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Nah dran

eltern gesucht Während potenzielle Adoptiveltern oft jahrelang vergeblich auf ein Kind warten, herrscht an Pflegeeltern erheblicher Mangel. Das Braunschweiger Ehepaar Kruse hat sich der Aufgabe gestellt.

I

m Wohnmobil sollte es von Alaska nach Feuerland gehen. 2016 wird Johannes Kruse ein Sabbatjahr haben – so hat es der Musik- und Geschichtslehrer bereits vor einiger Zeit mit seinem Arbeitgeber vereinbart. Kruse und seine Frau Silvia Kruse-Heidweiler hatten für die Weltreise schon Pläne geschmiedet. Doch daraus wird jetzt nichts. Silva Kruse-Heidweiler sitzt mit der zweijährigen Julia* am großen Esstisch des hellen Hauses der Familie in Braunschweig-Volkmarode. Die beiden blättern in einem Bilderbuch. Wenig später hält die 51-Jährige auch noch den achtmonatigen, pausbackigen Sven* in den Armen. Julia und Sven sind Pflegekinder. Ihre Mütter können sich nicht um sie kümmern oder sind aus Sicht des Jugendamtes oder eines Gerichtes mit der Aufgabe überfordert. Fünf Jahre ist es her, dass das Ehepaar Kruse-Heidweiler in der Lokalzeitung einen Artikel über die schwierige Suche nach geeigneten Pflegeeltern gelesen hat. „Wir haben uns damals gefragt, was wir tun können, wenn jemand Hilfe braucht“, sagt Johannes Kruse. Die beiden besprechen sich und melden sich schließlich beim Jugendamt. Dass ihr Entschluss, ein Pflegekind aufzunehmen, ihr Leben so gründlich durcheinanderwirbeln würde, ahnen sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Denn: Zunächst geht es erst einmal um Bereitschaftspflege, das heißt, die Familie nimmt Kinder auf, die akut untergebracht werden müssen, weiß aber, dass das Pflegeverhältnis über kurz oder lang endet. So ist das zuerst auch: Ein Zwillingspärchen bleibt 15 Monate bei den beiden, ein dreijähriges Mädchen ein Vierteljahr. Die Situation ändert sich erst, als Julia ins Haus kommt. Das Mädchen ist erst wenige Tage alt, als es von den Kruses aufgenommen wird. Dass es viele Jahre bleiben wird, ist

nicht geplant. Doch zwischen Julia und ihren Pflegeeltern entwickelt sich eine enge Beziehung. „Da muss man überlegen, was einem wichtiger ist – Weltreise oder das Mädchen“, sagen Kruses. Wichtiger ist ihnen dann das Mädchen und sie entschließen sich, Julia nicht nur für einige Monate, sondern auf Dauer in Pflege zu nehmen. „Natürlich kann man auch mit einem Kind um die Welt reisen, doch ausgerechnet wenn ich mein Sabbatjahr habe, steht Julias Einschulung an“, erläutert der Pflegevater. Nicht nur Julia wird nun voraussichtlich bis zum Erwachsenwerden bei den Kruses bleiben, sondern auch Sven. Kinderlieb war das Paar schon immer. Silvia Kruse-Heidweiler hat fünf Kinder mit in die Beziehung gebracht, Johannes Kruse drei. Die meisten Kinder sind allerdings erwachsen oder wohnen anderswo. Im Haushalt der Familie lebt neben den beiden Pflegekindern noch ein 15-jähriger Adoptivsohn.

Die Pflegekinder bestimmen den Rhythmus Den Tagesrhythmus bestimmen derzeit die beiden Kleinen, vor allem Sven. Er braucht seine festen Zeiten. „Da ist man wenig flexibel“, sagt Kruse-Heidweiler. Sie gehört zur Albertus-Magnus-Gemeinde. „Ich gehe liebend gern in den Gottesdienst, aber das schaff ich jetzt nur noch selten,“ erzählt sie. Manchmal muss sie in der Nacht sechs oder sieben Mal raus. „Da fragt man sich schon, warum macht man das?“, sagt sie. Aber dann meint sie voller Überzeugung: „Der Umgang mit Kindern macht mir einfach Freude und ich brauche immer wieder Herausforderungen.“ Während Adoptiveltern Schlange stehen, um ein Kind zu bekommen, gibt es an Pflegeeltern einen akuten Mangel. Dahinter steckt bei vielen Paaren die Angst, ein Pflegekind

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