Redaktion_1318_Redaktion_neu 25.06.2018 16:15 Seite 24
LITERATUR
Poetische Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit Kreativ anschreiben gegen Fake News, Weltekel, Bürokratenwahnsinn und die Verklemmtheit braver Bürger Es sind fürwahr unruhige Zeiten. Und im Durcheinander von Trump-Getöse, Fake News und anderen Hetzerei fällt es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten. Umso wichtiger, sich an Große zu halten – Leute, die auch im Tornado Ruhe bewahren. Heribert Prantl, Mitglied der „SZ“Chefredaktion sowie früher Staatsanwalt und Richter, ist so ein Fels. Er gibt in seinem Buch „Die Kraft der Hoff- Brüchige Biografie: nung“ nützliche Tipps, wie SENTHURAN VARATHARAJAH man sich gegen das Wiederaufkommen von alten Wahnideen und Idiotien wappnen sollte. erinnert in einem spritzigen „SommerApéro“ daran. (Literaturhaus, 4.7.) (Heppel & Ettlich, 3.7.) Ganz ausklinken und den Lärm der Welt außen vor lassen – ein Traum. Erster Schritt wäre, beim Ausparken das Smartphone unter den Hinterreifen zu legen. Dann hat der Chef-Aussteiger der Literaturgeschichte, der „Walden“Autor Henry David Thoreau, Hochkonjunktur. Der Pionier des „Nature Writings“ hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts in eine Blockhütte am Walden-See zurückgezogen. Michael Kratz
Sich nicht zu verbiegen: Das kann man natürlich auch bei der schrillen Schwabingerin Gräfin Franziska „Fanny“ zu Reventlow abschauen, die zu einer der Ikonen der Münchner Bohème wurde und sich zeit ihres Wirkens für Selbstbestimmtheit und gegen starre Konventionen stark machte. „Ich will überhaupt lauter Unmögliches“, schrieb sie einst. „Aber lieber will ich das wollen, als mich im Möglichen schön zu-
kraftvolle Stimme. Mehr allerdings: Dorner ist ein einfühlsamer, witziger Romanautor, der sich von seiner MS-Erkrankung nicht unterkriegen lässt, der mitreißend schreibt und dem man gerne zuhört. Mit „Eine letzte Mail“ stellt er nun seinen neusten Liebesanordnung vor. (Kreativ Labor, Belgradstr. 106, 5.7.) 70 Jahre alt und quicklebendig ist der Seerosenkreis, der seinen Geburtstag mit literaRomantik-Nostalgie: risch-musikalisch-kabarettistiMAXIMILIAN DORNER schen Schmankerln feiert. Zum großen Fest haben sich nicht nur viele Seerosianer wie Gert Heirechtzulegen.“ Nun erinnern Gaby Dos denreich, Anatol Regnier oder Asta Santos, Gunna Wendt und Michaela Scheib, sondern Gratulanten wie Julia Dietl an ihr Wirbeln und Wüten. (Mo- von Miller, Alt-OB Christian Ude, André Hartmann und Thomas Steierer angenacensia, 3.7.) kündigt. (Künstlerhaus, 2.7.) Auch nicht so leicht einschüchtern Bleibt zum Abschluss der Aufruf zu lässt sich Maximilian Dorner, der Leeiner Landpartie: „Vor der Zunahme der sern unseres „Ortsgesprächs“ bestens Zeichen“ heißt der packende Debüt-Robekannt sein sollte: Der Münchner Au- man des deutsch-tamilischen Autors tor, Dramaturg, Kabarettist und Hör- Senthuran Varatharajah, in dem er buchsprecher kämpft gegen die Träg- über Herkunft und Ankunft, das Erinheit der Bürokratie an und gibt den vie- nern, Vergessen und die Brüche in Biolen Rollstuhlfahrern, die sich über blo- grafien sinniert. (Kurparkschlössl Herrckierte Aufzüge aufregen müssen, eine sching, 1.7.) Rupert Sommer
HÖRBUCH
Natural Born Ladykiller Über den 14-jährigen Karl May erzählt Spaßvogel Götz Alsmann, nach der Lektüre von Rinaldo Rinaldini zeige sich zum ersten Mal Karl Mays Problem, „Realität und Fiktion auseinanderzuhalten“. Voller Begeisterung für den italienischen Robin Hood „verlässt er heimlich das Elternhaus. Seine Abschiedsnachricht an Eltern und Geschwister: ‘Ihr sollt euch nicht die Hände blutig arbeiten; ich gehe nach Spanien; ich hole Hilfe!’ Bei Verwandten in der Nähe von Zwickau endet die Reise.“ Erkenntnis 1: Italien und Spanien zu verwechseln ist kein Privileg von Balltretern. Erkenntnis 2: Durch sein Scheitern kommt Karl May seinem Idol RR7 ziemlich nahe. Zumindest in diesem 7teiligen Hörspiel lebt der berühmte Räuberhauptmann von vergangenem Ruhm. Fast alle seine Projekte im Laufe
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der Romangegenwart floppen und Rinaldini (K. Wussow) residiert regelmäßig im Gitterpalast. Vor einer kürzeren Geschichte bewahrt uns nur das wiederholte Auftauchen des mysteriösen Retters Nikador (Kurt Lieck, Scotland-Yard-Chef Sir Graham Forbes aus der PaulTemple-Serie). Rinaldini ist mehr Schürzenjäger und sammler als Straßenräuber. Quasi Filmrolle für Errol Flynn. Beeindruckender Bunny Count. Selbe Liga wie 007 und Giacomo C. Statt seinen gut katholischen Helden (ein weiterer Link zu Karl May, der Winnetou kurz vor seinem letzten „Howgh!“ zum Jesus-Follower konvertieren ließ) mit zeitweiligen „Pfui!“Einwürfen auf den moralischen Tugendpfad zu navigieren, begrüßt der Autor Rinaldinis Lotterperformance und gibt als kommentierender Erzähler
sogar Tipps zum advanced Bunnymanagement: „Die Wievielte bin ich denn?“, fragt eine von Rinaldinis frisch gerissenen Hasen. Und Goethe-Schwager Vulpius (H.-J. Kulenkampff): „Der Ritter (...) wusste die Antwort dieser Frage mit einer Gegenfrage klüglich zu vermeiden. Eine Methode, die man sehr heilsam jedem empfehlen kann, der in Verlegenheit kommen sollte, einem artigen Weib oder Mädchen eine ähnliche Frage zu beantworten.“ Zusammen mit dem blühwiesigen („Rinaldini flog an ihre Brust“), stelzbeinigen Wort-Defilee („Was liegst du hier in schwärmerischer Untätigkeit?“) eine gar köstliche Erquickung der nach weltläufiger Zerstreuung strebenden Seele. Jonny Rieder Christian August Vulpius: Rinaldo Rinaldini oder Der Räuberhauptmann. Hörspiel von Friedhelm Ortmann mit ca. 25 Sprechern, WDR 1966, 1 mp3CD, ca. 500 Min., www.pidax-film.de