in münchen Ausgabe 17/2018

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Redaktion_1718_Redaktion_neu 27.08.2018 20:32 Seite 2

ORTSGESPRÄCH

Dietmar Lupfer und Christian Waggershauser

„Wir sind kulturelle Triebtäter“ Kulturkraftwerk mitten in der Stadt: Ursprünglich erzeugte die Muffathalle Strom. Dann flogen dort lange im wohl schönsten, geheimsten Trainingszentrum die Tennisbälle eines Stadtwerke-Sportvereins. Seit 25 Jahren stehen Dietmar Lupfer und Christian Waggershauser, Feuerwerker des Muffatwerks und derzeit auch Herren über diverse plastikzersetzende Mehlwürmer, an den Kultur-Turbinen des Werks. Höchste Zeit für eine Zwischenbilanz.

lich auch mit unserem Programm weiterentwickelt – gerade im Bereich Neue Medien, Internet, IT. Da hat sich ja wahnsinnig viel getan. Als wir anfingen, saß ich noch vor einer Schreibmaschine. Und in der Ecke surrte ein Fax. Es gab anfangs nur einen Mitarbeiter im Büro, der schon einen Computer hatte. Allein daran sieht man ja schon, wie sich die Zeit verändert hat. Und wir bereiteten das entsprechend künstlerisch weiter. Wenn man jetzt das Uns-

Herr Lupfer, Herr Waggershauser, trauen Sie sich eigentlich auf Tennis-Anlagen aufzutauchen, wo vielleicht noch ältere Stadtwerke-Mitarbeiter trainieren? Waggershauser: Was viele nicht wissen: Als den Stadtwerke-Sportlern ihre Tennishalle, die heutige Muffathalle, genommen wurde, haben sie im Ausgleich eine komplett neue Frei- Man muss immer nach vorne denken anlage in einem Zelt bekommen, in dem sie im Sommer wie im Winter spielen können. Sie haben also mindes- plit-Festival zum Geburtstag nimmt: Mit tens einen gleichwertigen Ersatz be- so etwas hätten wir Anfang der 90er kommen. Deswegen kann ich ohne Jahre noch nicht loslegen können. Nun Angst durch sämtliche Tenninsanlagen zeigen wir eine Kunstform der jetztigen – oder auch der zukünftigen – Zeit. dieser Stadt gehen. Lupfer: Wir wollen immer auf etwas Kein schlechter Tausch. Und die Stadt Neues gehen – aber nicht allein deshat viel gewonnen. halb, weil es neu ist. Es geht uns um Waggershauser: Ist doch so. Für beide wichtige Entwicklungen. Die muss man war das – wie man heute so schön sagt nicht unbedingt Agitprop-mäßig aufarbeiten. Aber es geht uns darum, die – eine Win-Win-Situation. Sensoren auszufahren und zu schauen, Das Geschäft mit dem Betreiben der was kommt. Ich glaube, das ist uns von Muffathalle kennen Sie ja wirklich vom Anfang an gelungen. Damals war es ersten Tag an. Aber wie fühlt sich das halt nicht Bio-Art, sondern die Robotik, an, wenn plötzlich der Geschichtsmandie uns faszinierte. Früh sind wir auch tel vorbeirauscht – mit einem Viertelauf das Phänomen des Social Networjahrhundert Historie? kings eingestiegen, das damals im InWaggershauser: Wir stehen noch unter ternet aufkam. Uns hat bei solchen Themen immer schon interessiert, wie jeSchockstarre. Lupfer: So richtig glauben können wir weils die Subkultur dazu aussehen es beide noch nicht. Die 25 Jahre sind könnte. schon ein Abschnitt. Aber man muss ja Wie schwer fällt das, da die Nervenimmer nach vorne denken. Ein bisschen enden angespannt zu lassen? rastlos muss man schon sein, wenn man Lupfer: Ich bin in den 80er Jahren so etwas machen möchte. resozialisiert worden. Da war UnderVieles von dem, was heute verwirkground-Musik, amerikanischer Hardlicht werden konnte, basiert ja auf Ihcore, Punk von Black Flag bis Nick Cave ren ursprünglichen Ideen. Aber ist es mein Thema. Das war Subkultur wirklich das Muffatwerk, das Ihnen imdamals. Man kann aber nicht so tun, mer vorgeschwebt hat? als ob so etwas Subkultur bleibt. Waggershauser: Wir haben uns natür- Spätestens dann, als Nirvana Anfang

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der 90er Jahre komplett durch die Decke ging. Auch im Tanz steckte früher viel Subkultur – etwa bei unserem Projekt „Sieben Tänzer, sieben Länder“. Alle Fragen, die sich mit der offenen Gesellschaft beschäftigten, steckten damals schon in einem Tanz-Ensemble. Spätestens ab Anfang der 2000er Jahre ging bei uns vieles in Richtung Medienaktivismus. Wir wollen immer darauf achten, die Rezeptoren feinfühlig zu halten. Ist die Muffathalle eigentlich nicht selbst so etwas wie ein analoges Facebook – also eine Plattform, in der sich die Vielfalt der Szenen widerspiegelt und in der sich die Stadt vernetzt? In real? Lupfer: Ich finde es wunderbar, wenn man sich analog trifft und auch einen Ort dafür hat. Wie weit man sich auf Facebook real austauscht, ist ja eine große Frage. Selbst wenn man EMails unter Kollegen und Freunden hin- und herschickt, weiß man ja nie, wie genau der andere das jetzt verstanden hat. Waggershauser: Das Live-Geschäft brummt ja auch. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre: Die Leute wollen die Künstler live sehen. Und nicht im Internet oder auf irgendwelchen sozialen Medien. Sie sind dafür auch bereit, Konzert-Tickets zu kaufen. Seit drei bis vier Jahren geht das schon so weit, dass wir fast rund ums Jahr Konzert-Saison haben. Im Gegensatz wozu? Waggershauser: Früher war der Herbst die Haupt-Konzertsaison, weil die Künstler ihre CD unter dem Christbaum verkaufen wollten. Um der Nachfrage der Fans gerecht zu werden, ist mittlerweile eine echte neue Saison im Frühjahr entstanden. Ich höre auch gerne CDs. Aber ein analoges Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen. Mit dem Anspruch, neben dem Alltagsgeschäft, das die Hallen füllen muss, immer wieder auch Neues zu antizipieren, haben Sie sich ja selbst durchaus unter Druck gesetzt. Beim Bio-Art-Festival war von Ihnen sogar zu hören, dass man in zehn Jahren behaupten kann, man war damals schon bei etwas Wichtigem dabei. Die Latte hängen Sie hoch.

Lupfer: Es darf zu keinem ständigen Automatismus werden. Man kann nicht jede Woche eine neue Sensation durchs Dorf treiben. In dieser Hinsicht muss man auch entschleunigen. Es geht darum zu prüfen, welche Entwicklung auch wirklich in der Zukunft Gewicht haben wird oder was nur eine Meldung, eine Modeerscheinung ist. Die Leute müssen bei uns das Gefühl haben, dass die Sachen, die wir auf die Beine stellen, sie auch tangieren können – und dass sie deswegen auch hingehen. Waggershauser: Die Mischung des Programms muss stimmen. Du musst für die verschiedenen Ziel-Publika, die wir haben, immer wieder etwas Spannendes anbieten. Bei unserem Unsplit-Festival, das wir bewusst bei freiem Eintritt gehalten haben, haben wir durchaus die Hoffnung, dass es mit einer gewissen Medienöffentlichkeit, die es erfährt, auch mal Leute erreicht, die sich so etwas sonst vielleicht nicht ansehen würden. Man muss in der Muffathalle keine Schwellenangst haben. Wer den Laden von Konzerten oder Partys kennt, kann sich ja auch einmal etwas Anderes bei uns ansehen, wenn es interessant ist. Wir wollen bei den Leuten Neugier wecken. Man darf davon ausgehen, dass in zehn Jahren plastikfressende Mehlwürmer noch stärker Stadtgespräch sind als heute? Waggershauser: Hoffentlich! Lupfer: Mit einer Performance verbinden wir bislang immer den Mensch. Nun geht es uns darum, dass auch ein Tier im Mittelpunkt stehen kann. Es geht um die Frage, in wie weit ein Mensch auch weiter über sich hinaus denken und sich als Teil einer Gesamtheit auf einem Globus sehen kann. Das wird sicher eine große Diskussion in der Zukunft sein: Wie denke ich den Planeten? Reicht es, wenn der Mensch sich nur im Mittelpunkt sieht oder zerstört er das Miteinander? Waggershauser: Noch mal kurz zur Frage, ob wir uns das alles so vorgestellt haben und ob wir uns im Programm treu geblieben sind: In den 90er Jahren fanden zum Beispiel Lesungen klassischerweise entweder in Buchhandlungen oder in den etablierten Sälen statt. Wir haben dann große Autoren zu uns in die Halle geholt. Und dann kamen die Slams auf. Mittlerweile ist das ein Format, das für die Jungen total interessant ist. Wir haben gemerkt, dass wir junge Leute so an Literatur und Lyrik heranführen können.


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