IPPNW-Report „Humanitäre Folgen von Drohnen“

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IPPNW REPORT

die falsche Person als Ziel identifiziert wird? Was wäre, wenn die betroffene Person gerade von einer Bergbauschicht nach Hause zurückkehrt, dort mit ihrer Familie zusammensitzt und über ihren Tag redet und plötzlich wird sie, in der sicheren Umgebung ihres eigenen Hauses, mit dem Rest ihrer Familie in Stücke gerissen? Bei der Drohnen-Militärstrategie gibt es kaum gegenseitige Kontrolle. Entweder man erwischt den „Bösen“ oder man hat Zivilist*innen getroffen. Die CIA hat keine Fakten oder Zahlen veröffentlicht und man geht davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen zur Genauigkeit dieser Strategie nie veröffentlicht werden. Kurz gesagt besteht keine Gefahr für den, der die Drohne kontrolliert, sondern nur für die Personen am Boden. Um auch hier eine andere Sichtweise wiederzugeben: Obwohl Drohnenpilot*innen angeblich vor physischen Schäden geschützt sein sollen, haben sie trotzdem eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine post-traumatische Belastungsstörung zu entwickeln [Anm. der Redaktion: Dazu gibt es unterschiedliche Studien, siehe Kapitel 3]. Und dies, obwohl die Pilot*innen weit vom realen Schlachtfeld entfernt sind.4 Die Vorstellung eines „kostenfreien Krieges“ beruht auf der Tatsache, dass für die USA durch die Führung eines Krieges mit Drohnen keine menschlichen Kosten entstehen. Wie der New York Times-Kolumnist Roger Cohen schon sagte: „Es ist schwierig, das In-den-Krieg-Ziehen von dem An-die-ArbeitGehen zu unterscheiden.“5 Wenn es keine Männer und Frauen mehr gibt, die in Särgen nach Hause kommen, ist es unwahrscheinlicher, dass die US-amerikanische Öffentlichkeit sich gegen Krieg aussprechen wird. Der „kostenfreie Krieg“ unterliegt keinen politischen Kontrollen und Rechenschaftspflichten, die normalerweise notwendig sind, um einen Krieg in einer demokratischen Gesellschaft zu führen. Wenn man dieses Argument logisch bis zum Ende weiterverfolgt, kann ein „kostenfreier Krieg“ zu einer zunehmenden Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt führen. Dies führt wiederum im Wesentlichen dazu, dass die Prämissen der Theorie des demokratischen Friedens nicht mehr gültig sind.6 Die mangelnde Aufmerksamkeit, die den rechtlichen Bedenken und den zivilen Opfern durch das CIA-Drohnenprogamm entgegengebracht wird, beruht auf der Gleichgültigkeit der USamerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Drohnen in der Kriegsführung. Das liegt an mehreren Gründen, die für den Einsatz von Drohnen sprechen. So gibt es bei Drohneneinsätzen keine Debatte über Militärausgaben und darüber, wo die amerikanischen Truppen hingehen und von wo sie zurückgerufen

4  Rebecca Hawkes, „Post-traumatic stress disorder is higher in drone operators“, The Telegraph, 30. Mai 2015, http://www. telegraph.co.uk/culture/hay-festival/11639746/Post-traumatic-stress-disorder-is-higher-indrone-operators.html 5  Roger Cohen, „Of fruit flies and drones“, New York Times, 12. November 2009, http://www.nytimes.com/2009/11/13/ opinion/13iht-edcohen.html 6  Andrew Callam, Drone Wars: Armed Unmanned Aerial Vehicles, Drone Wars: Armed Unmanned Aerial Vehicles, International Affairs Review, Winter 2010, 10. Mai 2017. 70

werden sollen. Es gibt keine psychischen Auswirkungen auf Familien, da ihre Angehörigen ihr Leben nicht im Einsatz riskieren müssen. Vor allem aber gibt es keinen Verlust US-amerikanischen Lebens. Dies suggeriert, der Einsatz von Drohnen statt von Soldat*innen führe zu einem „kostenfreien Krieg“. Der Hauptgrund für diesen Eindruck ist, dass die Drohneneinsätze abseits der US-amerikanischen Öffentlichkeit geschehen. Journalist*innen können in der Regel nicht in die Gebiete gelangen, in denen Drohnenangriffe stattfinden und nur sehr wenige Videos oder Fotos sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Dies entfernt die US-Amerikaner*innen vor der Zerstörung, die diese Angriffe verursachen.

Wo die Dinge vom Himmel fallen: Die föderalistisch verwalteten Stammesgebiete Eine der wichtigsten Zielregionen der US-Drohnenangriffe sind die föderal verwalteten Stammesgebiete FATA [seit 2018 Teil der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa], die die pakistanische Grenze zu Afghanistan bilden. FATA, ein Vermächtnis der Kolonialzeit auf dem Subkontinent, ist eine deutlich unterentwickelte Region im Vergleich zum Rest von Pakistan.7 Es gibt dort keine gut ausgebaute Infrastruktur, keine Krankenhäuser, Schulen oder Freizeiteinrichtungen und das Einhalten von Bräuchen, Traditionen und Religion steht an oberster Stelle. Da diese Region auf verschiedene Arten von den stärker besiedelten Gebieten im Rest von Pakistan abgetrennt ist, kann man behaupten, dass die FATA eine sehr verwundbare Region darstellen. Diese Verwundbarkeit hat sie zu einem Opfer von starker Ignoranz und dem sinnlosen Töten unschuldiger Zivilist*innen gemacht. Diese unschuldigen Zivilist*innen können Menschen sein, die ähnliche Kleidung tragen wie der „Feind“. Es gibt jedoch Drohnenangriffe, bei denen eine verwechselte Identitäten nicht der Grund sein kann: auch ältere Menschen, Frauen und Kindern wurden unrechtmäßig und grausam als Ziel erfasst. Seit 2004 wurden nach Angaben des in London ansässigen Bureau of Investigative Journalism zwischen 424 und 969 Zivilist*innen, vor allem in den FATA, Opfer des Zorns im US-amerikanischen „Krieg gegen den Terror“. Keiner dieser Angriffe wurde strafrechtlich verfolgt.8 Das surrende Geräusch, das von einer Drohne erzeugt wird, und die psychische Wirkung ihrer nahezu ständigen Präsenz auf die Bevölkerung ist in den letzten Jahren erforscht worden. Der Journalist David Rohde beschrieb die Wirkung einer Drohne, die stundenlang über ihm zu hören

7  Bis zum heutigen Zeitpunkt war die FATA von 425 Drohnenangriffen betroffen, mehr dazu im Datenbestand „Strikes in Pakistan“ des Bureau of Investigative Journalism: https://www.thebureauinvestigates.com/projects/drone-war/charts?show_casualties=1&show_injuries=1&show_ strikes=1&location=pakistan&from=2004-1-1&to=now. 8 Ebd.


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