GWA ON 01 – Online Marketing Rockstars

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MENSCHEN, MARKETING UND KOMMUNIKATION NOVEMBER 2017


New Business

ONLINE MARKETING ROCKSTARS

VS

ORIGINAL CHEFBOSS ROCKSTARS


Philipp Westermeyer – OMR

Wie macht man

Maike Mohr – Chefboss

Online-Marketing

zum Massenhype für zehntausende Fans?

Und woher kommen die alle? Das sind Menschen, die von Montag bis Freitag arbeiten – und abends abgehen, sagt Alice Martin von Chefboss im Gespräch mit Philipp Westermeyer, dem Mastermind der Online Marketing Rockstars

MODERATION: MICHAEL HOPP FOTOS: BENNE OCHS

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Philipp, ihr nennt euch Online Marketing Rockstars, bei euren Konferenzen geht es oft so frenetisch zu wie bei Musikfestivals, ihr ladet als Sprecher Musiker wie Bruce Dickinson ein, und eure Partys sind legendär. Was hat Rockmusik mit Marketing zu tun?

Ihr habt es auf spektakuläre Art geschafft, den Generationenwechsel in der Werbewelt zu markieren. Rockstars dagegen sind ja eher Überbleibsel aus der alten Welt, betagte Herren, die lauter Knaller spielen, die man schon tausendmal gehört hat.

PHILIPP WESTERMEYER Der Traum, ein Rockstar zu sein,

ALICE MARTIN Quatsch. Rockstar zu sein, verkörpert ein bestimmtes Lebensgefühl. Ich trinke, saufe, feiere, aber ich kriege mein Leben dennoch gebacken. PHILIPP Richtig. Wenn du dein Ding geil machst, kannst du auf jedem Gebiet ein Rockstar sein. Ganz ohne „Satisfaction“ spielen zu müssen.

ist Werbern nicht unbedingt fremd. Das sind ja auch spezielle Leute mit einem großen Ego, die etwas Kreatives produzierten, für das sie gefeiert und mit Awards belohnt werden wollen. Aber im Grunde sind wir auf den Namen gekommen, weil wir einen griffigen Titel für unsere Konferenz brauchten. Und dann ist mir eben aufgefallen, dass heute jeder Rockstar sein kann, Fußballer genauso wie Softwareentwickler, sogar Politiker, wie man an Justin Trudeau oder Emmanuel Macron sieht. Auch im Digital Marketing gibt es globale Stars, die so viele Instagram-Follower wie Musiker haben und die Gesellschaft bewegen. Wenn Gary Vaynerchuck irgendwo auftritt, wollen die Leute hinterher Selfies mit ihm machen.

Wie finden es eigentlich wirkliche Musiker, dass Online Marketing so wichtig geworden ist? Ohne ständige Präsenz im Internet würde ja niemand von Chefboss wissen. Nervt euch nicht hin und wieder dieser Zwang, auf sich aufmerksam machen zu müssen?

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New Business MAIKE MOHR Nein, für mich ist Marketing eine weite-

re Möglichkeit, mich auszudrücken. ALICE Prince zum Beispiel hat darauf geachtet, dass seine Musiker beim Touren immer bestimmte Klamotten trugen, nicht nur im Konzert, sondern auch im Hotel. Die Leute sollten sofort sehen: Das sind keine normalen Leute. Sich zu präsentieren, Eindruck zu hinterlassen, das ist ja auch Marketing. An sich machen wir zwar Mucke, aber zu unserer Kunst gehört auch, wie wir aussehen. Natürlich kann ich es verstehen, wenn Musiker über dieses Thema hin und wieder ins Grübeln kommen. Man will sich ja nicht verzetteln, sondern Zeit haben, um seinen Shit zu machen. Andererseits: Wenn man das nicht selbst in die Hand nimmt, macht das jemand anders, und dann verliert man die Kontrolle darüber, wie man nach außen wirkt. PHILIPP Wer in der Instagram- oder YouTube-Generation aufgewachsen ist, weiß, wie wichtig es ist, dass der Kram, den man macht, nicht nur gut ist, sondern auch gepusht werden muss. Ohne Content geht es nicht, aber man braucht auch einen Vertrieb, damit er die Leute erreicht. Es bringt einem ja nichts, wenn einem niemand zuguckt.

ONLINE MARKETING ROCKSTARS Online Marketing Rockstars ist die erfolgreichste Plattform für digitales Marketing in Deutschland. Besonders bekannt ist das gleichnamige Festival, das 2011 mit 150 Besuchern startete und in diesem Jahr schon 25.000 Gäste nach Hamburg lockte. Neben dem Festival vermarkten die OMR Artikel, Podcasts, Analysen, Leitfäden und bieten die größte Jobbörse der Branche

MAIKE Andererseits kann jeder Marketing machen. Man ist auf keine Agentur angewiesen. Wenn man gute Sachen macht, verbreitet sich das auch so.

Wie ist bei Chefboss das Verhältnis zwischen Live-Auftritten und Social Media? Durch Social Media allein könnt ihr doch nie so eine unbändige Energie generieren wie auf der Bühne.

Wie gut seid ihr denn bei eurem eigenen Online Marketing für Chefboss aufgestellt?

MAIKE Na ja, wenn wir ein Video machen, stecken wir

Irgendwie funktioniert es. Wir müssen eher darauf achten, dass wir unsere eigenen Sachen nicht zu sehr pushen. Heute ist jeder unbewusst so marketingaffin, dass er sofort durchschaut, wenn man ihn mit zu viel Strategie traktiert. Sobald man es übertreibt, bekommt man sofort zu hören „schon klar, Alter, du willst mir wieder was verkaufen“.

auch alle mögliche Kreativität rein. Das ist dann auch eine gute Möglichkeit, uns zu zeigen. Auf der Bühne ist es eben noch mal ein anderes Gefühl. PHILIPP Wenn ich dazu etwas sagen dürfte: Chefboss ist ein Sonderfall, weil die beiden ein spektakulärer Live-Act sind. Aber generell muss man beides zusammen denken. Online ist ja live, für viele Leute gibt es die Trennung gar nicht mehr. Die filmen während einer Show ab, was sie sehen, und andere gucken zu. Natürlich ist es etwas anderes, ob man auf Facebook guckt oder direkt in der Halle steht, aber dennoch ist beides live. Ich würde eher sagen, dass das Unterscheidungsmerkmal, auf das es ankommt, die Nähe ist – wie nah man an dem dran ist, was passiert. ALICE Deswegen kommen viele Leute, die sich alles von uns reingezogen haben, immer noch zu unseren Live-Shows: wegen der Nähe und wegen des Erlebnisses. Das ist eben 3-D, und das merken die Leute. PHILIPP Es geht darum, dass etwas ein Event ist. Ein Kumpel von mir ist Indianer bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg, und jedes Jahr sagt die Oberbürgermeisterin: Wir haben übrigens einen neuen Besucherrekord. Das ist unfassbar. Im Jahr 2017, in dem man sich Karl May ohne Ende auf YouTube reinziehen könnte, boomen die Karl-May-Festspiele mehr denn je. Auf kleinem Niveau zeigt das, wie krass Events abgehen. Davon profitieren auch wir. Natürlich machen wir unsere Sache organisatorisch ganz gut, aber wir haben Glück mit zwei

ALICE

sowie weitere thematische Events. Alice Martin – Chefboss

Und deswegen muss man die Menschen im Internet erreichen. Von meinen eigenen Kindern weiß ich: Wenn man sie nicht im Internet erreicht, kann man es vergessen. Alle anderen Medien wie Fernsehen und Radio werden als sekundär wahrgenommen. PHILIPP Dennoch

redet seit Wochen ganz Hamburg darüber, zu den Rolling Stones im Stadtpark zu gehen, zu Typen, die fast 80 sind. Irgendwie absurd. Die sind in einer Epoche großgeworden, in der sich noch Loyalität bilden konnte. Für Jüngere gibt es das kaum noch, es gibt immer weniger langfristige und treue Fans. Auch das sieht man bei Kindern, da funktioniert kaum etwas länger als ein, zwei Jahre.

CHEFBOSS Die Hamburgerinnen Alice Martin und Maike Mohr vermischen als Chefboss musikalische Elemente aus Dancehall und Electro

PHILIPP Früher wurde ein Song im Radio oder in den

mit Tanzmoves aus dem Vogueing.

wenigen existierenden Fernsehkanälen gespielt, das haben alle geguckt, und dann wurde es riesengroß. Heute gibt es auf YouTube so vieles, dass man gar nicht mehr so groß wie die Rolling Stones werden kann. Um wahrgenommen zu werden, musst du etwas ganz Besonderes schaffen. Also braucht man heute mehr Marketing, weil die Konkurrenz größer geworden ist.

Ihre erste Single „Blitzlichtgewitter“ erscheint 2015, nach zahlreichen Auftritten – unter anderem beim Online Marketing Rockstars Festival – folgt 2017 das Debütalbum „Blitze aus Gold“ bei Universal. Im März 2018 soll das nächste Album erscheinen.

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New Business Trends, für die wir selbst nichts können. Erstens: Online Marketing ist für alle möglichen Leute relevant. Zu uns kommen auch Künstler, die wir gar nicht eingeladen haben, weil sie sich angucken wollen, was da abgeht und ob sie mit uns Geld verdienen könnten, es kommen Fußballer oder mittelständische Firmen, die wissen wollen, wie sie Online Marketing einsetzen können. Online Marketing braucht heutzutage jeder, und das spielt uns in die Karten. Zweitens: Events sind das tolle, große Ding.

bisschen uncool geworden ist, aber ich finde es gar nicht uncool. Was seid ihr mit den Online Marketing Rockstars konkret? Seid ihr auch eine Agentur? PHILIPP Nein, wir sind keine Agentur, bei uns kann keiner Leistung einkaufen. Wir sind eine Plattform. Wir sagen: Kommt zu unseren Events und in unsere Seminare, schaltet eure offenen Jobs bei uns, lest unsere Artikel oder hört unsere Podcasts. Wir stellen Content zum Thema digitales Marketing her und versuchen ihn zu verkaufen. Wenn du ihn bekommen willst, musst du in ein Seminar kommen und dafür bezahlen. Oder du kommst zum Event, dann brauchst du dafür ein Ticket, und dann gibt es auch Musik dazu. Aber im Grunde produzieren wir Content. Eigentlich könnte man sagen, dass wir ein Verlag sind, zumindest in Anführungsstrichen.

Dennoch muss man sich fragen, wie ihr diesen irren Erfolg geschafft habt. Ihr hattet in diesem Jahr 25.000 Besucher, doppelt so viele, wie in Hamburg zu Katy Perry gekommen sind, und zwar mit einer recht sperrigen Sache. Das Thema Online Marketing ist ja nicht von vornherein der Publikumsheuler.

Stellt ihr auch Bezahl-Content digital zur Verfügung? PHILIPP Ja, wir verkaufen einzelne Reports als pdfs, aber man kann auch ein Jahresabo abschließen, dann bekommt man alles zusätzlich noch in gedruckter Form, weil Abonnenten ja einen Vorteil haben sollen. Das zweite, was wir machen, sind Partys. Wir bringen also nicht nur Inhalte zu den Menschen, sondern auch Menschen auf unseren Partys und Events zusammen. Da ist richtig viel los, weil da die verschiedensten Künstler auftreten, aber am Ende geht es um die Mischung: Ein paar Leute wollen dann einfach ihr Bier trinken und neue Geschäftspartner kennenlernen, ein paar knutschen da rum, andere dancen ab, es ist halt irgendwie diese spezielle Mischung, um die es uns geht.

PHILIPP Zum einen ist dafür die Mischung verantwortlich. Bei uns bekommt man ja nicht nur Online Marketing, sondern auch Stars und coole Künstler. Und diese neue Mischung gab es vorher nicht. Das Zweite ist: Wir bekommen Rückenwind von den ganz großen Themen in dieser Welt. Schau dich doch mal um: Die drei wertvollsten Unternehmen der Welt sind Facebook, Google und Amazon, und die alle machen Online Marketing. Ich mache mir zwar auch meine Gedanken darüber, ob das nicht zu groß ist, aber es ist einfach so. Deswegen gibt es ein immenses Bedürfnis, einen Zugang zu diesem Thema zu finden und etwas zu lernen. Dabei wollen wir helfen, indem wir den Menschen neben der rein inhaltlichen Bildung – wie kriege ich eine Kampagne live über Instagram oder wie kann ich Werbung schalten bei Google? – noch etwas anderes mitzugeben versuchen. Wir fordern sie auf: Achte mal auf das, achte mal auf jenes, denk über dein Leben ein bisschen nach. Wir haben ja auch die Aufgabe, diese Welt kritisch zu beleuchten. Das ist am Ende Journalismus, etwas, das ein

Eine letzte Frage an Chefboss: Ihr habt ja den Vergleich mit anderen Festivals. Wie fühlen sich die Online Marketing Rockstars für euch von der Bühne aus an? ALICE Das sind dieselben Leute, wie sie uns auch bei

anderen Festivals zuhören. Nur dass sie vorher etwas gelernt haben. Aber sonst ist es dasselbe, Menschen, die von Montag bis Freitag arbeiten und abends abgehen. Es ist nicht so, dass das irgendwie komplett fremde Welten wären.

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