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Nur Meer wollen

Nur Meer wollen

Komm, sage ich, lass uns gehen. Ich will ihn nicht anschauen, ich weiß nicht, ob ich seinen Blick ertrage. Aber ich muss mich vergewissern, dass er mitkommt.

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Wohin, fragt er. Seine Augen verraten ihn, ihn und seine Zweifel.

Ich strecke meine Hand aus, deute in die Ferne. Sieht er den Horizont? Aber er reagiert nicht, heftet seinen durchdringenden Blick auf mich. Während wir uns ansehen, versuche ich, mich auf meinen Atem zu konzentrieren, ruhig und tief Luft zu holen.

Er muss es doch sehen, das Blau zeigt ihm die Antwort, zeigt ihm den Weg.

Komm, sage ich, lass uns gehen. Das Meer ruft bereits, hört er es nicht?

Ein Schleier legt sich kurz über sein Gesicht, das Mienenspiel verschwindet und ich habe das Gefühl, dass ich ihm völlig fremd bin.

Ich drehe mich um und laufe los. Der Sand unter meinen Füßen kriecht vorwärts, die Dünen mit den trockenen Gräsern am Rand wispern miteinander, als ob sie Zeugen von etwas Verbotenem würden. Ich kann nur hofen, dass er mir folgt.

Das Meer erstreckt sich vor uns in die Ferne, die Wellen rauschen dem Strand entgegen, brechen sich an Felsen und fallen lautlos in sich zusammen. Er weiß nicht, dass er Teil eines Gleichnisses ist, weiß nicht, dass seine Rolle schon festgeschrieben steht. Das Wissen darum zermürbt mich, lässt die Luft zu leisen Seufzern werden.

Es ist zu spät, um noch zurückzukehren in die Stille, die nichts von Zweisamkeit versteht. Beherrscht er das Wellenreiten, frage ich mich und lasse meine Beine vom lauwarmen Wasser umspülen. Ich kenne die Gischt, komme oft hierher und beobachte das Spiel der Wellen und das Wandern der Sonne.

Er tritt neben mich, sein Gang ist zögernd, aber elegant. Zum ersten Mal bewegt er seine Lippen, spricht nicht, lächelt nur.

Ich kenne die Antwort bereits, er will mich nicht vor den Kopf stoßen, aber sein Schweigen sagt mir, dass er versteht. Wir sind beide unbeholfen, und vielleicht ist es gut so, dass ich ihm nicht gesagt habe, welchen Weg ich gerne gemeinsam mit ihm beschreiten würde. Die Art, wie sich das Licht an seinen schlanken Körper schmiegt, entlockt mir ein Lächeln. Welch eine Verschwendung er an mir wäre.

Da wendet er sich ab vom Meer und schaut mich direkt an. Es tut mir leid, dass ich deine Verse nie gelesen habe, sagt er, und ich

45 weiß, dass er nur das Beste wollte. Es ist nicht seine Schuld, dass ich seine Faszination nicht wecken konnte.

Ich spüre, dass er mir nicht zeigen wird, wie man das Meer bezwingt. Komm, flüstere ich, komm.

Der Wind entreißt mir die Worte, viel zu schnell. Ein Luftzug streift mich, wirbelt seine Haare durcheinander, für einen Moment verlieren wir den Blickkontakt. Dennoch sehe ich, wie sich seine Wangen röten. Es ist kein glückliches Rosa. Einen Augenblick später legt sich der Wind und seine Augen sind verschlossen.

Mir ist kalt, und ich weiß, dass ihm die Situation unangenehm ist. Es tut mir leid. Du musst gehen, sage ich.

Als er sich abwendet, beginnen feine Tropfen vom Himmel zu fallen. Ich versuche zu lächeln, hofe, dass der Regen mir Klarheit bringt. Er hat mir Silber geschenkt, was ist mein Herz schon dagegen. Komm, sage ich, lass mich gehen.

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