Evonik-Magazin 3/09 – Das Wunder von Kamenz

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Evonik-Magazin

Evonik-Magazin 3| 2009

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Mit Biotechnologie entstehen auf vĂśllig neue Art nachhaltige, intelligente Produkte fĂźr den Alltag. Sie haben sicher schon welche zu Hause

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Das Wunder von Kamenz

Unter klimatisch stabilen Bedingungen produzieren die Spezialisten bei Li-Tec die Energiespeicher der Zukunft

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20 Jahre nach dem Mauerfall ist die Lessing-Stadt in Sachsen dabei, weltberühmt zu werden. Als Standort der Batteriefabrik, die den Umstieg auf den emissionsfreien, elektrisch getriebenen Autoverkehr möglich macht

Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), der Dichter der deutschen Aufklärung, wacht heute noch über Kamenz

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lichen Reitunfall erlitten hatte, musste der Batteriehersteller Ionity Insolvenz anmelden. Der wahre Grund: Ionity konnte bei Handy-Batterien mit den Preisen aus Fernost nicht mithalten. Das Werk war noch wie neu, mit ihm Europas größter Trockenraum – wichtig, wenn man Batterien herstellen will. Bürgermeister Dantz wusste, dass er da einen Wert hatte. „Was wir da gelernt haben: Wenn es beim ersten Anlauf nicht klappt, dann beim zweiten.“ Der zweite Anlauf: Frank Maiworm, Chef bei einem sauerländischen DVD- und CD-Hersteller, meldet sich bei Dr. Andreas Gutsch, damals Chef des Forschungs-Tochterunternehmens Creavis Technologies & Innovation der Evonik Industries AG. Es sollte schnell gehen. „Wir haben uns am nächsten Morgen um sechs getroffen“, erinnert sich Gutsch, heute Li-Tec-Chef. „Maiworm sagte, dass er prüfe, die insolvente Ionity in Kamenz zu kaufen, um dort große Lithium-Ionen-Batterien zu fertigen. Zwei Tage später haben wir uns die Fabrik in Kamenz angeschaut.“ Wie alles begann.

ALS SICH DIE CHANCE BOT

Die beschichtete Elektrode, hier die Anode, wird optisch kontrolliert. Die Folie ist 10 Tausendstelmillimeter dünn

TEXT MICHAEL HOPP FOTOS SVEN DÖRING

HORST STEUDEL war ein findiger Typ.

Von den gängigen Deutz-Dieselmotoren angeregt, brachte er mit seinem Kamenzer Motorenwerk einen liegenden Kleindieselmotor auf den Markt, mit Verdampfungskühlung, sechs Pferdestärken (PS) Leistung, Typenbezeichnung VA. Das Neue an dem Motor: Die Einspritzpumpe und andere empfindliche Teile waren zu ihrem Schutz gekapselt. Zwar gab es Urheberstreit, doch der Motor war so erfolgreich, dass Steudel in einer Baukastenreihe auch den VB mit acht PS und den VC mit zwölf PS nachschob. Der VC diente hauptsächlich für den Antrieb von Betonmischern, offiziell für den Bau des

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„Westwalls“. Nun, das war 1938. Im Juni 1946 wird Steudel, der sich bis zuletzt als Demokrat gefühlt hatte, enteignet. Im nunmehr volkseigenen Betrieb entwickelt er den Einzylinder- Dieselmotor H 65, aus ihm entstand die „Dieselameise“. 1991 war es für das Kamenzer Motorenwerk und die damals noch 240 Beschäftigten vorbei. Die Wende war in den Betrieben angekommen. „Es waren Tausende Arbeitsplätze, die damals hier weggebrochen sind“, erinnert sich heute Roland Dantz, Oberbürgermeister, im schmucken Neorenaissance-Rathaus von Kamenz. 2005 brach wieder etwas weg. Etwas, das schon ein Neuanfang sein sollte, draußen im Gewerbegebiet Ochsenberg, am nördlichen Rand von Kamenz. Nachdem der arabische Hauptaktionär einen töd-

Der Rest wird dereinst Industriegeschichte sein wie der VA-Dieselmotor des Kamenzer Erfinders Horst Steudel. Allerdings nicht nur die der Lessing-Stadt in der Oberlausitz, sondern eher in globalem Rahmen. „Was hier jetzt geschieht“, sagt der Bürgermeister, „das hätten wir nicht zu träumen gewagt. Kamenz wird ins Zentrum gerückt, Europas und der Welt.“ Kurz gesagt: Evonik hatte den Separator, und in Kamenz stand eine Fabrik, in der man Lithium-Ionen-Batterien bauen kann. Anfang 2006 wurden in Kamenz die Li-Tec Battery GmbH & Co. KG gegründet, die Batteriezellen fertigt, und die Evonik Litarion GmbH, die den chemischen Part abdeckt. Andreas Gutsch zieht nach Kamenz, wohnt für ein Jahr im Wohnwagen. Keine Zeit, eine Wohnung zu suchen, aber auch schöne Sommerabende am See. „Ich sah von Anfang an enormes Potenzial für unsere Technologie“, sagt er heute. „Man könnte fast sagen: ‚Wir stehen heute da, wo die Solarbranche vor Jahren stand.‘ Als sich die Chance bot, habe ich die Stelle gewechselt, trotz der Unterschiede.“ Die Lithium-Ionen-Technologie war nicht neu, neu war der Separator, den Gutsch ein-

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zusetzen begann – eine keramikbeschichtete Membran, SEPARION genannt, die die Zellen vor Überhitzung schützt – und die großen, für den Autobetrieb geeigneten Batterien, die mehr als 100 Zellen beinhalten können, erstmals „intrinsisch“ sicher macht. Die Hitze ist ein großes Problem des Li-Ionen-Speichers, das weiß jeder, der seinen Computer zu lange im Akku-Betrieb benutzt. Gutsch: „Der Separator entstand in einer Zeit, als ich noch Leiter der Creavis Technologies & Innovation war, der Forschungseinheit von Evonik. Wir hatten eine Keramik membran entwickelt, die für die Trinkwasseraufbereitung gedacht war. Sie war gut – aber teuer. Das Projekt stand kurz vor dem Aus. Ein Besucher auf der Hannover Messe wies uns darauf hin, dass die Membran sicher ein interessanter Separator sei.“ Heute gilt die Separator-Membran als die Schlüsselkomponente in der Entwicklung der Elektromobilität. Indem sie vor Überhitzung schützt, trägt sie auch zu einer höheren Haltbarkeit der Batterien bei. Die Batteriezellen, wie Li-Tec sie heute herstellt, sind leichter, sicherer und bieten deutlich mehr Leistung bei langer Lebensdauer. Die Hauptprobleme der bisherigen Batterien – geringe Reichweite und hohes Gewicht – sind damit beseitigt. „Die Separator-Membran zwischen Anode und Kathode erträgt deutlich höhere Temperaturen als bisherige Lösungen. Bei Wettbewerbern sind Polyolefin-Separatoren Standard. Dieser Kunststoff schmilzt bei 120 Grad, was zum Kurzschluss führt.“ Es dauerte nicht lange, bis die Li-Tec mit ihrer innovativen Batterietechnik zum „Hot Shop“ der deutschen Industrie wurde, denn ohne einen Hersteller aus Deutschland drohte Gefahr, bei der kommenden Elektromobilität in Abhängigkeit von asiatischem Know-how zu gelangen.

NUKLEUS FÜR NEUE INDUSTRIE Tatsächlich musste Know-how aus Asien nach Deutschland zurückgeholt werden, das Thema Batterie war in Deutschland schon am Aussterben. Gutsch und seine Mitstreiter erprobten am Beispiel der Batterieentwicklung einen „Science to Business“-Prozess, wie er im Lehrbuch stehen könnte. Stiftungsprofessur, Kooperationen mit Hochschulen, Arbeitsgruppen am Forschungszentrum Karlsruhe und an der Uni-

Am 24. Januar 1729 wurde Lessing in der Sankt-MarienKirche getauft. Sein Vater war der Archidiakon von Kamenz

versität Münster – es musste eine Menge angeschoben werden, um den drohenden Verlust an Innovationskraft abzubremsen. „Wir mussten klarmachen, hier entsteht ein Multimilliarden-Business, ihr müsst die Kompetenz wieder auf bauen“, erinnert sich Gutsch. „Und das alles findet jetzt statt, nicht morgen. Wenn wir das jetzt vernünftig machen, ist das der Nukleus für eine neue Industrie in Europa.“ Der Druck war enorm. Die Firma in der Größe eines Start-ups war in eine spektakuläre Rolle geschlüpft – als Deutschlands einziger Hersteller großer Lithium-IonenBatteriezellen, die im Verkehr einsetzbar sind. „Wir arbeiteten Tag und Nacht“, erinnert sich Gutsch an die Zeit, als er gerade 35 Mitarbeiter hatte. Für die Separatoren

wird ein Kunststoffvlies mit Keramikdispersion beschichtet, ein Hauch von einem Vlies. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, von Menschen und von Maschinen. Alles in allem dauerte es acht Jahre, bis dieser Vorgang produktionssicher gemacht werden konnte. In der heutigen Li-Tec wirkt das alles so, als hätte man nie was anderes gemacht. Die Rollen durchlaufen eine Eingangskontrolle und gelangen dann in das Herz der Fabrik, den Trockenraum. „Hier lassen wir niemanden rein, nicht mal Kunden“, sagt Hausherr Gutsch – aus Geheimhaltungs- und aus Sicherheitsgründen. Aus den Hunderten von Metern werden in mehreren Linien Stücke in verschiedenen Größen geschnitten, die schnell die vorgehaltenen Magazine füllen. Die Mitarbeiter > Lesen Sie die Fortsetzung auf Seite 32/33

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„Was heute der Motor ist, ist morgen die Batterie“ Li-Tec-Geschäftsführer Dr. Andreas Gutsch EVONIK-MAGAZIN: Schon demnächst wollen Sie Autos in großer Serie mit Ihrer Batterie ausstatten. Was ist noch zu tun bis zur Serienreife? Dr. Andreas Gutsch: Wir haben noch keine Freigabe für die Autoindustrie. Die Schritte, die bis dahin notwendig sind: Sicherstellung der Produktionsmenge, denn unser Partner Daimler will nicht 20 Batterien haben, sondern mehrere Tausend. Am Ende gibt es den sogenannten „Design Freeze“, der im Dezember 2009 stattfindet, vielleicht Januar 2010. Dann ist das Produkt serienreif, und wir steigen in die Serienfertigung ein. Von welchen Stückzahlen reden wir? Wir bauen jetzt 300.000 Zellen pro Jahr, bis 2011 soll die Kapazität auf 2,3 Millionen hochgefahren werden. Würde man den Energieinhalt unserer großen Zelle auf kleine Zellen umrechnen, dann wären unsere 2,3 Millionen großen Zellen ungefähr 90 bis 100 Millionen kleine Zellen. Das muss man berücksichtigen, wenn man etwa mit japanischen Herstellern vergleicht – die bauen 100 Millionen Zellen im Jahr, aber das sind kleinere Zellen. Wie viele Leute braucht man zur Herstellung der großen Mengen? Heute haben wir etwa 50 Prozent unserer Mitarbeiter in der Produktion und den Rest in Entwicklung und Marketing. 30 Prozent der Mitarbeiter sind in der Entwicklung, diese Zahl wird bleiben, wie sie ist, in der Produktion wird sie unterproportional mit den Mengen wachsen. Der gesamte Headcount wird an die 600 bis 800 Mitarbeiter haben, dann kommt noch die Litarion dazu mit 150 Mitarbeitern. Wie werden sich die Preise entwickeln? 10.000 € ist eine plausible Größenordnung. Die Batterie wird der teuerste Teil in den Autos sein. Die Batterie wird auch in Zukunft eine zentrale Bedeutung für das Auto haben. Wer eine gute Batterie bauen kann, kann auch Autos bauen. Das ist eine völlig neue Erkenntnis für die, die heute Autos bauen. Was heute der Motor ist, das ist dann irgendwann mal die Batterie. Wie hoch wird der „Benzinpreis“ der Elektromobilität sein? Da kursieren viele, auch absurde Zahlen. Realistisch sind vielleicht 500 € pro Kilowattstunde

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(kWh), heute ist der Verkaufspreis eher 1.000 € pro kWh. Bei der Batterie liegt der rein rechnerische Break-even, also der Punkt, an dem sich die Investition rechnet, im Vergleich zum Verbrennungsmotor bei 300 € pro kWh. Dieses Ziel gilt für serienreife, 200.000 Kilometer weit fahrende Batterien. Das wird in 15, 20 vielleicht 25 Jahren kommen. Wenn heute einer sagt, ich habe eine Batterie um 250 € pro kWh, dann handelt es sich um eine Batterie, die in drei, vier Jahren kaputt ist. Im Moment werden Versorgungsmodelle und Infrastrukturen diskutiert. Welche der vielen Varianten ist realistisch? Die Batterie ist fest verbunden mit dem Fahrzeug. Das Laden findet im öffentlichen Raum an einer Infrastruktur statt, im privaten Bereich an einer normalen Haushaltssteckdose. Den Wechsel der Batterie – das sehen wir nicht. Erstens ist die Batterie so teuer, dass klar sein muss, wem sie gehört und wer sie wie belastet hat. Der Wert des Systems ist zu hoch. Zweitens ist die Batterie so groß, dass sie in der Regel in die tragende Konstruktion integriert ist. Dazu kommt, dass die Autos leichter werden und die Batterie daher für die Stabilität wichtiger wird. Drittens: Die Bauräume in den Fahrzeugen sind nicht standardisiert. Eine Batterie, die in einen Smart reinpasst, ist zunächst für den Smart gebaut. Ein einfaches Wechseln der Batterie bedeutet, dass man für unterschiedliche Modelle unterschiedliche Batterien vorhalten müsste. No way! Wie lange dauert der Ladevorgang? Der Ladevorgang hängt von der Steckdose ab, nicht von der Batterie – unsere Batterie kann in einer halben Stunde aufgeladen werden. Aber die Batterie hat ein bestimmtes Verhalten: Es ist ähnlich wie beim Menschen, Sie können länger spazieren gehen als laufen – wenn Sie der Batterie fünf oder sechs Stunden zum Aufladen geben, dann mag sie das auch lieber. In welchen Zyklen könnte sich die Elektromobilität durchsetzen? Die erste Welle wird gekauft von Leuten, die jetzt schon eine dafür verfügbare Steckdose – etwa in einer Garage – haben, es handelt sich um das Zweit- oder Drittfahrzeug. Parallel dazu wird von RWE, E.on und anderen die Infrastruk-

tur aufgebaut, sodass man für die zweite Welle die Verfügbarkeit für die breite Masse hat. Limitierend ist für die nächsten Jahre einzig die geringe Verfügbarkeit der Elektromobile. Der Mitsubishi i-MiEV ist ein recht kleines Auto und ist heute schon nahezu ausverkauft. Wenn wir Glück haben, ist der Smart auch bald nach Anlauf der Serie ein Renner. Die Elektromobilität hat einen grandiosen Aspekt: Man ist das erste Mal in der Lage, aus erneuerbaren Energien Individualmobilität zu erzeugen, ohne dass man mit Lebensmitteln in Konkurrenz steht. Der erste Anlauf war der Biosprit, da hatten wir die TellerTank-Diskussion. Und jetzt kann ich aus Sonnenlicht und Wind Individualmobilität machen. Das ist eine Innovation, die vergleichbar ist mit der Erfindung der Dampfmaschine oder mit der Erfindung des Elektromotors. Welche sind die weiteren „Wellen“? Die zweite Welle, die dann fünf Jahre später kommt, optimiert die Fahrzeuge: größere Fahrzeuge, mehr Reichweite, niedrigere Kosten. Darauf fokussieren sich die Automobilisten, die

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entwirft im Interview ein konkretes Bild, wie sich die Elektromobilität durchsetzen wird heute schon die erste Welle vorbereiten. Die dritte Welle wird die Masse erfassen. Nicht nur Golf-Fahrzeuge, sondern auch größere Limousinen. Sicherlich gibt es noch ein Reichweitendefizit, aber vielleicht auch reichweitenverlängernde Maßnahmen im Fahrzeug. Und in der vierten Welle – dann nehmen alle OEMs (OEM: Original Equipment Manufacturer) die nächste Komplexitätsstufe und machen auch die Netzstabilisierung. Wenn Elektrofahrzeuge dazu dienen, das Windstromnetz zu stabilisieren oder dahin einzuspeisen, dann ist das von so hoher Komplexität, das wird erst in der vierten Welle kommen. Mit welcher „Welle“ kommt die Infrastruktur mit? Im Moment sind die klassischen Mobilisten massiv in der Vorlage. Geld wird ja keines verdient, Geld wird nur ausgegeben, und die großen CRP(Continous-Replenishment-Program/Kontinuierliches-Warenversorgungsprogramm)-Provider stellen da und dort eine Zapfsäule auf. Mit dem zunehmenden Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Marktes wird es

eine Wellenbewegung geben, und von Welle zu Welle wird mehr Geld ausgegeben. Haben die Hybridfahrzeuge Zukunft? Der Hybrid heute ist nach meinem Verständnis eine Übergangslösung, weil er versucht, sich über Benzineinsparungen zu positionieren. Das ist in der Herstellung nicht wirtschaftlich darzustellen, weil ich zwei Systeme habe. Ich habe den ganzen Elektrostrang, und ich habe den ganzen Standard-Verbrennungsstrang. Diese Modelle werden abgelöst durch Fahrzeuge, die einen vollelektrischen Antriebsstrang haben und dann noch einen Generator an Bord, den sogenannten Range-Extender, der zusätzlich Strom liefert. Wie steht es um die Kohlendioxidemissionen beim Betrieb des Elektroautos? Der Einzelne hat auf den Energiemix aus der Steckdose ja nicht immer Einfluss. Es gibt Stimmen, die sagen: „Eines Tages kann sich der Mensch, der ein Einfamilienhaus hat, seinen Strom selber erzeugen.“ Mit Fotovoltaik am Dach kann man ein Jahr mit dem Auto herumfahren. Auch kleine Windkraftanlagen für den Garten

oder fürs Dach mit einer Leistung von um die 500 Watt reichen. Die Preise für FotovoltaikAnlagen gehen runter, die Effizienz steigt – die Öffentlichkeit hat meines Erachtens noch gar nicht das Potenzial der Dezentralisierung in Bezug auf eigenes Energiemanagement erkannt. Wie steht es im internationalen Innovationswettbewerb um die besten Batterien? Die Japaner sind so teuer wie wir, manchmal sogar teuerer. Qualitativ sind die Zellen, die wir hier machen, auf dem Level der japanischen Zellen, in einigen Kriterien sind wir sogar deutlich besser. Die Chinesen sind deutlich billiger als wir, aber auch qualitativ nicht da. Wird sich die Lithium-Gewinnung zum heiß umkämpften Markt entwickeln? Heute sind die schier verfügbaren Mengen um so viele Zehnerpotenzen größer als das, was man brauchen wird. Die weltweit größten Vorkommen sind heute in Bolivien, die wirklich größten Vorkommen aber im Meer. Es liegen Milliarden von Tonnen im Meer, nur das Thema fasst man nicht an, solange man in Bolivien einfach mit dem Radlader in den Sand reinfährt. Es gibt einige andere Metalle, die nicht im Namen der Technologie vorkommen, die ein Engpass werden können. Und die notwendigen Kupferfolien sind von so hoher Qualität, dass wir sie in Europa nicht kaufen können. Wie schätzen sie die Akzeptanz der Elektromobilität in der Gesellschaft ein? Alle reden von Elektromobilität, nur ich kann kein Auto kaufen. Die Frage ist: Ab wann kann man sinnvollerweise lostrommeln? Solange die Fahrzeuge nicht da sind, macht das wenig Sinn. Die Autos werden erst 2012 im Straßenbild auftauchen, und ich bin nicht sicher, ob sich der Konsument eine Geschichte so lange merken kann. Dann kommen die ersten Hybride, neben dem Prius kommt der S 400 Hybrid, BMW kommt mit dem 7er. Was man aber auch sehen muss: Das Elektroauto hat eine ganz andere Emotionalität: Das Auto macht keinen Lärm – das ist nicht nur positiv. Wenn sie mit so einem Auto fahren, hören sie plötzlich die Nebengeräusche. Sie hören Hydraulikpumpen, und man kriegt jede Veränderung des Straßenbelags mit. Außerdem ist man ja auch ganz gerne zur guten, alten Tankstelle gegangen und hat da die Zeitung mitgenommen. <

Dr. Andreas Gutsch, Geschäftsführer Li-Tec, zeigt am Marktplatz von Kamenz die von ihm mitentwickelte, innovative Lithium-Ionen-Zelle mit Separator

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Ende des Erdölzeitalters? In Kamenz betreiben Antje und Ulf Berger ein nostalgisches Tankstellenmuseum

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> tragen Kopf- und Mundschutz, Schutzbrillen, Plastikfüßlinge und Kittel – Partikel und Feuchtigkeit sind hier unerwünscht. Die gängigen Separatorformate – etwa so groß wie eine Schreibmaschinenseite – erledigen bereits Roboter, spezielle Abmessungen werden in Handarbeit gefertigt. Produktionsleiter Christian Junker hat die drei Schichten des Tages im Überblick. Er kontrolliert die maschinellen Abläufe und koordiniert die Arbeitseinsätze der vorwiegend jungen Kollegen. Alle sind hier per Du. Hochempfindliche Kamerasysteme und das menschliche Auge sortieren erbarmungslos jede fehlerhafte Komponente aus. Über die Fehlerquote wird akribisch Buch geführt, um Optimierungen im Workflow nachvollziehen zu können. Parallel zu den Separatoren werden auch die anderen beiden Batteriekomponenten, Anode und Kathode, in identische Form geschnitten. Sie werden von der benachbarten Evonik Litarion GmbH ebenfalls als Rollenware zugeliefert. Anode, Separator, Kathode, Anode, Separator, Kathode – Blatt für Blatt, Stapel für Stapel wächst in die Höhe. Jeweils 30 Dreiereinheiten bilden eine Zelle, die rund ein

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Kilogramm schwer ist. Am Ende der Stapelei wird jede fertige Zelle in eine spezielle Verpackungsfolie eingesiegelt, die Ableiter für den elektrischen Anschluss angeschweißt und der flüssige Elektrolyt eingefüllt, in dem die Ladungsträger für den Strom wandern. „Da gerade der Separator die Flüssigkeit gut annimmt, dauert diese Prozedur nur wenige Minuten“, erklärt Junker. Die fertigen Zellen sind nun bereit für den ersten Strom. Dazu werden sie ins „Turmzimmer“ geschleust. Jeweils acht Zellen füllen ein „Pizzablech“, 32 dieser Bleche werden automatisch im „Turm“, der sechs Meter hohen Vorrichtung, gestapelt und elektrisch angeschlossen. Christian Junker führt weiter aus: „Mit dem ersten Ladevorgang verheiraten wir die drei Komponenten.“ Die „Hochzeitsnacht“ im Turm dauert etwa 20 Stunden, dann sind die Zellen reif für die Endkontrolle. Nach dem Zufallsprinzip werden immer wieder einzelne Zellen aus der Serie „gefischt“ und in die „Folterkammer“ gebracht, wo sie verschiedenen Lastzuständen ausgesetzt werden – von einem schnellen Sprint mit dem E-Auto bis zu einer Fahrt über die Alpen.

„Der Separator alleine ist es heute nicht mehr, nach und nach haben wir eine integrierte Fertigung aufgebaut, die von den Zellen, der Batteriesteuerung und dem Packaging bis hin zu Simulationen und Anpassungen an einzelne Modelle alle Leistungen integriert“, erklärt Gutsch heute, am Vorabend der Großserienproduktion von Batterien für den Weltmarkt. „2011 ist unsere Batterie für den automobilen Einsatz serienreif. Und sie wird preislich wettbewerbsfähig sein“, kündigt Gutsch an.

STILLE IM AUGE DES TAIFUNS Ausschlaggebend für den Entschluss, ein Batteriewerk aufzubauen – die Mitarbeiterzahl wird in den nächsten fünf bis sechs Jahren auf etwa 1.000 Leute anwachsen –, war im Dezember 2008 der Einstieg der Daimler AG, die 49,9 Prozent an der Li-Tec übernommen hat. Daimler-Vorstand Dr. Dieter Zetsche zögerte nicht, den Ritterschlag zu erteilen: „Wir haben weltweit die gesamte Batterieindustrie geprüft“, diktierte er den Reportern ins Mikrofon, „und wir sind überzeugt, dass Li-Tec der führende Anbieter von Lithium-Ionen-Technik ist.“ Hier haben

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S U M M A RY • Im sächsischen Kamenz sitzt seit 2006 die Li-Tec Battery GmbH, die als Deutschlands einziger Hersteller im Verkehr einsetzbare Lithium-Ionen-Batteriezellen baut. • Der eingesetzte Separator, der die Zellen vor Überhitzung schützt, ist bahnbrechend für die Entwicklung der Elektromobilität. •Die Batterien werden 2011 serienreif und wettbewerbsfähig für den Weltmarkt sein. Das Werk, an dem Daimler beteiligt ist, wird bis zu 1.000 Mitarbeiter haben.

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Die neun großen Fragen zur Elektromobilität

…und ihre Antworten. Wo tanke ich das Auto? Wie sehen Tankstellen aus? Welche Infrastruktur kommt? Zu diesen Fragen ist ein Wettbewerb an Ideen entstanden, lesen Sie hier die wichtigsten

1 Wie tanken Elektroautos? An der Tankstelle der Zukunft fließt weder Super noch Diesel, sondern Strom. Einen normierten Stecker für die elektrische Zapfsäule gibt es bereits. Auch die Spannungsebene ist mit 400 Volt festgelegt. Sie wird heute schon für den Anschluss unserer elektrischen Herde im Haushalt genutzt. Deshalb ist es kein großes Problem, Garagen, Stellplätze und Carports mit entsprechenden Steckdosen auszurüsten. Vorteil dieser Lösung: Der Ladevorgang verkürzt sich auf rund zwei Stunden, bei „normalen“ Haushaltssteckdosen wären es dagegen zwölf Stunden. Abgesehen von den Hausanschlüssen soll der „öffentliche Raum“ rasch mit zusätzlichen Tankstellen versorgt werden. RWE hat in Berlin bereits 56 Ladepunkte instal-

liert, bis Mitte 2010 sollen es 500 sein. „Das ist das größte Vorhaben dieser Art weltweit“, sagt Dr. Rolf Martin Schmitz, Vorstand der RWE AG. Eingerichtet werden die Stationen überall dort, wo Autos ohnehin parken, also zum Beispiel in Parkhäusern. Die APCOA Autoparking GmbH ist ebenso Projektpartner wie Siemens, Sixt und der Allgemeine Deutsche Automobil Club (ADAC). Parallel zu Berlin werden ähnliche Vorhaben in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München realisiert. Auch Vattenfall und E.on engagieren sich mit Projekten für Ladestationen im Bereich Elektromobilität. Künftig könnten auch Parkplätze von Firmen oder an Veranstaltungsorten mit Stromsäulen ausgerüstet werden.

FOTO: RWE

wir ein Happy End, das noch viel Arbeit ist. Am benachbarten Grundstück wird gerade die Deutsche Accumotive GmbH & Co. KG angesiedelt, die aus den Batteriezellen von Li-Tec Batterien fertigt. Ihren Anteil an allem haben auch die findigen Kamenzer, die sich etwas unerwartet in die eigentlich unfassbare Dynamik des globalen Innovationsschubs einer Schlüsselindustrie involviert finden – oder was der großen Worte hier noch wären. Von heute 900 Millionen US-$ soll der Markt für Elektroauto-Batterien bis 2015 auf 10 bis 15 Milliarden US-$ anwachsen und sich die Jahre darauf noch schneller entwickeln. Im Moment herrscht hier noch die Stille im Auge des Taifuns. Beatrice Schäfer, studierte Chemikerin und Mitarbeiterin in der Entwicklung, erzählt, dass sie wohl spüre, hier an „etwas ganz Besonderem teilzuhaben, aber nicht jeden Tag 24 Stunden. Oft ist es auch ein ganz normaler Job, wobei schon besonders ist, dass wir in keinem Lehrbuch nachschlagen können, was wir hier machen.“ Antje und Ulf Berger betreiben am Rande der Altstadt ein kleines Tank stellenmuseum und stimmen die Kamenzer auf das Ende des Erdölzeitalters ein, das hier besonders nahe ist. Für Andreas Gutsch sind die Kamenzer die „Baden-Württemberger des Ostens“, Bürgermeister Dantz hebt die Verwurzelung des Maschinenbaus in der Region hervor, den Fleiß und die Strebsamkeit der Menschen hier. Hier gelte nur der etwas, der etwas könne – nicht der, der etwas habe. Sieht so aus, als käme dieses eine Mal beides zusammen. Denn hier haben die Menschen, was sie schon länger nicht hatten – Zukunft. <

TANKSTELLENNETZ DER ZUKUNFT

Statt Tankschlauch tut es ein Stecker – statt Tanksäule steht an der Straße eine Stromsäule

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