzeit zur Verfügung steht. So werden wir unabhängig von den Umständen und können die Herausforderungen im Außen als Wegmarker unserer Seelenreise wahrnehmen, die uns ins Erwachen und zurück uns selbst führen.

Wenn wir dieses tiefe wahre Verlangen nach Rückanbindung und Heimat in der Großen Einheit zulassen, können wir Wege finden, es zu erfüllen. Ohne das kräftezehrende Spiel von Bewerten, Akzeptieren oder Zurückweisen können wir alle Erfahrungen umarmen, so wie sie sind, als Botschaften, die uns etwas zu sagen haben und uns zu unseren wahren Bedürfnissen führen.

Unsere Gedanken erschaffen die Welt

Die Welt, wie wir sie erfahren, ist Produkt unserer Vorstellungen und Überzeugungen, die sich manifestieren. Die Energie fließt dahin, wo unsere Aufmerksamkeit ist - deshalb sind unsere unbewussten Konditionierungen so einflussreich und färben unsere Erfahrungen, Erlebnisse und Strukturen. Erst, wenn wir uns dessen bewusst werden, können wir entscheiden, was uns wirklich wichtig ist, und es in unser Leben projizieren. Dazu brauchen wir das Urvertrauen, das aus dem Wiederentdecken des Alles-ist-einTeil-von-Allem resultiert und erfahrbar macht, was unsere Seele schon lange weiß: Dass wir mit unserem tiefen inneren Kern, dem Ort, wo Stille und Kraft wohnen, nicht nur mit einem heilen und heiligen Ort in uns selbst verbunden sind, sondern auch mit dem unendlichen Pranaozean im Universum, der uns mit unendlicher und grenzenloser Energie versorgt.

Wir können uns wieder einer ganzheitlichen Erfahrung von wahrer Fülle öffnen, und – in ihrem weltlichen Ausdruck – auch für all die materiellen und sinnlichen Erfahrungen, die unsere Seele, unser spirituelles Selbst, auf ihrem Weg durch die weltlichen Manifestationen macht und die unsere wahre Herzenssehnsucht erfüllt. Sind auch die unteren Chakras offen und energetisch versorgt, öffnet sich uns die Gewissheit, dass alles, was wir brauchen, für uns da ist, unabhängig von den äußeren Umständen, und dass wir uns dem schöpferischen Fluss anvertrauen können.

Dr. Anand Kaur Martina Seitz ist Kundalini Yoga Lehrerin seit 1992, Leadtrainerin (I + II) in der Yogalehrerausbildung und Autorin von „Kundalini Yoga. Harmonie für Körper und Seele durch die Chakra - Energien“und „Glückliche Wechseljahre. Hormonyoga, Ernährung und Mindset für den Weg zu dir selbst“. In dem Workshop- und Ausbildungszyklus „Hormonyoga im Kundalini Yoga in Zeiten des Wandels: 4 Module für erfüllte Weiblichkeit, Hormongleichgewicht und Lebensglück“ öffnet sie einen Raum für Frauen, um sich mit ihrer weiblichen Kraft und Shaktipower zu verbinden.

Infos: www.AnandNivas.de

6 / Kundalini Yoga Journal Aus dem Wahrem Selbst heraus handeln und sein

Vom Wenigen zu viel und zu wenig vom Vielen

Von Paramjeet Singh

angel geht zurück auf das lateinische Wort mancus, „verstümmelt, verkrüppelt, gebrechlich, unvollständig, mangelhaft“. Etwas fehlt, scheint nicht da zu sein, ist getrennt von uns. Mangel, Verlangen, Hunger tragen alle das ng in sich, den Klang des zweiten Spirituellen Körpers (Negativer Mind). Der zweite Sikh Guru ist Angad und der zweite Teil des Mul Mantras ist Oang. Auch hier finden wir diesen Klang. Die Zwei ist nicht Eins. Die zweite Dimension unseres Seins lässt uns die Sehnsucht der Seele nach ihrem Ursprung spüren. Mit diesem Heimweh werden wir alle geboren. Wir kommen hungrig und bedürftig in diese Welt.

Der Hunger ist nicht zu stillen

Im Japji Sahib hören wir gleich im ersten Pauri, dass unser Hunger mit nichts auf dieser Welt zu stillen ist. Mehr zu essen oder zu konsumieren macht uns doch niemals satt und zufrieden. Es scheint immer etwas zu fehlen. Die vorübergehende Welt (Maya) kann nur 20 Prozent unserer Bedürfnisse erfüllen, 80 Prozent bleiben als Sehnsucht nach unserer eigenen Unendlichkeit unerfüllt. Diese führt uns entweder auf den spirituellen Weg oder wir versuchen sie verzweifelt materiell zu kompensieren, was nie gelingen kann. In dieser unschuldigen Sehnsucht nach uns selbst wurzeln all unsere Süchte und Anhaftungen.

Mangel und Fülle – eine karmische Konstruktion

Das Wort Mangel wird meist gleichgesetzt mit Problem. Es mangelt am Nötigsten, wir haben Mangelerscheinungen, unsere Leistungen sind mangelhaft. Mangel haftet uns an. Der Negative Mind hat immer etwas zu bemängeln oder zu kritisieren. Er ist das Aber in unserer Kommunikation, der Wermutstropfen, die Bedingung. Es mangelt uns nicht an Fülle, wir sind erfüllt mit Bildern des Mangels. Die Fülle der Wohlstandsmeditationen im

Kundalini Yoga spiegelt unsere Bedürftigkeit nach spirituellem Reichtum, der den materiellen mit einschließt. Im neutralen Bewusstsein wird Mangel zu Leere, welches die eigentliche natürliche Polarität zur Fülle ist. Hier erkennen wir, dass das vielzitierte Gegensatzpaar „Mangel und Fülle“ eine karmische Konstruktion ist, die Trennung erzeugt. Wir assoziieren Mangel allgemein mit Unwohlsein, das wir vermeiden wollen und Fülle mit Freude, nach der wir streben, und erzeugen so eine Dualität. Guru Nanak schreibt im zweiten Pauri: Der göttliche Wille schreibt allen Schmerz und Freude zu.

Wenn Leere und Fülle verschmelzen Können wir ungeachtet unserer Situation und aller Umstände die Fülle des Lebens erleben? Voll da sein, mit vollem Herzen, voller Mitgefühl und Verständnis? Uns entleeren von überkommenen Ansichten und Gewohnheiten? Die Natur kennt keinen Mangel, nur Leere, die sich füllt, um sich schließlich wieder zu entleeren. Die Natur ist üppiger Überfluss. Das Geben ist ein unendlicher Fluss. „Unser Nehmen macht uns müde und matt.“ (Drittes Pauri). Wir dürsten nach Dingen, statt nach dir (Naam). So haben wir vom Wenigen, Materiellen viel zu viel und vom unendlich Vielen fließt nur wenig durch unsere Herzen in unsere Welt. Wir folgen täglich unseren untrainierten Augen und Gedanken und unsere Lebenskraft wird in Kompensationen konsumiert.

Doch wenn wir unseren Hunger auf Naam lenken, in tiefe Meditation eintauchen, verschmelzen Leere und Fülle zu Einem. Wir sind voller Leere und die Fülle entleert sich in uns. Das, wonach wir uns sehnen, zu dem werden wir. „Flüsse und Ströme, ohne ihn zu kennen, in den unendlichen Ozean münden.“ (Pauri 23)

Paramjeet Singh ist Kundalini Yoga und Karam Kriya Lehrer, Sprachwissenschaftler und Musiker. Seine besondere Liebe gilt dem Gurmukhi & Gurbani. Er ist Autor von: „Japji Sahib - Wort für Wort“ (erster kompletter Videokurs auf Deutsch) und „Japji Sahib - Gesang des Lebens“ (komplett gereimte deutsche Übersetzung, siehe Buchtipp). Mehr über ihn unter www.yogajapa.com.

Fließe mit dem Paradox der Polarität Das ganze Japji ist ein Lobgesang auf das Viele, Unzählige, Unendliche, Unbeschreibliche, Unbegreifliche, Unberechenbare und Unerreichbare. Guru Nanak gibt zahlreiche Aufzählungen der Wesen und geht dabei bis zum Äußersten des menschlich Sagbaren. Er bringt den Positiven Mind an die Grenze des immer mehr Hinzufügens, das letztlich doch nichts aussagt über das Unendliche.

Über das negative Prinzip der Leere kommen wir in einer stärkeren Beziehung zur Fülle des Göttlichen: nirbhau, nir-vär, a-kaal, a-juni, a-sankh, a-mul, a-nil, a-nad, an-ahat, na, na jor, ant na, … Wir können lediglich sagen, was Gott nicht ist. Wir sprechen aus der Leere, um erfüllt zu werden und unsere Gebete erfüllen sich nur, wenn auch wir voller Vertrauen sind, und gleichzeitig leer von Erwartungen. Polarität ist kein Problem. Fließe mit dem Paradox der Polarität, schöpfe deine Kraft daraus und löse deine „Probleme“ darin auf.

Kundalini Yoga Journal / 7 Sehnsucht nach unserer eigenen Unendlichkeit
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Das Konzept der Askese

Ich musste schmunzeln, dass ausgerechnet ich über Askese schreiben soll, wo ich doch eher die Fülle lebe, „eine Hand in Öl, eine Hand in Honig“, wie man in der Türkei sagt … aber vielleicht gerade deswegen ist es gut, mich damit auseinander zu setzen.

Das „Keep up-Prinzip“

Was hat Yoga mit Askese zu tun? Bereits in den Upanishaden spielt Tapas (Bedeutung im Sanskrit: Hitze oder Glut) im Sinne von Askese eine wichtige Rolle. Im Achtgliedrigen Pfad (Ashtanga Marga) von Patanjali ist Tapas ein Aspekt der Niyamas, der Empfehlungen im Umgang mit sich selbst und zur Lebensführung. Die anderen Punkte sind Shauca (Reinheit), Santosha (Zufriedenheit), Svadhyaya (Selbstreflexion), Ishvara Pranidhana (Vertrauen und Hingabe an Gott). Mit Tapas ist das innere Feuer gemeint, das uns antreibt, um diszipliniert und mit

von Samen und Gras und soll nur ein Reiskorn am Tag zu sich genommen haben, so die Legende. Kurz vor dem Hungertod merkte er schließlich, dass er ihn nicht zur Erleuchtung bringen würde. Seit diesem Zeitpunkt lehrte er den „mittleren Weg“ zwischen Askese und Luxus. Genau das Gegenteil, nämlich die Fülle, verkörpert der Budai, der sogenannte Glücksbuddha, dickbäuchig und lachend, sehr beliebt in China und Japan als Symbol für Zufriedenheit und Wohlstand. Wo aber stehen wir als Yoginis und Yogis zwischen diesen Polen?

Ahimsa in Tat, Wort und Gedanken

Ahimsa meint, liebevoll und rücksichtsvoll mit sich und anderen, mit allen Lebewesen umzugehen. Und dies nicht nur in Taten, auch in Gedanken und Worten. Das bedeutet, dass wir auch mit unserem Körper bewusst umgehen, seine Grenzen und Möglichkeiten respektieren und uns vor allem nicht mit anderen (besseren?) Yogis vergleichen sollten.

Ausdauer an Übungen dranzubleiben, auch wenn es anstrengend und unangenehm wird, sozusagen das „Keep up-Prinzip“ Yogi Bhajans. Bei dieser Art von Askese geht es nicht um extreme Enthaltsamkeit, Kasteiung und Praktiken, die auf den Körper zerstörerisch wirken, sondern es sind Bemühungen, die die spirituelle Praxis unterstützen. Hierzu könnte man kaltes Duschen, zeitlich begrenztes Fasten (einmal die Woche oder Diäten wie die Grüne Diät), tägliches Sadhana oder das Üben einer Meditation oder Kriya für 40 Tage zählen.

Zwischen den Polen

Das Sinnbild extremer Askese ist für mich der asketische Buddha, wie er bis auf ein Skelett abgemagert dargestellt wird. Er ernährte sich ausschließlich

In die Erfahrung kommen Kundalini Yoga ist für Menschen gedacht, die mitten im Leben stehen, arbeiten, Kinder groß ziehen und Familien haben. Die Praxis soll mit diesem Leben vereinbar sein, daher ist eine asketische Lebensweise ohnehin nicht angesagt. Eine gewisse Disziplin ist aber vor allem am Anfang des Weges durchaus sinnvoll, wenn man ins Spüren und in die Erfahrung kommen möchte. Wie fühlt es sich an, wenn ich tatsächlich um 5 Uhr aufstehe, kalt dusche und mich auf die Matte begebe? Was macht eine Meditation mit mir, wenn ich sie elf Minuten durchhalte, auch wenn ich meine, die Arme nicht mehr spüren zu können? Was passiert in meinem Körper und mit meiner Psyche, wenn ich mich darauf einlasse?

Natürlich kommt es vor, dass einige Yoga-Jünger*innen starken Ehrgeiz entwickeln, jede Kriya, jede Empfehlung zur Lebensführung wörtlich nehmen und eine strenge, ja dogmatische Haltung an den Tag legen. Da kommt meines Erachtens das Ego ins Spiel, denn ist es nicht der Mind, der denkende Verstand, der etwas erreichen will, sich Ziele setzt und sich als Richter aufspielt, wobei er genau beurteilt, was richtig und falsch ist? Daher ist es wichtig, sich zu beobachten und ehrlich zu sein über die eigene Motivation. Bei übertriebenem Eifer in der Yogapraxis und harter Disziplin frage ich mich ohnehin, wie es um Ahimsa (Gewaltlosigkeit) bestellt ist, einer der Yamas, der Verhaltensvorschläge zum Handeln in der Welt.

Wir können uns immer wieder erneut fragen: „Was will ich? Um was geht es mir? Was brauche ich gerade in diesem Moment?“. Ziel aller körperlichen Übungen, Pranayama, Mantra-Wiederholungen usw. ist es, den denkenden Geist zu beruhigen, innere Stille und die Einheit mit dem Selbst, dem Seelenanteil, zu erfahren. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie Werkzeuge sind und nicht das Ziel. Gelingt es mir, den meditativen Geist, die Stille, die immer da ist, in mir zu kultivieren? Wenn nicht, dann benutze ich diese effektiven Werkzeuge, wie ich sie benötige. Wenn ja, wunderbar, dann bin ich angekommen … Sat Nam!

Dr. Phil. Yasemin Tuna-Nörling ist seit 2005 Kundalini Yoga Lehrerin (KRI), zudem Kinderyoga Lehrerin und in der Fachausbildung Yogatherapie. Seit 2019 unterrichtet sie Yin Yoga und ist in der Fortbildung zur Trainerin in Gewaltfreier Kommunikation nach Marschall Rosenberg. Sie leitet das Yogazentrum Heidelberg.

8 / Kundalini Yoga Journal Mangel, Fülle und der mittlere Weg

Fülle ist unser natürlicher Seinszustand

a, überall um uns herum und in uns ist Fülle. Man betrachte nur die verschwenderische Flut der Natur, die aus einem von Hunderten von Äpfeln eines Baumes wieder mehrere Bäume mit wiederum Tausenden von Äpfeln wachsen lässt. Üppig nenne ich das. Ganz und gar fantastisch, wie das angelegt ist. Oder die Menge an Blutzellen in uns – jede Sekunde werden drei Millionen frische rote Blutkörperchen produziert – einfach so, als wäre das nichts weiter. Auch die Hunderte von Kilometern langen Bronchialwege oder die Zehntausende Kilometer an Blutgefäßen. Ganz zu schweigen von der unfassbaren Menge an Zellen in uns – alles kleine, vollständige Lebenseinheiten, die sich vermehren, regenerieren und nachweislich leuchten. Der endlose Raum im Universum, gefüllt mit Energie, mit unendlichen vielen Elementarteilchen. Göttlichkeit, Heiligkeit und Fülle, soweit das Auge reicht.

Die Schatzkammern des Lebens Eigentlich sollte man aus dem Staunen, ja aus der Begeisterung nicht herauskommen. Diese Fülle, diese Hingabe und Liebe, die sich da für uns ausdrückt, sollte uns fühlen machen, wie unfassbar gut es die Göttlichkeit mit uns meint, wie unerschöpflich und reichhaltig die Schatzkammern des Lebens gefüllt sind. Ja, nicht nur gefüllt, sie sind wie der endlose Brei, der sich munter immer weiter vermehrt und vermehrt …

Hechten wir der Erfüllung hinterher?

Doch dann höre ich immer wieder einen Ton, der sich anhört wie quietschende Reifen, wenn man in voller Fahrt die Handbremse zieht. Ein nicht zu ignorierender Ton, der durch die Fülle-Parade schrillt und mich zurück auf den Boden der Tatsachen bringt. Das Leben ist ja wohl kein Ponyhof, nicht wahr? Fülle ja, aber in jedem Lebensbereich? Dann kommt auch noch die Yogini und spricht von Erfüllung – was für ein Wort. Und das alles ist

unser ganz natürlicher Seinszustand. Du brauchst nur zugreifen, alles ist in Hülle und Fülle einfach da, noch bevor du danach gefragt hast. Wieso werde ich den Eindruck nicht los, dass wir das mit der Fülle intuitiv wissen und doch hechtet jeder und jede in irgendeinem Bereich dem Füllhorn hinterher, strengt sich an, gibt ihr Bestes und doch …, naja, am Ende stehen häufig Resignation und Erschöpfung. Leere statt Fülle.

Elementarstress

Im Studienheft zum Thema Vitalität & Stress steht Folgendes: „Die Dinge kommen nicht zu euch, weil ihr sie begehrt oder manipuliert usw. (…) Die Dinge kommen zu eurem eigenen Wohle zu euch, wenn ihr keinen Elementarstress habt. Anderenfalls kommen Dinge zu euch, um euch im Desaster enden zu lassen. (…) Mit euch ist nichts verkehrt. Es ist der elementare Stress, der eine Zone des Horrors in euch erzeugt und dieser fallt ihr zum Opfer.“ (Yogi Bhajan)

Das ist der Stress, den wir in jüngsten Tagen erleben, jener, der uns nicht bewusst ist, dieser eine, der uns tief prägt. Wir werden hineingeboren in eine Gesellschaft der puren Stress-Fülle, sogar für die, die scheinbar alles haben. So legen wir uns schon in jungen Jahren Verhaltensweisen zu, um geliebt zu werden, etablieren Gewohnheiten, die uns vermeintlich gut durchs Leben bringen und kommen zu Schlussfolgerungen, die uns unseren wahren Seinszustand vergessen lassen.

Erlaube dir, die Seelenfülle wahrzunehmen

„Das Leben ist ein Geschenk. Wir aber verschwenden es an unsere inneren Konflikte.“ (Yogi Bhajan)

Genau – das Leben ist ein Fülle-Geschenk, welches wir häufig durch den Elementarstress nicht mehr wahrnehmen können. Hier ist Ehrlichkeit sich selbst gegenüber gefragt, verbunden mit einem deutlichen Blick auf das Thema Elementarstress mit seinen Ausläufern Depression, Cold-Depres-

sion und Angststörungen. Hier braucht es Bewusstsein, um die unsichtbare Mauer sichtbar zu machen, die uns von der Fülle trennt und uns zur Marionette des Stresses macht. Rhythmus ist hierbei ein Zauberwort. Und Stärkung der Prana-Aufnahme.

Dafür ist es hilfreich zu erkennen, dass wir im Stress dazu neigen, genau die Dinge aus unserem Leben zu verbannen, die uns guttun würden. Wir verscheuchen dann die Fülle des erquickenden Schlafes – gehen zu spät ins Bett, glotzen zu viel Netflix und füttern Instagram. Wir tummeln uns endlos in Emotionen und erzeugen schräge Projektionen, anstatt immerfort die innere Friedens-Fülle unserer Seele aufzusuchen. Wir essen totes, leeres und ungesundes Essen, dabei sollten wir uns mit Prana-reicher Kost versorgen, die uns eine Fülle an Energie gibt. Der Elementarstress verdeckt sicherlich einen Teil unseres natürlichen Daseins, aber wir treffen selbst die Wahl, ob wir uns der Selbstsabotage aussetzen wollen oder ob wir uns so viel Seelenfülle erlauben, wie nur irgend möglich.

Seva Manjot Singh ist Kundalini Yoga Lehrer, Heilpraktiker, Reiki Lehrer und Dozent im Bereich Heilpraktiker und Therapie. Er bietet den fortlaufenden Online Kurs „Sadhana & The Universe of the Body“ (Sadhana mit anschließenden Teachings über die wichtigsten Organsysteme) an, in dem er seine Begeisterung über den menschlichen Körper weitergibt.

www.satnamji.de

Kundalini Yoga Journal / 9 Die unsichtbare Mauer erkennen
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Die Angst vor Mangel und das innere Kind

ach ein Experiment mit mir. Lehn dich zurück, atme tief ein und frage dich: Wer bin ich, wenn ich alles habe, was ich brauche?

Ja, ich weiß, du willst jetzt weiterlesen und machst das dann später - aber versprochen?

Diese Frage sprang mich regelrecht an aus dem Lied „Begin Again“ von der wunderbaren Gruppe LVDY (Album „The Woods“): „Who am I when I am not seeking? When I got everything I need within my reaching?” Also, vielleicht magst du das Experiment doch jetzt gleich machen? Schließe 20 Sekunden lang die Augen, lass den inneren Zustand entstehen, diese Phantasie, alle Bedürfnisse erfüllt zu haben … 19…20 ... Leicht? Schwer?

Das könnte etwas über dich aussagen. Vielleicht sagt es etwas über deinen Allgemeinzustand in Bezug auf Zufriedenheit. Vielleicht sagt es etwas über Genuss- und Freudfähigkeit, deinen Optimismus.Vielleicht sagt es etwas über deine Bedürftigkeit, deinen Perfektionismus, der immer Verbesserungsmöglichkeiten sieht, deinen Selbstoptimierungsdruck, deine Verunsicherung, deine Verlust- und Todesängste, deine Angst vor Mangel.

Verunsicherung durch Wirtschaftskrise

„Die ‚Generation Mitte‘ ist durch die aktuellen Krisen und deren wirtschaftliche Folgen stärker verunsichert als durch die Corona-Pandemie“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Im Auftrag der Versicherer befragt das Institut für Demoskopie Allensbach jedes Jahr die 30- bis 59-jährigen Menschen in Deutschland. Grassierende Angst vor Mangel:„Zu wenig“ Zinsen, Gas, Zuwendung, Wertschätzung, quality time etc.

Die Spur im Gehirn

Mangel ist immer subjektiv und hängt von Zielen oder Erwartungen ab. Für einen Fastenden ist es kein Problem, wenn der Teller leer ist. Für den Skibegeisterten ist es kein Mangel, wenn die Sonne tagelang nicht scheint und stattdessen dicke Schneeflocken fallen. Die subjektive Bewertung hängt also von unserem Inneren ab, von unserer Zielsetzung, die uns oft nicht bewusst ist. Diese unbewussten inneren Bedeutungsgebungen, die in neuronalen Mustern zusammen eine „Spur im Gehirn“ bilden, nennen wir behelfsweise innere Anteile, darunter „den Perfektionisten“ und das „innere Kind“.

Das Kind in dir muss Heimat finden

Stephanie Stahl hat in ihrem Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ für viele sehr anschaulich beschrie-

ben, was wir in der Psychotherapie schon seit Dekaden als Therapietool verwenden: Eine Verbildlichung der inneren „Geistesströmungen“, wie Patanjali dies vielleicht nennen würde. (Sutra 1.1-1.3)

Im therapeutischen Kontext begegnen mir oft diese mentalemotionalen Muster: „Ich bekomme nicht, was ich brauche“, „Ich kriege nicht genug“, damit ganz eng verwoben:

„Ich bin nicht genug“ oder „Ich genüge nicht, ich bin wertlos.“ (Stephanie Stahl, in ihrer Beschreibung des Schattenkindes). Demgegenüber stellt sie das Sonnenkind, das Freude, Stärke, Sicherheit, Offenheit, Neugier verkörpert. Dies ist natürlich ein Konstrukt. Weder das eine noch das andere existiert in Reinform, aber es ist eine hilfreiche Analogie und Verbildlichung. Meiner Erfahrung nach gibt es ein sehr mannigfaltiges Spektrum aller möglichen Kombinationen dieser inneren Anteile, ebenso mannigfaltig wie jede Persönlichkeit und deren Erfahrungen.

Nährende Anteile geben Halt

Shapiro benennt „Erwachsenanteile“ als nährende Anteile, die entscheiden, abgrenzen, schützen können und den „spirituellen Anteil“ als ressourcenreiche Ego-States, die in der Therapie eine große Rolle spielen, und dem „inneren Kind“ Halt geben. Das innere Kind kann folgende Qualitäten haben:

– kreativ, verspielt, grenzenlos, ohne Regeln

– bedürftig, hungrig,

– verletzt, schutzlos, hilflos, ängstlich, trotzig.

Uns sind diese inneren Anteile vertraut, aus Erfahrung, auch von den Teachings von Yoga Bhajan, der in seinem Buch „The Mind“ mit seinen 81 Facetten ähnliche neuronale Cluster, aber aus psychologischer Sicht keine vollständige Liste

10 / Kundalini Yoga Journal Sei tapfer, schau hin
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der inneren Anteile darstellt, womöglich auch, weil mind und Ich/Ego nicht gleichzustellen sind, aber das ist ein anderes Thema. Das Kind-Ich kann sich vielleicht am ehesten im Enthusiasten und Creator im positive mind lokalisieren lassen.

Kompensatorische Verhaltensmuster

Angst vor Mangel kann also als ein Ich-Zustand gesehen werden und ist ein Konglomerat von Gedanken, Emotionen und Reaktionen des hilflosen, bedürftigen inneren Kindes. Ob dieser Ich–Zustand der aktuellen Situation gerecht wird, gilt es immer wieder zu prüfen. Meist nicht.

Als automatisierte „neuronale Cluster“ spulen sie sich aber in uns ab, oftmals unbewusst, schneller als ein Reflex.

Wir versuchen (auch nicht bewusst) alles, um nicht in dieses Gefühl kommen zu müssen, und entwickeln kompensatorische Verhaltensmuster. Angst vor Mangel, nein, schnell buchen, damit der Platz nicht weg ist, schnell horten, damit Vorräte im Haus sind. Dieser Ich-Anteil kann viel Stress machen, aber auch die stabilisierende Illusion schaffen, Sicherheit durch Materielles zu erlangen. Aber gelingt es?

Der Yogi/die Yogini in uns ist aus der Sicht unserer Ich-Anteile eine ressourcenreiche Ich-Instanz, die Schutz, Halt und positive Erfahrungen liefert und so das gestresste innere Kind beruhigen kann. In anderen Worten: Angst auflösen.

„Woraus besteht Angst? Angst besteht aus Unwissenheit, daraus, dass man sich selbst nicht kennt. Es gibt nur eine Angst. Sie manifestiert sich auf viele Arten. Tausendfach kann sie sich manifestieren. Aber im Prinzip gibt es nur eine Angst:

Tief innen bin ich vielleicht gar nicht,” Und in gewisser Weise stimmt es. Du bist nicht.“ (Osho)

Diese existentielle Angst, nicht zu sein. Nicht-Existenz als Maximal-Mangel. Atme aus, atme dich leer. Bist du noch da? Wer bist du in der Atemleere? Wer bist du jenseits der Angst? Sei tapfer, schau hin.

Tiaga Seva Kaur Renate Heiss ist Dipl.-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Yogatherapeutin und -lehrerin nach 3HO und Gründerin des Ananda Yoga und Therapie, www.yoga-therapie-ananda.de

Literatur:

Osho, Emotionen, Goldmann, 2000

Stahl, S., Das Kind in dir muss Heimat finden, Kailash, 2015

Shapiro, R., Ego-State Interventionen, G.P. Probst Verlag, 2020

Skuban, R., Patanjali´s Yogasutraarkana 2011

GDV: https://www.gdv.de/gdv/medien/medieninformationen/inflation-und-energiepreise-generation-mitte-staerker-verunsichert-als-durch-corona--112710

„Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der dauernd sich verändernden mentalen Muster. Dann ruht der Seher in sich selbst. Dies ist Selbstverwirklichung.“

Mehr Zeit zum Leben

Vier goldene Wege aus Ruhelosigkeit und Alltagshast

„Monde und Jahre vergehen, aber ein schöner Moment leuchtet das Leben hindurch.“ (Franz Grillparzer, österreichischer Schriftsteller, 1791 - 1872)

Wir alle wissen um die Flüchtigkeit von Zeit und sehnen uns nach Augenblicken, die voller Schönheit sind, sich in unsere Herzen pflanzen und dort Blüten treiben für die Ewigkeit. Wir möchten nicht, dass uns die Zeit entgleitet und mit ihr unser Leben. Angetrieben von dem Gedanken, bloß keine Zeit zu verlieren, hasten wir durch die Stunden, Tage, Wochen. Wollen schneller werden. Und immer noch mehr schaffen. Immer ein Ziel vor Augen haben. Sina Wendt formu-

liert es in ihrem „Soulflake“-Blog sehr treffend: „Wir laufen schon, während wir noch liegen.“ Wo bleibt in dieser Hast der schöne Moment, der das Leben hindurch leuchtet? Haben wir ihn in unserer Eile übersehen? Haben wir überhaupt ein einziges Mal innegehalten? Geatmet? Wahrgenommen? Unserem Herzschlag Raum gegeben? Unserer Seele zugehört?

Wie aus Zeitmangel Fülle wird

Das Vergehen der Zeit ist ein Mysterium. Sie fliegt mal federleicht dahin; mal frisst sie sich zäh von Augenblick zu Augenblick. Oftmals so, wie wir es

gerade nicht gebrauchen können. Zeitforschende aus der Wissenschaft und dem Leben haben beobachtet, sie haben Erkenntnisse gewonnen und Empfehlungen herausgebildet darüber, wie sich Zeitmangel, Zeitverschwendung und Lebenshast in einen friedvoll dahinperlenden Strom von gelebten Augenblicken verwandeln lassen. Wie aus Mangel Fülle wird und aus dem Gefühl von Getriebenheit mehr Zeit zum Leben. Überraschenderweise sind sich Forschende in vielerlei Hinsicht einig und ihre Empfehlungen beziehen sie gern und häufig aus dem jahrtausendealten Weisheitswissen der Yogis.

Kundalini Yoga Journal / 11

Die besänftigende Kraft der Muße Zeit ist Leben. Zeitverschwendung ist Lebensverschwendung. Einen klugen Umgang mit der Zeit zu finden, ist eine Kunst, die unsere Hinwendung verlangt, eine Selbstverpflichtung und Disziplin. Qualitäten, die wir im Yoga kultivieren und durch Meditation schulen. Doch leicht lassen wir uns mitreißen von Ehrgeiz und Kampfgeist. Dabei ist das, was wir brauchen, in unserem Bestreben, Zeit zu verlangsamen, nicht Kampf. Was wir brauchen, sind neue Perspektiven und die besänftigende Kraft der Muße.

Wir selbst tragen Verantwortung für unsere Zeit

So lehrt uns auch Beppo, der Straßenkehrer aus Michael Endes „Momo“, in verblüffend einfachen Worten die Kunst der Muße, um selbst in erschöpfenden Situationen die Kontrolle über die Zeit und gelebtes Leben zurückzugewinnen und den Augenblick wertzuschätzen. Beppo kehrt die Straßen, die ihm zugewiesen sind, langsam, aber stetig. Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken. Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“ Beppos Botschaft ist wie eine Erinnerung an ein tief in uns wurzelndes Wissen, dass wir selbst es sind, die die Verantwortung tragen für die Ausgestaltung unserer (Lebens-)Zeit. Weitere leichte und sehr kreative Techniken haben Zeitforschende aus verschiedensten Fachrichtungen zusammengetragen, unter ihnen der Psychologe und Buchautor Marc Wittmann („Gefühlte Zeit“, erschienen 2016 bei C.H. Beck). Vieles ist uns aus dem Yoga vertraut. Koste von diesen Gedanken mit Muße …

1. Achte den Augenblick. Tritt hinaus aus dem Strom deiner Routinen. Stattdessen sieh dich um. Spüre. Atme. Schenk dir ein Lächeln. Und tu dann

dasselbe wie bisher, nur anders. Sei präsent in dem Blick, den du einem anderen Menschen zuwirfst. Im Händedruck. In der Beantwortung einer Frage. Und du wirst augenblicklich einen Raum in der Zeit wahrnehmen, in dem du selbst die Freiheit und die Macht besitzt, die Gegenwart zu gestalten anstatt gnadenlos durch sie hindurch getrieben zu werden. Einfach durch dein wahrhaftiges Da-Sein.

2.

Für Arbeiten, die dir lästig sind und die dir gestern noch wie eine Verschwendung von Lebenszeit erschienen, erschaffe auch Räume. ZeitRäume. Einen Zeit-Raum kannst du wohlwollend auf eine Stunde begrenzen. Er dient nichts anderem als der Steuererklärung, dem Badputz oder einem überfälligen Gespräch mit dem Nachbarn. Auf einen solchen ZeitRaum bereite dich vor wie auf eine Yogastunde: Leg Materialien und Informationen bereit. Sorge für eine wohlige Atmosphäre. Koch dir einen Yogi-Tee. Dann fang an und der Druck wird weichen. Diese Weisheit des dritten Sutras für das Wassermannzeitalter lässt sich leicht auf jede erdenkliche Art von Tätigkeit anwenden. Verrichte deine Arbeit, wie du eine Kriya praktizierst. Hingebungsvoll. Fokussiert. Losgelöst. Und in Würde. Betrachte deine Arbeit wie Meditation in Bewegung. Beende deine Kriya planmäßig. Erfreue dich an dem Ergebnis. Und fahr erst fort, wenn morgen oder in der nächsten Woche ein neuer Zeit-Raum zur Verfügung steht.

3. Marc Wittmann und andere Zeitforschende aus aller Welt beschwören die Magie der ersten Male. Als Kind erlebtest du deine Sommerferien vielleicht auch, als dauerten sie für immer. Sie waren voller Er-Leben, voller neuer Eindrücke und Erfahrungen, die du zum ersten Mal in deinem Leben machen durftest. Dein Gehirn war Tag und Nacht damit beschäftigt, die unendliche Fülle von neuen Bildern und Empfindungen zu verarbeiten. Ein Umstand, der die Wahrnehmung von Zeit verändert. Der die Zeit verlangsamt. Diesen Mechanismus darfst du

dir auch in späteren Jahren zunutze machen. Brich aus deinen Routinen aus. Tu jede Woche oder jeden Tag etwas, was du noch nie getan hast. Wähle ungewohnte Worte. Denke neue Gedanken. In dem wunderbaren Roman „Alice im Wunderland“ sagt die Königin zu Alice: „In deinem Alter habe ich täglich eine Stunde darauf verwendet. Zuzeiten habe ich vor dem Frühstück bereits bis zu sechs unmögliche Dinge geglaubt.“ Ein guter Anfang! Niemand zwingt dich, dich an die Regeln zu halten. Tanz aus der Reihe. Fürchte dich nicht. Hör auf dein Herz. Und probiere dich aus.

4. Und zu guter Letzt: Schenk dir und deiner Seele am Ende eines jeden Tages eine heilige Zeit. Die heilige Zeit kann wenige Augenblicke, Minuten oder auch eine ganze Stunde dauern. Sie ist reserviert für ein warmes Bad, für Poesie, erhebende Musik, ein Seelengespräch oder etwas ganz anderes, das dein Herz berührt und mit Dankbarkeit erfüllt.

Claudia Riecken-Konstantin ist Kundalini Yoga Lehrerin der Stufe 2 und freie Autorin mit einem besonderen Sinn für die tiefe und friedvolle Schönheit, die mit dem Fortschreiten der Zeit und dem Fortschreiten der eigenen Yoga-Erfahrung zum Vorschein kommt.

Claudia lebt und unterrichtet in ihrer schleswig-holsteinischen Heimat nahe Hamburg.

12 / Kundalini Yoga Journal Mehr Zeit zum Leben

Der yogische Umgang mit (vermeintlichem) Mangel

rtensterben, Gasmangel, Stromknappheit, alles wird teurer … Dieses Mindset macht etwas mit uns. Ein Teil in uns lässt sich verunsichern und fühlt sich nicht geborgen in dieser kalten Welt. Was tun? Dann versuche ich mühsam dagegen an zu meditieren oder re belliere gegen die böse Welt oder ich ziehe nach La Gomera in die Höhle und erlebe, dass dieser Mangel durch das Meeresrauschen und die einfache Lebensart immer mehr in den Hintergrund gerät, bis ich mich getragen und geborgen fühle bei Mutter Natur. So habe ich selbst drei Jahre lang immer wieder La Gomera genossen. Bis ich gemerkt habe, dass das auch keine Dauerlösung sein kann.

Ein unsicheres Märchengeschöpf

Stell dir vor, du bist Sterntaler. Doch immer wieder hältst du dein Kleidchen auf, damit die Taler des Universums dich segnen, und dann wechselst du die Position, weil dein unruhiger unsicherer Geist sich gerade fragt, ob es doch an einer anderen Stelle niederregnen wird oder ob nicht jemand anders dir die Taler wegschnappt oder ob Bitcoins nicht sicherere Taler sind … Oder du hältst das Kleidchen auf, stehst aber so schwach und instabil, dass du immer wieder den Saum loslässt und die Fülle sich auf den Boden ergießt.

So kann das nichts werden. Yoga unterrichtet uns, dass es all die Schritte von innerer und äußerer Disziplin braucht - stabile Haltung, bewusste Atmung, Selbstwahrnehmungsfähigkeit, Konzentration, Vertrauen und Hingabe - um die Fülle des höchsten Bewusstseins wahrzunehmen. Um sie zu genießen, braucht es auch die Erfahrung, dass das universelle Bewusstsein anwesend ist. (Siehe auch die acht Stufen nach Patanjali von Yama bis zu Samadhi.)

Stufe um Stufe in universelle Fülle

Damit sich aus dem Mangel eine Fülle bilden kann, braucht es diese Grundvoraussetzungen. Innere Stabilität, Selbstwahrnehmung und Intuition um den richtigen Moment, sowie Vertrauen um die Segnung. Mangel und Fülle sind zwei Pole, die uns in der dualen Welt ständig umgeben. Wir kreisen um diese beiden Pole. Erst wenn ich innehalte und in die Ruhe komme, kann ich mich aus der Dualität auf eine höhere Ebene erheben, die mir danach eine neue Form der Dualität zeigt, und so bewege ich mich Stufe um Stufe in einer „Diagonalität“ aus dem scheinbaren Mangel in eine universelle Fülle hinein.

Wohlstand ist ja schon immer ein nettes Thema für uns Kundalini Yogis. Hier noch ein Ausschnitt aus meinem Archiv. Das Japji nimmt sich im vierten Pauri ebenfalls des

Themas an: „Das vierte Paurī gibt Kraft, wenn du in Gefühle wie Armut und Bedürftigkeit verstrickt bist. In dem vierten Paurī fügt Guru Nānak eine zusätzliche Ebene zur Wahrnehmung unserer wahren Beziehung zum Göttlichen hinzu: Das universelle Bewusstsein gibt und wir sind die Nehmenden. ākhah(i) mangah(i) dayh(i) dayh(i) dāt karay dātār. Wir betteln laut: ‚Gib! Gib uns!‘ Und der Gebende fährt damit fort zu geben. Wir genießen, wir konsumieren und wir verändern, was uns bereits von der großen Quelle aller Geschenke gegeben wurde. Ich pflanze zum Beispiel einen Samen und versorge ihn mit Wasser, aber Mutter Natur hat diesen Samen, die Erde, seine Ernährung und die Mikroorganismen kreiert und auch das Wasser, das ihn nährt. Habe ich irgendetwas erschaffen? Nein, aber ich werde die Früchte dieser Pflanze essen. Ich werde den Baum fällen und sein Holz nutzen. Das alles wurde uns gegeben, auch die Luft, die wir atmen, das Licht, das wir sehen, die Erde, auf der wir wandeln. Das ganze Universum, inklusive uns selbst, ist Ek Ong Kār: ‚Das Eine, das sich in Erscheinungsformen entfaltet.‘ Alles, was du deinen Kindern beibringst, ist: ‚Werde ein Einser-Schüler. Und werde ein großer Nehmender.‘ Du hast sie nie gelehrt, Gebende zu sein. Diejenigen, die keine Gebenden sind, wissen nichts über Gott. Jeder von uns bekommt, was er benötigt, wir alle bekommen genug und vielleicht sogar mehr als genug. Guru Nānak fordert uns heraus. Anstatt wieder und wieder zu nehmen, ‚weltliche Güter anzuhäufen‘ wie im ersten Paurī geschrieben steht, gibt es vielleicht auch etwas, das wir geben können? Wenn wir erhalten, worum wir bitten, und immer noch nicht zufrieden sind, dann könnten wir doch etwas Neues probieren und überlegen, dass wahres Glück nicht durch das Nehmen, sondern durch das Geben entsteht?

„Wir sind auf diese Erde gekommen, um zu geben und nicht, um zu nehmen. Sei nicht stolz auf das Nehmen. Gib und du wirst mit Werten beschenkt werden. Und das wird dir Gott schenken.“ (Yogi

In diesem Sinne lasst uns innerlich ruhig werden, den sicheren Ort suchen, geben und am Ende unser Kleidchen aufhalten, damit sich der Segen des Universums in Fülle ergießt.

Dharma Singh Leadtrainer Stufe 1 und 2, Mitbegründer der Pranajio Academy, Mitbegründer des ATMC ( Aquarian Tantric Meditation Circle), glücklich verheiratet mit Karta Purkh Kaur, Vater von fünf Kindern und gesegnet mit sechs Enkeln.

www.pranajio.com

Kundalini Yoga Journal / 13 Gib und du wirst beschenkt werden
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Aus vollem Herzen geben

etzt sind es nur noch wenige Tage bis Weihnachten und ich bin gebeten worden, über „Geben aus ganzem Herzen“ zu schreiben. Natürlich verlese ich mich erst mal: „Geben aus grünem Herzen“ und erinnere mich an eine Yogafreundin, die in Erfurt ein vegetarisches Bistro gleichen Namens betreibt. Da kann man ruhig mal nach einem Spaziergang durch die Altstadt vorbeigehen. Das fällt dann in die Kategorie des Gebens und Nehmens.

Dysbalancen im Geben und Nehmen

Systemisch betrachtet ist die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen zentral und ein Garant für gute und stabile Beziehungen. Im Bistro ist die Sache klar geregelt, alles hat einen Preis. In anderen Beziehungen ist es nicht immer ganz so einfach. Dysbalancen, die entstehen, wenn eine Person immer gibt, die andere nimmt, führen über kurz oder lang in den Konflikt und der ist kaum zu heilen, wenn es dem, der nimmt, nicht mehr möglich ist, einen Ausgleich herzustellen. Die Verantwortung liegt bei der Person, die zu viel gibt. Meine kürzlich verstorbene Schwester teilte deswegen gern, was ihr selbst gut gefiel und wovon sie mehr als genug hatte. Manchmal traf sie damit den Punkt und manchmal knapp daneben. Dass Liebe drin steckte, war die Hauptsache.

Die Schätze des „Plünnenpakets“

In meiner Kindheit kündigte der Brief einer meiner Tanten einmal im Jahr die Ankunft eines „Plünnenpakets“ an. Die wenige Tage später per Post eintrudelnde Kiste war oft schwer und groß. Meine in der Schwabinger Ainmillerstraße lebende Tante war geschieden und lebte ein Künstlerinnenleben, wie vor ihr schon Kandinsky, Münter, Rilke. Sie bemalte unter anderem Porzellan, das sich aber nur an Liebhaber verkaufte. So legte die Familie allmonatlich solidarisch zusammen, damit sie genug zum Leben hatte. Diese Tante war so ganz anders als meine vernünftige Mutter und ihr daher ein Dorn im Auge, aber für uns Kinder schwer interessant. Ungeachtet allen Naserümp-

fens geriet das Auspacken jedes Mal zu einem Fest. Meine älteste Schwester verschwand sehr schnell hinter mitgeschickten Modezeitschriften. Meine praktisch veranlagte Mutter zog Dinge aus der Kiste, woraus sie nach dem Waschen ein Kleidchen oder Mäntelchen zaubern würde, etwas für die Puppen, einen Vorhang fürs Kasperletheater. Anderes verwandelte sie mit ein wenig Mühe in ein hübsches Tanzkleid mit Petticoat und schmaler Taille für eine der Schwestern. Der Rest landete in der Verkleidungskiste für lange trübe Nachmittage und den Karneval oder in handliche Vierecke gerissen als Putzlappen im Flurschrank.

Einmal fand sich in so einem Paket ein Säckchen mit Steinen. Auf jeden Stein war ein Gesicht gemalt und mit Lack fixiert und jedes Gesicht hatte laut beiliegender Beschreibung einen Namen und eine Geschichte. Einer der Steine sah sehr bayerisch aus und trug den ungewöhnlichen Namen Onkel Aloisius. Ich stellte mir vor, dass er immer nach Tabak roch und sicher einen dicken Bauch hatte. Stundenlang und immer wieder spielte ich mit diesen Steinen unter einem der Betten im Kinderzimmer liegend. Für manche Dinge braucht ein Kind einfach einen ungestörten Ort. Heutzutage steht in meiner Familie geschenkte Zeit hoch im Kurs.

Die Saat darf, muss aber nicht aufgehen

Vor yogischem Hintergrund gefällt mir besonders die Idee des Saatgeschenks. Dabei gibt man jemandem etwas gern und von Herzen, versehen mit einem Segenswunsch und der Idee, dass von der Art her Ähnliches in größerer Menge zurückkehren möge.

Kurt Tepperwein, der sehr launig über Fragen des guten Lebens im spirituellen Kontext plaudern kann, ordnet diese Art des Schenkens den sogenannten hermetischen Gesetzen zu. Viele Möglichkeiten tun sich hier auf. Eine Freundin war sehr erfolgreich mit einem in dieser Weise gesegneten Seva in Form kostenfreien Unterrichts in einer

sozialen Einrichtung und einem gleichzeitig prosperierenden privaten Yogaunternehmen. Beim Saatgeld ist der Segen entscheidend, aber auch das Geben aus einem von Anhaftung freien Herzen. Anders ausgedrückt, auch wenn die Saat nicht aufgehen sollte, ist es nicht schlimm, denn die Freude war im Augenblick dabei.

Wenn ich in manchem Jahr meinem Sohn einen Herzenswunsch erfüllte, obwohl mir selbst das Objekt seiner Begierde wenig gefiel, dann war das Schöne daran zu sehen, wie glücklich das Kind reagierte. Es ist die selbst empfundene Freude beim Geben, die uns erkennen lässt, dass wir aus ganzem Herzen geben und nicht aus Gewohnheit, Verpflichtung oder der Konvention folgend.

Christine Glander-Rieker (Bhajan Kaur) ist seit über 20 Jahren Kundalini Yoga Lehrerin und Ausbilderin, Dipl. Soziologin, bewandert in Methoden der humanistischen Psychotherapie, der Systemik und Sat Nam Rasayan Heilerin. Sie betreibt eine private Praxis für Coaching und Beratung, lebt überwiegend in Leipzig und unterstützt derzeit die 3HO Akademie als eine von zwei Geschäftsführerinnen.

14 / Kundalini Yoga Journal
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Mangel und Angst zu versagen

u kannst dich beruhigen, deine Seele kennt weder Mangel noch die Angst, nicht zu genügen.

Als Mensch in dieser Welt kennen wir beides jedoch alle in unterschiedlichen Facetten. Das ist herausfordernd und bedrückend.

Mangel kann zu einem Teufelskreis führen

Mangel und Angst zu versagen sind zwei sehr mächtige Emotionen, die viele Menschen in ihrem Leben beeinflussen. In unserem Kundalini Yoga gibt es viele Techniken und Praktiken, die uns dabei helfen können, mit diesen Gefühlen umzugehen und sie zu transformieren.

Mangel ist ein Gefühl, das entsteht, wenn wir glauben, nicht genug zu haben oder nicht gut genug zu sein. Dies kann sich auf materielle Dinge beziehen - Geld oder Besitz - aber auch auf emotionale Dinge wie Liebe, Anerkennung oder Zufriedenheit. Das Gefühl des Mangels kann uns dazu bringen, uns immer mehr zu wünschen und nie zufrieden zu sein. Das kann zu einem Teufelskreis führen, in dem wir immer mehr wollen, ohne jemals das Gefühl zu haben, genug zu haben.

Die Angst zu versagen entsteht, wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht in der Lage sind, etwas erfolgreich zu beenden oder unsere Ziele zu erreichen. Diese Angst kann uns davon abhalten, neue Dinge auszuprobieren oder Risiken einzugehen, was uns daran hindern kann, unser volles Potential zu entfalten.

Ein Fallbeispiel aus der Praxis

Als Yoga- und Psychotherapeutin habe ich häufiger mit Menschen zu tun, die in sich tiefem Mangel empfinden und Angst haben, nicht zu genügen. So auch meine Klientin, ich nenne sie mal Hannah (heute 28 Jahre). Sie erzählte, dass ihre erste Angsterfahrung mit einer tiefen Umbruchsituation in ihrem Leben zu tun hatte. Mit acht Jahren ist sie mit ihrer Familie als deutschsprachige Spätaussiedlerin von Rumänien nach Deutschland gekommen. Sie mussten alles zurücklassen und fingen in Deutschland bei Null an. Tief verunsichert und in einer gleichzeitig schwierigen Familiensituation verstärkten sich ihre Ängste, bis sie zum Kundalini Yoga kam und das Atmen/Pranayama, insbesondere den langen tiefen Atem, für sich entdeckte.

Im Kundalini Yoga gibt es viele Techniken, die uns dabei helfen können, mit diesen Gefühlen umzugehen, um sie zu transformieren. Eine dieser Techniken ist das Atmen. Durch bewusstes Atmen können wir unser Bewusstsein verändern und uns beruhigen. Durch die Konzentration auf den Atem können wir unseren Geist beruhigen, uns von negativen Gedanken und Emotionen befreien und uns wieder mit unserer Seele verbunden fühlen.

Einfach und effektiv

Ich lade dich jetzt ein, dich ganz bequem hinzusetzen und Hannahs hilfreiche Lieblingsübung zu machen. Du sitzt bequem? Lege deine Hände auf deinen Bauch und schließe die Augen. Atme lang und tief und verbinde dein Einatmen mit Sat und dein Ausatmen mit Nam. Auch als „alter Yogi“ vergessen wir immer mal wieder, wie wunderbar diese einfache und so verbindende und effektive Atemübung ist. Hannah nimmt sich jeden Tag drei bis fünf Momente von drei Minuten, um ihre verbindende und stabilisierende Atemübung zu machen.

Eine weitere bekannte Technik ist das Mantra-Singen. Das Wiederholen von Mantras trägt dazu bei, unseren Geist zu beruhigen und uns von negativen Gedanken und Emotionen zu befreien.

Hannah hat für sich das Mantra Ardas Bhaee gefunden, in der Version von Nirinjan Kaur, so beruhigt sie sich und mit jeder Wiederholung des Mantras wird sie immer angstfreier.

Als weitere Technik im Kundalini Yoga verwenden wir Körperübungen und Kriyas. Durch das Ausführen von Kriyas können wir die Energie in unserem Körper aktiv und ausgleichend beeinflussen.

Hier hat Hannah für sich die Aura-Kriya gefunden. Das häufige Üben stärkt ihren Schutzraum um sie herum, sie fühlt sich stabiler und verbundener. Und sie macht die Erfahrung, dass sie selbst etwas tun kann. Sie erlebt sich immer mehr als selbstwirksam und immer seltener als Opfer.

Ich schätze es sehr, Menschen zu begleiten, die sich im Mangel fühlen und verängstigt sind und sich mit Kundalini Yoga wieder sicherer, vertrauensvoller, seelenverbundener und glücklicher fühlen.

Eva Guru Sant Kaur ist Leadtrainerin und Yoga- und Psychotherapeutin, die beherzt und forschend Kundalini Yoga und moderne therapeutische Verfahren verbindet. Sie weiß, dass jeder Mensch das Geburtsrecht hat glücklich zu sein; www.Yoga-Therapie-Training.de

Kundalini Yoga Journal / 15
Mangel und Angst zu versagen
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Die Fülle des Kundalini Yoga

enn ich das Wort Fülle höre, kommen mir spontan innere Bilder des Paradies in den Sinn oder des „Schlaraffenlandes“, in dem es alles in Hülle und Fülle gibt - ein Ort, wo alles im Überfluss vorhanden ist, auch Ruhe, Liebe und Miteinander.

Fülle ist (auch) eine Frage der Einstellung

Dann denke ich in Bezug auf Kundalini Yoga an die Fülle der unzähligen Meditationen und Übungsreihen, die uns zur Verfügung stehen, an die Fülle der Teachings und die vielen Facetten und Techniken. Fülle ist für mich auch eine Frage der Einstellung, eine bestimmte Denk- und Handlungsweise. Es ist eine Art, im „positive mind“ zu sein und zu leben.

Der positive mind oder projective mind (denn er ist nicht positiv im Sinn von gut) macht optimistisch, leicht, spielerisch oder humorvoll. Er sieht immer die Chance und die Möglichkeit in den Dingen, es schwingt Freude mit. Er hat Kraft und bringt voran, kann aber auch treibend sein. Manchmal lässt er allerdings auch unachtsam werden, dann kann es zu viel des Guten werden. Eine ungeahnte Fülle von Möglichkeiten.

Reichtum ohne Liebe?

Der Gegenspieler der Fülle ist Mangel. Auch im Sinne einer Geisteshaltung: Eine Haltung, aus der Angst spricht, es reicht nicht, es ist zu wenig für alle, für mich ist nicht gesorgt …

Fülle kann ich auch im Sinne von Reichtum denken. Wenn es hauptsächlich um Geld, Besitz, Reichtum (im engeren Sinne) geht, könnte ich allerdings auf der rein materiellen Ebene und im Ego hängen bleiben. Nämlich wenn es um die Befriedigung meiner Bedürfnisse und Wünsche geht, um Abgrenzung. Dann bin ich im Bereich des Egos. Für mich ist dieser Reichtum allein nicht das Ziel, es fehlt mir der Bezug zum Herzen und zur Liebe.

Hülle statt Fülle

Es gab früher mal eine Fernsehwerbung, die das für mich auf den Punkt bringt: Nach Jahren treffen sich zwei Schulfreunde in einem Café wieder und auf die Frage „Wie geht es dir?“ kommt prompt die überschwängliche Antwort: „Blendend - mein Auto, mein Haus, mein Boot“ – die Fotos auf dem Tisch demonstrieren das Gesagte und das Ego jubelt sichtbar. Dann Augenkontakt hin und her - die Antwort ist vernichtend, denn das andere Haus ist größer, das Auto und das Boot auch, dazu noch die Pferde und die hübschen Stallmädchen.

Diese Geschichte ist für mich der Inbegriff von äußerer Fülle – und gleichzeitig von Leere. Innere Leere. Es dominieren Hierarchie (ich bin besser als du), materielles Haben und das rein Äußerliche – eine Hülle. Ist das wirklich, worum es im Leben geht? Wo bleibt das SEIN, das Echte?

Was ist innere Fülle?

Was ich im Kundalini Yoga finde, ist etwas, das mich in die eigene Tiefe und Fülle führen kann. Es ist die Anwendung von unendlich vielen Methoden, Aspekten und Konzepten, die mich auf körperlicher, mentaler und noch viel tieferen Ebenen mit mir selbst in Verbindung bringen, um mich selbst und das Leben besser verstehen lassen. Es ist die Verbindung zu meinem innersten Kern, die Verbindung zu meiner Seele und meinem Höheren Selbst. Es ist die Anerkennung des Göttlichen in mir, dass ich in meinem Leben ein Ausdruck des Göttlichen auf dieser Erde bin und mich hier erfahre. Wenn ich diesen Weg gehe, dann ist die Fülle ein Teil des Weges und wird integriert. Dann kommt die Fülle ganz automatisch, ist quasi eine Antwort des Universums auf mein So-Sein und wird zu einer inneren Fülle, zu einer ErFÜLLung. Ich bin Teil dieses Universums, das sich so reich verschenkt – auch

an mich – wenn ich es annehme und aus dem Mangeldenken heraustrete.

Der Weg der Erfüllung

Das Haben verneinen wir im Kundalini Yoga nicht, es geht nicht um Askese und Armut, um zum eigenen Göttlichen zu finden, auch nicht um zölibatäres Leben. Der tiefere Sinn und eigentliche Zweck ist für mich das SEIN, die Erfüllung meiner Bestimmung. Das, wofür ich eben hier in meinem Körper auf der Erde bin. Vielleicht bin ich noch auf der Suche nach diesem Sinn oder schon auf dem Weg, vielleicht habe ich erst ein Zwischenziel im Visier. Im Moment, da der tiefere Sinn hervortritt, der Bezug zum „echten Ich“, zu dem, was es hinter all den Mustern und Gewohnheiten, den Fassaden und Masken zu entdecken gilt, komme ich in Berührung mit dem Wohlstand. Dann bin ich auf dem Weg der ErFÜLLung.

Wenn ich das Ziel definiert habe, kann ich all die Ressourcen nutzen, die mir zur Verfügung stehen. So wird aus Reichtum und Fülle echter Wohlstand, den ich zum Wohle aller einsetzen kann. Das bedeutet auch, dass ich von all dem, was ich erhalte, einen Teil weitergebe und verschenke. So wie die Natur gibt und schenkt. Dann bin ich auf dem Weg von ICH zum WIR, und noch einen Schritt weiter bin ich in Verbindung mit der Quelle. Und die Dinge kommen ins Fließen. Der Wunsch, dem Ganzen mit den eigenen Gaben zu dienen, Dankbarkeit, die Freude, das Leben zu spüren und durch das Auf und Ab des Lebens zu gehen, die Herausforderungen zu meistern und den tieferen Sinn darin zu erkennen, entspringen diesem Fluss. Auch dieses Fließen ist für mich Fülle: die unzähligen bewussten Momente, Atemzüge, die kleinen Unendlichkeiten in meinem Leben – welch ein Geschenk, welch ein Glück!

16 / Kundalini Yoga Journal
Die Erfüllung meiner Bestimmung
W

Kreativität in Mangel und Fülle

„Not macht erfinderisch“ weiß der Volksmund. In einer Notsituation tut man Dinge, die man sonst vielleicht nicht tun würde – und findet dadurch neue Wege und Möglichkeiten. Eine Not- oder Mangelsituation vermag es, die schöpferische Kraft in dir zu erwecken, dich traditionelle Denk- und Handlungsweisen überschreiten und originelle Ideen, Methoden oder Dinge entwickeln zu lassen.

Reichtum schwächt Erfindungsreichtum

Studien deuten darauf hin, dass reiche Menschen tendenziell weniger kreativ sind als arme. Das liegt daran, dass sie in der Regel einen festen Lebensstil pflegen und sich weniger mit Risiken auseinandersetzen müssen. Sie haben weniger Anreize, neue Wege zu gehen, da sie über genügend Mittel verfügen, um ihre Bedürfnisse zu decken. Es gibt jedoch auch reiche Menschen, die äußerst kreativ sind und ihr Vermögen nutzen, um Projekte und Ideen zu verwirklichen. Sie haben die finanziellen Ressourcen, um Risiken einzugehen und sich auf Abenteuer einzulassen, die für arme Menschen unerreichbar wären.

Armut wird als Mangel an finanziellen Mitteln oder Einkommen definiert. Armut kann eine enorme Belastung für die Kreativität darstellen, da sie den Fokus auf das tägliche Überleben lenkt.

Dennoch gibt es auch in armen Gemeinschaften große Kreativität und Innovationskraft. Menschen, die in Armut leben, müssen häufig clevere Wege finden, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, was zu kreativen Lösungen führen kann. Sie sind gezwungen, mit wenigen Mitteln auszukommen und sich anzupassen, was sie befähigt, kreativ und ressourcenbewusst zu denken.

Neue Wege finden

Ob wir auf materieller Ebene Fülle oder Mangel erfahren, Kreativität kann eine wichtige Rolle spielen. Sie hilft, neue Wege zu finden, um sowohl materielle als auch geistige Bedürfnisse zu befriedigen. Sie kann auch dabei helfen, neue Perspektiven auf das Leben einzunehmen und uns daran erinnern, dass es immer mehr Möglichkeiten gibt, glücklich zu sein, als wir zunächst glauben.

Wesentlich für Wachstum und Entfaltung unserer Kreativität ist deshalb nicht, ob wir in materieller Fülle oder Mangel leben, sondern wie wir damit umgehen: Wie verhaftet bist du deinem Reichtum, wie sehr identifizierst du dich mit deiner Armut?

Yogi Bhajan sagte dazu: “It doesn’t matter what you have or what you don’t have; it matters only how easily you can let go.” (Herbst 2001)

In der Yogaphilosophie wird Fülle nicht als Frage des Besitzes von materiellen Gütern betrachtet, sondern als Zustand inneren Wohlbefindens und tiefen Gefühls der Verbunden-

heit mit allem. Obwohl es wichtig ist, fürs tägliche Überleben zu sorgen, sollte unser Fokus nicht darauf liegen, immer mehr zu besitzen, sondern die Einheit der Schöpfung zu erfahren.

Bedürfnisse, aber keine Wünsche erfüllen

In den Sutren nennt Patanjali Aparigraha als eines der Yamas. Yamas sind Verhaltensempfehlungen im Außen. Genauer gesagt bedeutet Yama, sich im Umgang mit der Außenwelt für moralische Zurückhaltung zu entscheiden. Aparigraha bedeutet „Nicht-Greifen“, „Nicht-Besitzen“, „Nicht-Besitzgier“, und setzt die Erfüllung von Bedürfnissen über die von Wünschen. Es geht darum, nicht zu viel zu haben und nicht zu fest an Dingen oder Erwartungen festzuhalten. Indem wir Aparigraha praktizieren, können wir lernen, Äußeres loszulassen und uns stattdessen auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.

Mangel bedeutet fehlende Verbundenheit

Armut wird in der Yogaphilosophie als Mangel an geistiger und emotionaler Fülle gesehen. Es geht nicht um das Fehlen von materiellen Gütern, sondern um einen Mangel an innerer Zufriedenheit und Glück. Mangel beschreibt das Gefühl des Vermissens, dem letztendlich ein mangelndes Gefühl der Verbundenheit zugrunde liegt. Es scheint: Wer sich nicht verbunden fühlt, verspürt eine Sehnsucht zu dem hin, was angeblich fehlt.

Polaritäten, die sich gegenseitig definieren

Sobald wir in diese Welt geboren werden, sind wir in einer Welt der Polaritäten: Tag und Nacht, Yin und Yang, Fülle und Leere. Polaritäten definieren sich gegenseitig. So stehen auch Fülle und Mangel in Wechselwirkung. Wie der Philosoph Heraklit sagte: „Gegensätze sind gleich.“ In diesem Sinne können Fülle und Mangel als zwei Seiten ein und derselben Münze betrachtet werden. Das bedeutet, wenn wir viel von einem haben, dann wird es immer etwas geben, von dem wir genauso viel nicht haben. In einem Zustand der Fülle wird es auch immer Mangel geben und umgekehrt. Das eine ist im anderen bereits angelegt und enthalten.

Eine wichtige Frage ist deshalb: Worauf konzentrierst du dich? Auf das, was du hast oder auf das, was du nicht hast?

Im Kundalini Yoga trainieren wir unseren Mind mit „Count your blessings“ was so viel bedeutet wie „Zähle deine Segnungen“. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir nicht haben, werden wir immer unzufrieden bleiben, egal, wie viel wir besitzen – ob im Innen oder Außen. Stattdessen sollten wir uns auf das konzentrieren, was wir haben.

Kundalini Yoga Journal / 17 Zähle deine Segnungen

Sehnsucht – Ausdruck unserer Verbundenheit

Wir alle kennen das: Sobald ein Bedürfnis erfüllt ist, wird es unwichtig und es kommt ein neues, das es zu befriedigen gilt. Man könnte sagen, wir haben unendlich viele Bedürfnisse. Karam Kriya, die Lehre universeller Prinzipien und Zahlensprache, erinnert uns, dass die Unendlichkeit unserer Bedürfnisse nichts anderes ist als unser Bedürfnis nach der Unendlichkeit selbst. Lediglich zwanzig Prozent aller unserer Bedürfnisse können auf der Ebene des Materiellen befriedigt werden. Die verbleibenden 80 Prozent deiner Sehnsucht können nur auf der spirituellen Ebene gestillt werden.

Anstatt den gefühlten Mangel zu betäuben, könnte unsere Sehnsucht auch ein Schlüssel zum Verständnis sein, dass es eigentlich Ausdruck unserer Verbundenheit ist. Wenn wir nicht mit etwas verbunden wären, wie könnten wir es dann vermissen?

Was würde passieren, wenn du deiner Sehnsucht bewusst Raum geben würdest? So, wie sie ist. So unangenehm sie sein kann. Mit ihrer Traurigkeit und ihrem zuweilen schmerzhaften Verlangen. Was wäre, wenn wir sie zum Ausdruck brächten in Form mitfühlender Blicke, liebevoller Worte und gütiger Handlungen für uns selbst sowie für andere –denn wer hat keinen Sehnsuchtsschmerz und strebt nicht sehnsüchtig nach Erfüllung? Unsere Sehnsucht mit ihrem

mächtigen Potential könnte es vermögen: Eine Welt des Mitgefühls und des Füreinanders. Grenzenlosigkeit. Fülle.

Bachitar Kaur ist Kundalini Yoga Ausbilderin für alle Stufen, sowie Karam Kriya Ausbilderin und Beraterin. Sie unterrichtet in Europa, Australien und Asien. Bachitar ist Mitbegründerin des internationalen Ausbildungsinstituts Cherdi Kala, Initiatorin des Divine Woman Program und Trainerin für The Mother’s Journey. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe des Bodensees, wo sie das Yogahouse Prasaad für bewusstes Leben in der Natur gegründet hat. Sie ist Permakulturistin in Selbstausbildung und beschäftigt sich neben Yoga gerne mit Musik, Tanz und Gurmukhi.

Hilfe zur Selbsthilfe in Kambodscha

Innere Fülle, äußerer Mangel –äußere Fülle, innerer Mangel?

Von Sabine Nerling

ft werde ich gefragt: Sag mal, stimmt es, dass die Menschen, die du in Kambodscha kennengelernt hast, trotz äußeren Mangels eher innerlich erfüllt sind, freudiger - einfach, weil sie nicht so wohlstandsverwöhnt sind wie wir?

Überströmende Lebensfreude

Ja, es stimmt, dass die Menschen in Asien, ganz besonders in Kambodscha, wo ich von 2008 bis 2012 lebte und das ich sowohl davor als auch danach häufig besuch(t)e, immer lächeln und stets fröhlich erscheinen. Und es ist auch richtig, dass man sich als westliche Besucherin von der Lebensfreude der Bevölkerung am liebsten anstecken lassen möchte. Ich hatte das Gefühl, in Kambodscha etwas gefunden zu haben,

das ich lange gesucht und nie gefunden hatte, nämlich überströmende Liebe und Lebensfreude. Überall begegnete sie mir, wohin ich auch kam und mit wem ich auch sprach.

Der Blick hinter die Fassade Doch je länger ich in Kambodscha lebte, desto mehr begann ich mich zu fragen, was sich hinter der nach außen sichtbaren Freude verbarg. Was lag hinter der Fassade? Wie oft wurde ich, wenn ich eine der Familien besuchte, mit denen wir arbeiteten, mit einem strahlenden Lächeln begrüßt! Doch

wenn ich dann fragte, wie es der Familie ginge, verdunkelten sich die Gesichter der Frauen, und sie erzählten mir, ihre Männer würden sie und die Kinder oder sogar die alte Schwiegermutter schlagen, wenn sie betrunken wären, und überhaupt das wenige Geld, das sie verdienten, vertrinken. Oder ich sah die Frauen fröhlich gemeinsam unter einem der traditionellen Stelzenhäuser

18 / Kundalini Yoga Journal
Zähle deine Segnungen
O

sitzen, doch dieses vermeintlich vergnüglich-nachbarschaftliche Beisammensein stellte sich als eine Runde Kartenspiel heraus, bei dem das Haushaltsgeld verzockt wurde, während die Kinder, sich selbst überlassen, durch die Straßen zogen.

Sieht so innere Fülle aus? Oder sind Lächeln und Fröhlichkeit hier nicht eher aus der Not geboren, um die Schwere des Lebens erträglich zu machen?

Kann man wirklich innerlich erfüllt sein, wenn man nicht weiß, was man am Abend seinen Kindern als Mahlzeit vorsetzen soll? Oder woher das Geld für die dringend notwendigen Arztund Schulkosten kommen soll? Oder wie man seinen Kindern ein Dach über dem Kopf bieten kann, wenn die Miete für die sowieso schon ärmliche Hütte seit drei Monaten überfällig ist und der Vermieter mit Rausschmiss droht?

Geld macht (auch) glücklich

Mit relativ wenig Geld kann man in Kambodscha bereits sehr viel Glück und Gefühle von Fülle hervorrufen –Geld macht nämlich glücklich, oder hat zumindest das Potential dafür. Zehn Dollar für die Frau, die ihre Miete nicht zahlen kann, bedeuten für sie einen weiteren Monat Sicherheit –was für ein Glück! Für die Mutter mit dem kranken Kind bedeuten sie, dass sie den Arztbesuch zahlen kann, und für andere sind es mehrere gesicherte Mahlzeiten.

Starthilfe für ein erfülltes Leben

Doch derartige Einzelspenden ändern nichts am grundsätzlichen Problem, das häufig in mangelnder Bildung und

damit einhergehend mangelnden Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu finden ist. Aus diesem Grund haben wir den Verein „Zukunft für Steng Hau e.V.“ gegründet, der seit Januar 2007 Kindern aus den ärmsten Familien der Fischergegend Steng Hau im Süden Kambodschas einerseits einen geschützten Raum zum Spielen und Toben bietet, andererseits aber auch mit Unterricht in der Landessprache Khmer sowie mit Englisch- und Computerunterricht dazu beitragen möchte, den Kindern den Start in ein erfülltes Erwachsenenleben zu erleichtern.

Wir haben ein Stück Land gepachtet, auf dem wir ein Tageszentrum für die Kinder der Region eröffnet haben und in dem sich zwei Sozialarbeiterinnen täglich um etwa 40 Kinder kümmern und in schwierigen Situationen auch Hausbesuche bei den Eltern machen. Vier Englischlehrer unterrichten derzeit 118 Kinder in Englisch, während im Computerunterricht 27 Schülerinnen und Schüler die Grundlagen von Word, Excel und PowerPoint lernen.

Mein Fazit zum Thema „Innere Fülle, äußerer Mangel – äußere Fülle, innerer Mangel“: Auf das richtige Maß kommt es an. Ein wirklicher Mangel im Außen führt ebenso wenig wie Übersättigung zu innerer Fülle. Und: Äußere Fülle ist nicht gleich Übersättigung!

Sabine Nerling kam im Februar 2005 das erste Mal nach Kambodscha, damals als Touristin, verliebte sich in das Land, half als Freiwillige in einer Kinderschutzorganisation, unter anderem, indem sie dort Kundalini Yoga unterrichtete, gründete 2007 den Verein „Zukunft für Steng Hau e.V.“ und lebte von 2008 bis 2012 in der Küstenstadt Sihanoukville, wo sie ein Kinderzentrum leitete. Seit Mai 2012 lebt sie wieder in Deutschland, ist jedoch nach wie vor täglich mit Kambodscha in Kontakt und besucht das Land so oft wie möglich.

Wer sich intensiver über unsere Arbeit informieren möchte, kann uns gern kontaktieren: info@zukunft-stenghau. org oder sich auf unserer Webseite (www.zukunft-stenghau.de) und unserem Blog ( zukunftstenghau.wordpress.com) umschauen. Bitte unterstützt uns dabei, unsere wichtige Arbeit in Steng Hau weiterzuführen! Spenden (steuerlich absetzbar) gehen an „Zukunft für Steng Hau e.V.“, IBAN DE14 2007 0024 0744 1819 00, BIC: DEUTDEDBHAM.

Kundalini Yoga Journal / 19

Die Resonanz der Fülle

„Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, dann bin ich mitten unter ihnen.” So eine Textzeile eines christlichen Liedes, welches ich als Kind in der Kirchenjugend sehr gerne gesungen habe. Wirklich verstanden habe ich es damals nicht. Gespürt habe ich es aber sehr wohl. Das gemeinsame Singen am Lagerfeuer ist meine schönste Erinnerung aus dieser Zeit. Ich habe schon immer gerne gesungen, vor allem in Gemeinschaft. Das Zusammenklingen mehrerer Stimmen ergibt eine wunderbare Energie. So habe ich Zeit meines Lebens in Chören gesungen.

Gemeinsames Singen im Yoga

Als ich mich dann mit Anfang dreißig auf den Yogaweg machte, haben mich die Mantras sofort magisch angezogen. Während meiner ersten Yogalehrer Ausbildung in Indien war das Mantra-Singens morgens und abends fester Bestandteil des Ashram-Alltags. Auch hier wieder meine Lieblingszeit: Alle Menschen in einem Raum, gemeinsam tönend. Welch eine Wohltat. Die Yoga-Ausbilder gaben uns sogar eine Erklärung dafür. Sie sagten, dass das gemeinsame Singen der Mantras für gute „Energie” sorgen würde, da wir ja mit so vielen Menschen auf engem Raum miteinander leben. Mantras sorgen also für eine gute „Stimmung”, ich kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Denn jedes Mantra hat eine eigene Energie, die sich in der Wiederholung entfalten kann.

Singen im Kirtan

Dort habe ich auch das Singen im “Call and Response” kennengelernt. Erst hört man dem Vorsänger zu, dann singen alle nach. Wow, was für eine Wirkung. Heute leite ich selber Kirtan an und die „Antwort” kommt wie eine große KlangWelle zu mir zurück. In meinen Harmonium-Ausbildungen gebe ich den Teilnehmern die Möglichkeit, auch selbst Mantras im Call and Response anzuleiten, damit sie diese Wirkung auch mal erleben können. Sie sind sich alle einig, es ist einfach überwältigend schön.

Wie beim Singen Fülle entsteht

Es ist tatsächlich ein Unterschied, ob ich alleine singe, wie bei einem Konzert oder als Vorsänger beim Kirtan, im Gegensatz zum Singen in der Gruppe oder einem Chor. In dem Moment, in dem sich mehrere Stimmen vereinigen,

entsteht Fülle. Das ist direkt erlebbar und deutlich zu spüren. Es hört sich einfach harmonisch für uns an.

Das Harmonium als harmonisches Instrument

Dazu kommt bei meinem Mantra-Singen oft ein Harmonium zum Einsatz. Dieses Instrument gibt dem Ganzen einen Klangteppich, auf dem sich die Melodien der Mantras entfalten können. Viele Menschen empfinden das Instrument als sehr harmonisch. Doch was macht die Harmonie aus? Die besondere Art des Klangs. Ein Harmonium hat in der Regel zwei Register aus Metall, ein hohes und ein tiefes. Für jeden Ton gibt es eine Klangzunge pro Register. Diese Klangzungen werden gestimmt, so dass der Ton erklingt, welcher auf der Tastatur angeschlagen wird. Der besondere Klang des Harmoniums macht dabei die Stimmung aus. Beim Anschlag eines Tons werden zwei Klangzungen mit Luft zum Schwingen gebracht. Wenn diese beiden Zungen auf exakt dieselbe HertzZahl gestimmt sind, ist es ein sehr klarer Sound. Beim Harmonium werden die beiden Zungen mit demselben Ton, allerdings mit einer minimalen Abweichung gestimmt. Dadurch fangen die Klangwellen an, sich gegeneinander zu reiben und so entsteht der harmonische Klang des Instruments.

Mehrere Stimmen für mehr Stimmung

Wenn verschiedene Stimmen zusammenkommen, entsteht mehr Klang, mehr Fülle. Das gilt für Instrumente, wie bei einem Orchester, genauso wie für Stimmen, bei einem Chor. Diesen Effekt spüren wir auch bei der heutigen gängigen Mantra-Praxis. Immer mehr Menschen treffen sich in Sing-Kreisen, begleitet von Harmonium, Gitarre und je nach Geschmack mehr Instrumenten. Die unterschiedlichen Stimmen der Teilnehmer sind das, was den vollen Klang ausmacht. Denn unser Körper und die Stimme sind unser Instrument.

Jeder, der schon einmal alleine musiziert oder gesungen hat, kennt die potenzierte Wirkung, wenn er mit mehreren Musikern zusammen spielt. Und genau das ist es, was der Text des christlichen Liedes vom Anfang beschreibt. Wenn nur zwei oder drei Menschen zusammenkommen, dann entsteht bereits Fülle und in dieser Fülle ist das Göttliche erfahrbar.

20 / Kundalini Yoga Journal
Kirtan, Mantras
Klänge,

Die Stille nach der Fülle Eine gängige Methode der Mantra-Praxis ist die Stille danach. Das sind die Momente, in denen Menschen meditative Zustände erleben. Wenn nach dem Mantra-Singen die Stille kommt, kann man sie richtig genießen. Jetzt ist die Stille nicht mehr gleich mit Leere, sondern die Fülle des vorangegangenen Mantras klingt nach und erfüllt den Raum, auch wenn es nicht mehr hörbar ist. Wenn wir davon ausgehen, dass alles Energie ist, dann ist dieser Raum der Stille jetzt gefüllt mit Energie.

Ich glaube, dass es dieser Effekt ist, der so viele Menschen zu den Mantras zieht. Denn wenn wir die Stille als Fülle erleben können, dann ist das ein wunderbares Geschenk. Ein Gefühl von Mangel kann in der Mantra-Praxis nicht entstehen.

Alice Radha ist Kirtaniya, Sängerin, Musikerin und Mantra-Yoga-Ausbilderin. Ihr Wunsch ist es, mit so vielen Menschen wie möglich Mantras zu singen, daher bietet sie eine Vielzahl von Möglichkeiten an, die Mantra-Praxis zu erlernen, wie eine Harmonium-Mantra-Ausbildung.

Mehr Infos unter www.aliceradhayoga.com

Fülle durch Verzicht

Ich bin vollkommen, wenn ich alle Pläne aufgebe

anchmal lasse ich mich vom Leben treiben. Wie ein Fluss, der vom Wasser geformt wird, schwimme ich schwerelos. Ich spüre kaum mein Gewicht. Es scheint mir, als hätte ich gar keins, als wäre das Wasser ich und ich das Wasser. Ein Gefühl der Vollkommenheit. Nichts fehlt mir, nichts ist zu viel oder zu wenig.

Ist das der Zustand, nach dem wir alle streben? Vollkommenes Verschmelzen mit dem Leben, mit dieser mystischen Kraft, die wir Gott, Quelle des Lebens oder Magie nennen?

Ja, ich kann das fühlen.

Meine gesamte bisherige Lebensreise habe ich auf der Suche nach diesem Gefühl verbracht und oft war ich gesegnet, es zu erleben. Eine Sekunde, eine wertvolle Stunde oder einen Tag, eine Woche oder einen Monat. Und dann plötzlich war dieses zauberhafte Eintauchen einfach weg. Kein Festhal-

ten, kein Gebet, keine Meditation oder spirituelle Praxis konnten es festhalten.

Das Leben ist wie Wasser

Mit jeden Moment meiner Existenz lerne ich, dass das Leben so wie das Wasser ist, ich kann es nicht festhalten. Es gleitet durch meine Finger und meine Hände bleiben leer. Manchmal versuche ich, das Leben zu planen und es in Listen und Tabellen hinein zu zwingen. Dann lacht es mich aus. Wie ein ungehorsames kleines Kind, das tief dem Spielen zugewandt ist, hört das Leben nicht auf meine Befehle. Es macht, was es will, und lacht über mich und meine Ernsthaftigkeit. Je ernster ich werde, desto weiter bin ich vom Leben entfernt, desto kleiner und geschlossener fühlt sich auch mein Herz an.

Gemeinsam

kreieren

Ich kann jetzt sehen, dass es sinnlos ist, das Leben festhalten zu wollen. Ich

verstehe, dass das Leben ein lebendiges Wesen ist. Es hat eigene Gefühle, Gedanken und auch eigene Pläne. Wie ein kleines Kind spielt das Leben mit mir nur, wenn ich meine Vorstellungen und Wünsche darüber völlig aufgebe, wie es sein soll. Wenn ich es annehme so wie es ist. Wenn ich es urteilslos anschaue, wenn ich seine Gefühle, Wünsche und Pläne achte und ganz intuitiv meine mit gestalte. Gemeinsames Kreieren.

Kundalini Yoga Journal / 21
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Dann kann Magisches geschehen: Plötzlich fließt alles mühelos zusammen, und wie Wassermoleküle finden Dinge ihren Platz mit und nebeneinander, ganz ohne meine Absichten und Pläne. Es ist so schön, loslassen zu können, der kreativen Kraft des Lebens zu erlauben, einfach zu sein. Steine fallen mir vom Herzen und ich fühle mich

leer und voll zugleich. Ich bin eins mit dem Leben. Vollkommenheit. Es ist so einfach, mit dem Leben zu fließen. Es ist so einfach, vollkommen zu sein. Ich muss nur alle Wünsche, Absichten und Pläne aufgeben und lächelnd in dieses Wunder, das wir Leben nennen, eintauchen.

Wie sich die Sicht auf Mangel und Fülle im Laufe des Lebens verschiebt

Veränderte Werte

Was Fülle ist, weiß ich genau: Fülle ist der Anblick frischen rötlichen Schwarztees in einer weißen Tasse, eine voll aufgeblühte Rosenblüte, ein allein stehender Baum, der Duft des Waldes, eine sanfte grüne Landschaft, der Gesang einer wunderschönen Stimme … All dies erfüllt mich mit einem Glücksgefühl. Das hat sich im Laufe meines Lebens eher nicht geändert.

Eine nachhaltige Methode

Wenn ich darüber nachdenke, was Mangel für mich bedeutet, fällt mir ein, wie ich früher, also als ich jung war, noch Studentin, meine Socken gestopft habe. Dies zu müssen, erscheint mir heute tatsächlich als Mangel. Es würde mir nicht mehr in den Sinn kommen. Wenn ein Strumpf ein Loch hat, kaufe ich einfach ein neues Paar. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich es damals - vor etwa fünfzig Jahrennicht als Mangel empfunden habe, mich damit befassen zu müssen. Es war normal. Meine Mutter hat mir beigebracht, wie Strümpfe so gestopft werden, dass es auch hält - eine nachhaltige Methode.

Damals litt ich keinen Mangel

Als Studentin konnte ich mir weder ein Fernsehgerät noch ein Telefon leisten. Das habe ich vielleicht als Mangel empfunden, aber ich wusste, wenn ich mit dem Studium fertig bin, werde ich voraussichtlich genug verdienen, um in den Genuss dieser Dinge zu kommen. Abends habe ich gelesen oder mich mit Freunden getroffen. Ein Telefonhäuschen gab es in der Nähe meiner Wohnung. Als dieser Tage in den

Vili Bayreva ist Künstlerin, Autorin und Musikerin. Sie lebt naturnah mit ihrem Lebenspartner.

Youtube:@vilibayreva, Instagram:@vilibayreva.

Nachrichten von der „Armut“ die Rede war, von der viele Student*innen betroffen sind, habe ich mit Unverständnis reagiert. Junge Menschen hatten damals nicht alles, was die Etablierten sich leisten konnten, waren sie nun Lehrlingeso hieß das damals noch - oder Student*innen. Aber deswegen waren wir nicht arm und wir litten auch keinen Mangel, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass wir nicht genug zu essen gehabt hätten. Kleidung und Schallplatten habe ich mir gekauft, wenn sie heruntergesetzt waren, für Kinobesuche oder ab und zu eine Pizza hat das Geld meistens gereicht.

Mein Traum war immer, im Rentenalter sofort erst einmal für drei Monate in einem romantischen Haus am Meer zu leben, am Mittelmeer natürlich, direkt am weißen Sandstrand. Und jetzt bin ich im Ruhestand angekommen und der Wunsch ist einfach weg. Es reizt mich nicht mehr. Ich empfinde keinen Mangel. Ich liebe sanfte grüne Landschaften wie die des Sauerlands. Wenn ich dort hätte Urlaub machen müssen, hätte ich das früher nur als peinlich und wirklich als Mangel empfunden. Beim Nachdenken darüber, wie die Werte sich verändern, bin ich häufig einfach nur erstaunt.

Starke Gefühle erzeugen Mangel und Fülle

Was mir heute wirklich fehlt, ist Leidenschaft - da besteht jetzt eindeutig ein Mangel bei mir. Ich kann sie - jedenfalls im Augenblick - nicht mehr aufrufen. Früher habe ich gebrannt gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, die Benachteiligung von Frauen, Gewalt gegen Frauen und Kinder, habe als Rechtsanwältin dagegen angeschrieben. Später

22 / Kundalini Yoga Journal
Fülle durch Verzicht

dann hat mich Yoga interessiert, die Mantras, ich habe jedes Buch dazu verschlungen, das mir in die Finger kam. Woher kommt Yoga, wie ist seine Geschichte, wie hat es sich entwickelt, was bewirkt es - und jetzt? Sehr gerne sitze ich auf der Yogamatte und mache meine Übungen, ich mache meine Meditation und möchte das alles nicht missen - aber es erfüllt mich nicht wirklich.

Ich habe Verschiedenes ausprobiert, wollte Sanskrit lernen, besser Klavier spielen können, wieder stricken und häkeln und einiges andere mehr. Aber nichts davon fesselt mich heute wirklich.

Mein Fazit ist: Es könnte sein, dass das Empfinden von Mangel und Fülle vor allem mit starken Gefühlen wie Leidenschaft zusammenhängt und weniger von den äußeren Umständen und den zur Verfügung stehenden Mitteln abhängt - und je älter wir werden, desto ruhiger werden wir.

Sich für ein Leben in Fülle entscheiden

s fällt mir nicht ganz leicht, angesichts der derzeitigen schwierigen weltwirtschaftlichen und politischen Lage etwas Erhebendes über Fülle und Mangel zu schreiben. Wir befinden uns in einer weltweiten Krise und viele Menschen fühlen sich wahrscheinlich gerade eher im Mangel. In den yogischen Schriften steht geschrieben, dass Erlösung für alle Menschen möglich ist. Für alle. Das ist das Besondere am Yoga.

Im Leben befreit

Das klingt vielleicht ein wenig naiv und ist bestimmt nicht einfach zu erreichen. Dennoch sollten wir nichts Geringeres anstreben. Auch wenn letzten Endes jeder Mensch sich nur selbst befreien kann, ist der Gedanke der All-Verbundenheit Wesen und Kennzeichen der yogischen Lebensweise.

Yogische Philosophie kann uns inspirieren, kann uns dabei unterstützen, ein menschenwürdiges Leben zu führen und ein Jivan Mukta zu werdenein im Leben befreiter Mensch.

Wie können wir die eigene innere Fülle leben und würdigen, dass wir alles, was wir zum Leben brauchen, bereits haben? Wie können wir erkennen, dass wir sogar viel zu viel von Allem haben?

Und wie erkennen wir, dass wir unseren Mangel oft selbst verursachen?

Vor kurzem stand ein neuer Grundkurs 1 an und ich ertappte mich bei meinen inneren Widerständen, mein wohlig warmes Nest zu verlassen … Wozu die ganze Anstrengung? Ich betrachte meinen Kater, der sich mal wieder zurückzieht und sogar nicht essen will. Er verzichtet, wenn es ihm nicht gut geht. Ja, das machen Katzen. Sie ziehen sich zurück und essen nicht.

Verzicht bedeutet nicht Mangel

Doch ich gebe mir einen Ruck und packe meinen Rucksack. Und ich denke über Buddha nach, wie er sieben Jahre lang unter dem Feigenbaum saß und allem entsagte. Das war bestimmt schwierig.

Danach war er erleuchtet, so wird es zumindest erzählt. Aber ist Verzicht gleich Mangel? Ich glaube nicht.

Und genau das bestätigen uns viele Teilnehmer*innen am Ende der Woche. Während der Blockwoche des Grundkurses haben sie weder Kaffee, noch ungesundes Essen oder Alkohol vermisst, obwohl sie darauf verzichtet haben. Wie kann das sein?

Ist es nicht ein Mangel par excellence? Wir verzichten sogar aufs Ausschlafen und eine wohlig-warme Dusche. Na ja, zumindest morgens. Und doch strahlen am Ende der Woche die Gesichter. Ein inneres Leuchten macht sich breit, eine Verbundenheit, ein Weg. Dankbarkeit. Fülle. Durch bewussten Verzicht erkennen wir, wonach wir uns tatsächlich sehnen, was wir wirklich brauchen und wo in unserem Leben es nicht mehr lebendig fließt.

Was nährt uns?

Was nährt uns wirklich und macht uns wieder voll? Was verhindert, dass wir ein gesunder, glücklicher und freier Mensch werden? Wie können wir das für alle erreichen?

Kundalini Yoga Journal / 23
Barbara Santjeet K. Becker-Rojczyk ist Yogalehrerin in Frankfurt am Main und unterrichtet dort im eigenen Yogaraum. In Purnatva verweilen Von Dzenet Hari Kartar Kaur Hodza
E

Ich setze mich hin, schließe meine Augen.

Ich atme Zufriedenheit ein, ich atme Zufriedenheit aus.

Ich erinnere mich an meinen magischen Moment in Bezug auf Fülle.

Mitten in Shavasana kam von ganz tief innen eine Entscheidung. Sie ist lange im Verborgenen in mir herangereift.

Ich hörte mich denken: Ich bin Fülle, ich bin Fülle.

Und egal, was kommt, ich bin Fülle.

Ich glaube, das war der Moment, wo ich mich dazu entschlossen habe, aus der Fülle und in der Fülle zu leben, ganz gleich, was um mich herum geschieht.

Ich bin überzeugt davon, dass es diesen grundlegenden inneren Entschluss dazu braucht.

So etwas wie Mangel gibt es eigentlich nicht. Na ja, zumindest theoretisch nicht. Wenn wir denken, dass wir unsere Arme keine elf Minuten oben halten können, haben wir Sorge, dass uns nicht genug Kraft und Energie zur Verfügung stehen. Doch die kosmische Energie steht uns unbegrenzt zur Verfügung.

Ein Konstrukt des Geistes?

Auf der philosophischen Ebene könnte man vielleicht sagen, es handelt sich um ein Konstrukt des Geistes, das aus Angst oder Gier genährt und am Leben gehalten wird und uns einredet: Wir sind im Mangel. Wir reichen nicht aus. Auf der materiellen Ebene ist Mangel real - ein Ausdruck menschlichen Versagens, Mittel und Reichtum gerecht an alle Wesen und Menschen zu verteilen. Mangel ist also menschengemacht und entspringt nicht unserer wahren Natur.

Wenn wir uns mit unserem wahren Sein verbinden, können wir einen inneren Raum erfahren, der uns den Punkt Null als Leere (Shuniya) erfahrbar machen lässt. Die höchste Fülle ist die Leere. Wenn gar nichts ist, dann ist alles möglich. Ein sehr kreativer Moment.

Leere und Fülle sind nicht voneinander zu trennen, denn es ist die innere Leere, die die Erfahrung der Fülle überhaupt zulässt und umgekehrt. Für Leere können wir sorgen, damit wir den Mangel beseitigen, den wir die ganze Zeit selbst verursachen.

Die Erde ist ein Ort der Fülle Neulich habe ich eine unglaublich spannende Dokumentation über die Entstehung der Erde gesehen, im Vergleich mit anderen Planeten unseres Sonnensystems. Einzig die Erde hat es in einem langwierigen und schwierigen Prozess geschafft, sich zu einem Ort der Fülle zu entwickeln. Auf allen anderen Planeten, die bis jetzt erforscht wurden, traf das nicht zu. Entweder stimmte der Druck, die Temperatur, die Zusammensetzung oder etwas anderes nicht.

Wenn wir die Natur betrachten, unsere wunderschöne Erde, erfahren wir automatisch diese Fülle und erleben uns als ein Teil davon. Nicht getrennt, nicht im Mangel. Mit dieser Fülle können wir uns verbinden. Eine Fülle, die uns sprachlos machen kann, weil wir das Sein mit anderen Augen betrachten. Die Fülle und Unbegrenztheit unseres Bewusstseins verstehen lernen. Fülle und Vollkommenheit - Purnatva in der tantrischen Philosophie genannt, bezeichnet genau diesen Zustand, der weit über tiefe Zufriedenheit hinaus geht.

Ein Zustand, der anstrengungslos geschieht

Ich denke nochmal an die vergangene Ausbildungswoche des Grundkurses und denke, wie gut, dass ich mit gefahren bin. Wie gut, was alles passiert ist, selbst das Schwierige. Wir verlassen unser wohlig warmes Nest, um uns zu entwickeln. Immer und immer wieder erweitern wir unseren Horizont.

Ist das der Grund? Ist das die Antwort auf die Frage: Wozu die ganze Anstrengung, wozu der ganze Verzicht? Purnatva - ein Stadium tiefer Realisierung, in dem sich die Begrenzung der eigenen Individualität auflöst. Ein Zustand, der geschieht und den man nicht durch bloße Anstrengung und Wollen erreichen kann. Die Leere ist der Raum des nonverbalen, immer präsenten SEINS. Alles ist da, alles ist möglich. Nicht irgendwann, nicht irgendwo - sondern jetzt und hier. Und für Alle. Ja, für ALLE!

24 / Kundalini Yoga Journal
In Purnatva verweilen

Mangel und Fülle im sonnigen Süden

angel und Fülle machen an keiner Grenze halt. Auch wenn es hier in Spanien Küstenorte gibt, die vor Fülle nur so strotzen zu scheinen, hat der Mangel hier ebenfalls seinen Platz.

Mangel und Fülle sind Ausdruck der natürlichen Polarität, ohne sie gäbe es keinen Ener giefluss und unsere Erde würde aufhören, sich zu drehen. Es ist daher eine Illusion zu denken, dass bei den Schönen und Reichen im sonnigen Süden diese Polarität weniger ausgeprägt ist.

Fülle ist, was wir erfahren

Mein spiritueller Lehrer ShivCharan Singh hat sinngemäß gesagt: Fülle ist nicht das, was wir haben, sondern das, was wir durch uns erfahren. Das, was durch uns fließt, durch uns stattfindet, ist die wahre Fülle. Es liegt also (wieder mal) an uns selbst, wie wir Mangel oder Fülle erfahren.

Manchmal scheint hier die Sonne so stark und die grünen Palmenwedel vor dem klaren Meer glitzern so leuchtend, dass ich mich lichtdurchflutet fühle und in der Verbundenheit mit allem keinen Mangel spüre. Und an anderen Tagen kann es noch so sehr glitzern und leuchten – dann fällt mir nur auf, was alles nicht da ist und was fehlt. Dann kann das äußere Licht nicht über mein Gefühl des Mangels hinwegleuchten.

Hinaus aus der Blase

Ich glaube, dass es leichter fällt, den Mangel länger zu ignorieren, wenn im Außen so viel Sonnenschein und Wohlstand herrscht. Es wirkt erleichternd, die Sinne damit zu beschäftigen, die Schönheit der Natur und den materiellen Reichtum zu erfassen.

Es ist eine angenehme Art, sich von dem wahren Wissen abzulenken, dass auch hier überall Mangel (möglich) ist. Je nachdem, wie weit und wie bewusst ich mich aus der Blase der Fülle hinausbewege, dauert es nicht lange, bis sich auch das Außen ändert und die wirtschaftliche Armut der Menschen deutlich sichtbar wird. Und auch dort gibt es Fülle, wie z. B. das Lachen der Kinder, die Herzlichkeit der alten Frauen und die Frische der Feigen an den Bäumen.

Spekulationen des Minds

Die Gegensätze scheinen hier intensiver zu sein und näher beieinander zu liegen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es weniger Grautöne gibt. Es gibt kaum Raum dazwischen. Ich spüre immer wieder ganz deutlich, ob ich im Mangel oder in der Fülle bin. Durch die wechselnden Kontraste im Außen fällt es schwerer, meinen inneren Zustand zu ignorieren. Es ist manchmal so, als ob die Pole von Mangel und Fülle im Außen mich anziehen und abstoßen und ich dem ausgeliefert bin. So saß ich einmal im Yachthafen von Marbella in einem teuren Restaurant und fühlte mich

zwischen mit großen Edelsteinen behangenen Frauen fehl am Platze. Ich war damit beschäftigt, im Außen alles zu beobachten und fühlte mich total getrennt von dem, was um mich herum geschah, fühlte mich von all den Klunkern abgestoßen. Dabei waren es ja „nur“ wertvolle Steine und edelste Materialien und meine Beurteilungen - was das über die Frauen aussagte, waren reine Spekulationen meines Minds.

Die vertikale Ausrichtung

Im Karam Kriya gibt es das Bild der liegenden Acht mit den beiden Polaritäten an der Seite und der Zahl 5 (die eigene Identität) in der Mitte. Wenn die Identität bewusst ist, verändert sich die Dynamik der Polaritäten. Dann hört das innere Gezerre auf und ich kann mit den Sogwirkungen in der Mitte beider Seiten sein – ohne mehr auf Seiten des Mangels oder der Fülle zu stehen. Ich gehe mit meiner Aufmerksamkeit in die vertikale Ausrichtung, atme bewusst und spüre meinen Nabel. Und so verändert sich meine Beziehung zu meinem Umfeld, dann kann ich die Edelsteine betrachten und sie einfach als das wahrnehmen, was sie wirklich sind – ohne mich in Beurteilungen über die Besitzer und die Ungerechtigkeit in der Welt zu ergehen …

Diese Mitte immer wieder zu erreichen, die Polaritäten zu meistern, ist eine Lebensaufgabe.

Wenn mir das Außen die Gegensätze so klar vor Augen hält, kann ich erkennen, dass es allein an meiner eigenen Ausrichtung liegt, ob ich mich angebunden und in der Fülle, oder getrennt und im Mangel fühle. Mit letzterem geht oft das Gefühl einher, ein Opfer zu sein. So kann ich auch auf der Yacht oder im Porsche sitzen und mich als Opfer des finanziellen Reichtums fühlen. Genauso kann ich bei der Essensausgabe für die Armen helfen und dort nichts als Fülle erleben. Es hängt nur von meinem eigenen Innenleben ab. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Kontraste im Außen und die Wirkung auf mich zu hinterfragen, um so immer mehr mit dem, was ist, wahrhaftig sein zu können. Denn nur so kann ich zugleich absurden finanziellen Reichtum und erschreckende Armut wahrnehmen, ohne mich den Erfahrungen zu verschließen und ohne einer von beiden Seiten anzuhaften. Mir gefällt bei diesem Balanceakt das Bild einer spirituellen Tänzerin: Auf der Suche nach dem Gleichgewicht lässt sie keinen Fuß zu lange auf einer der beiden Seiten.

Claudia Dayajot Kaur O`Hara-Jung lebt mit ihrer Familie in Spanien am Meer. Sie ist Karam Kriya Beraterin, Lehrerin für Kundalini Yoga und Autorin von „Be your Power“. Unter www.vima.one findest du mehr über sie.

Kundalini Yoga Journal / 25
Ausdruck natürlicher Polarität
M

Die Einfachheit des Seins

chon immer wollte ich in die Wüste reisen. Als Kind liebte ich die Märchen aus Tausendundeiner Nacht mehr als alle anderen. Sie verzauberten mich. Der biblische Geschichtsunterricht ebenso, auch diese Geschichten spielten im Orient. Für mich war und ist der Orient Ursprung der Zivilisation. Viele Hochkulturen lebten hier zu einer Zeit, als es in Europa noch unzivilisiert zuging. Doch das Jahrtausend alte Wissen ging mit der Bibliothek von Theben in Flammen auf und bis heute rätseln unsere (ach so fortschrittlichen) Wissenschaftler um den Ursprung des Lebens. Ob die frühen Gelehrten eine Antwort wussten, weiß ich nicht. Doch glaube ich oft, dass sie sehr viel wussten und mehr Verständnis für die Natur hatten, in der sie lebten.

Ohne Strom und fließend Wasser

Als ich mir nun endlich den Wunsch erfüllte, in die Wüste zu reisen, besann ich mich auf diese kindlichen Gedanken. Ich empfand es als Reise zurück zur Basis des menschlichen Daseins, das ich schon ein Leben lang suchte. Zuerst vor 45 Jahren auf einer Mittelmeerinsel, die damals im Inneren noch unerschlossen war. Wir lebten längere Zeit in einer 200 Jahre alten Finca ohne Strom und fließend Wasser und waren so glücklich. Nie wollte ich zurück in das hektische Deutschland mit all seinen politischen und sozialen Herausforderungen, der Enge und des Strebens nach „schneller, größer, teurer“! Aber ich musste! Ich beugte mich den Umständen, kehrte zurück, habe drei wunderbare Kinder geboren, aufregende Beziehungen geführt, einen erfüllenden Job gehabt und ein schönes Haus erworben.

Leben in der Fülle trotz Minirente

Nun lebe ich seit drei Jahren erneut in Spanien, im Hinterland der Costa Blanca. Hier auf dem Berg, abseits der Zivilisation, kann ich von meiner Minirente überleben. Als Mutter dreier Kinder und trotz meiner über 30jährigen Berufstätigkeit steht mir nur eine sehr spärliche Rente zu. Ich empfinde es als Ungerechtigkeit und Zeichen einer geringen Wertschätzung des deutschen Staates gegenüber den Frauen. Das jedoch nur am Rande. Hier nun lebe ich in der Fülle und bin unendlich glücklich und dankbar, diesen Schritt gegangen zu sein. Ich suchte also immer schon die Einfachheit des Lebens. Und das habe ich hier in Spanien gefunden.

Mit der Natur leben

Wir leben in einem von meinem Freund selbstgebauten Haus aus gefundenen Materialien und Gegenständen. Ja, das habt ihr richtig verstanden. Wenn er eine Tür fand, baute er eine Mauer und dann vielleicht ein Zimmer. Und so weiter. Das Dach ist oft nicht ganz dicht und bei starken Regenfällen ist es manchmal ungemütlich, die Balken schwanken und knarren im Sturm und durch die Wände zieht es.

Auch hier schneit es im Winter und wird nachts manchmal richtig kalt, so um die null Grad. Wir haben einen Holzofen, der uns wärmt. Wir spüren die Elemente, den Wind, die Kälte, die Feuchtigkeit und die Hitze im Sommer. Ich liebe es, mit der Natur zu leben, sie zu spüren und zu erleben.

Die Wüste rief mich

Und dennoch war es nicht genug! Ich wollte noch einen Schritt weiter gehen, die Wüste rief mich. Zu fünft, drei Frauen und zwei Beduinen, die uns führten, und sechs Kamele, die Wasser, Decken und Lebensmittel trugen, sind wir fünf Tage durch die Wüste gewandert. Barfuß, fünf Stunden täglich. Bei Sonnenaufgang und -untergang haben wir meditiert, unter dem unglaublichen Sternenhimmel, den ich aus meiner Kindheit noch kannte, haben wir geschlafen. Die Beduinen, Vater und Sohn, haben für uns gebacken, gekocht und abends am Lagerfeuer für uns geflötet, getrommelt und gesungen. Wildromantisch! Das Geschirr wurde mit Sand abgewaschen und meine Füße waren nach einer Woche immer noch sauber oder auch sauberer als zuvor.

Jedem standen zwei Liter Wasser pro Tag zu. Das benötigten wir zum Trinken. Wenn wir uns wirklich mal an der einen oder anderen Stelle säubern wollten, benutzten wir Feuchttücher, die anschließend, wie das gebrauchte Toilettenpapier, im letzten Feuer verbrannt wurden, bevor wir weiterzogen.

In die Endlosigkeit schauen

Hauptsächlich suchte ich die Nähe zur Natur, die Ursprünglichkeit, die Basis, die Einfachheit des Seins. Ich fand die Fülle des Lebens und die Liebe in mir zum Leben und zu Gott! Dort, wo die meisten Menschen das Nichts und den Mangel vermuten, spürte ich die Verbundenheit mit der Erde und konnte einfach nur sein. Ich lernte noch mehr loszulassen und zu vertrauen.

Wisst ihr, dass sich die Büsche im Sommer bei der großen Hitze einfach selber entzünden, wie in der Bibel bei Moses? Es war also gar nicht so besonders. Und ja, in der Meditation und im Gebet sprach Gott mit mir oder war es mein höheres Selbst? Wie auch immer du es benennen möchtest. Ich konnte mir nicht aus dem Weg gehen und mich von irgendwelchen Tätigkeiten ablenken lassen. Es gab nur noch fühlen und in die Endlosigkeit schauen. Ek on kar.

26 / Kundalini Yoga Journal
Mangel und Fülle in der Wüste
S

Die Fülle im täglichen Leben

s gibt so viel, das mir das Leben versüßt. Meist sind es kleine Momente, die vielleicht unscheinbar sind, dennoch bestimmen sie die Stimmung des Tages mit, und ich möchte mit dir einige dieser Augenblicke teilen. Bestimmt kennst du sie auch …

Alles ruht und schwingt

Morgens am Ende meiner Yogapraxis senke ich das Haupt und bin dankbar für meinen Körper, der mein Zuhause in diesem Leben ist. Diesen besonderen Moment nach der Meditation, wenn alles in mir gleichzeitig ruht und schwingt. Ahh, ich begrüße dich, schöne Ruhe in meiner Mitte. Wenn ich später mit dem Fahrrad ins Büro fahre, ordentlich in die Pedale trete und meinen Schatten überhole. Die Begrüßungsumarmung mit meiner Kollegin, die wie ein schönes Ritual den Tag einleitet. Ich freue mich beim Mittagessen über das Einstimmen mit Sat Nam; was für ein wundervoller Augenblick des Sich-Zentrierens.

Der Becher Tee, der meine Hände erwärmt. Der Moment, wenn meine Freundin und ich uns auf dem Sofa eng beisammen hinsetzen und beginnen, ganz nah zu sprechen und zu lachen. Aber auch, wenn wir in unseren gemeinsamen Erinnerungen schwelgen. Wenn sich im Frühling die ersten Knospen zeigen. Der Regen, der auf die Sommererde trifft und einen ganz bestimmten Duft erzeugt. Wenn ich im Herbst das Laub aufwirbeln und danach mich Zuhause einmummeln kann. Ich genieße im Herbst jeden einzelnen Bissen Kürbis. Und im Winter den Schnee, der unter meinen Schuhen knirscht, und die Begeisterungsrufe meiner Töchter, die Spaß in der weißen Landschaft haben.

Den Moment festhalten wollen

Die glänzenden Augen der Kinder über die Nüsse und die Mandarinen aus dem Nikolausstiefel freuen mich so sehr, dass ich den Wunsch verspüre, den Moment festhalten zu wollen. Lieder aus meiner Kindheit, die eine ganz besondere Sicherheit und ein wunderbar helles Licht ausstrahlen. Wenn ich die Wohngegend aus meinen Kindertagen besuche und die alten Wege abgehen kann.

Mir macht es Freude, in die Zukunft zu planen: Reiseführer bei der Bibliothek auszuleihen und die kommenden Reisen im Geiste zu leben. Ich liebe es zu lesen, zu kochen, und immer wieder zu tanzen, sooft es geht. Dabei stellen sich die Freude und das Lachen wie von selbst ein.

Meine kleine Tochter, die morgens voll kuscheliger Wärme ins Bett gekrochen kommt und mir manchmal ihr Kuscheltier auf die Augen legt, damit auch ich beschützt werde. Die ältere Tochter, die bereits größer ist als ich und abends noch ganz anschmiegsam wird.

All das und noch mehr

Ich liebe es, auf das Meer zu schauen, barfuß den Sandstrand zu spüren und das Risiko einzugehen, dass mir die Wellen die Hosenbeine nass spritzen. Muscheln sammeln und ihre glatte Haut, die besondere Farbe oder ihre unvollkommene Vollkommenheit bewundern. Den Sonnenaufgang und seine rosa Spuren sauge ich im Geiste auf. Den Sonnenuntergang zu beobachten, erfüllt mich mit großer Freude und Staunen. Wenn mein Mann meine Hand nimmt und ganz müde mit dem Daumen über meine Finger streichelt.

All das und noch viel mehr. Und dann am Abend im Bett den Tag mit drei Momenten abschließen, für die ich dankbar bin. Das stimmt mich auf die Dankbarkeit ein und weitet mein Blick für das Gute im Leben.

Ich freue mich über mein Leben; dass ich umgeben bin von so wunderbaren Menschen; dass ich gehalten und gesegnet bin von dem All-Einen, der schützend die Hand über mich hält, und dass ich jeden Morgen wieder das Licht der Welt erblicken kann.

Leyla Liebrecht ist Juristin, Unternehmerin und Geschäftsführerin der 3HO-Akademie. Die KYAusbildung hat sie bei Satya Singh absolviert und so eine ganz neue Welt für sich entdeckt. Sie erfreut sich an dem Wachstum der Akademie und den intensiven und Herzenergie verlangenden Themen der Kundalini Yoga Lehrer*innen Ausbildung.

Kundalini Yoga Journal / 27 Dankbarkeit für das kleine Glück trainieren
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Wie es uns bereichern kann zu spenden

ls die Kinder jünger waren, lebte ich im permanenten Mangel mit einem Halbtagsgehalt als Erzieherin. Trotzdem wollte ich den Älteren gerne auf die Miri Piri Academy schicken und so schrieb ich einen Brief an Yogi Bhajan. Seine Antwort bezog sich auf seinen „Grandson“ Sat Singh, denn ich wurde immer als „Daughter in divine“ bezeichnet. Zwei Dinge sind mir noch von dem Brief in Erinnerung geblieben. Das eine war, dass er schrieb: „Step by step you will win the race“.

Bahuta Karam für Wohlstand

Tatsächlich ist Sat Singh dann fünf Jahre auf die Academy gegangen und der Jüngere zwei Jahre. Und das zweite war ein Vorschlag von Yogi Bhajan, elf Mal am Tag das 25. Pauri vom Japji, Bahuta Karam, zu rezitieren. Ich lernte es relativ schnell auswendig und wurde zwar nicht reich, aber gefühlt war immer genug da. Meine Nachbarin und beste Freundin stieg auch mit ein und beide stellten wir fest, dass jedes Mal, wenn wir aufhören, es zu rezitieren, kleine finanzielle Krisen auftraten.

teilen kannst. Es wird empfohlen, zehn Prozent des Einkommens an wohltätige Zwecke zu spenden. Ich rechne es nicht so genau aus, aber ich spende gerne, wenn es mir passend erscheint. Lange Zeit habe ich regelmäßig die SOS Kinderdörfer und Greenpeace unterstützt. Jetzt bin ich in Rente gegangen und schaue erstmal, wie viel ich noch geben kann. Ich habe auch immer etwas Kleingeld in der Tasche, so dass ich Bettler und Straßenmusikanten unterstützen kann.

Spenden stärkt Dankbarkeit und Mitgefühl

Wie bereichert es mich zu spenden? Gefühlt macht es das Herz weit und stärkt mein Vertrauen. Wenn ich gebe, werde ich nicht ärmer, sondern in irgendeiner Form fließt es zu mir zurück. Es stärkt meine Dankbarkeit und mein Mitgefühl für Mensch und Umwelt, die diese Unterstützung brauchen. Wenn du das Gefühl hast, in Mangel zu sein, kann ich dir das Rezitieren von Bahuta Karam sehr ans Herz legen. Es hilft auf magische Art und Weise.

auch ein Gästehaus hat und mehr Geld braucht, als eingenommen wird. Das andere Projekt ist der Ashram in Boizenburg von Siri Kartar Kaur, in den jeder verdiente und gespendete Cent investiert wird.

Erlebe gerne selbst, wie bereichernd es sein kann, aus der Fülle zu geben. Das Geben findet nicht nur auf der materiellen Ebene statt. Manchmal ist ein Lächeln oder einfach Aufmerksamkeit ein großes Geschenk. Es gibt viele Formen, wie du Menschen beschenken kannst. Auch das ist spenden, ein Spenden deiner Zeit, deiner Freude, deiner Liebe.

Wenn du für die Guru Ram Das Academy spenden möchtest, hier der Spendenkontakt:

https://www.guru-ram-das-aquarianacademy.com/spenden/

Möchtest du das Yogicafe unterstützen, wende dich bitte direkt an Siri Kartar: european3ho@gmail.com

Guru Amrit Kaur ist seit 1986 beim Kundalini Yoga und hat zwischen November 1987 bis Sommer 1989 im damaligen Ashram in Hamburg gelebt. Sie ist seit 1989 Yogalehrerin und seit 2017 auch Yogatherapeutin. In Boizenburg wird sie Begleitungs-Gespräche anbieten.

Im Ganzen habe ich bestimmt drei Jahre lang Bahuta Karam täglich rezitiert. Ich kann nicht sagen, wann, aber der finanzielle Mangel wurde kleiner und kleiner.

Ich bin immer noch nicht reich, habe aber doch so viel Geld, dass ich gut teilen kann. Genau das ist das Prinzip des Sikh Dharma. Verdiene so viel, dass du

Wenn du in der Fülle lebst und gerne teilen möchtest, lege ich dir zwei absolut wertvolle Pro jekte aus Boizen burg ans Herz: Zum einen die Guru Ram Das Aquarian Aca demy, die jetzt

28 / Kundalini Yoga Journal
Aus der Fülle geben
Liebe & Verbundenheit Vergebung & Heilung Mut & Verantwortung Janina&Tinuviel •••••••• • • • • • • • • • • • • • • • • ••••••••• • • • • • • • • ••••••••• • • • • • • • • • • • • 2. Februar bis 4. Februar 2024 14. Juni bis 16. Juni 2024 25. August bis 27. August 2023 W O C H E N E N D - R E T R E A T 2023/2024 INS HERZ Mehr Infos unter www.yogisisters.de Zu
A
allen Zeiten
und in allen Kulturen gab es Menschen, die sich darüber bewusst waren, dass sie mit ihren Händen nicht nur den Körper, sondern auch die Seele berühren können.

Die vollkommene Freiheit

ls ich über diese Textvorgabe nachgedacht habe, kam mir als erstes das Herzsutra in den Sinn, welches im Buddhismus zentralen Stellenwert hat. Bei meinem Zen-Kloster Aufenthalt in Japan vor 26 Jahren rezitierten wir es täglich. Hier der erste Vers:

„Form ist nicht verschieden von Leere, Leere ist nicht verschieden von Form.“

Nachdem ich in jungen Jahren ein Nahtoderlebnis durch einen Blitzschlag aus heiterem Himmel er- und überlebt hatte, machte ich mich auf die Suche. Bei meinem ersten Zen-Lehrer in Eintürnen lernte ich die ZenMeditation. Hier rezitierten wir vor dem Essen immer: „Wenn wir absichtslos offen werden, offenbaren alle Dinge die Schönheit und Güte ihres Schöpfers.“

Dieser Spruch begleitet mich bis heute und lässt in mir ein stilles Glück wachrufen. Ein Fingerzeig auf die Transzendenz des Seins, die Fülle, die aus der Leere entsteht. Aus der Quantenphysik wissen wir, dass Materie zu 99,9999 Prozent aus Masse leerem Raum besteht, der die Fülle aller Möglichkeiten bereit hält.

Damit möchte ich auf das numinose Geheimnis der Schöpfung ansprechen, den UR-Sprung, das, was die LEERE ist, dem wir ent-springen und ent-sprechen. Jedoch verfallen wir nur

zur gerne dem Hochmut unserer Gedanken, mit denen wir uns identifizieren. Heinz Erhardt formulierte es so: „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken!“

Dieses Zitat weist mich auf eine Möglichkeit hin, einen Schritt zurück zu machen, hin zum Beobachter, zum Zeugen, wie Osho es formulieren würde. Darum geht es meines Erachtens sowohl bei der Übung als auch im Leben.

Doch wie realisiere ich es, neben den formellen und alltäglichen Übungszeiten auf Matte und Kissen …?

Eckhart Tolle weist wie kein anderer klar und deutlich auf die Übung im Alltag hin, auf das ewige Hier und Jetzt. Im Waldkloster in Thailand haben mich die Mönche gelehrt, mich vor der klassischen Sitzmeditation mit meinem Körper durch einen „Body Scan“ zu verbinden - zu in-karnieren (carnis = lat. Fleisch). Dies übe ich im Alltag, wann immer es sich mir anbietet. Somit bin ich bei mir und da, wo ich bin, bin ich präsenter.

Eine ungewöhnliche Methode hat Osho entwickelt, um den Kopf frei von Gedanken und Gefühlen zu bekommen: „Gibberisch“ - du redest für zehn bis fünfzehn Minuten frei und unkontrolliert in einer völlig unbekannten Sprache. Gerne vor der formellen

Meditation, die somit eine neue Tiefe bekommt.

Und somit entsteht eine Lücke - eine Möglichkeit, dass sich die LEERE entfaltet. Dieser Leere immer mehr Raum zu geben, damit sich unser Wahres Selbst entfalten kann, um an die Stelle unserer Ego-Struktur von „wollen und nicht wollen“ zu treten, hinein in die vollkommene Freiheit der

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Kundalini Yoga Journal / 29
Von der Fülle zur Leere
L E E R E, die zugleich auch F Ü L L E ist.
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Fülle aus dem Urweiblichen

hakti ist die gebärende, manifestierende, alles erschaffende Kraft auf Erden. Oft wird sie mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht. Sie ist an sich nicht weiblich, sondern universell. Sie ist Lebenskraft und Schöpferkraft in einem. In der yogischen Philosophie wird Shakti als Göttin, als Protagonistin des Lebens an sich dargestellt: Shakti umtanzt Shiva und bringt dadurch das statische Bewusstsein in Bewegung, ins Leben, so dass beide Kräfte – göttliche und irdische - miteinander schwingen. Shakti ist unendlich kraftvoll, Shakti ist das Füllhorn des Lebens.

„Die Füße spüren, genau wahrnehmen, wie die Fußsohlen den Boden, die Kraftquelle von Pachamama, von Mutter Erde, berühren, das Pulsieren der heiligen Vibrationen von der Urmutter in sich aufnehmen, diese Energie in sich spüren und über die Beine, die Knie, die Oberschenkel hinaufströmen lassen in den weiblichen Kraftraum, den Beckenraum, den sakralen Raum, wo alles entsteht. Shakti-Kraft einatmen und Entspannung in diesen Raum ausatmen. Fülle dich mit Weite und Schönheit des Lebens. Wir stehen im Kreis, die Handflächen berühren die der Nebenfrau, Du spürst, wie aus allen sakralen Räumen aller Frauen hier die Energie aufsteigt durch das Zentrum der Klarheit, deines Nabelpunktes, weiter hinauf in diesen Raum, wo zarteste Gefühle sitzen und deine eigentliche Kraft als Mensch: der Herzraum, dieser Raum, der irdische und göttliche Energie verbindet. Der Kraftraum in unserem menschlichen Dasein –im Lieben, Wertschätzen von uns selbst und der anderen, diese Kraft, die uns im Miteinander und alles verbindet. Ah, wie schön ist es, diese Freude im Herzen zu spüren. Deinen Atem und die Weite und Wärme dieses Raums jetzt zu erleben. Im Licht deines Herzens kann die Energie weiter aufsteigen, hinauf in deine Kehle, wo das gemeinsame „Ma“ entsteht, mit dem du dich anbindest an deinen ureigenen Ausdruck und damit dem Göttlichen Dankbarkeit und Ehre erweist. Die Energie kann nun weiter frei aufsteigen zur Intuition, den Drittes-Auge-Punkt. Und dieser göttlichen Ahnung folgend geht es weiter zur Krone und in die Aura, und da ist sie, die reine Energie des Universums – im jetzigen Moment spürbar und fast greifbar. Diese Kraft der Fülle, da, wo es uns göttlichem Wesen auf Erden an nichts mangelt. Im Beyond, wo wir uns jenseits von Bewertungen und Kapriolen des Verstands treffen. Wunderbar.“

Im Mangel haben wir vergessen, wer wir sind Wenn sich jetzt nach diesen Zeilen bei dir ein Gefühl der Fülle und des Wohlseins eingestellt hat, dann hast du er-

kannt: Das ist der Raum, das Feld, wo es keinen Mangel gibt. Du kennst diesen Raum von Anbeginn der Zeiten. Deine Seele weiß. Und doch, natürlich landen wir Menschen durch unsere Prägungen, teilweise über Generationen tradierte Konditionierungen, immer wieder im Mangel. Mangel ist ein Zustand, bei dem wir vergessen haben, wer wir wirklich sind. Mangel ist der Zustand der Abgeschnittenheit von der universellen Energie, die in ihrer Fülle und Unendlichkeit von Kräften, Ressourcen immer und in jeder Situation einfach da ist. Wir sind als menschliche Wesen die „Vögel auf dem Felde“, die immer versorgt sind.

Du kannst deinen Zustand immer verändern

Wenn du das verstanden, also wirklich verinnerlicht hast, wenn du es tief in dir spürst und in deinem Bewusstsein verankert hast, dann wird es immer wieder möglich sein, mit den Ereignissen des Lebens umzugehen, egal wie schrecklich sie erscheinen mögen, weil sie vom Verstand so bewertet werden. Klar ist, du kannst deinen Zustand verändern, vom Mangel in die Fülle. Es ist einfach, geradezu simpel: Den Zustand der Göttlichkeit einnehmen.

Im spirituellen NLP, das ich lehre, gibt es ein Format, das „Mapping across“ heißt, was nichts anderes bedeutet als aus einem Zustand höherer Energie in einen Zustand niedrigerer, vielleicht Mangel-Energie, die Energie „hinüber“ zu transferieren.

Erlöse den Mangel!

Und so bist du eingeladen, in jeder Alltagssituation die höhere, göttliche Energie zu nutzen, um dunkle, nicht wache, nicht angebundene, sich im Mangel wähnende Energien in ein höheres Energieniveau aufsteigen zu lassen. Da, wo sich der Verstand in Sackgassen und Blockaden manövriert hat, und du alten, überlieferten Stimmen der Vergangenheit noch Glauben schenkst, da, wo Ängste, Sorgen, Neid und Nöte sich in dir breit machen, da ist Mangel der herrschende Anteil von dir. Erlöse ihn durch deine neutrale Aufmerksamkeit im Jetzt.

30 / Kundalini Yoga Journal Shakti-Kraft im Alltag leben
S

Als Yogi kennst du ein einfaches Tool: den Atem, die damit einhergehende Stille. Allein das bringt dich in den Zustand des Hier und Jetzt. Und im jetzigen Moment gibt es keinen Mangel. Eckart Tolle, der Autor des Buches „Jetzt“, weiß aus eigener Erfahrung, dass selbst bei von uns Menschen als schlecht und schlimm bewerteten Situationen, sich eine Glückseligkeit des Moments einstellt, wenn wir frei sind von unserem eigenen Kopfkino.

Was sind die Wirkfaktoren für deine Fülle?

– Im Moment sein

– Das süße Nichts der Stille

– Atmen

– Dich selbst im eigenen Körper spüren

– Die Freude, die dich direkt ins Göttliche katapultiert

– sprechen, tönen, tanzen, sich ausdrücken in jedweder Form

– Gefühle wahrnehmen

– den Prozess ehren

Von der Enge in die Weite

Atemarbeit und Fülle

„Und jetzt tiiief durch die Nase einund durch den Mund ausatmen“, hört man in fast jeder Yogastunde den/die Lehrer*in die tiefe Bauchatmung anleiten. Mantraartig werden die Schüler*innen aufgefordert, auf ihren Atem zu achten und bewusst wahrzunehmen. Dabei sollen sich Bauch und Brustraum in der Einatmung deutlich weiten und bei der Ausatmung wieder senken. Dies bietet unserem Herzen Platz, um sich zu öffnen.

Yogische Atmung im Alltag

Für mich war dies eine ganze Zeit lang die erstrebenswerte Atmung. Bei jeder Gelegenheit setzte ich diese Atmung ein; auf der Yogamatte, im Büro, im Auto und an allen möglichen und unmöglichen Orten. Einmal hat sich eine Dame in der Kassenschlange vor mir ernsthaft Sorgen gemacht, dass ich entweder einen Wutanfall bekommen würde oder aber vor ihren Augen umfalle. Als ich zum Kundalini Yoga kam, eröffneten sich für mich sprichwört-

Welche Wirkfaktoren kennst du für dich persönlich noch?

Viel Freude beim Explorieren.

Sabine Jagat Prakash ist Ausbilderin für multi-dimensionales Heilen in der Ausbildung

«Shakti Coach 5 D©», Shakti Dance & Yin Yoga Lehrerin, Gründerin anahata flow Yoga für Frauen, Lehrerin für Kundalini Schwangeren- und Rückbildungsyoga, Coaching & Healing – Spezialistin für nicht-kognitive Verfahren, Energiearbeit, body work.

www.shakti-healing-school.de

www.shakti-healing.de

lich die Weiten des Atmens. Plötzlich gab es, neben der bewussten und tiefen Bauchatmung, so viele verschiedene Atemtechniken, die alle Effekte auf Geist und Körper haben. Gut, viele davon sind nicht gerade alltagstauglich - Feueratem am Geldautomaten könnte durchaus missinterpretiert werden. Aber ihre Wirkung ist unbestritten.

Was unbewusst falsche Atmung bewirkt

In den folgenden Jahren habe ich mich weiter mit der Atmung auseinandergesetzt und eine Ausbildung zum Atemcoach absolviert. Hier erhielt ich medizinisches Hintergrundwissen über den Einfluss des Atems auf unseren Geist und Körper. Ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Nicht nur, dass die Atmung unmittelbar wichtige Funktionen unseres Körpers beeinflusst - Schlafqualität (Schlafapnoe), Sauerstoffversorgung der Zellen, Herz-Kreislauf-System, Verdauung,

Nervensystem und vieles mehr - falsches Atmen kann uns sogar krank machen! Auch konnten Depressionen, Angstzustände und viele andere geistig-seelische Beschwerden mit falscher Atmung in Zusammenhang gebracht werden. Atmen ist also noch lange nicht atmen. Das Wie ist entscheidend - nicht nur auf der Yogamatte!

Atmung - mehr als nur Sauerstoff aufnehmen

Unser Atemreflex wird durch das vegetative Nervensystem gesteuert. Allerdings können wir den Atem auch unmittelbar beeinflussen. Leider hat das häufig negative Konsequenzen. Wir atmen manchmal schnell und durch den offenen Mund oder halten unseren Atem an, wenn wir zum Beispiel mit negativen oder anstrengenden Situationen konfrontiert werden. Wie atmest du gerade, während du diesen Artikel liest? Ruhig und regelmäßig? Hältst du zwischendurch kurz den Atem an?

Kundalini Yoga Journal / 31

Ist dein Mund geöffnet oder geschlossen? Es ist immer wieder spannend, die Atmung in alltäglichen Situationen zu beobachten.

Mach das ruhig einmal und du wirst erstaunt sein, in welchen Momenten du tatsächlich „unnatürlich“ atmest.

Mit dauerhaft falscher Atmung fühlt man sich häufig schlapp, unwohl und eingeengt. Tragischer Weise wird dieses Gefühl mit der Atmung selten in Verbindung gebracht. Das Gute daran ist, dass jeder jederzeit wieder „richtig“ atmen lernen kann und so wieder in seine Kraft und Weite findet!

Eine praktische Übung

Setz dich aufrecht, wie bei deiner Meditationspraxis, auf deine Yogamatte, einen Stuhl oder ein festes Kissen.

Leg eine Hand auf deine Brust und eine Hand auf deinen Bauch. Beginne nun mit einer langsamen Atmung durch die Nase. Dabei sollte das Ausatmen immer etwas länger dauern als das Einatmen. Achte darauf, dass sich bei der Atmung der Brustkorb nicht hebt. Nur dein Bauch wandert bei der Einatmung sanft nach vorne und zieht sich in der Ausatmung wieder zurück. Du wirst nach einiger Zeit spüren, wie sich dein Herz sprichwörtlich weitet. Dafür muss der Brustraum beim Atmen nicht geweitet werden. Das Zwerchfell, unser primärer Atemmuskel, ist mit dem Herzen verbunden. Du spürst deutlich die Weite und Energie, die in deinen Körper strömen. Diese Übung kannst du wunderbar in deinen Tagesablauf und in deine Yogastunde integrieren. Du wirst Energie, Leichtigkeit und Weite spüren. Probiere es aus und schreibe mir gerne deine Erfahrungen.

Haude ist Yogalehrer der Stufe 1, Atemcoach nach Buteyko und Yogacoach. Weitere Informationen rund um das Thema Atmung findest du unter www.seelenwerkstatt. yoga oder per Email info@ seelenwerkstatt.yoga

CD-Tipp

Satyaa: „Isness“, Kundalini

Mantras Vol. 3

Wenn ich Satyaas Stimme höre, bin ich immer berührt - und erstaunt über die Weichheit dieser Altstimme. Ihr Guru Papaji soll gesagt haben, dass ihre Stimme jeden glücklich macht.

Die ersten vier Mantras dieser CD (Wahe … Dschio, Ong Namo, Gobinde Mukande, Adi Shakti) werden melodiös und sanft vorgetragen. Sie eignen sich als Begleitung zu Übungen und zum Mitsummen. Dann kommt die Überraschung mit „I am happy, I am good“ in hypnotischem bluesigem Rhythmus. Den Abschluss des Albums

bildet ein dreizehnminütiges rhythmisches Medley mit den Mantras Ong Namo, Ad Gureh Nameh und einem englischen Spruch.

Wie immer wird Satyaa von Pari mit seiner ebenfalls sanften Stimme und Praful mit seinen vielen Instrumenten begleitet. Die Tabla spielt kein Geringerer als der indische Musiker ManishVyas. Wie bei allen Satyaa (und Pari)-CDs lohnt sich die Anschaffung.

Das Album ist über den Sat Nam-Versand zum Preis von 14,95 Euro zu beziehen.

32 / Kundalini Yoga Journal
Helge Teg Sandeva Singh
Von der Enge in die Weite

Ausdruck göttlicher Liebe und unendlicher Essenz

ennst du diese Momente, in denen sich alles ganz leicht, klar und unglaublich beseelt anfühlt? So als wüsstest du mit jeder Zelle deines Seins, warum und wofür du auf diesem Planeten bist?

Keine Fragen mehr, nur noch eine einzige Antwort, die uns alle in Harmonie vereint. Genau darüber möchte ich heute schreiben. Die Augenblicke und Zustände, in denen unser Bewusstsein hellwach, geschärft und völlig verbunden mit etwas ist, das eindeutig größer und anmutiger ist, als wir es uns je vorstellen könnten. Die Göttlichkeit, das Universum – nenne es, wie du magst. Es ist immer da und belebt jede*n von uns. Jede Zelle unseres Seins darf sich mehr und mehr mit der Essenz dieser Quelle verflechten und das individuelle und kollektive Bewusstsein wächst unaufhaltsam. Jetzt und hier, kannst du es spüren?

Die Grenzenlosigkeit spüren

Für mich ist Fülle nur ein anderes Wort für Grenzenlosigkeit. Angesichts der endlosen Vielfalt auf dieser Erde und in diesem Universum können wir meist nur sprachlos staunen. Merkst du genau so deutlich wie ich, wie viel sich aktuell in Richtung Fülle-Bewusstsein wandelt und wie sehr die Demut wieder in uns integriert wird? Alles ordnet sich neu.

Ich bin unglaublich erfüllt

Durch Kundalini Yoga und die tiefgreifenden Veränderungen, die meine eigene Praxis mit sich gebracht hat, durfte ich schon einige dieser atemberaubenden Momente in mir wahrnehmen und erleben. An dieser Stelle möchte ich grenzenlose Dankbarkeit spüren und dich in tiefer Verbundenheit umarmen. Wir sind alle miteinander verwoben und ich bin unglaublich erfüllt, dass du gerade meine Worte in dich aufnimmst. Die Wunder, die durch Energie- und Bewusstseinsanhe-

bung geschehen, sind nicht mehr wegzudenken. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht die Begeisterung in mir spüre. Selbst dann, wenn es düster um mich herum wird, wie um uns alle von Zeit zu Zeit. Die Flamme der Inspiration, geboren aus der endlosen Fülle, welche uns alle ohne Pause durchströmt, erhellt selbst die Dunkelheit.

Mantraliebe

Vor allem beim Mantrasingen überkommt mich diese allumfassende und liebevolle Energie auf kraftvolle Art und Weise. Es ist, als würde ich ganz ohne Hindernisse mit der Unendlichkeit verschmelzen. Die Mantras und Gebete, die wir im Kundalini Yoga verwenden, haben definitiv die Kraft, uns wachsam und klar an die Göttlichkeit in unserem eigenen Inneren zu erinnern und uns gleichzeitig der universellen Quelle gewahr werden zu lassen. Ich bin fasziniert davon, wie geliebt, genährt und getragen ich mich durch das Chanten dieser heiligen Klangströme fühle.

Indien öffnete mich

Als ich Anfang dieses Jahres zum ersten Mal indischen Boden betrat, hat sich diese Verbindung zur Göttlichkeit auf ein ganz neues Level erhoben. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Wenn ich hier überhaupt noch von „Gefühl“ sprechen kann … Die Bedingungslosigkeit der Liebe, welche uns alle ohne Ausnahme miteinander vernetzt, wurde ganz tief von meinem Wesenskern aufgenommen. Meine Augen leuchteten und ich spürte deutlich, wie sich mein Herz öffnete und meine Stirngegend vibrierte. Als es soweit war, dass ich den goldenen Tempel in Amritsar betreten durfte, vergaß ich alles um mich herum. Die Energie an diesem heiligen Ort ist so dermaßen liebevoll aufgeladen, dass ich keine anderen Worte finde außer: „Meine Seele

ist wahrhaftig zuhause angekommen.“ Ich verneige mich vor dieser erhellenden Kraft, mit allem was mich ausmacht. Wahe Guru!

Spiegelmagie

Vielleicht darf ich dich zum Schluss dazu inspirieren, den Ausdruck dieser göttlichen Essenz wiederzuentdecken und ganz in dich selbst einzutauchen. Vor kurzem habe ich angefangen, mit meinem Spiegelbild zu arbeiten. Ich weiß nicht, vielleicht bist du mir da auch schon einige Schritte voraus, doch für mich ist diese bislang unbekannte Verbindung zu meiner Erscheinung ein sehr magischer, neuer Schlüssel. Und sie geht weitaus tiefer als „nur“ in die oberflächlich sichtbare, physische Ebene. Teilweise ist es so, als würde ich in der gesamten Fülle des Universums schweben, wenn ich mich darauf einlasse, genau diese in meinem eigenen Wesen zu erkennen. Die Liebe in uns selbst wahrzunehmen, um sie dann in die Welt hinaus zu spiegeln und in Erfüllung zu teilen, ist es nicht das, worum es hier geht?

Anna ist 28 Jahre jung und schon mit einem Bein wieder in Indien, auf kurzer Stippvisite in Deutschland. Schon ganz bald geht es für sie wieder los - ins Land des Yoga, der Grenzenlosigkeit und der Abenteuer. Sie ist dankbar, dass die Leser*innen ihren Worten Aufmerksamkeit schenken und sie so ein Stück weit begleiten.

Kundalini Yoga Journal / 33 Meine Erfahrungen von Fülle
K

Mit ehrlichen Begegnungen in die Fülle

angel ist, wenn ich nicht mehr weiß, was „self empowerment“ – Handlungsfähigkeit, Selbstermächtigung - ist. Die Angst, etwas verkehrt zu machen, oder für mein Handeln kritische Anmerkungen zu hören, begrenzt meine Lust auf das Leben, meine Tatkraft, mein Charisma, meine Visionskraft. Die sollte ja aus angewandter Intelligenz gepaart mit höchstem Bewusstsein bestehen - doch wie, bitte, soll das gehen, wenn der negative mind (Schutzgeist) sich mit dem positive Mind (Projektivem Geist) zusammengetan hat und sie gemeinsam am Abgrund Salsa tanzen?

Lust am Leben ist Fülle. Lust ist eine Grundemotion, die im Yoga auch oft als eine Last dargestellt wird. Es wird sie jedoch immer geben. Die Frage ist nur, wie, wann und wo wir sie leben.

Lust und Frust

Lust ist es, Samen zu pflanzen (Antar): Zum Beispiel ein Sommercamp, eine Yogatherapieausbildung, Lust daran, einen Meditations-Zirkel für die europäische Sangat zu entwickeln. Lust, diesen auf dem niederländischen Yogafestival einen Tag lang zu unterrichten. Ein tiefes Erleben von Fülle: Inspiration, Anbindung und Tiefe.

Und dann? Der Alltag. Aus Lust und Fülle werden grauer Alltag und Pflicht: Büro, Medien, Skript schreiben … Ich erlebe manchmal mein Unvermögen, dranzubleiben, Dinge weiter zu halten, sie zu tragen, zu ER-FÜLLEN. Leadership anzunehmen. Daraus erwächst dann ein Gefühl des Mangels über mich selbst: Ich bin also nicht gut genug, das zu tragen und zu halten: Habe nicht genug Prana - ich sollte mehr Pranayama machen und ayurvedisch essen, keinen Kaffee trinken und kalt duschen. Ich meditiere nicht gut genug, lese nicht genug Inspirierendes aus dem Guru, um das zu halten … Keule, Scham, Schuld.

Die Mängel der anderen übersehen Noch schlimmer, wenn es die anderen trifft: Niemand unterstützt mich genug, immer muss ich an alles denken, jetzt gibt’s auch noch Gegenwind aus der Sangat etc … Die Worte im Ardas „help me to overlook the shortcomings of others“ (also ihre Mängel) sind wichtig, denn dann halte ich mich nicht beim Unvermögen auf, sondern behalte den Blick in die Fülle gerichtet.

Der Weg da raus? Für mich?

Ich brauche ehrliche Begegnungen. Begegnungen, die mich an mich erinnern. Die mir sagen, was ich kann und was nicht. Begegnungen, die aus der Fülle der Anbindung an ein gemeinsames Isht (Ausrichtung … schwer zu übersetzen, Gottesraum?) genährt sind. Die mir von dort die Fülle des kosmischen Lichtes in Erinnerung bringen. Danke an die Sangat, die mich umgibt, und immer wieder um ehrliche Begegnungen ringt. Sie sind zwar nicht immer nett, aber am Ende fühlt es sich nährend und deswegen nach Fülle an. Wie es im Guru Granth Sahib heißt: Mit der Sat Sangat wirst du ins Licht gehen. Also in die Fülle. Rückzug ist also keine Option … dort ist der Mangel beheimatet.

Kraftquelle Mantrasingen

Es gibt sie auch, die ehrlichen Begegnungen mit mir selbst, beim Mantrasingen mit oder ohne Harmonium oder nur in meinem Kopf. Simran und Jappa jap. Mit „Sat Narayan wahe guru hari Narayan sat nam“ … Wir sollten dieses Mantra während des Golfkrieges 1991 singen. Damals dachte ich: „Wenn es gut ist bei Krieg in der Welt, ist es erst recht gut für den Krieg im eigenen Kopf.“ Es ist seit 30 Jahren mein inneres Mantra.

Aus diesem inneren Singen schöpfe ich Kraft, es führt mich zurück zur immer-

währenden Quelle und ich kann dann plötzlich spüren, dass ich in der Fülle bin. Trotz Büro, nicht aufgenommener Instaclips, verschleppter Emails, unbeantworteter Anrufe und der nicht erledigten Steuer. Maya ist wirklich unendlich!

Es gibt mir self empowerment. Plötzlich wird es wieder hell. Kundalini Yoga bietet für fast jeden Menschen Methoden, die zu ihm passen, und die das Gefühl von Anbindung und Befähigung bringen können. Überleg doch mal, was bei dir am schnellsten greift und WENDE ES AN. Schreib dir eine Liste und hänge sie an den Kühlschrank. Lass deinen „Monkey-Mangel-mind“ dir kein Schnippchen schlagen. Ein paar Vorschläge: Feueratem, Kanonenatem, Eisbad, Haare kämmen 108mal, Mantrasingen, Lieblings- Neun-Minuten-Kriya. (Bei mir ist es die Aura Kriya im Reiterstand), Breathwalk, Celestial Communication. Das ist pure Fülle.

Karta Purkh Kaur ist Physiotherapeutin, Heilpädagogin, Mitbegründerin der Pranajio Akademie mit Stufe 1/2 und 3 (Yogatherapie), Co-Visionärin des Aquarian Tantric Meditation Circle. www.pranajio.com

34 / Kundalini Yoga Journal Wege aus dem Mangel
M

„Japji Sahib, Gesang des Lebens“, neu interpretiert von Paramjeet Singh Khalsa

„Ein Schöpfendes in aller Schöpfung ist Wahrheit Name permanent Allmachendes Allseiendes

Weder Furcht

Noch Feinde kennt

Jenseits der Zeit, unsterbliche Form Durch keinen Leib jemals geboren

Selbst existent, von sich aus bestehend Durch Gurus Gnade nur zu verstehen

Der Gesang des Lebens“

So beginnt das Japji in der Übersetzung von Paramjeet Singh - so interpretiert er das Mul Mantra.

Wunderbar ist nicht nur der Text, sondern auch, dass die Transliteration sich an der deutschen Sprache orientiert, so dass wir das Umdenken über die englische Zwischensprache nicht benötigen.

Paramjeet Singh hat sich tief in die Bedeutung dieser zeitlosen Hymne hineinbegeben, so tief, dass er sich nicht nur an eine Übersetzung gewagt hat, sondern eine eigenständige Dichtung hervorgebracht hat. Dazu sagt er auf Seite sieben des Büchleins: „Das Ziel

der vorliegenden Übersetzung war es, eine Version in Reimen hervorzubringen, die zugleich der Wortbedeutung des Originals treu bleibt.“ Und auf Seite sechs: „Eine abschließende oder allgemeingültige Übersetzung des Japji Sahib, in welche Sprache auch immer, ist schlicht nicht möglich.“

Es handelt sich um eine poetische und sehr beeindruckende Übertragung. Zentrales Thema ist das Selbst. So heißt es in Pauri eins:

„Wie wird ein Mensch authentisch, mit der Wahrheit identisch

Wie zerreißt der Schleier des Scheins“ (Seite 13)

In Pauri 22:

„O Nanak, groß ist nur das Selbst zu nennen

Das vermag sich selbst zu kennen“ (Seite 53)

In Pauri 28 folgt:

„Wer den Verstand erobert, gewinnt die Welt“ (Seite 73)

Das Selbst geht hervor aus dem Einen, Erschaffenden, es bleibt Teil von die-

sem und übernimmt auch dessen kreative Eigenschaften, ist also seinerseits schöpferisch. Das Eine wird mit vielen wunderbaren Begriffen beschrieben: es ist das Grenzen- und Formlose, das Unbekannte, Unbegreifliche und Unbeschreibliche, schlicht das Höchste. Die in unserer eigenen Sprache niedergelegten Verse machen es uns leichter, mit dem Verstand in diesen umfassenden Text einzutauchen und den Inhalt mehr schätzen zu lernen, als es jede englische Version kann.

Das Büchlein ist liebevoll gestaltet. Es hat einen goldenen Umschlag mit einem achtblättrigen weinroten Lotos auf der Titelseite, die Schrift ist ebenfalls in weinrot gehalten. Es umfasst 108 Seiten und ist zu beziehen über www.yogajapa.com zum Preis von 19 Euro.

Kundalini Yoga Journal / 35 Buchtipp 1
A k a a l A k a a l A k a a l
Hari Jiwan Singh
A U G U S T 1 9 5 5 - F E B R U A R 2 0 2 3
Thomas Wesselhöft
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Meditation aus dem Kurs „The Modern Yogi“ von Professor Surinder Singh

Die nachfolgende Atemmeditation hält dich gesund, gleicht den Sauerstoffund Kohlendioxid-Spiegel aus und synchronisiert sämtliche Abläufe im Körper wie Herzschlag, Atem, autonomes Nervensystem … Ich praktiziere sie jetzt seit etwa einem Jahr und erlebe sie auch als psychisch stabilisierend.

Die musikalische Begleitung mit drei Mantras in einem bestimmten Rhythmus ist z. B. bei Amazon als MP3-Datei herunterzuladen (leider nicht bei Mantra Download), oder es gibt sie auf verschiedenen Streamingdiensten wie Spotify, I-Tunes oder anderen (Titel: „Superhealth“).

Sitze in der einfachen Haltung oder einer anderen Meditationshaltung. Das Vayu-Mudra wird die ganze Zeit über (etwa achtzehn Minuten) gehalten:

Knicke dafür die Zeigefinger nach dem ersten Glied ein und lege die Daumen über die beiden gestreckten äußeren Glieder der Zeigefinger. Die drei restlichen Finger bleiben gestreckt.

1. Satnam

Atme auf Saateee ein und zieh dabei den Bauch ein, auf Naameee atme aus und lasse den Bauch locker. Singe das Mantra innerlich mit. Sobald du mehr Übung hast, beweg dabei auch die Zunge im Mund. Drei Minuten.

2. Waheguroo

Atme auf Guruu aus und zieh den Nabel ein - wie bei Sat Kriya - auf Waah lass den Atem einströmen, ohne aktiv einzuatmen, und lass den Bauch

locker. Auch hier das Mantra innerlich mitsingen und die Zunge dabei bewegen. Elf Minuten.

3. IkOnkaar

Diese Übung wird dreimal durchgeführt. Atme tief durch die Nase ein, vollständig durch den Mund aus. Halte den Atem. Zieh zunächst den Wurzelverschluss - Mulbandh -, dann den Bauchverschluss - Uddiyanabandhund schließlich den Nackenverschluss - Jaland-harabandh - mit dem Kinn auf der Brust. Singe das Mantra innerlich mit, bis du wieder einatmen musst. Dann ruh dich aus und lass den Atem fließen, bis eine klangliche Pause eintritt, dann wieder tief einatmen, vollständig durch den Mund ausatmen, und weiter wie oben. Vier Minuten.

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36 / Kundalini Yoga Journal Serviceseite

Nachruf auf Hari Jiwan Singh Thomas Wesselhöft

Hari Jiwan Singh (August 1955 bis Februar 2023) war Teil unserer Ausbildungsschule von allem Anfang an. In den 80er Jahren hat er unsere Stufe 1 mitentwickelt und war Mitautor unseres ersten Ausbildungsskripts. Sowohl gemeinsam mit seiner ersten Frau als auch allein verfasste er eine lange Reihe yogainspirierter Bücher. Als Ausbilder, Leadtrainer und Mentoring-Lead hat er aktiv die Entwicklung unserer Schule unterstützt, vorangetrieben und mitgetragen.

Wir schauen in Dankbarkeit und Freundschaft zurück. Hari Jiwan überzeugte uns und viele unserer Absolvent*innen durch seine klare, strukturierte und unaufgeregte Art. Seine Umgangsformen waren hanseatisch und zurückhaltend, seine Kommentare oft von einem trockenen, menschenfreundlichen Humor geprägt. Als Kollege war er ohne Ausnahme loyal und vielen von uns war er persönlicher Freund, Mentor, Wegbegleiter. Wir alle konnten uns auf ihn verlassen.

Hari Jiwan Singh hatte sein persönliches Dharma gefunden und konnte daher tolerant auf viele verschiedene Lebenswege blicken. So enthielt er sich auch im Kontakt mit Schüler*innen der Wertung und unterstützte alle in ihrer persönlichen Souveränität.

In seinem anderen Leben war Thomas Wesselhöft erfolgreicher Heilpraktiker und Berater. Er liebte die See und heuerte mit dieser Profession immer wieder mal auf Kreuzfahrtschiffen an.

Nun hat er diese Erde nach langer Krankheit verlassen und ist uns vorausgegangen. Wir verbeugen uns vor einem großartigen Menschen und einer alten Seele. Die Erinnerung an ihn halten wir in Ehren. Danke, dass du mit uns warst.

Nachruf auf Gurumarka Singh Khalsa

Gurumarka Singh Khalsa gründete die Divine Human School und hat mit dieser seit Mitte der 90iger Jahre in Deutschland Kundalini Yoga Lehrer*innen ausgebildet. Zudem bot er das Child-Yoga-Teacher-Training an, aus dem viele Kinderyogalehrer*innen hervorgingen.

Mit den Jahren dehnte er seinen Wirkungskreis aus: Auch in Frankreich, Großbritannien, Afrika, den Niederlanden und den USA hatte er Schüler*innen und bot seine Divine-Human sowie Child-Yoga Ausbildungen an. Ursprünglich aus Miami, hatte er zunächst 15 Jahre in einem Kundalini Yoga Ashram in New Mexiko gelebt, wo er Kundalini Yoga studierte und unterrichtete, bevor er nach Deutschland umsiedelte.

Gurumarka zeichnete sich durch Klarheit und Direktheit aus. Seine Spezialität war die Anwendung von „Poke, provoke, confront and elevate!“. Er besaß die Gabe, Menschen sehr direkt und dabei warmherzig zu konfrontieren und sie darin zu unterstützen, ungünstige Muster zu erkennen, um sie loslassen zu können.

Er verstand es, seine Schüler*innen herauszufordern, sie in ihren Tiefen zu berühren und ihre Entwicklungsprozesse persönlich zu begleiten. Unbedingt zu erwähnen ist auch der besondere Humor von Gurumarka, der die tiefen Prozesse, Erfahrungen, Erkenntnisse und Beziehungen bereichert hat - wie das Salz in der Suppe. Seine Schüler*innen können sich glücklich schätzen, dass er seine vielfältigen Lebenserfahrungen freimütig geteilt und tiefes Wissen weitergegeben hat. Er selbst hat sich „troublemaker“ genannt. In diesem, bestem Sinne hat er Menschen in ihrer Bewusstseinsentwicklung unterstützt. Gurumarka förderte jede*n in der spirituellen Entwicklung und war ein hervorragender Yoga-Coach und Mentor.

Wir möchten an dieser Stelle unseren aufrichtigen Dank für seine Bereitschaft ausdrücken, allen gedient zu haben, die zu ihm fanden. Gurumarka Singh Khalsa hat seinen physischen Körper nach längerer Krankheit am 29. Mai 2022 verlassen.

Vom Team der 3HO Akademie Von Guru Sandesh Kaur und Guru Sevak Kaur

„Be Your Power“ von Claudia Dayajot Kaur O`Hara-Jung

Für herausfordernde alltägliche Situationen bedient es sich praktischer Werkzeuge aus dem Kundalini Yoga. Das Buch ist übersichtlich in verschiedene Themen gegliedert, so dass man gleich seins finden kann. Ob es um Geduld, Nervosität, Zweifel, Ängste, Dankbarkeit, Überlastung, etc. oder einfach nur um die innere Balance im Alltag geht – viele verschiedene Bereiche werden behandelt.

Die Autorin hat ihrer Karriere als Anwältin in Deutschland den Rücken gekehrt und lebt nach ihrem eigenen Rhythmus mit Ehemann und Kindern als Lehrerin für Kundalini Yoga und Beraterin nach Karam Kriya in Spanien am Meer.

„Be your Power“ (auf deutsch: „Sei deine Kraft“) ist im Sommer 2022 im Selbstverlag bei Amazon erschienen und umfasst 214 Seiten. Es ist ein umfangreicher, wunderbarer Ratgeber über den Umgang mit sich selbst.

Durch den klaren Schreibstil mit anschaulichen kleinen Beispielen aus dem realen Leben ist es Dayajot Kaur gelungen, ein Kundalini Yoga Buch für den Hausgebrauch und „jederfrau“ zu schreiben. Man fühlt sich angesprochen und kann sich in vielen Situationen wieder erkennen. „Be your Power“ macht uns bewusst, wie wir in vielen alltäglichen Situationen handeln (können), gibt uns zu jedem Thema Denkanstöße, Hilfestellungen und Meditationen.

Yogische Kurznachrichten

Lebe das Licht – Verbreite das Licht – Sei das Licht

Dies ist das Motto auf dem Kundalini Yoga Fest Odenwald. Noch ist es fast ein Geheimtipp, aber es bekommt stetig mehr Zulauf. In diesem Jahr findet es über Pfingsten am 27./28. Mai 2023 statt, wieder auf dem Hof Herrenberg im Brombachtal in einer hügeligen Landschaft. Das vielseitige Programm gibt es unter www.kundalini-festival.de

Deutsches Kundalini Yoga Festival

Das Team von Sat Hari Singh lädt auch in diesem Jahr wieder zum Festival im Norden Deutschlands ein, und zwar zum 13. Mal in Folge. Voraussichtlich wird es auf dem Hof Oberlethe stattfinden, und zwar von Mittwoch, den 14. Juni, bis Sonntag, den 18. Juni 2023. Abonniere gerne den Newsletter, damit du auf dem Laufenden bleibst: https://kundalini-yoga-festival.de

Insgesamt ist das Buch ein wunderbarer Ratgeber, den ich bestimmt noch sehr oft in die Hand nehmen werde. Die Meditationen sind einfach wundervoll und für jeden, auch Ungeübte, geeignet. Sehr gut gefallen mir außerdem Format, Gestaltung und der Raum, der mir nach jedem Kapitel für eigene Anmerkungen gegeben wurde. Ich kann es aus reinem Herzen einfach nur weiterempfehlen.

Erhältlich ist das Buch für 24,95 € bei Amazon.de oder direkt bei der Autorin unter www.vima.one/buch/

Europäisches Yoga Festival

Vom 5. bis 13. August 2023 findet das Europäische Yoga Festival statt, zum zweiten Mal auf dem Gelände Jambville, unweit von Paris, in einem wunderschön gelegenen Waldgebiet. Verbringe eine inspirierende Zeit unter Gleichgesinnten.

https://europeanyogafestival.eu/

Buchtipp 2

An einem Ort voller Lebensenergie

ch wache auf. Noch ist kein Vöglein zu hören. Alles schläft. Auch die Natur. Mein Weg führt mich zur Gartendusche – ein mit bunten Tüchern abgehängtes Stückchen Wäscheplatz. Es ist so erfrischend! Ich hülle mich warm ein, denn die morgendliche Kühle steigt noch aus den Wiesen auf, zünde die ersten Kerzen an und mache mich auf den Weg.

Die Morgendämmerung kommt, die Vögel beginnen ihr Lied und ich stimme mit ein: „Wake up, rise up. sweet famliy dear. It´s the time for the Lord and remember, love is here. Love, love is all you need, if you wake up and rise up right away.”

Es ist Pfingsten 2022 und ich befinde mich am Fuße des Elbsandsteingebirges direkt an der Elbe. 30 Kilometer nordwestlich von hier, immer am Fluss entlang, liegt Dresden. In freudiger und ja, auch sehnsüchtiger Erinnerung an die Festivals in Frankreich und Oberlethe keimte in uns der Samen, ein lokales Festival auf die Beine zu stellen. Mit den Ressourcen, die es hier gibt. An einem Platz, der nur so strotzt vor Lebensenergie. Es ist alles da – eine große Wiese, Raum genug für ein Festzelt und für Camping, für Groß und für Klein, für Bewegung und Ruhe, für Tun und Sein.

Der Fluss im Hintergrund lehrt uns, still zu geben und zu nehmen. Als eines der Kinder von Mutter Erde: „Im Schoß der großen Mutter – Sinke hinab zur Quelle – Erhebe dich und leuchte.“ So lautete unser Motto des Jahres 2022. Über die Fülle der Natur kann ich nur staunen. Wenn ich mir die Zeit dafür nehme, spüre ich auch in mir: Es ist alles da. Ursprünglich, kraftvoll und bunt – welch ein Geschenk.

Ja. Beschenkt fühle ich mich. Jeder selige Blick, der in die Weite schaut, jede Träne, die fließen darf, jedes herzliche Lachen, jeder stille Moment, dessen Zeugin ich sein darf, berührt mich. Mich berührt auch einmal mehr, erfahren zu dürfen, welch Wahrheit in den Lehren liegt, die ich so gern teile. Während des Abbaus fragte mich ein Schüler des Intensiven Meditationstages, welcher im Rahmen des Festivals stattfand, wie es sich denn eigentlich angefühlt hat auf dem Lehrerplatz, was ich so spürte von der Schülerseite her: „Hingabe, stimmt´s? Hingabe?“

Nein. Es war „Power.“ Es war so viel Kraft! Ich erinnere mich an „Obey. Serve. Love. Excel!“, und mir leuchtet es ein. Wenn wir uns als Schüler*innen ganz hingeben, dann werden wir als Lehrer*innen Vortrefflichkeit erlangen und unser ganzes Potenzial nutzen können. So Gott will.

Oh, ich liebe es Schülerin zu sein –Schülerin der Natur, Schülerin des Lebens, Schülerin all jener denen ich begegne, Schülerin der Wahrheit.

Das Kundalini Yoga Festival Sachsen findet in 2023 ebenfalls zu Pfingsten vom 26. bis zum 29. Mai statt, unter dem Motto „Erkenne, der Andere bist du.“ Es wird dort auch wieder am 28. Mai einen Intensiv-Meditationstag

geben, der als Zertifizierungsbestandteil der Stufe 1 Ausbildung anerkannt ist. Mehr Infos: www.yogafestival-sachsen.de

Harmanjot Kaur lehrt Kundalini Yoga seit 2010. Sie ist Stufe 1 Ausbilderin der Karam Kriya Schule, und spezialisiert auf Yoga rund um die Geburt, die sie als Doula begleitet. Selbst ist sie Mutter dreier Kinder und lebt in der Gemeinschaft Weinberg21 in Dresden. Im Jahr 2022 hat sie das spirituelle Zentrum LIGHTHOUSE in Dresden sowie das Kundalini Yoga Festival Sachsen mit gegründet.

Kundalini Yoga Festival Sachsen
I

Aquarian Tantric Meditation Circle

Heilsam wirken mit Prana Jio

Der Aquarian Tantric Meditation Circle (ATMC) ist – von Dharma Singh und Karta Purkh Kaur visioniert – im Dezember mit 150 Teilnehmer:innen ins Leben getreten, um der Sangat einen europäischen Impuls zur Paar- und Gruppenmeditation zu geben (KRI anerkannt). Wir sitzen paarweise im Doppelkreis; vier Lehrer:innen in den vier Himmelsrichtungen und die Livemusiker:innen in der Mitte halten den Raum. Eine ganz besondere Erfahrung!

Ab diesem Jahr wirst Du den ATMC auch in einigen Städten Deutschlands finden.

Stimmen vom Festival:

„Ohne Bühne und Video, einfach als Gemeinschaft einen so heiligen Raum zu kreieren ist wirklich Aquarien Age.“

Mehr darüber auf der Website

Premiere auf dem holländischen Yogafestival

„Hier bekommt Kundalini Yoga seine weibliche Ausdrucksform.“

Prana Jio Stufe 3 / Yogatherapie – unser Herzensanliegen

Wir haben die Vision, in einer großen Gemeinschaft von yogatherapeutischen Yogis sichtbar zu werden. Im Kundalini Yoga wird gesagt, wir sollen Heiler:innen für das Wassermannzeitalter sein. Wir wollen mit dir die Welt zu einem heilsameren Ort werden lassen.

Unsere yogatherapeutische Weiterbildung baut mit wenigen Ausnahmen (Asana, Krisenbegleitung) auf der Stufe 2 auf. Wir gehen gemeinsam weiter in die Tiefe, verflechten yogisches Wissen mit medizinisch, physiologisch und psychologischem. Du bekommst ein Fundament für die Begleitung und Einzelarbeit mit Klienten.

Scanne den QR Code für ausführliche Infos und die nächsten Module.

Besuche unsere Website pranajio.com und trag dich in den Newsletter ein.

Dort findest du ausführliche Informationen und alle Ausbildungen Stufe 1, Stufe 2 und Prana Jio Stufe 3/Yogatherapie, sowie interessante Workshops, Retreats, Urlaubsreisen und Camps.

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