Motion 1/16 – Menschen und Märkte verstehen

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Motion INDEPTH INTERVIEW TOOLS & TECHNOLOGY

01.2016 Das Kundenmagazin der UNITED GRINDING Group

Fließmontage+ – Flexibilität auf der ganzen Linie Märkte verstehen, Mitarbeiter quali zieren Schleifen, Lasern, Messen – neue Technologien

FOKUS ASIEN: DYNAMIK UND QUALITÄT China und Japan – Chancen und Herausforderungen auf den beiden größten Schleifmaschinenmärkten der Welt

Produktqualität und guter Service: Fusako Funai betreut Kunden als Sales Administrator bei Walter Ewag Japan K.K.


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Aufwärts für weltweiten Erfolg: Fred Gaegauf und Prof. Dr. Joseph Francois (v. l.) im Bahnhof von Bern

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MENSCHEN UND MÄRKTE VERSTEHEN Die UNITED GRINDING Group macht mehr als die Hälfte ihres Umsatzes außerhalb Europas. Um auf allen Märkten die gleiche Qualität zu gewährleisten, bedarf es internationaler Rekrutierungs- und Ausbildungsstrategien. Fred Gaegauf, CTO der UNITED GRINDING Group, spricht mit dem Globalisierungsspezialisten Professor Dr. Joseph Francois INTERVIEW: MICHAEL HOPP

FOTOGRAFIE: ELMAR WITT

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GE R PROF. DR. JOSEPH FRANCOIS studierte Geschichte und Wirtschafts-

wissenschaften an der University of Maryland, USA. Er arbeitete in den Niederlanden, Österreich und der Schweiz und ist heute Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bern und Managing Director des dortigen World Trade Institute. FRED GAEGAUF studierte Elektro- und Wirtschafts-

ingenieurswissenschaften. Seit 1979 arbeitet er bei STUDER. Nachdem er lange den Geschäftsbereich Nordamerika verantwortete, ist er inzwischen CTO der UNITED GRINDING Group.

Multinationale Unternehmen ie die UNITED GRINDING Group stehen zurzeit zahlreichen ökonomischen Un ägbarkeiten gegenüber. Wie müssen sie sich positionieren, um erfolgreich zu bleiben

„WER DAS LAND NICHT VERSTEHT, KANN DORT AUCH KEINE GESCHÄFTE MACHEN.“ red aegau U

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Francois: Zurzeit herrschen verschiedene Arten von Unsicherheit. Die eine ist die Unsicherheit über das Geschehen auf den Märkten der Schwellenländer; sie ist nicht neu. Die andere ist die Unsicherheit darüber, ob das Schengener Abkommen zur Abschaffung der innereuropäischen Grenzkontrollen hält, oder ob Großbritannien aus der EU austritt. In solchen Zeiten der Unsicherheit ist es wichtig, nicht nur danach zu fragen, welche Regeln es dafür gibt, dass Unternehmen tätig werden, sondern auch, welche Rahmenbedingungen sie in den Märkten vor nden. Wenn die UNITED GRINDING Group zum Beispiel eine Niederlassung in einem US-Bundesstaat eröffnet, der Staat aber dann die Vorschriften ändert und die Fabrik schließt, verliert sie ihre Investitionen. Was schützt Unternehmen davor Francois: Es braucht Rahmenbedingungen und auch Kanäle, auf denen man sie einfordern kann. Dies ist zurzeit ein kontroverses

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Thema in Deutschland, wo Unternehmen nach der Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie auf Schadensersatz klagten. Es gibt französische Unternehmen, die Ägypten wegen der Einführung von Mindestlöhnen verklagten, da dies ihre Kosten erhöhte. Und es gab ja auch schon Konzerne, die wegen veränderter Gesundheitsvorschriften Klagen anstrengten. So weit sollte es nicht kommen. Dazu müssen Unternehmen die Optionen vorher kennen.

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„ES IST EGAL, WOMIT SICH STUDENTEN AM ENDE IHRES STUDIUMS BESCHÄFTIGT HABEN. AM ENDE MÜSSEN SIE DIE LEUTE SELBST AUSBILDEN.“ Prof. Dr. Joseph Francois, World Trade Institute

Wie geht ein Unternehmen wie die UNITED GRINDING Group mit sich verändernden Marktbedingungen um? Gaegauf: In den etablierten Märkten müssen wir unseren Geschäftsbetrieb nicht verändern. Zudem sind unsere Niederlassungen und deren Mitarbeiter oft lokal fest verwurzelt. Das ist sehr hilfreich. Schwierig ist die Situation in Russland. Früher war das Land ein sehr wichtiger Markt für uns. Doch angesichts der Embargo-Situation stehen wir vor dem Problem, dass es Unternehmen gibt, die sowohl für den zivilen Bereich produzieren als auch für den militärischen – und den zu beliefern, ist ja bekanntlich verboten. Werden Maßnahmen wie Employer Branding und weltweite Rekrutierungsstrategien zu entscheidenden Erfolgsfaktoren? Francois: Unsere Art zu produzieren hat sich geändert – auf eine Weise, die für grenzübergreifend operierende Unternehmen Vorteile bringt. Das bedeutet, dass in grenzüberschreitende Personalpolitik investiert und über Mobilität nachgedacht werden muss, bis hin zu Faktoren wie Renten- und Krankenversicherung oder Bildungspolitik. Wir haben gerade für die amerikanische Handelskammer eine Arbeit über das transatlantische Handelsabkommen TTIP fertiggestellt und Vertriebs- und Marketing-Führungskräfte interviewt. Dabei ist herausgekommen, dass große Unternehmen besser mit den Unterschieden bei Personalbestimmungen und Produktvorschriften umgehen können – was eine Wettbewerbsverzerrung zwischen großen und kleinen Unternehmen darstellt. Herr Gaegauf, was sind die größten Herausforderungen der Globalisierung? Gaegauf: Als global agierende Gruppe müssen wir uns mit den verschiedenen Kulturen auseinandersetzen. Wenn man nicht bereit ist, die Kultur zu verstehen und darauf ein-

Joseph Francois fokussiert mit seinem Institut unter anderem auf grenzübergreifende Produktionsketten und die Auswirkungen auf die Personalpolitik

zugehen, dann versteht man das Land nicht und kann dort auch keine Geschäfte betreiben. Das scheint mir einer der entscheidenden Punkte zu sein: Verständnis für die Kultur. Sie zu verstehen und auch zu akzeptieren. Welcher Anforderung an Internationalität müssen Ausbildungen entsprechen? Francois: Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wenn Sie etwas bei Amazon bestellt haben und sich beschweren möchten, weil etwas nicht geklappt hat, werden Sie womöglich mit jemandem in Kapstadt sprechen. Denn das Backof ce-Zentrum von Amazon ist ins Ausland verlagert worden. Sie haben ihre Zentren in den Niederlanden, Deutschland, England und Frankreich eingerichtet und mussten große Investitionen vor Ort tätigen, um die Mitarbeiter zu trainieren, dass sie rund um die Uhr mit der ganzen Welt kommunizieren können. Dadurch wurde es aber möglich, dass sie global operieren. Gaegauf: Es ist ein Riesenvorteil, dass in Europa durch den Bologna-Prozess zur europaweiten Harmonisierung von Studiengängen die akademischen Abschlüsse in anderen Ländern anerkannt werden. Dadurch kann man junge Leute bereits während des Studiums ins Ausland senden, sie studieren wei-

ter und man kann sie dann vor Ort einsetzen. Ideal wäre es, die duale Ausbildung – also die Ausbildung in Theorie und Praxis parallel – zu internationalisieren. Die Schweiz hat ein Abkommen mit den USA bezüglich des Bildungssystems, um das duale System in andere Länder zu übertragen. Wie kann die duale Ausbildung bei der UNITED GRINDING Group ins Ausland übertragen werden? Gaegauf: Wir bilden unter anderem in folgenden Berufen aus: Produktionsmechaniker, das ist die einfache Art des Polymechanikers, Konstrukteur, Mechatroniker, eine der wesentlichsten Ausbildungen, weil sie Mechanisches und Digitales verbindet, Logistiker, Kaufmann und Informatiker. Und das alles über das Dualsystem. Das heißt, ein großer Anteil an Schule, das sind unter Umständen zwei bis drei Tage pro Woche, dann zwei oder drei Tage Praxis, Ausbildung im Werk. Der große Vorteil der so Ausgebildeten ist, dass sie von einer Station, von einer Abteilung in die andere wechseln können, oder von einem Unternehmen aus der Gruppe in ein anderes. Wir haben ein deutsch-schweizerisches Austauschprogramm und senden junge Leute beispielsweise zu Hauni, einem SchwesteMotion 01.2016

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runternehmen aus der Körber-Gruppe, nach Hamburg. Dort kommen sie in eine Gastfamilie. So entsteht ein unmittelbarer Einszu-eins-Austausch mit den Kollegen. Das würden wir natürlich auch gerne noch mit anderen Ländern machen, vielleicht auch mit asiatischen. Ist die Ausbildung von Mitarbeitern im Ausland entscheidend, damit sie gerüstet sind für die Arbeit auf globalisierten Märkten? Francois: Ja, so lernen sie, in Netzwerken zu arbeiten. Hier am World Trade Institute in Bern haben wir Studentenjahrgänge, die über ihre gesamte Karriere miteinander in Verbindung bleiben; sie arbeiten zusammen und kontaktieren sich gegenseitig. Mobilität ist wichtig. Sehen Sie sich an, wer Google oder Apple gegründet hat: In Amerika werden die Erfolgsgeschichten großer Unternehmen von Migranten initiiert. Ein nationales Bildungssystem kann die Talente im Land ausbilden. Wichtig ist aber auch, den globalen Markt an Kompetenzen anzuzapfen, um die besten Leute zu gewinnen. Wenn diese dann wieder getrennte Wege gehen, wird das Networking zu einem wichtigen Aspekt. Gaegauf: Wobei wir die Erfahrung machen, dass es nicht mehr einfach ist, junge Leute zu mobilisieren, ins Ausland zu gehen. Beim Studium ist der Austausch noch praktizierbar. Sobald es ums Arbeiten im Ausland geht, wird es schon schwieriger. Ich weiß nicht, wie Sie das wahrnehmen, aber ich nde, die jungen Leute sind teilweise nicht mehr so mobil. Nimmt die Mobilität der jungen Generation wieder ab? Francois: Wenn ich mir die Teilnehmer in den studentischen Erasmus-Austauschprogrammen anschaue, sind einige von ihnen wirklich mobil, und es gibt ein paar, die es nicht sind. Aber solange Sie mindestens eine bestimmte Gruppe von beweglichen Managern, Politikern und Anwälten nden, ist das ein Anfang, und dies genügt. Ich glaube, dass interkulturelle Ein üsse die Sichtweise auf Dinge verändern – besonders bei den Menschen, bei denen Sie in Bildung investieren. Bei Unternehmen gehe ich davon aus, dass Mitarbeiter, die immer mal wieder die Standorte wechseln, ein besseres Gefühl für den Betrieb bekommen. Dabei werden Unternehmen, Länder und ganze Märkte, die das erfolgreich bewältigen, einen Vorteil haben. 26

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Gaegauf: Die Frage ist ja, wie man Wissen in ein anderes Land transportieren kann, beziehungsweise welche Erfahrungen wir mit der Ausbildung der Mitarbeiter dort machen. Nehmen wir zwei Extreme: Europa und China. In Deutschland und in der Schweiz macht man eine Ausbildung, idealerweise im dualen System. Die gibt’s in China nicht, da geht man den universitären Weg, macht den Bachelor und kommt als Trainee in eine Firma. Aufgrund unserer guten Aus- und Weiterbildung innerhalb der Gruppe haben wir weltweit sehr gut quali zierte Mitarbeiter, die lange im Unternehmen bleiben. Sie sorgen für die einheitliche Qualität bei der UNITED GRINDING Group. In einem globalisierten Markt wird es zunehmend schwieriger, den richtigen Angestellten für die richtige Position zu nden. Reicht die Ausbildung durch internationale Hochschulen aus?

„IN DER BILDUNGSPOLITIK WIRD AM BEDARF DER ARBEITSMÄRKTE VORBEI AUSGEBILDET.“ r . r. seph ranc is W rld rade nstitute


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Francois: Nach dem, was ich von der Bildungspolitik höre, wird am Bedarf der Arbeitsmärkte vorbei ausgebildet. Andererseits ist es im Grunde egal, womit sich Absolventen an der Uni im Detail beschäftigt haben, denn Sie müssen sie in jedem Fall im Unternehmen selbst ausbilden. Im schottischen und nordamerikanischen System werden Menschen bewusst zu Generalisten ausgebildet. Die Idee ist, dass sie genug lernen, um lernen zu können. Im kontinentaleuropäischen und britischen System spezialisieren sie sich von Anfang an auf einen bestimmten Weg und werden – wenn er für die Marktbedürfnisse der richtige ist – auch eingesetzt. Andererseits ändert sich die Art, wie wir Dinge chemisch, biotechnisch oder nanotechnisch produzieren, so schnell, dass wir Menschen derzeit nicht dafür ausbilden können. Wir müssen über die Art nachdenken, wie wir Menschen darauf vorbereiten, mit neuen Technologien umzugehen. Beim Wandel der amerikanischen Stahlindustrie etwa gab es eine Menge an Handelsstreitigkeiten. Aber die wirkliche Umwälzung berührte die Arbeitsbedingun-

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gen: Statt Mitarbeitern in dunkelgrauen Asbestkitteln waren immer mehr Angestellte in weißen Arbeitsmänteln und mit Doktortiteln beschäftigt, die einen Computer bedienten. Gaegauf: Es braucht grundsätzlich Leute mit gutem Basiswissen, beispielsweise technisch gutem Basiswissen, das ist die Grundvoraussetzung. Und in unserer Industrie, gerade im Schleifprozess, ist das nichts, was man so nebenbei lernt. Da braucht man viel Erfahrung. Man muss sich die Zeit nehmen, etwas von Grund auf mit diesen Mitarbeitern aufzubauen. Schön wäre es dann natürlich, wenn die Leute, mit denen man über Jahre etwas aufgebaut hat, danach dabeibleiben. Von China heißt es immer, die Fluktuation der Arbeitskräfte sei besonders hoch. Diese Erfahrung können wir nicht bestätigen. Die Fluktuationsrate in unserem Werk in China ist nicht größer als die in den europäischen Märkten. Wie beurteilen Sie den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis bei der Aus- und Fortbildung?

„MAN MUSS SICH DIE ZEIT NEHMEN, MIT DEN LEUTEN VON GRUND AUF ETWAS AUFZUBAUEN.“ red aegau U

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Francois: Wie weit Aus- und Fortbildung mit Unternehmen oder Laboratorien zusammenarbeiten, ist von Land zu Land unterschiedlich. Nach meinem Emp nden erledigen die Schweiz und Großbritannien hier einen guten Job, andere Teile Europas sind nicht so weit. Die Ausbildung meiner Tochter in Biochemie zum Beispiel hat eine einjährige Arbeit in einem Laboratorium eingeschlossen. Das erleichtert den jungen Menschen den Übergang in die Praxis. Die UNITED GRINDING Group präsentiert sich selbst mit einer weltweit beständigen hohen Qualität bei Produkten wie bei Dienstleistungen. Wie erreichen Sie das und was tun Sie dafür, dies auch zukünftig zu erhalten? Gaegauf: Wir liefern de nitiv weltweit die gleiche hohe Qualität. Das wird sichergestellt durch intensive Schulung, durch Prozessbeschreibungen und Arbeitsanweisungen. Was auch nicht fehlen darf, sind entsprechende Qualitäts-Audits, die weltweit nach den gleichen Standards durchgeführt werden. Noch ein wichtiges anderes Thema: unsere Unternehmensphilosophie PuLs® (Präzision und Leidenschaft) mit den Zielen, Verschwendung zu minimieren und Abläufe kontinuierlich zu verbessern. Hiermit realisieren wir große Fortschritte in Bezug auf Prozessverbesserung und Ef zienzerhöhungen jeder Art. Das machen wir auch an sämtlichen Standorten weltweit. Welche großen Herausforderungen bestehen für multinationale Unternehmen in der Zukunft? Wie können sich die Führungskräfte darauf vorbereiten und wer unterstützt sie? Francois: Eine Folge der Globalisierung besteht in einem härteren Wettbewerb; Märkte verlangen entweder höhere Qualität oder niedrigere Preise. Die Sicherung der Qualität ist dabei eine große Herausforderung. Investitionen in Forschung und Entwicklung sind wichtig, um einen Qualitätsstandard zu halten. Sie helfen, Produkte konstant zu verbessern und erhöhen das Know-how im Unternehmen. Im Wesentlichen werden die Unternehmen erfolgreich sein, die in sich selbst Lösungen nden. Universitäten be nden sich in keiner Wettbewerbsposition und können daher als ein Ort zum Vermitteln und Austauschen von Ideen verwendet werden. Das ist sicher hilfreich. Aber letztendlich steht jeder vor den gleichen Herausforderungen und diejenigen, die interne Lösungen nden, werden erfolgreich sein. º Motion 01.2016

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